section_topline
Redaktions-Hotline: +49 (0)941 59 56 08-0
section_mobile_logo_top
section_header
section_navigation
section_breadcrumbs
section_component

Die Mietpreise steigen seit Jahren ins Unermessliche, alteingesessene Gewerbetreiber verschwinden oder ziehen um und Ketten ploppen wie Pilze aus dem Boden. Die Regensburger betrachten die Gentrifizierung der Altstadt mit Argwohn. Doch was steckt hinter der Fassade der aktuellen Entwicklungen? Wo liegen ihre Wurzeln und wie geht es dem Gewerbe?

Heute ist die Regensburger Altstadt eine mit dem UNSECO-Weltkulturerbe-Titel ausgezeichnete Perle mit unvergleichlichem Charme und Flair. Doch das war nicht immer so. In den 1950er Jahren gehörte die verwinkelte Altstadt zum großen Sorgenkind der Regensburger Stadtplanung. Ein Grund dafür war der desolate Zustand der Fassaden und Wohnungen, in denen sich vor allem einkommensschwache Familien einquartierten – darunter auch viele Zuwanderer aus der Nachkriegszeit. Das weitaus schwerwiegendere Problem betraf jedoch die zur Verfügung stehende Infrastruktur. Enge Straßenzüge, verwinkelte Gassen und das Fehlen eines zukunftsfähigen Verkehrskonzepts veranlassten die Stadtplanung in den 1960ern zu einer Tabula-Rasa-Politik. Oberbürgermeister Rudolf Schlichtinger war sich sicher: Die Altstadt muss weg – zumindest erhebliche Teile davon. Doch die Bürger verwehrten sich seiner Vision: Eine vierspurige Straße durch die Altstadt samt sechsspuriger Brücke über Donau und Gries und Verkehrsknotenpunkt am Donaumarkt hätten die Konjunktur der Altstadt zwar nachhaltig angekurbelt, aber das Stadtbild auch für immer zerstört. Selbst wenn die Stadt bereits mit dem Einkauf und Abriss zahlreicher Gebäude um den Donaumarkt begonnen hatte, musste sich die Stadtverwaltung – wohl oder übel – dem Druck der Bürger beugen. Anstelle einer Nivellierung mehrerer Straßenzüge forderten sie ein Fortschreiten der Altbausanierungen, wie sie bereits seit 1955 zum Erhalt und zur Schaffung von neuzeitlichem Wohnraum betrieben wurden.

Während sich die Regensburger in den 1960ern für die Sanierung ihrer Altstadt einsetzten, veröffentlichte die englische Geographin Ruth Glass im Jahr 1964 einen Aufsatz, in dem sie sich über eine auffallende innerstädtische Entwicklung im Londoner Stadtteil Islington äußerte. In ihren Untersuchungen stellte sie fest, dass sich in dem ursprünglichen Arbeiterviertel über die Jahre hinweg vermehrt Familien aus der Mittelschicht angesiedelten hatten. Um das Phänomen zu beschreiben, zog die Geographin eine Analogie zu Vorgängen im 18. Jahrhundert, als Teile des niederen Adels (engl. gentry) zurück in die Zentren der Städte zogen. Der Zuzug der kapitalstärkeren Schicht führte dabei nicht nur zur Sanierung des Viertels, sondern zugleich zu einem deutlich gehobenen Warenangebot und einer Erhöhung der Miet- und Grundstückspreise, die sich die Arbeiter nicht mehr leisten konnten. Infolge der finanziellen Überlastung der Arbeiter tauschte sich die Bevölkerung des Viertels nach und nach aus – der Charakter des Viertels hatte sich über wenige Jahre hinweg vollkommen verändert. Doch während sich die Gentrifizierung von Islington vornehmlich über den Zuzug finanzstarker Bewohner vollzog, wurde sie in Regensburg unwissentlich über andere Mechanismen vorbereitet.

Die Phasen der Regensburger Gentrifizierung

Mit der Gründung der Universität im Jahr 1962 zogen die sogenannten „Pioniere“ der ersten Gentrifizierungsphase nach Regensburg: die Studenten. Diese „Pioniere“ besaßen zwar nur wenig Geld, verfügten jedoch über „kulturelles Kapital“ sowie ihre eigenen Lebensentwürfe und Träume. Ihr bevorzugter Wohnraum war die Regensburger Altstadt mit günstigen Unterkünften, verwinkelten Gassen und urigen Kneipen. Ohne es zu beachsichtigen, haben sie über die Schaffung neuer sozialer und kultureller Nischen die Infrastruktur für die zweite Phase der Gentrifizierung geschaffen: Die Altstadt wurde für Außenstehende interessant und lockte sowohl weitere Pioniere als auch die ersten kapitalstärkeren Gentrifizierer an.

In den 1980ern und 90ern erfolgte schließlich die zweite Phase der Gentrifizierung: Die kulturelle Vielfalt lockte nun auch Paare mit höherer Schulbildung und höherem Einkommen in die Altstadt. Aufgrund des umfassenden sozialen Wohnungsbaus Mitte der 1960er und 70er Jahre standen auch genügend preisgünstige Wohnungen zur Verfügung, um subversiv Raum für die einkommensstärkeren Haushalte zu schaffen. Während die Stadt ihren sozialen Wohnungsbau drosselte und die Sanierung und Modernisierung der Altstadt weitestgehend in private Hand gab, lockte der verstärkte Zuzug in die Altstadt auch die ersten Investoren an: Die Preise begannen allmählich zu steigen. Die alteingesessenen Altstadtbewohner wurden langsam aber sicher verdrängt – zumeist aufgrund der steigenden Mieten modernisierter Wohnungen. Die Ausweitung der Fußgängerzone in der Altstadt sowie die Stilllegung der Steinernen Brücke führten zudem zu einem Strukturwandel der Regensburger Gewerbelandschaft.

Seit den 2000er befindet sich die gesamte Regensburger Altstadt in der dritten Phase der Gentrifizierung: Der Zuzug von weiteren Gentrifizierern und die Ernennung der Altstadt zum Weltkulturerbe im Jahr 2006 beginnen sich auf die Infrastruktur und Durchmischung der ansässigen Geschäfte und Restaurants auszuwirken. Arztpraxen, Anwaltskanzleien, Versicherungsbüros, Einzelhandelsketten und Dienstleistungsbetriebe drängen immer weiter in die Altstadt und provozieren eine Umwandlung von Wohn- in Gewerberäume. Die erhöhte Nachfrage an Gewerbeflächen treibt nun auch die Preise für Gewerbeflächen in die Höhe und verdrängt angestammte Betriebe. Die ursprünglich ansässigen einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten halten sich nur noch in den unsanierten Nischenvierteln, der Verlust von Wohnraum wirkt sich weiter auf die Mietpreise aus – das gentrifizierte Gebiet wird langsam aber sicher zu einer sicheren Kapitalanlage für Investoren.

Mietanstieg von 94,5 %

Für viele steht fest: Die Gentrifizierung der Altstadt hat bedenkliche Ausmaße erreicht. Betrachtet man die Mietspiegel der letzten 18 Jahre, werden die Gründe dafür auch schnell klar. Während die durchschnittliche Basismiete in der Stadt von 5,19 Euro im Jahr 2000 auf 8,69 Euro im 2017 anstieg, erhöhte sich die durchschnittliche Basismiete in der Altstadt im selben Zeitraum von 5,45 Euro auf 10,60 Euro! Ein Fortschreiten dieser Entwicklung bedingt zwangsläufig eine verstärkte Segregation – also eine räumliche Abbildung der sozialen Ungleichheit in der Stadtgesellschaft. Regensburger, die sich eine Wohnung in der Altstadt nicht (mehr) leisten können, werden in die Randgebiete der Stadt abgedrängt, wo die Mieten weniger schnell steigen und bezahlbarer Wohnraum noch am ehesten zu finden ist. Die Gefahr der Ausgrenzung, Ghettoisierung und Diskriminierung ist evident.

Um diese Entwicklung zu stoppen, versucht die Politik mit dem Projekt der „sozialen Stadt“ eine Zunahme sozialer und ökonomischer Probleme in verschiedenen Stadtteilen zu verhindern. Ob dies gelingt, wird jedoch erst die Zukunft zeigen. Zumindest hat die Stadt, die über ca. 7.000 Wohnungen verfügt, die Möglichkeit, wirksam in die Mietpreisentwicklung einzugreifen, indem sie beispielgebend der sozialen Bedeutung des Wohnens Rechnung trägt. Auch der Mieterbund Regensburg hat dazu wiederholt Forderungen an die Politik gerichtet und eine sozialverträgliche Mietpreispolitik gefordert: „In erster Linie geht es um die Beschränkung der Mieterhöhung, die Reduzierung der Umlage der Modernisierungskosten bzw. den Verzicht darauf. Weiterhin braucht Regensburg ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohneigentum, um die Umwandlung von Wohnraum in Gewerberäume zu verhindern.“

Doch nicht nur die Wohnungsmieter sehen sich mit steigenden Mieten konfrontiert. Auch das Gewerbe kämpft in manchen Fällen um seinen Fortbestand. Wir haben uns mit Ingo Saar, Vorstand der Faszination Altstadt e.V., unterhalten und nachgefragt:

Herr Saar, wie beurteilen Sie die Entwicklung der Mietpreise für Gewerbeflächen?

Das muss man differenziert betrachten. Ich weiß aus eigenen Gesprächen mit Eigentümern, aber auch mit gewerblichen Mietern, dass es Vermieter gibt, die einfach versuchen, Gewinn zu maximieren und auch lange warten, um einen Mieter zu finden, der noch den einen oder anderen Euro mehr bezahlt für die Fläche. Das sind viele und oftmals Vermieter, die nicht in Regensburg ansässig sind und das natürlich rein als Investment sehen. Dennoch kenne ich eine Reihe an Regensburger Vermieter, die ganz individuell auf die Bedürfnisse und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Vermieter eingehen – auch bei Vertragsverlängerungen, weil ihnen die Struktur ihrer Straße und Stadt wichtig sind und die Mischung und die persönliche Verbundenheit zu ihren langjährigen Mietern. Also da gibt’s beides.

Sie sehen also keine übermäßige Problematik der steigenden Mietkosten in der Altstadt?

Nicht überall steigen die Mieten. Es gibt Einzelfälle, wo man das Gefühl hat, die Vermieter treiben es bis ins Unermessliche. Das sind aber Einzelfälle, die sich wie ein Lauffeuer rumsprechen und plötzlich sprechen alle über die gleichen zwei, drei Objekte. Dem gegenüber stehen aber mindestens ebenso viele Vermieter, die wirklich vernünftig mit ihren Mietern verhandeln. Die Mietpreissteigerung lässt sich somit nicht generalisieren. Die Vermieter haben schon gemerkt, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist und die Wirtschaftsfähigkeit des Handels nicht mehr wächst.

Sie sind der Meinung, dass wir einen Peak erreicht haben und sich die Mieten wieder nach unten regulieren, ohne dass jemand eingreift?

Es kann niemand eingreifen, die Preise reguliert der Markt. Wenn der Vermieter seine Preise nicht mehr bekommt, dann muss er sich etwas überlegen: ob er es leer stehen lässt oder ob er mit der Miete zurückgeht. Es gibt auch kein Regulativ für diese Preise. Und die Stadt verfügt meines Wissens nach über keine eigenen Flächen, um irgendwie einzugreifen.

Wie betrachten sie die Objektwechsel innerhalb etablierter und alteingesessener Gewerbebetreiber?

Ich weiß nicht, auf welche Objekte Sie hier konkret anspielen. Aber es gab in einer ganzen Reihe von Objekten Wechsel, weil beispielsweise alteingesessene Familien-Unternehmen in der Branche einfach keinen Nachfolger hatten. Das ist auch oftmals ein Grund, dass ein über mehrere Generationen geführter Betrieb verschwindet.

Dann sind Sie optimistisch, dass sich der Markt von alleine reguliert?

Das muss er auch tun, ich wüsste auch niemanden, der sich Zwangsregulierung wünscht.

Die andere Alternative wäre, dass sich in die freien Gewerbeflächen große Ketten einmieten. Die sind schließlich bereit, fast jeden Preis zu zahlen, um wenigstens vor Ort zu sein.

Wir haben in Regensburg die glückliche Situation, dass wir in der Altstadt diese Inbesitznahme, wie Sie es fast apokalyptisch formulieren, von der Größe der vorhandenen Fläche her überhaupt nicht liefern können. Wir würden uns den ein oder anderen zusätzlichen Magnetbetrieb in der Altstadt noch wünschen, können aber die Flächen gar nicht anbieten. Diese finden die Firmen dann eher in Einkaufszentren außerhalb der Altstadt. Und die Tatsache, dass es diese Einkaufszentren überhaupt gibt, ist mit dafür verantwortlich, dass wir in der Altstadt immer noch geprägt sind von inhabergeführten Geschäften und kleinteiligeren Läden. Das bestätigen uns auch unsere Besucher. So eine Fülle und Vielfalt wie in Regensburg findet man heute in kaum einer anderen Großstadt.

Die Entwicklung, die Sie ansprechen, bestreite ich nicht. Der Handel verändert sich, viele Unternehmen haben keine Nachfolger, für viele sind strategische Partnerschaften mit Franchisenehmer auch eine gewisse Absicherung, um als Unternehmer nicht alleine zu stehen. Und nicht hinter jedem Monomarkenstore steckt ein Filialist, das sind selbstständige Unternehmer, die als Lizenzpartner fungieren. Darunter sind auch Regensburger Unternehmer, das weiß man aber einfach oft nicht. Und das ist auch kein Regensburger Phänomen. Man kann das zwar beklagen, aber man kann das auch einfach zur Kenntnis nehmen. Der Handel richtet sich schließlich immer an der Nachfrage und am Kundenverhalten aus. Und wenn wir schon beim Thema Ketten sind: Wir sind beispielsweise froh, dass wir in der Innenstadt einen H&M und einen ZARA haben, weil es natürlich Marken und Global Player mit einer sehr starken Anziehungskraft sind. Und die Mischung aus diesen modernen Handelsformen, den alteingesessenen Händlern und den Start-ups oder den Concept-Stores, die hier neue Konzepte ausprobieren, das macht auch den Charme von Regensburg aus und die einen könnten auch nicht ohne die anderen.

Nachdem wir nun ein paar negativ Szenarien konstruiert haben: Was macht die Regensburger Altstadt denn überhaupt so besonders?

Ich würde mir wünschen, dass mal jemand den Mut hat, zu betonen, was wir in der Altstadt Besonderes haben. Wir haben ein  einzigartiges Flair, tolle Straßenzüge, wunderbare Plätze mit einer hohen Qualität, wunderbare Freisitze. Man sieht schon die ersten Leute wieder in der Sonne sitzen. Regensburg  bietet neben einem schönen Angebot an Einzelhandel eben auch zwischen den  Besorgungen viel. Von Atmosphäre über Angebot in der Gastronomie über Seele baumeln lassen, an die Donau gehen... Also es ist mehr als nur schnelle Bedarfsdeckung, die Stadt hat einfach einen Mehrwert, auch als Begegnungsstätte.

Wie  beurteilen Sie das Angebot der Regensburger Altstadt?

Ich bin der Meinung, dass die Regensburger Altstadt nach wie vor über ein buntes und gut durchgemischtes Angebot verfügt, das sich auch insbesondere an die Regensburger und die Bewohner des Umlands richtet. Natürlich ist das ein oder andere Geschäft dazugekommen, das die touristische Nachfrage bedient, aber im Großen und Ganzen decken wir eine sehr breite Palette an Innenstadt relevanten Sortimenten ab. Dass sich das Sortiment innerhalb der Jahrzehnte gewandelt hat, das ist kein Regensburger Phänomen. Das hat sich Land auf Land ab so entwickelt. Dabei denke ich an den großflächigen Möbeleinzelhandel, den Sportfachhandel oder den Unterhaltungselektronikmarkt. Der ist in ganz vielen Fällen nicht mehr in den Innenstädten. Also alles, was man nicht leicht in die Wohnung oder den Kofferraum tragen kann.

Welche Faktoren spielen in diese Entwicklungen mit rein?

Das hat sehr viel mit Kundenverhalten zu tun. Der Kunde ist Hybrid, wie man so schön sagt. Für Bedarfskäufe fährt er gerne direkt vor die Einkaufsstätte. Auf der anderen Seite mag er in seiner  Freizeitz auch flanieren. Und für diesen Erlebniseinkauf ist dann die Innenstadt das geeignete Pflaster.


Eines ist klar: Die Gentrifzierung der Altstadt ist bei Leibe kein Regensburger Phänomen. Während Städte wie Berlin oder München seit Jahren mit den Negativauswirkungen einer beginnenden Hypergentrifizierung zu kämpfen haben, profitiert das Regensburger Gewerbe weitestgehend von den momentanen Entwicklungen. Die Stadt floriert und steht in einer kulturellen Blüte, wie sie es seit über 800 Jahren nicht mehr gesehen hat. Und mal ehrlich, niemand käme auf die Idee, die Altstadt auch nur ansatzweise gegen eine Stadtautobahn auszutauschen.

Eventfilter

section_breadcrumbs
footer
Cookie-Einstellungen
nach oben