Fast 500 Strandkörbe, eine herausragende Band, eine Bühne, die an Höhe nicht zu übertreffen ist – eigentlich ist der Abend auf dem Dultplatz mit einer der größten Poeten-Bands Deutschlands schnell zusammengefasst. Eigentlich. Wären da nicht die vielen wunderbaren und manchmal unperfekten Nuancen, die den von kleinen Wolken überzogenen Sommerabend in der Welterbestadt erst zu einem Abend machen, nach denen Mensch sich so lange gesehnt hat.
Es ist eher eine Theater-Atmosphäre, die den Besucher am Mittwochabend beim Strandkorb Open Air auf dem Dultplatz in Regensburg erwartet. Die fast 500 Strandkörbe – ausgestattet mit Kühlbox, Desinfektionsmittelspender, Getränke- und Speisekarte – sind auf die vier Insel-Bereiche Sylt, Rügen, Helgoland und Föhr verteilt, um in jedem Bereich doch wieder eine kleine Strandkorb-Insel besetzt mit maximal zwei Personen für sich alleine zu bilden. Corona ist nach wie vor deutlich präsent: begrenzte Zuschaueranzahl, Maske beim Platzverlassen, Getränke nur nach Smartphone-Bestellung, aufstehen und tanzen nur vor dem eigenen Strandkorb. Das gewohnte Konzertfeeling mit eng zusammenstehenden Menschen, die sich in einer großen Truppe gemeinsam zum Takt der Musik bewegen und deren Applaus eine ohrenbetörende Einheit bildet – all das fehlt an diesem Abend. Und dennoch ist es ein Abend, der um so vieles besser ist als alles, was Mensch im vergangenen Jahr gesehen, gehört und erlebt hat.
„Was soll ich groß sagen?“
Lässt man das nun mal notwendige Corona-Drumherum für einen Augenblick außer Acht, fällt dem Besucher auf Anhieb die imposante Bühne mit kleiner Vorbühne und einer PA-Anlage mit Stadion-Flair ins Auge, was zusammen Festival-Charakter pur verkörpert – auch wenn an der Bühnenabsperrung keine schreienden Fans kleben. „Das ist schon eine sehr hohe Bühne“, stellt auch Frontmann Sven Regener nach dem ersten Lied fest, um scherzend zu ergänzen: „Gut, dass wir keine Neigung zu Stagediving haben, das könnte übel ausgehen.“
Song-Poet Regener redet nicht viel an diesem Abend und erklärt den Grund auch gleich bei der Begrüßung: „Hallo, wir sind Element of Crime. Was soll ich groß sagen? Nichts. Wir sind hier zum Musikmachen.“ Danach erklingen die ersten Töne von „Wenn der Morgen graut“ lautstark aus den Boxen, der Bass fließt in den Körper und die Welt ist plötzlich eine andere – besser, unbeschwerter, vertrauter. Und das liegt allen voran an Element of Crime, die es unprätentiös und völlig unaufgeregt schaffen, ihr Publikum für zwei Stunden aus der Pandemie zu holen. „Soll ich noch etwas zu Corona sagen?“, fragt Regener kurz nach den ersten Liedern, um die Antwort selbst hinterherzuschießen: „Nein, ist auch alles gesagt“, lacht er und tut das, was er am besten kann: singen, musizieren, unterhalten – und zwar auf seine ganz besondere Art.
„Rockismus!“
Regener leidet an diesem Abend am Leben und an der Liebe, um sich nur einen Wimpernschlag später wieder an beidem zu erfreuen. Der Sehnsucht nach Liebe in „Bitte bleib bei mir“ lässt Regener nach dem letzten Songakkord ein lautes „Jetzt passt auf!“ folgen. Regener sprintet los, fetzt die linke Treppe zur Vorbühne hinunter, rennt über die kleine Stage und springt rechts die Treppe wieder hinauf auf die große Bühne, um dort vor dem Mirko die Hände in die Luft zu reißen und laut und mit schelmischem Regener-Lächeln im Gesicht zu rufen: „Rockismus! – Das wollte ich schon immer mal machen!“ Danach folgt „Deborah Müller“. Statt Rockismus tänzelt Regener dabei fast wie ein kleines Kind auf der Bühne hin und her, seine Trompete in der Hand, verloren im Takt, unaufgesetzt und mit viel Leichtigkeit. Ein Blick über den Dultplatz zeigt: Die meisten Besucher lassen sich anstecken, stehen vor ihren Strandkörben, den blutroten Abendhimmel im Nacken, und haben – egal ob alleine oder zu zweit – ein Grinsen auf dem Gesicht. Der Abend ist Genuss, für Publikum und scheinbar auch für Band.
„Vielen Dank“
Nach dem fantastischen „Am Ende denk ich immer nur an dich“ verlassen Element of Crime gegen 21.30 Uhr die Bühne, um noch dreimal wiederzukommen. Kurz vor Schluss folgt eine nochmalige „Rockismus!“-Einlage von Regener und das zu den vier Inseln passende „Vier Stunden vor Elbe 1“. Schlagzeuger Richard Pappiks Mundharmonika-Klänge hallen über den Dultplatz und erfüllen ihn mit einer sinkenden Titanic-Stimmung. Gänsehaut, Stille, Applaus. „Es ist eine schöne Möglichkeit, ein paar Konzerte in die Welt zu bringen“, hält Regener nach dem Schlussakkord fest. Um 22 Uhr ruft der Frontmann ein letztes Mal sein über den Abend hinweg vielgesagtes „Vielen Dank“ ins Mirko, winkt, schickt Handküsse auf die Reise und verschwindet zusammen mit dem Rest der Band von der Bühne. Unaufgeregt, ohne großes Gerede, Erinnerungen an zwei Stunden Musikgenuss at its best zurücklassend. Vielen Dank, Element of Crime.
UK/RNRed