Zwischen Verklemmtheit und Sensationalismus, Emanzipation und Unterdrückung: Kaum ein Thema ist so paradox wie die Sexualität. Die Filmreihe „Nahsicht“ wirft an vier Sonntagsterminen im November einen sensiblen und unverstellten Blick auf unterschiedliche Formen der Lust und die menschliche Sehnsucht nach Nähe und Intimität.
Sex ist gleichzeitig privat und hochpolitisch, die „natürlichste“ Sache der Welt und doch stetig im Wandel begriffen. Wie haben sich die Diskurse nach 60 Jahren Pille, 50 Jahren Schwulenbewegung, vier Jahren #MeToo und zwei Jahren Synodaler Weg verschoben? Bewegen wir uns weg von Obsession und Skandalisierung hin zu einem vielfältigen und normalisierenden Umgang? Die Filmreihe „Nahsicht“ greift diese Fragen auf und wirft an vier Sonntagsterminen im November einen sensiblen und unverstellten Blick auf unterschiedliche Formen der Lust und die menschliche Sehnsucht nach Nähe und Intimität. Die Filmreihe „Nahsicht“ greift diese Fragen auf und wirft an vier Sonntagsterminen im November einen sensiblen und unverstellten Blick auf unterschiedliche Formen der Lust und die menschliche Sehnsucht nach Nähe und Intimität.
Umfang- und facettenreiches Programm
Die Reihe beginnt am den 7. November mit BECAUSE OF MY BODY von Francesco Cannavà. Die Dokumentation begleitet einen Sexualassistenten, der seiner Klientin Claudia bei der Entdeckung ihrer Sexualität helfen soll. Vor dem Film wird Ingrid Pfreimer von pro familia Regensburg eine Einführung in das Thema Sexualassistenz für Menschen mit Behinderung geben. Einen völlig anderen Blick auf Sexualität und Intimität richten die Filme von Jan Soldat. Der Dokumentarfilmer begleitet seit vielen Jahren Menschen mit sexuellen Vorlieben jenseits heteronormativer „Normalität“. Soldats Protagonist*innen leben ihre Phantasien experimentierfreudig aus – unabhängig von Alter oder körperlicher Erscheinung. Am 14. November zeigt die Filmgalerie die beiden Long Shorts EIN WOCHENENDE IN DEUTSCHLAND und HAFTANLAGE 4614 in Anwesenheit des Regisseurs mit anschließendem Q&A. Am darauffolgenden Sonntag, den 21. November, läuft MEIN NAME IST KLITORIS von Daphné Leblond und Lisa Billuart Monet. In intimer Atmosphäre befragen die beiden jungen Belgierinnen in diesem Interviewfilm zwölf junge Frauen* nach ihren sexuellen Erfahrungen. Ein mutiges, offenes und humorvolles Plädoyer für mehr sexuelle Selbstbestimmung. Im Anschluss an den Film lädt eine Runde junger Regensburgerinnen das Publikum ein, im Gespräch Gedanken zum Film auszutauschen. Den Abschluss der Reihe bildet Barbara Millers Dokumentation FEMALE PLEASURE, die weibliche Sexualität in den Kontext von Religion und Glaube stellt. Am Beispiel von fünf Frauen aus den fünf Weltreligionen wird deutlich, wie universell und religionsunabhängig die Mechanismen des Patriarchats bis heute sind und wie wichtig es ist, sich ihnen mit Mut und Lebensfreude entgegen zu stellen. Die Regisseurin wird beim Screening in Regensburg zu Gast sein und im Anschluss Fragen aus dem Publikum beantworten.Programmdetails
BECAUSE IF MY BODY
Die 21-jährige Claudia wurde mit einem „offenen Rücken“ (Spina bifida) geboren und möchte ihre sexuellen Bedürfnisse erforschen. Dafür engagiert sie den Sexualassistenten Marco, der im Rahmen des Projekts „Love Giver“ gelernt hat, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung bei der Entdeckung ihrer Sexualität zu helfen. Behutsam erklärt er Claudia, wie ihr Körper funktioniert und wie sie Lust empfinden kann. Mit unglaublicher Offenheit, neugierig und impulsiv gewährt BECAUSE OF MY BODY einen Einblick in Claudias emotionale und körperliche Reise. Vor dem Film findet eine Einführung in das Thema Sexualassistenz für Menschen mit Behinderung durch die Sozialpädagogin und Beraterin Ingrid Pfreimer von pro familia statt.
Wann: Sonntag, 7. November, 16:00 Uhr
Wo: Filmgalerie im Leeren Beutel
- Italien, 2020, 1h26
- Regie: Francesco Cannavà
- Mit Einführung in das Thema Sexualassistenz für Menschen mit Behinderung von Ingrid Pfreimer (pro familia)
EIN WOCHENENDE IN DEUTSCHLAND + HAFTANLAGE 4614
Jürgen und Manfred sind Mitte 70 und genießen ein entspanntes Wochenende mit Kaffee, Kuchen, Gartenarbeit und BDSM. Die Männer fühlen sich wohl mit ihrer Sexualität und in ihrem Körper – ein Gefühl, das Jan Soldat in der Inszenierung und im Schnitt seines Kurzfilms EIN WOCHENENDE IN DEUTSCHLAND bewusst unterstützt. Mit viel Zärtlichkeit und Witz, jedoch niemals der Lächerlichkeit anheimfallend, nimmt uns Jan Soldat die Berührungsängste mit einer Lebensweise jenseits heteronormativer „Normalität“. In HAFTANLAGE 4614 werden wir in die Nische eines ganz besonderen Fetisches entführt: Arwed und sein Partner Dennis betreiben ein privates Gefängnis, in dem sie die Knastfantasien ihrer zahlenden Gäste (ausschließlich Männer) erfüllen. Als Gefängnisdirektoren sind sie sich ihrer Verantwortung und Fürsorgepflicht wohl bewusst. Tagsüber schikanieren sie ihre Häftlinge, abends planen sie die Dramaturgie des Folgetages – damit der Urlaub in den kargen Zellen auch die gewünschte Erholung bringt. Auch in HAFTANLAGE 4614 gelingt es Jan Soldat, sich trotz aller Rohheit und Brutalität weg vom Sensationalismus und hin zum Zwischenmenschlichen zu bewegen und einen normalisierenden Blick auf ungewöhnliche Vorlieben zu werfen. Der Regisseur wird nach dem Screening für ein Q&A mit dem Publikum in Regensburg zu Gast sein.
Wann: Sonntag, 11. November, 19:00 Uhr
Wo: Filmgalerie im Leeren Beutel
- Deutschland, 2013 + 2015, 25 Min. + 60 Min.
- Regie: Jan Soldat
- Mit anschließendem Q&A mit dem Regisseur
MEIN NAME IST KLITORIS
Zwölf junge Frauen sprechen von ihren sexuellen Erfahrungen: Mutig, offen und humorvoll erzählen sie von ihren ersten sexuellen Gefühlen, zufälligen Entdeckungen und heimlichen Wünschen oder Peinlichkeiten. Mit ihren Gesprächen wollen sie die Welt verändern und reklamieren ihr Recht auf eine Sexualerziehung ohne Einschränkungen und Tabus. MEIN NAME IST KLITORIS ist ein anderer, ein sehr ungewöhnlicher Film, der sich nicht nur einem der größten aller Geschlechtermythen annimmt, sondern mit erstaunlicher Offenherzigkeit unser Verhältnis zum Sexualleben im gesellschaftlichen Kontext kritisch beleuchtet. Er hinterfragt die durch eine fehlgeleitete Aufklärung verursachte Scham, wel-che sich zu sehr an einer als normal empfundenen, maskulinen Prägung orientiert. Eine Aufforderung an alle Frauen, sich neu zu entdecken und dabei mit ganzer Lust zu sich selbst zu finden (Der Filmverleih). Im Anschluss an den Film lädt eine Runde junger Regensburgerinnen das Publikum ein, im Gespräch Gedanken zum Film auszutauschen.
Wann: Sonntag, 21. November, 19:00
Wo: Filmgalerie im Leeren Beutel
- Belgien, 2019, 1h20
- Regie: Daphné Leblond, Lisa Billuart Monet
- Mit anschließender Gesprächsrunde junger Regensburgerinnen im Kino
#FEMALE PLEASURE
Fünf mutige, kluge und selbstbestimmte Frauen stehen im Zentrum von Barbara Millers Dokumentarfilm. Sie brechen das Tabu des Schweigens und der Scham, das ihnen die Gesellschaft oder ihre religiösen Gemeinschaften mit ihren archaisch-patriarchalen Strukturen auferlegen. Mit einer unfassbaren positiven Energie und aller Kraft setzen sich Deborah Feldman, Leyla Hussein, Rokudenashiko, Doris Wagner und Vithika Yadav für sexuelle Aufklärung und Selbstbestimmung aller Frauen ein, hinweg über jedwede gesellschaftliche sowie religiöse Normen und Schranken. Dafür zahlen sie einen hohen Preis – sie werden öffentlich diffamiert, verfolgt und bedroht, von ihrem ehemaligen Umfeld werden sie verstoßen und von Religionsführern und fanatischen Gläubigen sogar mit dem Tod bedroht. #FEMALE PLEASURE ist ein Film, der schildert, wie universell und alle kulturellen und religiösen Grenzen überschreitend die Mechanismen sind, die die Situation der Frau – egal in welcher Gesellschaftsform – bis heute bestimmen. Gleichzeitig zeigen uns die fünf Protagonistinnen, wie man mit Mut, Kraft und Lebensfreude jede Struktur verändern kann. (X-Verleih) Die Regisseurin wird nach dem Screening für ein Q&A mit dem Publikum in Regensburg zu Gast sein.
Wann: Sonntag, 28. November, 19:00 Uhr
Wo: Filmgalerie im Leeren Beutel
- Deutschland/Schweiz, 2019, 1h37
- Regie: Barbara Miller
- Mit anschließendem Q&A mit der Regisseurin
PM/RNRed