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Eleganz meets Deutschrock – so hätte man den Auftritt von Nena bei den Schlossfestspielen überschreiben können. Die 59-jährige Power-Frau rockte die Bühne, lockte das teils zurückhaltende Publikum immer wieder mit viel Energie aus der Reserve und packte zwischen zwei Stunden Musik auch ein politisches Statement.

Zu Beginn fragt man sich schon, was und vor allem wie das hier wohl werden wird: auf der einen Seite das Schloss-Ambiente mit seinen meist schick rausgeputzten Gästen, dem bestuhlten Schlossplatz und dem leeren Graben zwischen Bühne und Publikum, auf der anderen Seite ein 59-jähriges Energiebündel, das nicht nur für seine großen Hits wie „99 Luftballons“ bekannt ist, sondern auch für seine Rastlosigkeit und für seine Liebesparolen.

Genau dieser Stilbruch zwischen schnieker Schloss-Atmosphäre und punkrock-angehauchter Attitüde wird auch gleich bei den ersten Tönen deutlich. Die zierliche und nicht recht groß gewachsene Sängerin stürmt in weißer Jeans, schwarzen Lederboots und knallrot glitzerndem Lederblazer die Bühne – zusammen mit ihrem Schlagzeuger, ihrem Lead-Gitarristen und ihrem Bassisten, die nicht nur mit ihren Outfits sogleich verraten, wo die Reise definitiv nicht hinführen wird: nämlich in einen gemütlichen Sitz-Abend mit übereinander geschlagenen Beinen und einem Glas Schampus in der Hand. Schwarze Striche in American-Football-Manier zieren das Gesicht des Lead-Gitarristen und Bassisten, dazu schwarze Kleidung, lange Haare und satte Rock-Klänge, die den Schlossplatz im Handumdrehen zum Leben erwecken.

Nena spornt das Publikum auf der kleinsten Bühne der Welt an

Bereits bei den ersten Klängen fordert Nena ihr sitzendes Publikum zum Aufstehen auf, und im Bruchteil von Sekunden belohnen zwei weibliche Fans ihre Animation: Sie springen von ihren Sitzen auf, stürmen nach vorne an den Bühnenrand, reißen die Arme nach oben und alsbald weitere Zuhörer in ihren Nena-Bann. Und so dauert es auch nur rund eine Song-Länge bis sich der leere Graben zwischen den vorderen Stuhlreihen und der Bühne mit Menschen füllt. Als nach dem Opener die bekannten Synthesizer-Klänge von „Nur geträumt“ über den Schlossplatz fegen, sind die letzten freien Stehplätze vor der Bühne voll und die Klappsitze leer – denn auch Jung und Alt in den Reihen haben sich für den 80er-Klassiker von ihren Plätzen erhoben.

Doch obwohl alles steht und sich mal mehr, mal weniger schwungvoll zum Takt der Deutschrock-Mucke bewegt, hat Nena zu Beginn kein leichtes Spiel mit dem Schloss-Publikum: Die Fangesänge sind leise, und auch den Applaus und das Mitklatschen hatte sie sicherlich schon kräftiger im Gehörgang hängen.

Auf der „kleinsten Bühne der Welt“, wie Nena das kleine aufgestellte Podest im vorderen Bereich der Zuschauertribüne nennt, fordert die quirlige Sängerin schließlich auf ein Neues die Gesangsqualitäten ihres Publikums heraus. Im Dämmerlicht des Schlossplatzes erklingt „Manchmal ist ein Tag ein ganzes Leben“, dessen Lyrics die Zuhörer an passender Stelle mit einem „Ohoho“ füllen sollen. Eine mühselige Geburt, die nach Nenas eigener Aussage ihren ganzen Ehrgeiz, Stolz und ihre Eitelkeit auf den Plan ruft. „Manchmal ist ein Tag ein ganzes Leben / Manchmal ist ein Tag ein ganzes Jahr“ – „Ohoho“. Nach schleppendem Anlauf mit der scherzhaften Frage, ob die Zuhörer überhaupt wissen, wann sie einsetzen müssen, klappt es schließlich, und ein Großteil des Publikums unterstützt den Song mit „Ohoho“-Chören.  

Die Stimmung wirkt etwas behäbig, auch wenn gerade die Leute direkt vor der Bühne ihr Bestes geben. Die Bestuhlung und das Ambiente erschweren aber doch ein richtiges Rock-Konzert-Feeling. Die Sängerin selbst ist jedoch das absolute Gegenteil von schwerfällig und strotzt rund zwei Stunden lang nur so von Energie. Wie ein Duracell-Häschen sprintet die 59-Jährige quer über die Bühne, springt in die Luft, lacht und strahlt, wirbelt ihre schwarze Mähne mit XXL-Pony durch die Luft, wiederholt ihre Song-Botschaften à la „Das Leben ist Liebe und das Leben ist schön“, bis sie alle mitsingen, animiert ihre Gäste immer wieder zum Mitmachen und wechselt insgesamt sechs Mal die Jacke: egal ob schwarz, weiß, rot, Nylon mit Neon-Streifen oder Leder mit Fransen – Nena kann sie alle tragen und beeindruckt mit ihrer unerschöpflichen Dynamik die Menschen auf dem Schlossplatz: „Wenn jemand 60 wird – das ist der Wahnsinn, oder?“, ruft die Frau in der Hinterbank ihrer Begleitung zu.

„Ich glaube an Wunder und wir werden das erleben, Leute!“

Es wird dunkel. Emily lässt das Akkordeon ertönen und leitet „Wunder gescheh'n“ ein. „Immer weiter / Immer weiter geradeaus / Nicht verzweifeln / Denn da holt dich niemand raus / Komm steh selber wieder auf“ – und sie tut es tatsächlich, die Tribüne steht erneut auf. Wie bei allen Klassikern aus Nenas Song-Repertoire. Eingebettet in den Song ein politisches Statement des 59-jährigen Energiebündels: „Seid ihr freitags auf der Straße? Ich bin komplett dabei.“ Nena bedankt sich bei allen Schülern, die freitags auf die Straße gehen und schließt ihre Botschaft passend zum Songtext: „Ich glaube an Wunder und wir werden das erleben, Leute!“ So engagiert die Sängerin für Fridays for Future brennt, so verhalten sind die Reaktionen des Publikums: Ein paar Leute bekunden leise klatschend ihre Zustimmung, der Rest schweigt.

Die Stimmung wird zunehmend ausgelassener und die Besucher kommen gerade gen Ende zunehmend in Fahrt. Es folgen Hits wie „Leuchtturm“ und zum Schluss natürlich „99 Luftballons“. Zwei große Luftballons, einer in Schwarz, einer in Weiß, jeweils mit der Aufschrift „Love“, bahnen sich von Nena ausgehend ihren Weg durchs Publikum. Nach Nenas größtem Hit ist kurz Schluss, dann gibt die Sängerin den Zugabe-Rufen nach und kehrt auf die Bühne zurück. Es folgen vier poppige Zugaben darunter der neuere Hit „Willst du mit mir gehen“ und ein weiterer Klassiker: „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Reggae-Beats mischen sich unter Nenas letzten Song, dazu „ganz ganz viel Zärtlichkeit“, und schlussendlich baut sie dem Publikum ein Schloss, „nicht irgendwie, irgendwo, sondern jetzt“. Nena und ihre acht-köpfige Band verbeugen sich Arm in Arm ein letztes Mal vor ihrem Publikum, das plötzlich zur Hochform aufdreht, auf die Tribünenbretter trampelt und der Sängerin sowie ihren Musikern tosenden Applaus entgegenschmettert. Wunder geschehen eben doch, zumindest bei Nena.

Scheinbar ergriffen von den Beifallsbekundungen bespricht sich die 59-Jährige kurz mit ihrer Band, zieht zum ersten Mal am Abend ihre Jacke aus, steht im schwarzen Top vor dem Mikro und gibt dem Publikum das, was es verlangt: „Noch ein Gute-Nacht-Lied“ ruft Nena und stimmt mit der Akustik-Gitarre um den Bauch einen Song aus dem Jahr 1980 an: „Wir gehören zusammen“ – Ende gut, alles gut.

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