Eine Innenstadt wie aus dem Bilderbuch – vorzeigbar, hergerichtet und blitzblank. So wäre zumindest das Idealbild der Regensburger Innenstadt. Immer öfter zieren jedoch Sticker und Graffitis das UNESCO-Welterbe. Wo liegen die Grenzen des guten Geschmacks und wie soll die Stadt zukünftig mit der Street Art umgehen?
Im Look unserer Stadt stören sich manche sehr an Sprühereien und „Verzierungen“, die vermehrt in der Innenstadt auftauchen. Dazu gehören aber nicht nur Graffitis, sondern auch Kreidebeschriftungen, andere Street Art und – immer häufiger – jede Menge Sticker. Wo liegen die Grenzen des guten Geschmacks? Und wie soll unser geteilter öffentlicher Raum gestaltet werden?
Ein bunter Spaziergang am Fluss
Man braucht eigentlich nur die Donau entlangzuspazieren, um einige der prägnantesten Graffitis Regensburgs zu begegnen. Dazu gehört der Schriftzug „I can’t breathe“ nahe dem Eisernen Steg. Steht man auf dem Steg und blickt in Richtung Innenstadt, kann man das Graffiti eigentlich kaum übersehen – und somit auch seine Message nicht.
Bei „I can’t breathe“ handelt es sich um eine Parole der aus den USA stammenden Black Lives Matter-Bewegung, die gegen Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen kämpft. Der Ausspruch war in mehreren Fällen eine der letzten Äußerungen derjenigen, die in Polizeigewahrsam starben. So auch von George Floyd, dessen Tötung 2020 weltweit eine Protestwelle auslöste, die auch Regensburg erreichte. In Zuge dieser Demonstrationen wurde wohl auch das „I can’t breathe“-Graffiti angebracht – über die Person hinter dem Motiv kann – wie so oft bei Street-Art – nur gerätselt werden.
„Halte deine Donau sauber“
Die Donaupromenade musterte sich generell zum Hotspot für Street Art jeglicher Couleur: Man entdeckt Tags – zu Deutsch quasi „Markierungen“ – verschiedener Künstler:innen, politische Messages, die vom hochgestochenen „Sapere aude“ frei nach Kant bis zum einfachen „Halte deine Donau sauber“ reichen, und nicht zuletzt auch Papier-Tapezierungen, die eine eigene, jüngere und immer beliebtere Form der Street Art darstellen. Der Unterschied zu klassischen Graffitis könnte aufgehetzte Gemüter jedoch beschwichtigen, immerhin lässt sich tapeziertes Papier meist ohne Schäden entfernen.
Hinter einigen, wenn auch nicht allen Stücken dieser Sorte steckt der hier ansässige Künstler Gato-M, der aber ähnlich wie die weltweit bekannte Szenefigur Banksy hinter einem Pseudonym versteckt bleibt. Aber auch von anderen Künstler:innen tauchen immer mehr Tapezierungen auf und tragen so zur künstlerischen Gestaltung der Innenstadt bei – oder auch zur Verunreinigung, je nachdem, wer gefragt wird.
Allgegenwärtig: Der Jahn
Und was in Regensburg natürlich auf keinen Fall fehlen darf: der SSV Jahn. Selbst die Stadtverwaltung erhält derzeit „massive Beschwerden über die äußerst zahlreichen Beklebungen mit ‚Jahnstickern‘“, berichtet Verena Bengler von der Stadt Regensburg auf Anfrage. Und tatsächlich scheinen sich die Beklebungen, Graffitis und weitere „Verzierungen“ zu häufen. Nicht zu übersehen tauchten wie von einer Nacht auf die andere etwa 20 mal 20 Zentimeter große Ultra-Sticker auf, die Stromkästen, Mülleimer und andere halbwegs ebene und gut beklebbare Flächen zierten.
Die Diskussion, woher diese Steigerung rührt – ob eine Begeisterung über die Vereinsleistung oder ein Markieren des Gebiets dahintersteckt –, steht an zweiter Stelle. An erster steht, wie man die Stadt gestalten möchte, in der man gemeinsam seinem Alltag nachgeht.
Eine ästhetische Straftat?
Nun fällt auf, dass sich all diese Beispiele in der Innenstadt befinden – mal mehr, mal weniger gut versteckt. Eines haben sie zusätzlich noch gemeinsam: Keins von ihnen wurde legal angebracht. Denn es handelt sich bei Graffitis, Street Art und Stickern zunächst grundsätzlich um eine widerrechtliche Handlung, unabhängig vom möglichen künstlerischen Wert.
Sowohl Graffitis als auch die Beklebung fremden Eigentums gelten als Straftat und laufen unter § 303 des Strafgesetzbuchs als Sachbeschädigung. Der Paragraf greift allerdings erst dann, sobald die betroffene Stelle „zerstört oder beschädigt wird“ – solange die Verzierung nicht nur temporär oder unerheblich ist. Damit fallen also Kreideschriftzüge, wie sie bei Demonstrationen des Öfteren auftauchen, oder auch leicht entfernbare Sticker raus und werden auch nicht erfasst, erklärt Polizeioberkommissar Claus Feldmeier auf Nachfrage. Allerdings, so führt Feldmeier weiter aus, kann die Straftat auch in Verbindung mit anderen Straftatbeständen begangen werden, beispielsweise der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen.
129, teils verfassungswidrige, Vergehen
Der Fall traf erst kürzlich wieder ein: Kurz nach dem Wiederaufflammen des Angriffskriegs in der Ukraine wurde am Philosophie-Theologie-Trakt der Uni Regensburg eine Schmiererei mit den Worten „Tod den Russen“ angebracht, wobei das Doppel-S durch die SS-Rune ersetzt wurde. Das Graffiti ist nur einer der vielen Fälle von Beschmierungen in Regensburg. Im vergangenen Jahr seien 129 Delikte zur Anzeige gebracht worden, zitiert Feldmeier die Polizeiliche Kriminalstatistik 2021.
Und auch bei Stickern können verfassungsfeindliche Inhalte vorkommen – jedoch sind diese schwieriger zu kontrollieren. Verena Bengler erklärt, dass man derartige Sticker mit aller Schärfe verurteile, ihr Vorkommen auf Laternenmästen beispielsweise jedoch kaum kontrollierbar sei.
Hotspot Donaupromenade: Ein teurer Spaß
Die Stadt Regensburg kämpft gemeinsam mit der Polizei und dem Kommunalen Ordnungsservice gegen Schmierereien im Stadtgebiet an – von Graffitis würden sie an dieser Stelle nicht sprechen, erklärt Bengler. Grundsätzlich würden die Straftaten zwar im Aufgabenbereich der Polizei liegen, jedoch schreite auch der Ordnungsservice direkt ein, sollte man beispielsweise jemanden beim Sprayen erwischen. Es gibt einige Hotspots in der Innenstadt, die besonders von illegalen Graffitis oder Beklebungen „geplagt“ seien: Dazu gehörten laut Bengler die Häuser entlang der Donau und die weniger frequentierten Gassen der Altstadt. „Aber auch die Steinerne Brücke, die Nibelungenbrücke oder Hochwasserschutzwände sind nicht geschützt vor Schmierereien“, holt sie weiter aus. Und was auch gerade im Sommer immer wieder auffallen sollte: Insbesondere in den öffentlichen Toilettenanlagen stellten sich Graffitis und Aufkleber als Problem dar.
20.000 Euro Kosten
Hiergegen geht die Stadt mit Anzeigen vor – und bemüht sich um die Entfernung. Diese zeige sich aber als sehr kostenintensiv: „Für die Beseitigung von Graffitis an Brücken, Lärmschutzwänden und Stützmauern fallen für die Stadt Regensburg pro Jahr Kosten in Höhe von circa 20.000 Euro an“, so Verena Bengler. Dabei wird es jedoch nicht belassen, zusätzlich werden Neubauten bei Möglichkeit mit Anti-Graffiti-Schutz versehen und für die Entfernung von Schmierereien am Hochbau kommen noch etwa 15.000 Euro zusätzlich hinzu.
Mehr legale Graffitiwände für Regensburg
Allerdings steckt die Stadt Regensburg nicht nur Energie in die Beseitigung und Bekämpfung, sondern auch in die Förderung von Street Art: Seit den 90er-Jahren stehen verschiedene Flächen zur Verfügung, auf denen legal gesprayt werden darf. Ein bekanntes Beispiel stellt die 24-Stunden-Galerie hinter dem Dultplatz dar, aber auch an verschiedenen Spielplätzen kann man solche Wände finden. Und zusätzlich hierzu bieten die Jugendzentren im Stadtgebiet neben mehr Sprühflächen auch Workshops an – um Jugendlichen zu zeigen, dass Graffiti nichts mit illegalen Schmierereien zu tun hat, sondern eine Kunstform ist, die auch mit Können zu tun hat, erklärt Bengler.
Dabei soll es aber auch nicht bleiben, denn die Stadt arbeitet daran, mehr solcher Flächen anzubieten. Als Beispiel führt Verena Bengler die Gestaltung des Jugendzentrums Guericke an, wo eine neue Wand entstehen soll. Ebenso sollen bei „Kultur am Bau“, am geplanten Spielplatz an der Franz-Josef-Strauß-Allee und beim Neubau des JUZ Königswiesen neue Sprühmöglichkeiten entstehen. Außerdem bemühe man sich immer wieder um Zwischennutzungen oder auch temporäre Sprühmöglichkeiten, betont Bengler.
Regensburgs Altstadt – ein sensibler Punkt
Solche würde auch Jürgen Huber begrüßen. Der ehemalige Grünen-Bürgermeister, Mitglied des Kunstvereins GRAZ und aktiver Künstler sieht großen Nachholbedarf, was die Präsenz von Kunst im öffentlichen Raum Regensburgs angeht. „Die Altstadt von Regensburg ist eindeutig das Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit“, beginnt er seine Einschätzung auf die Frage, welchen Stellenwert Kunst im öffentlichen Raum Regensburgs denn habe. „Das liegt daran, dass sie so schön ist, so voller Denkmäler und hervorragender Architektur.“
Jedoch bedinge ebendiese Schönheit gleichzeitig, dass gegenüber der Substanz und dem Kulturerbe der Altstadt große Sensibilität gefragt sei – aber eben auch höchste Qualität im Neuen. An dieser Stelle sieht Huber Nachholbedarf: Im restlichen Stadtgebiet rage für ihn insbesondere die Universität und die Kunst am Campus heraus. Kunst in der Altstadt hingegen „ist möglich, aber nur mit großer Behutsamkeit und nicht mit Ängstlichkeit“, argumentiert der Künstler.
Was ist, kann und darf Kunst?
Kunst im öffentlichen Raum, Street Art und Graffitis oder Schmierereien – die Grenzen sind fließend. Nicht ohne Grund ist die Reaktion vieler Spaziergänger:innen auf die Verzierungen in der Regensburger Altstadt ein allzu gut bekanntes Bonmot: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Jürgen Huber zeigt sich pragmatisch, wenn er nach dem Unterschied zwischen Schmierereien und Street Art gefragt wird: „Besprühte U-Bahn-Fenster, wüst beschmierte Hausfassaden oder auch Müllberge der Feierwütigen auf der Jahninsel sind keine Kunst im öffentlichen Raum“, stellt er fest. Aber das Bekleben einer kleinen Figur auf einer Verkehrsampel oder das Füllen einer leeren Wandnische mit einem cleveren Bild, das könne in seinen Augen kein Unrecht sein – auch wenn es eigentlich unerlaubt ist.
Die Frage, was tatsächlich Kunst ist, drängt sich viel weniger auf als die Frage, was sie im öffentlichen Raum auch leisten kann. Können Street Art und Graffiti in gemeinschaftlichen Plätzen für eine Wiederbelebung sorgen? Huber sieht das kritisch. „Langweilige Orte belebt man nicht mit bemalten Fassaden. Manchmal kann es aber ein Trost fürs Auge sein, Kunst ist das dann nicht automatisch.“ Dennoch hat Kunst im öffentlichen Raum laut Huber ihren Sinn und Zweck. Sie stelle demokratische Kunst dar, ohne Schwellen für alle zugänglich – in Jürgen Hubers Augen eine sehr wichtige Aufgabe der Kommune.
Agitation und Subversion: Was will Street Art?
Dass Kunst im öffentlichen Raum polarisieren kann, damit musste auch Regensburg bereits schmerzhafte Erfahrungen machen. Dazu gehören Werke, die sich den Betrachtenden nicht augenblicklich erschließen: Zu den entsprechenden Beispielen gehören der rote „Nippel“ vor der Don-Juan-Statue am Zieroldsplatz oder jüngst auch der goldene Waller am Haus der Bayerischen Geschichte, der prompt nach der Aufstellung Opfer von Verunstaltungen wurde. Die Frage, die sich ergibt, ist, ob Graffiti überhaupt als Kunst im öffentlichen Raum funktionieren kann. Huber sieht hier in Regensburg Street Art, die ihre Aufgabe bereits erfüllt: „Street Art sollte meines Erachtens das weiter tun, was sie in Regensburg die Jahre über schon sehr gut und erfolgreich gemacht hat – subversiv im öffentlichen Raum intervenieren und agieren.“
Agitation und die Eröffnung eines Dialogs: Gerade diese Wirkung liegt Graffiti und Street Art besonders häufig inne. Darin liegen auch die Wurzeln der jeweiligen Bewegungen, die in der jüngeren Kunstgeschichte einige prominente Mitglieder hervorbrachten – dazu zählen unter anderem Keith Haring oder Jean-Michel Basquiat.
In Regensburg finden sich ebenfalls einige Beispiele, die zum Nachdenken anregen wollen: Die Messages hinter „I can’t breathe“ oder „Halte deine Donau sauber“ sind eindeutig. Street Art hat oftmals das Ziel, auf Missstände hinzuweisen oder sie anzuprangern – mit Mitteln, die einigen Menschen missfallen könnten.
Kunst um der Kunst willen
Und wenn sich nun doch jemand an der Kunst stört? Huber hat darauf eine klare Antwort. „Kunst ist nicht Dekoration für vielleicht missglückten Städtebau oder billigste Investoren-Architektur, für überbordende Verkehrsräume oder die falschen Stadtmöbel. Kunst hat ausschließlich Kunstkriterien zu dienen, dann wird sie auch für die Öffentlichkeit gut.“ Kunst um der Kunst willen also. Ein Sentiment, das sicherlich nicht allen gefallen dürfte. Aber Huber hält dagegen, denn „ob sich jemand daran stört, ist völlig unerheblich und ob es alle loben, ist nicht das Kriterium für Kunst – auch nicht im öffentlichen Raum.“
Kompromisse gegen den Konflikt
Dennoch kann es zwischen dem Bedürfnis der einen, mit seiner oder ihrer Kunst zum Stadtbild beitragen zu wollen, und dem Wunsch der anderen, in einer als sauber wahrgenommenen Stadt leben zu wollen, Kompromisse geben. Dazu gehören bereits getane Schritte, wie dem Bereitstellen von Flächen, auf denen legal gesprayt und die eigene künstlerische Kreativität ausgelebt werden darf. Was dabei aber nicht vergessen werden darf: Kunst – insbesondere kritische und subversive Kunst wie Graffiti – lebt von ihrer Sichtbarkeit. Flächen für die künstlerische Auslebung im unmittelbaren Altstadtgebiet werden seitens der Stadt Regensburg nicht erwähnt – dabei könnten gerade hier mobile Wände eingesetzt und zur temporären Ausstellung genutzt werden.
Auch Jürgen Huber sieht noch einige Möglichkeiten, wie die Stadt sich um mehr Kunst im öffentlichen Raum bemühen könnte. Der Nachholbedarf scheint für ihn eindeutig, aber die die Versäumnisse bei zeitgenössischer Kunst in der Vergangenheit könne man nur sukzessive ausgleichen. Huber schlägt verschiedene Vorgehensweisen vor, dies zu bewerkstelligen, beispielsweise „indem der Stadtrat dem Kulturreferenten Geld gibt, womit er Wettbewerbe und Symposien organisieren kann, um das Umfeld für die Kunstschaffenden zu schaffen oder zu optimieren.“ Denn nur in der richtigen Reaktionstemperatur im Reagenzglas würden chemische Prozesse auch vonstattengehen, umschreibt der Künstler das Schaffen eines geeigneten Umfelds.
Kein Ende in Sicht?
Regensburg ist sicherlich keine Stadt wie Berlin oder Leipzig, denn die Altstadt mit ihren historischen Bauten bedarf besonderen Schutz. Dennoch muss man sich früher oder später damit auseinandersetzen, wie man damit umgehen möchte, wenn Kunst auf öffentlichen Plätzen Raum einnehmen will – und wie man ihr diesen Raum bieten kann. Die Konfliktlinie zwischen öffentlichkeitswirksamer Kunst und ihren Betrachter:innen erzielt wahrscheinlich genau die Wirkung, die von den Künstler:innen beabsichtigt ist – es wird ein Dialog eröffnet.
Immerhin sind Graffitis, Plakate oder Sticker, über die ein Streitgespräch geführt wird, wirksamer als jene, die übersehen werden. Ihnen auf mobilen Flächen und speziellen Wänden einen besonderen Platz zu bieten, könnte einen angemessenen Rahmen für Diskussionen schaffen und gleichzeitig historische Gebäude vor eventuellen Schäden schützen. Jedoch ginge aus der Sicht einiger Künstler:innen sicherlich ein spezieller Aspekt der Street Art verloren: die stille Rebellion. Der Diskurs scheint also bisweilen kein Ende zu finden. Sodass sich die Einwohner:innen Regensburgs weiterhin dieselbe Frage stellen
Nicole Michalak / RNRed