Wie definiert man Klassik? Mit T-Shirt, zerfetzter Jeans und schweren Stiefeln ohne Schnürsenkel kam David Garrett auf die Bühne im Innenhof von Schloss Emmeram und fläzte sich auf eine Art Barstuhl. Ein Bier? Nein, ein Konzert bitte! Und was für eins. Brahms locker vom Hocker.
Garretts Brahms-Violinkonzert. "Es war ein wirkliches Ereignis", musste auch Erol Sander gestehen. Der Schauspieler und Freund des Stargeigers war zum ersten mal bei den Schlossfestspielen und vor allem vom Ambiente spürbar ergriffen.
Und das, obwohl eingefleischte Klassikpuristen eigentlich seit Langem die Nase rümpfen, wenn der Popgeiger zum Bogen greift. Er gilt als Überläufer, der sein großes Talent an den Massengeschmack verschwendet. Ein Kritiker bezeichnete Garretts Ausflüge zur Popmusik sogar abfällig als "Softpornopopklassikjunkfood". Garrett spaltet wie kein anderer Musiker die Musikwelt.
Tatsache ist, dass allein seine Cross-Over-Konzerte Musik-Deutschland entzückt und verzaubert. Vor allem die Damenwelt, was eine Frauenquote im Fürstlichen Schloss zu Thurn und Taxis von etwa 75 Prozent gestern Abend locker bestätigt. "Sie bringen Klassik an die jungen Leute", bringt es Fürstin Gloria auf den Punkt, als Garrett samt Gefolge an ihrem Tisch im VIP-Bereich (Bild rechts) Platz nimmt.
Eigentlich wollte er gleich nach seinem 40-minütigen Violin-Solo vor der Pause gleich höchst diszipliniert Richtung Hotel aufbrechen, schließlich wartet der Flieger heute nach San Francisco nicht extra auf Herrn Teufelsgeiger. Aber David Garrett ließ sich doch noch zu einem lauschigen Plausch in netter, fürstlicher Runde hinreißen, während ihn seine vielen weiblichen Fans nach der Pause vergeblich auf die Bühne zurück sehnten. Das Orchestra Sinfonica di Milano kam stattdessen wie vorgesehen alleine. Nur wussten das die wenigsten.
Vor der Pause hatte sich der gebürtige Aachener eines der wohl sprödesten, sperrigsten und längsten Violinkonzerte der Musikgeschichte ausgesucht. Ein undankbarer Brocken von einem Musikstück. Denn das Brahms-Konzert ist teuflisch schwer, bietet aber kaum Raum für Showeffekte und Bravour. Für David Garrett jedoch war der Vortrag des Brahms-Konzerts offenbar vor allem ein Bekenntnis.
Nach dem Konzert erzählt er Fürstin Gloria, dass er generell gerne Musik mache ? "nicht nur Klassik". Viermal stand er damit bereits erfolgreich in ihrem Schloss auf der Bühne. Aber all der Pop, all die Cross-over-Konzerte seien natürlich in erster Linie "Mittel zum Zweck", um auch jungen Leuten klassische Musik zugänglich zu machen. Das hatte auch Gloria richtig erkannt.
Genau so spielte Garrett den schwermütigen Brahms: Wie ein verliebter Jüngling, der mit Geigenbogen und Violinsaiten die Musik umschmeicheln möchte. Der versonnen lächelnd jeden seiner Töne mit Leidenschaft auflädt. Der uns immerzu mit seiner Geige zeigen möchte, was für unglaubliche Musik Brahms hier komponiert hat. Alles in allem wirklich große Violinkunst, wie man sie sehr selten zu hören bekommt.
Und endlich ? im temperamentvollen Schlussatz stieg der 32-Jährige endlich vom Hocker, um rasende Virtuosität zu demonstrieren. Während Garrett zuvor seine Geige geradezu bescheiden in den symphonischen Klang des von John Axelrod einfühlsam geleiteten Orchestra Sinfonica di Milano integrierte, machte er nun den musikalischen Entertainer: Auch Brahms kann Pop sein.
Apropos dezent: Natürlich durfte an dieser Stelle ein Hinweis auf den im Oktober in die Kinos kommende Film "Der Teufelsgeiger" nicht fehlen. Für David Garrett war es eine große Ehre, den Paganini zu mimen, "und das hier in diesem wundervollen Schloss in Regensburg", gab er Gloria von Thurn und Taxis bei seinem Abschied zu verstehen. "Ich würde ihm auch jederzeit ein Zimmer bei uns einrichten", gab sie lächelnd zu verstehen. Eins war an diesem Abend allen klar: David Garrett darf wiederkommen: Der fünfte Auftritt bei den Schlossfestspielen ist also nur noch eine Frage der Zeit.
(Fotos: R. Fleischmann / D. Tschurilov)