Zuckerbrot & Peitsche Festival 2022 – Oliver Huntemann im InterviewAnlässlich zur Neueröffnung des Techno-Mekka am Schloss Pürkelgut haben wir mit einer der Größen aus dem diesjährigen Lineup gesprochen. Oliver Huntemann steht für kalten und harten norddeutschen Techno. Im Interview erklärt uns der Hamburger warum er ein lebendiges Publikum einem toten vorzieht und was seinen Sound ausmacht.
Oliver Huntemann ist Techno-Institution und Inspiration. Ein DJ der alten Garde, der noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Remix Arbeiten für Depeche Mode machten ihn auch außerhalb seines Genres bekannt. Wir haben mit dem Techno-Magier aus dem hohen Norden über den Zustand der Szene 2022, seinen Werdegang und Auftritten zwischen toten Körpern und im brasilianischen Regenwald gesprochen. Live erleben können Raver den Hamburger auf dem Zuckerbrot & Peitsche Open-Air-Festival am Schloss Pürkelgut vom 29. Juli auf den 30. Juli.
Hallo Oliver! Wie geht es Dir? Als Techno-DJ ist man ja auf der ganzen Welt unterwegs: Wo erwischen wir Dich gerade?
Moin, moin! Aktuell auf meiner Couch, zuhause in Hamburg. Die Zeit mit der Familie genießen. Ich bin erst am Montag von einem Gig aus der Schweiz zurückgekommen und am Donnerstag geht es direkt weiter nach Lyon in Frankreich.
Du hast dieses Jahr schon in Dubai, der Schweiz und Beirut gespielt. Was war dein bisheriges Highlight 2022?
2022 ging tatsächlich mit einigen Highlights los – Praga Centrum in Warschau ist immer eine Bank, wenn ich das so sagen darf. Jedes Mal Megastimmung. Ähnlich war es im Kalt Club in Izmir – Ausnahmezustand! In Dubai habe ich in einem Amphitheater mitten in der Wüste gespielt – auch definitiv ein Wow-Moment. Die Überraschung war mein erster Auftritt in Montenegro – eine sehr junge Szene mit super viel Energie und Passion. Ziemlich fett!
Spielst Du lieber auf großen Festivalbühnen oder in kleinen, engen Clubs? Was macht beides besonders?
Es hat beides seinen Charme. Natürlich ist es ein Adrenalin-Push vor 6.000 Menschen auf einer Festival-Stage zu spielen, wenn die Masse in Bewegung ist, gesteuert durch das eigene DJ-Set. Das ist immer wieder einzigartig. Auf den großen Festivals bleibt es aber oft recht anonym, da man meistens doch sehr weit weg von den Gästen ist. Im Club kommt es durch die Nähe oft zu intensiveren und intimeren Momenten. Die Stimmung bleibt im Raum und man bekommt ein direktes Feedback von der Crowd.
Großer Bonus im Club: Die Set-Länge kann meist entspannt verlängert werden – bis zum All-Night-Long. Das geht auf Festivals eher nicht.Wikipedia behauptet, dass Du schon mit 14 Jahren angefangen hast aufzulegen! Stimmt das? Wie bist Du zu dem Künstler geworden, der Du heute bist?Musik hat mich mein ganzes Leben lang begleitet – schon als Kind habe ich mit meinem Kassetten-Recorder Radioshows mitgeschnitten, und versucht so zu cutten, dass ich die Moderation nicht mit auf dem Tape hatte. Ich bin mit 14 in der Tat über Breakdancing zum DJing gekommen und hatte meinen ersten DJ-Auftritt auf der jährlichen Schulparty. Als B-Boy hat mich Electro und Electro-Funk begeistert, lange bevor daraus Hip-Hop und House entstanden ist.
Mein erstes Engagement in einem Club kam ganz klassisch zustande. Ich musste dem Chef vorspielen und der hat gefragt, was ich am kommenden Wochenende mache. Ich meinte „nichts“ und er sagte: „Doch, du spielst hier.“ Es lief dort in erster Linie Funk und Soul, aber die letzte Stunde vor Ladenschluss durfte ich machen, was ich wollte und habe dadurch Techno etablieren können. Eine wichtige Lektion, die mich musikalisch sicherlich geformt hat, ist, dass ich mir und meinem Sound treu bleibe, aber versuche mich trotzdem weiterzuentwickeln.
Wird es jenseits der Vierzig schwerer, in einer Szene zu arbeiten, in der das Publikum eigentlich nie älter wird? Wie gehst Du damit um?
Eigentlich ist es ein großer Kreis. Als wir 18 waren haben wir unsere eigenen Partys veranstaltet und unsere Heroes eingeladen, bei uns zu spielen. Ein paar Jahre später war ich wohl gut genug, um eingeladen zu werden. Wirklich schwerer wird es nicht. Um mich herum arbeitet ein Team mit einem Mix aus jungen und erfahrenen Musikliebhabern mit frischen Ideen. Auf den Shows lerne ich jedes Wochenende junge, kreative Menschen kennen. Daraus ergeben sich oft auch Synergien oder es ergibt sich zum Beispiel die Möglichkeit, dass ich ein Talent fördern kann.
Maksim Dark ist hier ein gutes Beispiel. Ich habe seinen Sound gehört und sofort gemerkt, dass er speziell ist und ihn direkt für mein Label Senso Sounds verhaftet sowie bei Kontrast Artists ins Booking mit aufgenommen.
Hast Du Geheimtipps für Techno-Fans in Deutschland? Lieblingsclubs?
Meine Lieblingsclubs in Deutschland sind wohl Watergate Berlin und Harry Klein München. Als Geheimtipp kann ich Südpol in Hamburg empfehlen.Wie siehst Du die Szene heute: Haben die Produzent:innen, die nachkommen, noch denselben Hunger wie Du vor 20 Jahren? Auf jeden Fall! Und es ist deutlich einfacher die Musik an die Konsument:innen zu bringen. Man kann es einfach selbst releasen oder direkt an die Labels schicken.
Das war vor 20 Jahren deutlich schwieriger. Klar ist aber auch, dass sich der Fokus zum Teil verschiebt – neben einer guten Produktion muss das eigene Marketing nicht nur stimmen, sondern auch herausstechen.Wenn ich unser Demo Postfach sehe, ist der Hunger definitiv noch da. Man kann diese Energie auch in Clubs sehen. Viele Newcomer:innen veranstalten selbst und geben richtig Gas, dass ihr Event läuft und alle Künstler:innen bestens versorgt sind.
In der David Guetta/Swedish House Mafia-Phase war elektronische Musik die erfolgreichste Musikrichtung der Welt. Deine eigene Kunst wirkt ja meist eher industriell, manchmal sogar eher düster. Wie stehst Du zur „Mainstream“-Seite des Techno?
Der EDM Hype – ob man das Genre mag oder nicht – hat der Szene eine Bühne gegeben beziehungsweis die vorhandene vergrößert. Auf den Rock & Indie Festivals gab es vielleicht einen DJ – wenn überhaupt –, mittlerweile gibt es fast überall ganze Zelte oder Stages, die ein eigenes elektronisches Line-up für das ganze Wochenende bieten.
Das zu erreichen, ist mit Sicherheit auch dem zu verdanken, dass elektronische Musik den Weg in die Mainstreammedien gefunden hat. Es hat eine breitere Menge an Menschen erreicht, die sich dadurch mit der Szene beschäftigt haben, um dann auch gefallen an den klassischeren Technogenres zu finden. Was müsste passieren, damit Du Dich von der Musik abwendest?Mit 25 habe ich gesagt: „Mit 30 höre ich mit dem Auflegen auf. Ein DJ ü30 – das ist ja peinlich.“ Das habe ich mir dann glücklicherweise nochmal anders überlegt. Und seit mehr als 20 Jahren an den Decks hat mich bisher nichts aufgehalten, mit der Musik weiterzumachen. Solang ich gesund und munter bin, wird sich das vermutlich auch nicht ändern.
Im Internet findet man ein „Live Set“ von dir in einer Körperweltenausstellung: Wie war das so für Dich? Was waren andere coole und abgefahrene Orte, an denen Du schon auflegen durftest?
Das war schon verrückt zwischen Ausstellungsstücken – mir gefällt ein lebendiges Publikum dann aber doch besser. Abgefahrene Orte gab es so einige – mitten im brasilianischen Dschungel, umgeben von so vielen Moskitos, dass ich mindestens eine mit der Plattennadel erwischt habe, in einer unterirdischen Galerie in Moskau, die aussah wie der Sitz von einem James Bond Bösewicht, im Outback von Australien unter sternenklarem Himmel oder die unglaublichen kleinen Partys in Tulum in Mexiko. Ganz besonders auch La Fabrika in Argentinien, die stark ans Berghain erinnert, aber eine Open Air Venue ist.
Was können die Besucher:innen von Deinem Set auf dem Zuckerbrot & Peitsche Festival erwarten?
Ich plane meine Sets sehr selten im Voraus. Es kommt immer auf den Vibe an. Bei meinem letzten Besuch auf dem Zuckerbrot & Peitsche Festival war der unglaublich gut. Es wird aber mit Sicherheit düster und mit viel Bass werden. Der ein oder andere unveröffentlichte Track kommt auch ins Set und wird getestet. Am besten überzeugt ihr euch einfach selbst.
Das werden wir sicher! Danke für Deine Zeit und gute Sets in der Festivalsaison 2022! Das Zuckerbrot & Peitsche Open-Air-Festival 2022 findet vom 29. Juli auf den 30. Juli auf Schloss Pürkelgut statt. Neben Oliver Huntemann sind auch andere Koryphäen der Techno-Szene wie Marcel Dettmann und Stella Bossi vertreten. Das vollständige Lineup und Tickets zum Festival findet ihr hier.
Lucas Treffer / RNRed