Philipp Poisel exklusiv vor dem Bluetone Festival
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Am 01.07. steht Philipp Poisel im Rahmen seiner 2017 Tour, die sein neues Album "Mein Amerika" begleitet, beim Bluetone Festival in Straubing auf der Bühne. Vorab erzählt er im Interview von seinen Inspirationen und erklärt die lange Pause zwischen seinen Alben.
Herr Poisel, sechs Jahre ohne neues Album kommen im schnelllebigen Musikgeschäft einer Sünde gleich. Haben Marktgesetze in der Zeit bis MEIN AMERIKA eine Rolle in Ihren Gedanken gespielt?
In der Zeit war ich mitunter sehr weit weg davon, auf der Bühne zu stehen, in einer Band zu spielen und vom Musikersein. Mein Alltag, hier, wo ich wohne, war so präsent, dass ich fast schon vergessen hatte, irgendwann wieder ein neues Album aufzunehmen. Am Horizont stand schon geschrieben, dass ich irgendwann wieder eine Platte aufnehmen wollen würde. Aber ich hatte mich ganz bewusst in ein „normales Leben" zurückfallen lassen, um den Kontakt zu meinem Ursprung nicht zu verlieren. Worüber sollte ich Lieder schreiben, wenn ich im Künstler-Elfenbeinturm leben würde?
Sie haben nicht das Gefühl mit MEIN AMERIKA spät dran zu sein?
Doch, aber nur etwa ein Jahr zu spät. Ich habe mir immer schon viel Zeit gelassen. Für mein erstes Album hatte ich sogar meine Kindheit und Jugend als Vorbereitungszeit. Vielleicht bin ich ein bisschen spät dran. Aber einen Zyklus von fünf Jahren könnte ich mir auch zukünftig für meine Platten vorstellen. Ich brauche Zeit, um etwas zu erleben, worüber ich dann auch singen möchte. Ich will mir Zeit für Veränderungen nehmen.
Ist es wichtig für Sie, dass man kontinuierlich Veränderungen in Ihrer Musik hören kann?
Nachdem ich für PROJEKT SEEROSENTEICH meine Lieder neu interpretiert hatte, stand für mich die Gefahr im Raum, in einer Endloswiederholungsschleife zu landen. Ich wollte mich nach dieser Erfahrung verändern und mich auf die Suche nach blinden Flecken oder anderen Seiten von mir begeben.
Auf der Suche sein, das Reisen spielt seit jeher eine zentrale Rolle in Ihrem Sujet. BIS NACH TOULOUSE, MEIN AMERIKA, die Referenz an Robinson und Freitag im neuen Song ROMAN... Bahnt sich Ihr Abenteurergeist unablässig seinen Weg in Ihre Lieder, mit allem Staunen, das dazu gehört? Oder ist es die Flucht vor Bestehendem?
Beides. Wenn ich daheim bin, habe ich Fernweh. Wenn ich unterwegs bin, habe ich Heimweh. In diesem Spannungsfeld entstehen meine Lieder. Meine Kindheit und die Phantasie, die damals so riesig war, beschäftigt mich. An die versuche ich immer wieder heran zu kommen. Phantasie ist ein Land, in dem ich mich mit Genuss aufhalte. Meine Reise nach Amerika war vielleicht auch eine Illustration dieses Landes nach außen hin.
Klingt wie eine interessante Lebensreise...
...während der ich mir bewusst Ziele setze, um nicht stehen zu bleiben. Ich möchte natürlich weiterhin gerne auf der Bühne stehen. Es macht mir einfach Spaß, Musik als Beruf oder als Berufung zu verstehen. Aber ich muss damit immer wieder neue Richtungen anpeilen, um mich nicht selbst zu langweilen. Deshalb muss ich vom Sofa aufstehen, um auf der Bühne etwas Neues aufführen zu können.
Inspiriert die Lebensreise den Musikreisenden Philipp Poisel?
Ja, aber diese Medaille hat zwei Seiten. Manchmal wird die Musikreise auch zur Bürde. Mit dem Erfolg kommen auch Erwartungen. Mein Ventil war immer die Freiheit. Diesmal war die Musik auch eine große Belastung und ich flüchtete mich ins Malen, um darin wieder eine Freiheit fühlen zu können. Mein Lebensweg ist nicht nur romantisch. Es liegen auch viele Steine herum, die manchmal ein Chaos nach sich ziehen. Ich muss entspannt sein, um Lieder schreiben zu können. Früher, als ich Hausaufgaben machen musste, griff ich zur Gitarre, um Momente der Freiheit fühlen zu können. Heute experimentiere ich mit Farben, um mich frei fühlen zu können, wenn ich Lieder schreiben will. Ich mag mich gerne spüren beim Schreiben und nicht dem Gefühl erliegen, dass ich dem geschäftlichen Konstrukt zuarbeiten muss, das mit meinem Erfolg geboren worden war.
Amerika dient seit Ewigkeiten als Projektionsfläche für Sehnsüchte. Wie sah Ihr Amerika-Bild vor Ihrer Reise in das Land aus?
Das war vor allem geprägt von Kultur und Entertainment-Geschichten. Ein Freund von mir hatte Kabelfernsehen, da liefen die ganzen Serien der späten 80er-Jahre, „Knight Rider", „Baywatch" und all die Sachen, die nicht gerne gesehen waren bei meinen Eltern. Außerdem spielten Videospiele und Musikvideos eine Rolle. Bruce Springsteen habe ich damals für mich entdeckt. Das war ein Volltreffer, den habe ich bei uns daheim im Fernseher angeschaut. Auch der Englischunterricht prägte mein Amerika-Bild. Eine Lehrerin brachte eines Morgens eine Kassette mit, auf dem ein Lied von Woody Guthrie war. Der sang: „This land is my land and this land is your land, from California to New York island". Die Weite, die der Text ausdrückte, ließ mich wie ein Adler fühlen, der frei über diese ganzen Landschaften fliegen konnte.
Bedurfte es Mut, Ihr neues Album MEIN AMERIKA zu nennen? Das Land, über das Sie singen, gibt sich derzeit extrem polarisiert.
Ja, ich weiß. Die Idee, das Album MEIN AMERIKA zu nennen, hatte ich schon länger. In der Zwischenzeit wurde Amerika in den Nachrichten abwechselnd heiß und mit weniger Interesse gehandelt. Dadurch, dass es MEIN AMERIKA heißt und eine Subjektive ist, lade ich jeden dazu ein, seine Sicht auf Amerika beizutragen oder als Feedback zu geben. Ich bin offen dafür und habe nicht vor, irgendwelche statischen Manifeste mit der Platte zu besiegeln. Ich wünsche mir als Künstler und Privatmensch natürlich schon ein Bewusstsein für den ganzen Erdball. Und vielleicht bietet die Musik als Kunstform die Möglichkeit, sich darüber auszutauschen.
Damit sind wir ja gerade beschäftigt.
Amerika hat auch eine wunderbare Seite und ich finde es ganz schön, diese Aspekte des Landes aufzuzeigen. Dass Amerika für alles Mögliche in der Kritik steht, ist die eine Seite. Andererseits ist es aber auch ein wunderschönes Land, das es lohnt, bereist zu werden. Wir konsumieren ja auch viel Amerikanisches. Die ganze Serienkultur beispielsweise, die wir uns liebend gerne reinziehen. Gleichzeitig wird viel über das Land geschimpft.
Gut, dass Sie sich nicht oder nur indirekt politisch positionieren in den Songs von MEIN AMERIKA.
Ich habe natürlich meine Positionen zu bestimmten Themen. Die Demokratie schätze ich hoch ein. Die Musik ist andererseits ein Gebiet, in dem ich mit Politik eine Weile lang nichts zu tun haben möchte. Musik ist mein Freiraum vom weltpolitischen Geschehen, den ich mir auch nehmen möchte.
MEIN AMERIKA ist ein inklusives Amerika, es grenzt nicht aus. Gleichzeitig lädt das Album auch inhaltlich zum Dialog ein. Wie neugierig sind Sie auf andere Träume und Perspektiven?
Die Frage, die ich mit dem Album verbinde, lautet: Auf dem Album befindet sich mein Amerika, wie sieht dein Amerika aus? Welchen Traum hast du, wovor hast du Angst? Ich möchte gerne ins Gespräche kommen über diese Fragen. Ich verbinde mit dem Offenlegen meiner persönlichen Seiten auch immer den Wunsch, persönliche Seiten anderer Menschen kennenlernen zu dürfen. Dadurch entsteht Nähe. Nach zwischenmenschlicher Nähe und Gemeinschaft sehne ich mich.
MEIN AMERIKA besitzt aufnahmetechnisch viele Polaroid-Momente, die der Musik reichlich Charme verleihen. War Ihnen die Momentaufnahme wichtiger als die Perfektion?
Ja, das Unterbewusstsein gab oft den Ton an. Ich war bereit, meine Ideen musikalisch frei umzusetzen. Immer mit dem Bewusstsein dafür, dass für Perfektion später auch noch Zeit gewesen wäre. Wenn man an dem Punkt ist, kann man Magie einfangen im Studio. Wir hatten uns überlegt, einige Stellen in den Aufnahmen durch perfektere Takes auszutauschen. Aber wir haben Vieles einfach so belassen, wie es geschah. Man kann sich das wie bei einem Psychologen vorstellen. Der hört in einem Gespräch, was ihm sein Gegenüber sagt. Aber er kann im Gesichtsausdruck und in der Stimmlage noch ein paar zusätzliche Informationen sammeln. So war es auch bei den Aufnahmen zum neuen Album. Die Polaroid-Momente gaben der Musik eine Tiefe, die ich weder glatt bügeln noch aufmotzen wollte.
Letzte Frage: MEIN AMERIKA ist...
...nicht das Ende einer Phase, sondern der Anfang von etwas Neuem.