Etwas verschroben, etwas skurril und trotz alledem sehr liebenswürdig – so lassen sich viele bayerische Kleinstädte beschreiben. So auch die, die Autorin Simone Bauer in ihrem neuesten Roman „Hinterm Großstadtdschungel links“ darstellt. Wir haben uns mit Simone Bauer über Queerness, das Schreiben für und über die LGBTQ+ Community und die Frage „Queer am Land – geht das?“ unterhalten.
Landleben und Queerness, das passt auf den ersten Blick wenig zusammen, doch: Das von Simone Bauer gewählte Setting bietet einen selten gesehenen Rahmen für die lesbische Liebesgeschichte, die von der Autorin in ihrem Release erzählt. Wir ließen uns von der vielfältig bewanderten Powerfrau ihre persönlichen Erfahrungen, ihren Werdegang und das Phänomen Heimatroman erklären.
Journalistin, Autorin und Moderatorin: Frau Bauer, wie war Ihr bisheriger Werdegang?
Ich habe tatsächlich vor 15 Jahren als Musikjournalistin angefangen. Ich hatte dann das große Glück, relativ schnell einen Kurzgeschichtenwettbewerb beim Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag zu gewinnen, der auch später mein Verlag werden sollte. Dadurch hatte ich auch die Kontakte, um mein erstes Buch zu pitchen. Über verschiedenste Stationen bin ich aber jetzt an dem Punkt angekommen, an dem ich hauptsächlich über das Reisen, über Feminismus und über Queer Culture schreibe. Und nun eben meine erste rein lesbische Lovestory.
Woher kommt Ihre Motivation und Inspiration fürs Schreiben?
Schreiben ist schon immer ein großes Hobby gewesen und lässt sich auch einfach neben dem regulären Job noch gut machen. Angefangen habe ich, weil ich Fanfictions geschrieben habe, damals über „Buffy – Im Bann der Dämonen“. Aber dort hat man ja die Charaktere und deren Beziehungen zueinander schon vorgegeben und irgendwann habe ich mir eigene Figuren ausgedacht. Es hat mir dann sehr viel Freude bereitet, mir eigene Geschichten auszudenken – „Hinterm Großstadtdschungel links“ spielt ja beispielsweise in einer skurrilen Kleinstadt. Auch die Nebenfiguren haben alle eine Macke und hängen irgendwie zusammen, das macht mir einfach Spaß.
Ihr neuestes Buch „Hinterm Großstadtdschungel links“ wurde als „urbayerische Komödie mit queerem Twist betitelt“ – fühlt man sich als Autorin queerer Geschichten in eine Nische gesteckt?
Ja, tatsächlich wäre es toll, wenn man das Queere nicht mehr in den Vordergrund rücken müsste. Das würde aber auch bedeuten, dass wir eine Veranstaltung wie den Christopher Street Day nicht mehr bräuchten – denn dann wäre Queerness in der Gesellschaft normalisiert. Aber solange wir nicht die gleichen Rechte haben, müssen wir uns eben auf diese Art sichtbar machen. Egal ob CSD oder mit einer queeren Hauptperson in beliebten Serien. Klar wäre es mir lieber, würde man es einfach eine „urbayerische Komödie“ nennen – bei der die Hauptfigur zufällig lesbisch ist. Solange sich am Ist-Zustand aber nichts ändert, ist es für mich aber auch völlig okay. Weil ich weiß, dass ich meine Stimme so nutzen kann und ich dafür weiter kämpfe. Und das mache ich auch gerne.
Schreibt man als queere Autorin nicht vielleicht auch gerade für diese Zielgruppe? Um Lebensrealitäten widerzuspiegeln und Leser:innen die Möglichkeit zu bieten, sich selbst in einer Story wiederzufinden?
Ich glaube, es geht sehr vielen Kulturschaffenden in meinem Bereich so, dass man Geschichten schreibt, die man selber gerne gelesen hätte. Darum habe ich ja auch mit 13 angefangen, über „Buffy“ zu schreiben – weil es dort eben lesbische Figuren gab. Das fand ich super cool und war auch einer meiner ersten Kontakte mit dem Thema. Man will sich gesehen fühlen, man will sich repräsentiert fühlen. Und ich glaube auch, dass das Thema „Bayerisches Landleben“ nichts ist, das super gut verfügbar ist. Selbst wenn es schon eine solche Geschichte gäbe – man will dann doch noch eine lesen! Man will sich selber immer wiederfinden und auch Vorbilder haben. Insofern schreibt man sicher auch das, was man selbst gerne hätte.
Gleichzeitig habe ich aber auch eine ältere, unglaublich liebe Kollegin, die alles von mir liest. Und dann schreibe ich aber auch, um sie weiter aufzuklären und ihr meine Lebensrealität näher zu bringen. Sie hat sich vielleicht in meinen anderen Geschichten wiedergefunden, weil die Hauptcharaktere zum großen Teil heterosexuell waren, aber auf dem Weg kann sie vielleicht auch mehr über mich erfahren oder über unsere ganze Community. Auf diesem Weg baut man auch Klischees ab und schafft Berührungspunkte. Das ist also durchaus zweigeteilt, für wen man schreibt.
Das ist tatsächlich sehr spannend: „Hinterm Großstadtdschungel links“ ist Ihr erstes Buch mit einer lesbischen Liebesgeschichte im Vordergrund. Wieso haben Sie vorher primär heterosexuelle Lovestorys geschrieben?
Tatsächlich weil ich meinem Verlag verschiedene Geschichten vorgeschlagen habe und es dann einfach nie die lesbische Liebesgeschichte wurde. Das ist jetzt auch schon gut zehn Jahre her – damals war die Repräsentation noch eine ganz andere. Man sagt ja auch so unschön „Was lesbisch ist, verkauft sich nicht“, schwule Geschichten ziehen also besser. Hier hat man in den letzten Jahren einen krassen Trend gesehen, weil viele heterosexuelle Frauen auch Storys über schwule Beziehungen lesen. Jetzt hat man die Gelegenheit, auf queere Verlage zuzugehen und andere Geschichten zu präsentieren – das hätte ich mir vor zehn Jahren gar nicht gedacht. Bis jetzt hat „Hinterm Großstadtdschungel links“ auch einen ganz anderen Hype um sich, auch wenn ich die genauen Zahlen noch nicht kenne. Man merkt, dass das Buch ganz anders aufgenommen wird und das macht mir auch eine riesige Freude, denn anscheinend habe ich einen Nerv getroffen.
An dieser Stelle würde ich gerne auf die strukturellen Veränderungen zurückkommen, auch auf die Pitches an den Verlag. Man sieht jetzt ja auch in großen Releases, dass man von altbekannten Klischees abkommt – beispielsweise dem „Bury your Gays“-Klischee, laut dem queere Charaktere grundsätzlich nicht zu überleben scheinen. Die klassischen Geschichten problematisieren Queerness immer sehr. Wie schätzen Sie diesen Trend aktuell ein?
Ich hoffe sehr, dass wir davon wegkommen. Es ist absolut richtig, dass im Grunde viele Geschichten queere Charaktere sterben lassen – das suggeriert unterschwellig noch immer, dass Queerness falsch ist. Darum wünsche ich mir eben Storys, in denen die Welt gerettet wird und Charaktere „nebenbei“ nicht hetero sind. Ich persönlich habe es auch satt, Coming-out-Storys zu lesen oder über Übergriffe zu lesen. Natürlich ist es wichtig, dass diese Geschichten erzählt werden, denn Übergriffe aufgrund der Sexualität passieren noch immer. Aber es muss ja nicht jede Story absolut gleich sein und in Tragik enden. Das gibt’s alles und es ist wichtig, dass man davon lesen kann – aber nur solche Erzählungen finde ich zu viel. Man wird Coming-out-Geschichten zum Lesen finden, wenn man sie braucht. Auch ich erwähne es kurz, es wäre auch falsch, diesen Punkt auszusparen. Aber ich erhoffe mir, dass wir an einen Punkt kommen, an dem es komplett normal ist, dass queere Menschen auch außerhalb von Tragik und Drama existieren.
Sie schreiben eine queere Liebesgeschichte, die in der bayerischen Pampa spielt. Geht sich Queersein und Landleben überhaupt zusammen?
Bei weitem gibt es am Land nicht einfach kein queeres Leben, im Gegenteil. Mir ist schon klar, dass es Eskapismus wäre zu sagen, dass es am Land viele queere und geoutete Menschen gibt und dass alles immer einfach wäre. Das wollte ich auch bewusst machen. Nichtsdestotrotz kenne ich viele queere Menschen, die am Land wohnen und eine super Zeit haben – auch wenn ihnen Steine in den Weg gelegt wurden. Ich glaube, die individuellen Geschichten verbindet immer, dass man am Land einen stärkeren Zusammenhalt hat, weil sich die Menschen hier tatsächlich damit beschäftigen. Natürlich will ich nicht sagen, es läuft hier alles perfekt. Aber es ist schon so, dass die Übergriffe in der Großstadt häufiger stattfinden, weil alles so anonym ist. Wenn hier am Land jemand etwas sagt, dann weiß man gleich „Ah ja, das war der und der… Der soll den Ball flach halten, er hat doch selber seine Frau betrogen.“ Es ist weniger anonym und macht Mobbing beispielsweise schwieriger – ohne es beschönigen zu wollen. Sehr konservative Menschen gibt es sowohl am Land als auch in der Stadt. Klar, man muss immer damit leben, dass die Leute reden. Aber weder ich noch meine Freund:innen hatten negative Erfahrungen. Und ich hoffe, dass das andere Menschen motiviert, sich zu outen, noch mehr zu sich zu stehen und all diese Barrieren abzubauen.
Warum schreibt man überhaupt einen Heimatroman – schreibt man am liebsten über das, was man kennt?
Bei mir lag es definitiv daran, dass ich das alles sehr liebe. Ich bin so sehr mit bayerischen Serien und Kabarettisten sozialisiert. Aber diese Geschichten sind zum Großteil heteronormativ (Anm. d. Red.: Heteronormativität bedeutet, Heterosexualität als „Normalzustand“ darzustellen), was ja einfach auch das Leben am Land nicht perfekt darstellt. Diesen weiteren Blickpunkt hinzuzufügen, das war ein ganz großer Wunsch.
Die Hauptfigur von „Hinterm Großstadtdschungel links“ arbeitet ja im Rathaus – da geht es dann natürlich auch um die bayerische „Spezlwirtschaft“, die ich super faszinierend finde. Dann spiele ich auch extrem gerne mit solchen Klischees. Das muss man aber auch liebevoll sehen, auch wenn eine Kritik dahinter steckt. Ich komme vom Land, bin das gewohnt und bin damit aufgewachsen. Immerhin steckt in Klischees irgendwo auch immer ein Fünkchen Wahrheit.
Welche Projekte folgen für Sie als nächstes?
Gerade arbeite ich viel für den Instagram-Newsletter „Die Kunst, Kultur zu machen“. Ansonsten sind’s die üblichen Verdächtigen: Ich schreibe viel über Japan und über Musik. Natürlich würde ich gerne wieder ein Buch schreiben! Vielleicht, wirklich vielleicht, wird’s ein Krimi – dann auch wieder mit einer queeren Hauptperson.
Vielen Dank für das nette Gespräch!
Wer sich up-to-date halten möchte, was Simone Bauer in der nächsten Zeit noch veröffentlicht – und ob es ein Krimi wird –, der kann ihr auf Instagram unter @howmanyheartaches oder auf Twitter unter @teaserette folgen. Dort gibt es immer die neuesten Infos zum Treiben der jungen Autorin.Nicole Michalak / RNRed