Corona bestimmt seit anderthalb Jahren unser gesellschaftliches Leben. Ausgelassenes Tanzen, räumliche Nähe und das Kennenlernen neuer Menschen stand lange Zeit unter dem Vorzeichen einer möglichen Infektion mit schwerem Krankheitsverlauf. Als Schlüssel zur Bewältigung der Pandemie galt neben einer flächendeckenden Impfung der Gesellschaft auch ein solidarisches gesellschaftliches Miteinander. In seiner interaktiven Installation „Social (Dis)dancing“ im Rahmen der Regensburger Tanztage spielt Clemens Rudolph (Antrilope) mit den Corona-Abstandsregeln und veranschaulicht dabei, dass gesellschaftliches Miteinander auch unter der Prämisse des gebotenen Abstands nicht nur Spaß machen kann, sondern auch Raum und Möglichkeiten bietet, mit Menschen in Kontakt zu treten.
Sehr geehrter Herr Rudolph, Ihre interaktive Installation „Social (Dis)dancing“ hebt sich vom Programm der Regensburger Tanztage deutlich ab. Wie unterscheidet es sich von den anderen Vorstellungen der Reihe?
Bei den anderen Vorstellungen ist in der Regel klar: hier ist das Publikum, dort sind die Akteure. Bei „Social (Dis)dancing“ ist es hingegen so, dass die Zuschauer auch gleichzeitig die Akteure sind. Das heißt, man kann zu jeder Zeit mitmachen und sich an der Installation beteiligen, wodurch die Vorstellung interaktiv wird. Jeder Teilnehmer gestaltet somit gemeinsam mit den anderen Teilnehmern seine eigene Veranstaltung – das macht jede Vorstellung einmalig. Darin liegt der Hauptunterschied zu den anderen Produktionen der Reihe.
Wie funktioniert die Installation in technischer Hinsicht und wie ist ihr Aufbau?
Die Veranstaltung findet im Theater an der Uni und somit in einem geschlossenen Raum statt. Mehrere an der Decke befestigte Beamer projizieren eine sechs Mal sechs Meter große Spiel- und Tanzfläche auf den Boden, wobei diese Spielfläche von einer zusätzlich an der Decke angebrachten Kamera gefilmt wird. Betritt nun eine Person die Spielfläche, wird ihre Position mithilfe einer Software erfasst und an eine sogenannte Game-Engine weitergeleitet, die anschließend die grafischen und akustischen Elemente der Installation aufbaut und steuert. Umgesetzt wurde das Projekt von insgesamt drei Personen: Waldo Sessler, einem Programmierer aus Regensburg, David Grosser, einem Musiker ebenfalls aus Regensburg, und mir.
Ihre interaktive Installation spielt dabei mit den Corona-Abstandsregeln. Wie darf man sich das genau vorstellen und wie werden diese Regeln ins Spiel integriert?
Sobald ein Spieler oder Tänzer die Spielfläche betritt, wird um diese Person ein 1,5 Meter großer Kreis projiziert. Diesen Abstandskreis kennt man bereits von den Coronaregeln, da man angehalten ist, diesen Abstand zu anderen Personen einzuhalten, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Solange man den vorgegebenen Abstand einhält, ist der Kreis grün. Nähert man sich anderen Spielern auf 1,5 Meter verfärbt sich der Kreis orange, was den Spieler darauf hinweisen soll, dass es langsam kritisch wird. Unterschreitet man den Abstand von 1,5 Metern, verfärbt sich der Kreis schließlich rot. Wird der Abstand auf diese Warnung hin zwischen den beteiligten Personen nicht erhöht, wird das Spiel für alle Teilnehmer abgebrochen.
Zusätzlich gibt es aber noch weitere Elemente, die während des Spielverlaufs auftauchen.
Zu diesen Abstandskreisen existiert noch eine erweiterte Ebene in Form von visuellen Verbindungslinien zwischen den Tänzern. Diese Verbindungen werden im Spielverlauf nach gewissen Regeln zwischen den Spielern auf- oder abgebaut. Die Regeln sind den Spielern jedoch nicht bekannt. Innerhalb der Installation geht es somit auch darum, dass die Spieler versuchen, die Regeln eigenständig herauszufinden und dadurch miteinander in Kontakt kommen.
Ist das In-Kontakt-Treten mit unbekannten Personen somit auch Teil des Konzepts?
Auf jeden Fall. Hier geht es definitiv darum, auch Kontakt mit Personen aufzubauen, die man nicht kennt. Dadurch, dass der Kontakt durch das zufällige Entdecken gewisser Regeln entsteht, kann man am Anfang gar nicht beeinflussen, zu wem eine Verbindungslinie entsteht und ob man diese Person kennt oder nicht. Vielleicht probieren daraufhin auch zwei oder drei vorher nicht miteinander bekannte Personen gemeinsam aus, wie die Regeln funktionieren. Bei einer vorherigen Installation in Fürth habe ich festgestellt, dass die Personen zu anfangs auf den Boden schauen, um zu beobachten, was grafisch alles passiert. Irgendwann, nachdem sie wissen, wie dieser Kreis oder die Linien aussehen, wandert der Blick vom Boden hin zu den anderen Spielern – spätestens da beginnt dann der direkte Kontakt zwischen den einzelnen Personen. Und das freut mich.
Eigentlich handelt es sich bei Ihrer Installation um ein Spiel ohne Gewinner. Dennoch impliziert der Spielabbruch bei Vernachlässigen der Regeln, dass ein Spiel als solches dennoch von der gesamten Gruppe „verloren“ werden kann. Wie lässt sich das Konzept auf die Pandemie übertragen?
Für mich gibt es mehrere Analogien zu Pandemie. Zum einen gibt es in der Pandemie keine Gewinner und wir wissen nicht, wann die Pandemie endet, weshalb es auch bei der Installation weder ein Ende noch einen einzelnen Gewinner oder eine Gruppe an Gewinnern gibt. Zum anderen hört das Spiel für alle auf, sobald sich zwei Spieler nicht an die Regeln halten, was sinnbildlich auch für die Pandemie gilt. Sobald sich wenige Leute nicht an die Regeln halten, muss die Gesellschaft als Ganzes die Konsequenzen tragen. So spielt die Installation auch ein bisschen mit der Solidarität, die notwendig für die Bewältigung der Pandemie ist.
Ihre Installation lädt die Teilnehmer also nicht nur zum Experimentieren ein, sondern verbirgt auch einen tieferen Sinn. Was wollen Sie mit der Installation konkret erreichen oder sogar veranschaulichen?
Mir geht es darum, dass die Menschen im besten Fall Freude und Spaß an der Begegnung mit anderen Menschen haben und dabei merken, dass trotz der vom Spiel auferlegten Abstandsregeln Kontakt und Austausch mit anderen Menschen möglich ist. Beim spielerischen Umgang mit den Regeln und dem Ausloten des Möglichen geht es mir darum, zu zeigen, dass es für eine tolerante Gesellschaft wichtig ist, dass die Menschen neugierig und offen bleiben – auch ungewohnten Situationen gegenüber. Natürlich können die Teilnehmer aber auch einfach nur tanzen, zumal das Tanzen zur Musik auch etwas ist, was wir während der Pandemie lange Zeit nicht hatten. Man kann den kompletten Überbau mit Corona somit auch einfach weglassen und einfach nur miteinander tanzen und Spaß haben.
Sie kommen ursprünglich aus der Straßenkunst – was haben Sie vorher gemacht und wo liegen die Schnittmengen zum aktuellen Projekt „Social (Dis)dancing“?
Bis vor etwa 20 Jahren habe ich Straßentheater gemacht und bin mit Jonglage-, Clown- und Feuer-Shows und so weiter durch die Gegend gereist. Irgendwann habe ich dann auf die Produktion von Videos für Künstlerfreunde umgeschwenkt. Später kam noch der Aspekt der 3D-Kunst hinzu und inzwischen mache ich zum einen Videoinstallationen wie eben „Social (Dis)dancing“ und zum anderem Projektionen auf Gebäuden, sogenannte Mappings. Hier ist die Parallele für mich, dass alles – also sowohl die Straßenkunst als auch die Mappings oder Installationen – im öffentlichen Raum stattfinden und funktionieren. Hierbei reizt mich vor allem die Tatsache, dass ich die Reaktion des Publikums, anders als bei Videoproduktionen, die Zuhause oder im Kino konsumiert werden, direkt mitbekomme. Auch die Interaktivität, also das Einwirken des Publikums auf die Vorstellung, ist ähnlich wie beim Straßentheater.
Wann und wo kann man an Ihrer interaktiven Installation teilnehmen?
Die Installation läuft im Rahmen der Regensburger Tanztage und findet vom 10. bis zum 12. November im Uni Theater statt. Der Besuch und die Teilnahme an der interaktiven Installation sind dabei kostenlos. Die Installation ist für alle Altersgruppen und kann jederzeit betreten und verlassen werden.
RNRed