Die „Nineties“ sind zurück. Keine wirkliche Neuigkeit für jeden, der dieses Jahr Klamotten shoppen war. Für manche strahlt dabei nichts so sehr die Ästhetik der Neunzigerjahre aus wie Fußballtrikots. Fußball-Merchandise an erwachsenen Männern war lange ungern gesehen, doch ein Trend auf Social Media will das passend zur kommenden Fußball-WM ändern: #blokecore.
Nicht erst seit diesem Jahr sind auffallende Muster, Fischerhüte und Adiletten wieder im Kleiderschrank jedes Fashion-Aficionado zu finden. Für manche strahlt dabei nichts so sehr die Ästhetik der Neunzigerjahre aus wie Fußballtrikots oder Vereinsjacken. Doch wie passt das zum Bild, das die breite Öffentlichkeit von Fußballfans hat: saufen, pöbeln und danebenbenehmen. Fußballfans haben eigentlich keinen guten Ruf und trotzdem gelten Trikots für einige als trendige Kleidungsstücke. Was zeichnet die „blokecore“-Bewegung aus und auf was sollte man(n) achten? Der Trend-Artikel aus der Oktober filter-Ausgabe.
Blokecore: Zwischen Oasis und Ronaldo
Modetechnisch vermuten die meisten ein Fußballtrikot wohl eher in der Alltags-Garderobe eines 10-Jährigen als in der eines über 20- oder gar 30-Jährigen. Unter Kennern und Sammlern schon lange beliebt, werden Fußballtrikots gerade wieder zu einem regelrechten Mode-Hype. Während in den letzten Jahren Trikots französischer und spanischer Vereine meist von Größen der Deutschrap-Szene in deren Musikvideos getragen wurden, dreht sich der Trend „Blokecore“ mehr um die Trikots aus den Neunzigerjahren oder von Anfang der 2000er. „Blokecore“ setzt sich dabei aus den englischen Wörtern „Bloke“ – zu Deutsch „Kerl“ – und „Core“, als eine Abkürzung für einen Trend oder eine Ästhetik, zusammen. Der Trend steht für viele Anhänger für eine Rückbesinnung in die eigene Kindheit. Ältere Millennials ziehen sich heute wieder so an, wie ihre damaligen Idole: die Gallagher Brüder, David Beckham oder Vokuhila-Modell Rudi Völler.
Gucci trifft Stehblock
Vor 20 Jahren war Großbritannien das Epizentrum der Coolness. Musik und Fußball der Insel dominierten die Welt. Auf dem Festland waren italienische und brasilianische Kicker die Götter einer ganzen Generation von Heranwachsenden, die sich heute vielleicht unterbewusst in die Zeit zurücksehnt. Vereine und Modelabel wissen diese Anziehungskraft geschickt für sich zu nutzen. Erst vergangenes Jahr veröffentliche „H&M“ eine ganze Reihe an, vom Fußball inspirierten, Kleidungsstücken. „Lover’s FC“ nannte das Modehaus diese Reihe und lieferte mit den bunten, oft retro-anmutenden, Oberteilen gleichermaßen ein Statement gegen die noch immer vorhandene Homophobie im größten Sport der Erde. Auch zeigen sich 2022 internationale Stars wie „A$AP Rocky“ in Trikots englischer Serienmeister, während die deutsche Kultmarke Adidas Kooperationen mit Edelmarken wie Gucci oder Balenciaga eingehen. Fußball sprang aus der Schmuddelecke direkt in die Luxusabteilung.
Samba, Levis und Atari
All das hat jedoch wenig mit „Blokecore“ zu tun, wie man ihn heute auf den Apps TikTok und Instagram findet. Neben dem Herzstück Trikot gehören zum Outfit eines richtigen „Blokes“ klassische Sneaker, wie die „Samba“-Reihe von Adidas oder vergleichbare Schuhe von PUMA, Reebok und Umbro. Dazu eine gerade geschnittene Jeans(jacke), gerne auch vom lokalen Second-Hand-Händler. Die „Levi‘s“ 501 tut sich dabei besonders hervor, aber auch hochgeschnittene Jeans mit geraden Beinen sind beliebt in der Bewegung. Nicht nur reguläre „Blokes“ zeigen sich gerne in ihrem Outfit, auch Fußballer selbst werden hier zu Trendsettern. Zeigen sich viele Stars wie Pierre-Emerick Aubameyang oder Franck Ribery heute oft in modetechnisch eher fragwürdigen Outfits und Sportwägen, ist Hector Bellerin zu einer Ikone des „Blokecore“ aufgestiegen. Der Außenverteidiger von Arsenal London zeigt sich gerne im Retro-Look mit Gold- oder Silberkettchen, längeren Haaren und Ledergürtel in der Jeans. Gerade sein heutiger Arbeitgeber hat zusammen mit anderen englischen Vereinen den Trend schon früh verstanden und verkauft heute Neuauflagen der Trikots langvergangener Saisons. Fußballtrikots mit Sponsoren, die an eine einfachere Zeit erinnern. JVC, Opel, Atari oder Dreamcast zierten damals die Kleidung aktueller Champions League Vereine und brannten sich so in das kollektive Gedächtnis ganzer Generationen ein.
#blokecore und der Second Hand Boom
Waren die kleinen Händler gerade in Deutschland noch lange regelrechte Exoten, bei denen „Hipster“ große Schätze für kleines Geld ausgraben konnten, sind Second-Hand-Läden heute im Mainstream angekommen. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, jedoch ist schon erstaunlich, wie beliebt Kleidung aus den Achtziger- und Neunzigerjahren heute wirklich ist. Dass große Marken dabei ihre Designs – teils originalgetreu, teils modernisiert – neu auflegen, ist auch selbstverständlich, nur dass nun auch Trainings- und Sportklamotten mit einbezogen werden, überrascht. Neben Pullovern, Jeans und Jacken erfreuen sich nun eben auch Kleidungsstücke von FC Chelsea, 1860 München und Co. großer Beliebtheit. Eine stylische Trainingsjacke bildet dabei nicht selten das Lieblingsstück eines „Blokecore“-Anhängers. Dabei muss es jedoch oft nicht der eigene Lieblingsverein sein. „Style“ geht hier auch oft über „Substance“. Ein ansprechendes Design ist also wichtiger als der Verein selbst.
Hype vs. Tradition
„Blokecore“ ist gekommen, um zu bleiben. Nicht nur in England, dem Mutterland der Bewegung, eröffnen immer mehr Online-Shops, die sich auf diese ganz besondere Nische des Second-Hand-Handels spezialisiert haben, auch in Deutschland findet man immer öfter Trikots im Angebot. Natürlich versuchen auch heute Vereine mit ihren Trikots neue Wege zu gehen und einen Hype zu generieren. Erst vergangene Saison schaffte dies der kleine italienische Club „Venezia FC“, als er – anlässlich des Aufstiegs in die 1. Liga – drei Trikots herausbrachte, die anschließend auf Twitter viral gingen und in die ganze Welt verkauft wurden. Ähnliches passierte erst vor wenigen Tagen mit der neuen Trikot-Kollektion der Vereins und einiger Clubs aus Brasilien In jedem Mann, der mit Fußball aufgewachsen ist, steckt ein kleiner Junge, der sich gerne an die Fußballstars seiner Jugend erinnert und so trägt man heute gerne die Oberteile mit Legenden wie Henry, Cantona, Bergkamp, Völler oder Matthäus auf dem Rücken. In einer breitgefächerten Modewelt, wie wir sie heute erleben, ist generell mehr möglich als noch vor wenigen Jahren. Auch erwachsene Männer in Vereinsjacken und Fußballtrikots.
Lucas Treffer / RNRed