Imposante Naturdokumentationen vermitteln uns nicht selten den Eindruck, die Erde sei mit zahlreichen wildlebenden Tieren bevölkert. Aber: Es leben nur etwa vier Prozent aller auf dem Planeten lebenden Säugetiere in freier Wildbahn. „Vom Wildtier zum Nutztier“ widmet sich jenen Tierarten, die der Mensch im Laufe der Geschichte als Nutz-, Arbeits- oder Haustier optimiert hat.
Lateinischer Name: Canis Lupus familiaris
Funktion: Haustier, Arbeitstier
Domestiziert vor: 15.000 bis 100.000 Jahren
Züchtungen: 368 provisorisch von der FCI anerkannte Rassen
Anzahl an Hunden weltweit: 900.000.000 – rund 80 Prozent davon in freier Wildbahn (Schätzungen 2013)
Anzahl an Wölfen weltweit: 200.000 bis 250.000 (Schätzungen 2018)
Mit ihm wird intensiv geschmust, ausgiebig gespielt und täglich mindestens einmal Gassi gegangen. Mit seinen unzähligen Talenten und Einsatzmöglichkeiten hat sich der Hund das Prädikat „bester Freund des Menschen“ redlich verdient. Dabei ist er aber längst nicht nur der beste, sondern zugleich auch der älteste Freund des Menschen. Denn die Lebensgemeinschaft von Mensch und den Vorfahren des Haushunds beginnt bereits vor etlichen Zehntausend Jahren – seit mindestens 15.000 Jahren jedoch verbindet Mensch und Haushund eine untrennbare Freundschaft.
Almost gone: der Wolf
Während heute schätzungsweise zehn Millionen Hunde allein in Deutschlands Haushalten leben – kommt sein Vorfahr, der Wolf, auf deutschem Bundesgebiet auf nicht einmal 500 Exemplare. Gerade einmal 128 Rudel (zwei adulte Wölfe mit nachgewiesenem Nachwuchs), 35 Paare und zehn Einzelgänger konnten 2020 in Deutschland gezählt werden. Heute in weiten Teilen Europas und Nordamerikas nahezu ausgerottet zählte der Wolf ursprünglich zu den am weitesten verbreiteten Säugetieren der Welt und war nahezu flächendeckend auf der nördlichen Hemisphäre beheimatet. Ursächlich hierfür sind neben seinen in der Vorgeschichte geschätzten Attributen Lernfähigkeit, Lautlosigkeit und territoriales Verhalten vor allem Pragmatismus im Mittelalter sowie üble Propaganda in der frühen Neuzeit.
Der Beginn einer langen Partnerschaft
Die gemeinsame Geschichte des Menschen und des Wolfes ist uralt. Bereits seit zehntausenden von Jahren dürften sich der Mensch und der Wolf mehr als nur nahe gestanden haben. Dies belegen zum einen ein über 23.000 Jahre alter Pfotenabdruck in einer steinzeitlichen Höhle in Frankreich sowie 33.000 und 32.000 Jahre alte Schädelfunde in Sibirien und Belgien, die bereits weitaus mehr strukturelle Merkmale eines Hundekopfes als Wolfsmerkmale aufweisen. Genetischen Untersuchungen zufolge wird die Trennung von Wolf und Hund sogar auf über 135.000 Jahre geschätzt, was eine weitaus frühere Beeinflussung des Wolfs durch den Menschen nahe legt, als ursprünglich angenommen.Die Domestikation des Hundes ist eine Geschichte der letzten Kaltzeit von 115.000 bis 11.700 vor Chr. und somit eine Geschichte des Nahrungsmangels und der Nahrungskonkurrenz. Dabei ist die Konkurrenz zwischen den Wolf und dem Mensch nur gering. Da der Mensch vom pflanzenfressenden Primaten abstammt, benötigt er neben Proteinen auch ausreichend Kohlenhydrate und Fette. Da dem Homosapiens ein dauerhaft zu hoher Proteinanteil schadet, dürfte er sich beim Verzehr womöglich auf die fetteren Fleischteile konzentriert und dem reinen Fleischfresser Wolf die mageren Teile übrig gelassen haben.
Dieser stetigen Verquickung ausgesetzt könnte der Mensch anschließend damit begonnen haben, Wolfsjunge großzuziehen, die zwar vor der Pubertät ähnlich gelehrig sind wie Hunde, mit dem Eintritt der Geschlechtsreife jedoch ihren Fluchtinstinkt entwickeln und wölfisch werden. Durch die Konsequente Nähe von Wolf und Mensch dürfte sich der Mensch den Wolf über im Laufe der Jahrtausende als Jagdhelfer trainiert haben.
Jagdhelfer, Nahrungsreserve und Kunstmodel
Obwohl sich Mensch und Wolf bereits zur Zeit des Cro-Magnon-Menschen (45.000 bis 12.000 v. Chr.) miteinander arrangierten und eine Domestikation zwischen 27.000 und 20.000 v. Chr. nachverfolgen lässt, finden sind in den steinzeitlichen Höhlen Europas unter Tausenden von Tiermotiven bis auf vereinzelte Ausnahmen praktisch gar keine Wolfsbildnisse. Als gesichert gilt hingegen, dass der Wolf in domestizierter Form an Lagerplätzen des steinzeitlichen Frankreichs (18.000 und 12.000 v. Chr.) bereits präsent war und seine Domestikation um 15.000 vor Christus abgeschlossen war. Hier dienten sie womöglich zum einen als Jagdhelfer und zum anderen als Nahrungsreserve. Die ältesten Darstellungen von Hunden stammen hingegen aus dem Südwesten Saudi-Arabiens und werden auf ein Alter von 9.000 bis 8.000 Jahre datiert. Die dort gefundenen Ritzbilder zeigen erstmalig keine Wölfe, sondern Menschen mit Pfeil und Bogen sowie angeleinte Hunde als Jagdbegleiter, die sich in Jagdtieren verbeißen.
Der Hund: Ursprung ungewiss
Auch darüber, wo sich die Domestikation des Hundes vollzog, herrschen unterschiedliche Meinungen. Eine Theorie besagt, dass sich die Domestikation des Hundes in Ostasien vollzog, von wo aus sich der Haushund nach Osten über die Beringstraße nach Amerika und nach Westen über das Festland nach Europa verbreitete. Andere Theorien gehen von mehreren Domestikations-Ereignissen aus, die sich unabhängig voneinander an verschiedenen Orten des Erdballs vollzogen. Fest steht dabei, dass die meisten modernen Haushunde von einer von drei Ahnenlinien abstammen: einer arktischen, deren DNA sich heute noch in Huskys nachweisen lässt, einer ostasiatischen, zu denen unter anderem die Dingos zählen, und einer westeurasischen, dessen Erbgut sich in europäischen, indischen und afrikanischen Hunden finden lässt.
Ein Tier, hunderte Varianten
Mit der späten Domestikation des Hundes beginnt die Geschichte der Optimierung des Hundes als Nutztier. Die ältesten heute nachgewiesenen Züchtungen sind hierbei neben Windhund-Varianten, die als Jagdhelfer Anwendung fanden, Husky-verwandte Rassen, die als Arbeitshunde dienten, und Rassen wie der Tibetische Mastiff, die den Menschen vor großen Wildtieren schützen sollte. Die älteste Rasse stellt dabei wohl der Basenji dar, der neben dem Husky wohl bereits vor der Entstehung der Landwirtschaft und somit vor der Sesshaftwerdung des Menschen gezüchtet wurden. Beide Rassen besitzen nämlich ähnlich wie Dingo und Wolf nur zwei Kopien des Gens, das für die Verdauung von Stärke erforderlich ist. Überdies gleicht der Basenji in Statur und Erscheinung auch 8.000 Jahre alten Hundeabbildungen, die in Lybischen Höhlen gefunden wurden.
Vom Freund zum Feind: Jagd auf den Wolf
So romantisch und ursprünglich die Geschichte von Wolf und Mensch auch erscheint: Mit dem Voranschreiten der Landwirtschaft und der Weideviehhaltung in Europa und der hierfür erforderlich Rodung der Wälder, trennten sich die Wege von Wolf und Hund nicht nur in lebensraumtechnischer Hinsicht, sondern auch in der Wahrnehmung der Menschen. Die friedliche Koexistenz von Mensch und Wolf endete. Galt der Wolf zuvor noch als Urvater oder Urmutter von germanischen Clans, als Ursprung großer Kulturen sowie als Ziehmutter von Romulus und Remus oder Dschingis Khan, wurde der geschickte Freilandjäger nach dem Altertum über Generationen hinweg als zunehmende Bedrohung für wertvolles Nutztier betrachtet. Auch die Christianisierung Europas beförderte dabei die Abkehr vom Mythos Wolf hin zu einer Verklärung des Wolfs als das Böse – die Jahrtausende anhaltende Faszination schlug in programmatische Angst um. Da die Jagd auf Wölfe im europäischen Mittelalter aber nur dem Feudalherrn erlaubt war, blieben die europäischen Wolfsbestände lange Zeit stabil. Erst mit dem Einsetzen von organisierten Verfolgungen ab dem 15. Jahrhundert reduzierten sich die Wolfsbestände. Die Jagdmethoden wie Fanggruben oder Giftköder zielten dabei direkt auf die Ausrottung des Tieres ab. Um 1845 wurde wohl der letzte deutsche Wolfe erlegt und seine Einwanderung von Osten bis weit in das 20 Jahrhundert unterbunden.
Ein großes Comeback
Seit etwa 45 Jahren verbessert sich die Situation des Wolfes in Deutschland wieder. Mit knapp 500 Stück auf deutschem Boden, sind die Bestände des ehemals erfolgreichsten Jägers der Nordhalbkugel allerdings noch winzig klein. Und auch heute stellt der ehemalige Jagdhelfer eine Gefahr für die zahllosen Nutztiere des Menschen dar, sodass bereits wieder Bemühungen getätigt werden, den Wolf erneut auf die Abschussliste zu bringen.Die Verbindung von Mensch, Wolf und Hund, so tragisch sie für den Wolf auch endete, ist eine seit Urzeiten bestehende. Die Geschichte des Hundes erzählt dabei die Geschichte des Menschen in ihrer ureigensten Form und beschreibt dabei ein Wesen, das sich nicht nur die Welt zu Untertan macht, sondern zugleich in der Lage ist, sowohl das Beste aus ihr herauszuholen als auch das vermeintlich Schlechte aus ihr zu tilgen.
RNRed