Heutzutage ist eine Reise von Regensburg nach Wien kein Problem mehr. 1836 war das Reisen jedoch deutlich unbequemer als heute. In diesem Jahr reiste die 57-jährige englische Schriftstellerin Frances M. Trollope mit dem Schiff nach Wien. Von unhygienischen Zuständen an Board über abenteuerliche Übernachtungen bis hin zu außergewöhnlichen Bekanntschaften.
Heute ist eine Reise von Regensburg nach Wien ja kein Problem: In etwas mehr als drei Stunden kommt man mit dem ICE von der einen Donaustadt in die andere. Vor der Eisenbahnzeit war die Sache schon etwas mühsamer...
Ende September 1836 wollte die damals 53-jährige englische Schriftstellerin Frances M. Trollope (1779 - 1863) in Begleitung ihrer Zofe von Frankreich kommend über Regensburg nach Wien reisen. Sie entschied sich, ab Regensburg das Schiff über die Donau zu nehmen, da der Landweg zu unbequem und langwierig war.
Ihre Bekanntschaft mit Metternich
In Wien gedachte sie, einige Monate zu bleiben. Dank guter Kontakte gelang es ihr, die Bekanntschaft des österreichischen Staatskanzlers Metternich zu machen – einem Repräsentanten des absoluten Regimes, für alle liberal Gesinnten das absolute Feindbild. Doch diese Rücksichten lagen ihr fern, sie wollte gezielt in der höchsten Gesellschaft verkehren, die politische Gesinnung war ihr ziemlich egal.
Auf „Domestic Manners of the Americans“ sollte „Vienna and the Austrians“ folgen
Lady Trollope hatte ein bewegtes Leben hinter sich: Sie war mit einem Advokaten verheiratet, wanderte nach finanziellen Problemen in England mit ihrer Familie in die USA aus, eröffnete 1829 in Cincinnati ein Lokal, das aber Pleite machte. Darauf kehrte sie mit ihren Kindern und dem französischen Maler Auguste Hervieu, der die Familie schon seit England kannte, nach Europa zurück.
In Europa verdiente sie ihren Lebensunterhalt nach dem Tod ihres Mannes sehr erfolgreich mit dem Verfassen detaillierter Reiseberichte über Länder, die sie besucht hatte und beschrieb vor allem deren Bewohner: „Domestic Manners of the Americans“ erschien 1832, „Paris and the Parisians“ 1833, und nun sollte „Vienna and the Austrians“ (1838) an die Reihe kommen, Reisebilder aus Deutschland waren dabei inkludiert.
Besonders kritisch waren diese Berichte, die USA ausgenommen, nicht. Es sollten Lebensgewohnheiten und Besonderheiten der Menschen beschrieben werden. Auf keinen Fall wollte sich die Dame mit den Regierenden anlegen.
Unannehmlichkeiten bei Reisen mit der Postkutsche
Reisen mit der Postkutsche waren wirklich nicht sehr angenehm. Das ständige Rütteln, das enge Nebeneinander mit fremden Personen, die Gefahr von Achsbrüchen und das äußerst unangenehme Ersuchen um Toilettenstopps unterwegs trübten das Reiseerlebnis. Unfreundliche Kutscher blieben gerne mal in freier Landschaft stehen – was für Herren peinlich, für Frauen aber eine extreme Unannehmlichkeit bedeutete. Und die Übernachtungen in den Poststationen waren meist schrecklich, die Lager verwanzt, die hygienischen Bedingungen ebenso wie das Essen schlecht und die Nächte sehr kurz, da es meist schon in aller Früh wieder losging.
WGD Donau Oberösterreich Tourismus GmbH/Lindorfer
Mit Einweg-Booten stromabwärts Richtung Wien
Lady Trollope (sie war zwar nicht adelig, aber wen interessierte das außerhalb Englands schon) entschied sich 1836 also für das Schiff von Regensburg nach Wien. Dampfschiffe gab es erst ein paar Jahre später, daher verkehrten meist nur kleinere Boote, sogenannte „Ulmer Schachteln“. Das waren maximal zweiundzwanzig Meter lange und etwa drei Meter breite Einweg-Boote aus Lärche oder Fichte, die nur stromabwärts fuhren und am Zielort, meist Wien, Budapest oder Belgrad, verwertet wurden. Gesteuert wurden die Boote durch Ruder am Bug und Heck, auch seitlich gab es Ruder. In Bayern wurden sie oft auch „Wiener Zillen“ genannt. An Deck befand sich eine einzige kleine Kajüte. Größere Schiffe fuhren seltener.
Deutsche Auswanderer benutzten diese Schachteln seit dem 18. Jahrhundert, um nach Ungarn, Serbien oder Rumänien zu gelangen, wo sie als Donauschwaben bezeichnet wurden.
In der „Schachtel“ auf der Donau
Die Reise mit der Schachtel verlief zwar rüttelfreier, ein gewisser Nervenkitzel war aber ständiger Begleiter, denn es bestand immer Gefahr, auf einer Untiefe aufzulaufen und abrupt steckenzubleiben. Die Beschreibung des Bootes von Frau Trollope in einem Brief klingt nicht sehr vertrauenswürdig: „Wir brechen morgens auf, und ich kann Dir noch nicht sagen, ob ich mich auf die Fahrt mehr fürchte oder freue, denn wir haben das Schiff besichtigt und festgestellt, daß es nicht verheißungsvoll aussieht und auch keine Bequemlichkeit bieten wird.“ Das Deck des Bootes ist trotz der „schlüpfrigen Oberfläche“ durch kein Geländer gesichert. Sanitäre Einrichtungen gibt es nicht. Man kann sich vorstellen, wie es ist, wenn man muss...
Von „balsamischen Düften“ an Board
Ein anderer Reisender, Kaspar Riesbeck, beschrieb genau diese „Umstände“ etwa fünfzig Jahre früher wie folgt: Man müsse auf der Schiffsseite in eine Öffnung absteigen „um seine Notdurft zu verrichten. Da diese Kloake keinen Ausfluß hatte und auch kein Schiffsjunge da war, sie zu reinigen, so kannst du dir leicht vorstellen, daß das ganze Schiff immerfort mit ´balsamischen´ Düften angefüllt war.“
Gegessen wurde zumindest einmal am Tag in Wirtshäusern, bedient von jungen Mädchen, „die ziemlich viel guten Willen äußern, die Fremden nicht bloß zu Tische zu bedienen.“
Die Reise dauerte üblicherweise vier bis sechs Tage, gefahren wurde nur bei Tageslicht. Geschlafen wurde an Bord, am Boden zwischen Kisten und Säcken. Anspruchsvollere Reisende nächtigten in Gasthäusern.
National Portrait Gallery, London, ref. 3906
Regensburg – „eine sehr hübsche Stadt“
Frances Trollope startete ihre Reise nach Wien also in Regensburg. Zuvor hatte sie schon halb Deutschland bereist und beschrieben.
Regensburg („eine sehr hübsche Stadt“), wo sie sich samt Begleitung einige Tage aufhielt, machte einen sehr guten Eindruck. Sie besuchte mit einem lokalen Führer natürlich die Kathedrale („die schönste, die wir seit unserer Abreise aus Frankreich gesehen haben“), das „ehrwürdige“ Rathaus samt den Folterkammern im Keller, „die Schrecken jener finsteren Zeiten, die vergangen sind“. Sogar ein Ausflug in die Gedenkstätte Walhalla (die erst 1842 offiziell eröffnet wurde) stand am Programm. Dann ging die Reise los.
Abenteuerliche Übernachtung
Zunächst begann die Schifffahrt überraschend angenehm. Trollope, die mitreisende Zofe und der begleitende Maler Auguste Hervieu, der seit ihrer Zeit in England mit der Familie befreundet war, fanden eine Ecke am Schiff, wo sie sich zurückziehen und die schöne Landschaft in der Herbstsonne betrachten konnten. Hervieu fertigte zu den Reiseberichten von Frances Trollope zahlreiche Illustrationen an.
Doch mit einsetzendem Regen begann der Ärger! Unter Deck verstellten zahlreiche Kisten den Platz, intensiver Zigarettenrauch überdeckte zwar penetrante Körpergerüche, störte jedoch besonders die Damen.
Als besonders unangenehm beschreibt Trollope eine Übernachtung in Pleinting bei Vilshofen, wo der kleinen Gruppe ein Sechsbettzimmer angeboten wurde, in das zusätzlich noch fremde Männer einquartiert werden sollten. Erst nach heftigen Protesten gestattete der Wirt, dass die Gäste die Betten der Damen in eine winzige Kammer tragen durften und ließ sich für die Erlaubnis noch einen saftigen Aufpreis bezahlen. Und am nächsten Morgen verlangte er überhaupt von allen Gästen gleich das Doppelte. Diese weigerten sich, mehr zu bezahlen, darauf schickte der Wirt einen Mann zum Schiff, der die Gäste attackierte. Es kam zu einer Schlägerei. Die Polizei im benachbarten Vilshofen sollte den Fall später klären, das Schiff konnte ablegen.
Keine frisch überzogenen Betten, keine Heizung, ganz anders: Linz
Während Passau auf Trollope sehr „freundlich“ wirkte, wartete das nächste Abenteuer in einem Gasthof in Engelhartszell, wo den Gästen erklärt wurde, es sei nicht üblich, die Betten für die Gäste frisch zu überziehen. Auch wurde nicht geheizt, obwohl ein kalter Wind durch die undichten Fenster wehte. Was für ein Gegensatz dazu war Linz, wo die Vorteile, des „civilisierten Schwarzen Adlers“, der „so oft übersehene Bequemlichkeiten“ bot, von der schwer geprüften Lady deutlich hervorgehoben wurden! Doch auch in Linz geschah Unglaubliches: Ein Polizist lud einige der Schiffspassagiere, die nach dem Vorfall von Pleinting in die Schlägerei verwickelt waren, auf die Polizeistation vor und teilte ihnen mit, dass alles rechtens sei: Sie müssten den Wucher natürlich nicht bezahlen, der Wirt würde vom Gericht in Vilshofen entsprechend bestraft werden. Das nennt man schnelle, grenzüberschreitende Polizeiarbeit!
Die Schifffahrt Richtung Wien verlief weitgehend problemlos und sicher. An gefährlichen Stellen kam ein lokaler Lotse an Bord, der den Kapitän unterstützte. So verloren auch die gefürchteten Strudel der Wachau ihren Schrecken, wo ein anderer Vorfall für kurze Aufregung sorgte: Ein kleines Boot kam auf die „Schachtel“ unserer Reisenden zu, hakte sich fest, und der Fährmann bat um ein kleines Almosen...
„Des Schiffes überdrüßig“
Bald war Wien erreicht, doch nur fast: Dem Kapitän gefiel es aus unerklärten Gründen, seine Passagiere schon bei Klosterneuburg, etwa zwanzig Kilometer westlich von Wien an Land zu setzten. Die Reisenden ließen sich das gefallen, da sie „des Schiffes überdrüßig“ waren. Lady Trollope und Begleitung gelangten per Kutsche nach Wien – nun konnte sie endlich mit der Recherche für ihr neues Werk „Wien und die Österreicher“ beginnen.
Gastartikel Wolfgang Ludwig