Vor hundert Jahren starb die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield, deren Kurzgeschichten auch im deutschen Sprachraum sehr populär sind und die eine besondere Beziehung zu Bayern hatte. Ihr Leben verlief chaotisch, glücklich war sie weder in ihrer Heimat noch in Europa. Mansfield starb mit nur 34 Jahren.
Diesmal sollten die Kinder die nachmittägliche Gartenparty vorbereiten. Mutter wollte sich raushalten. Laura musste entscheiden, wo die Handwerker das Partyzelt und die Tische am besten aufstellen sollten.
Doch mitten in der Idylle des friedlichen Morgens platzte die Bombe: Ein Lieferant, der Speisen für die Party lieferte, verkündete, dass ein junger Fuhrmann aus der unmittelbaren Nähe bei einem Unfall heute Morgen ums Leben gekommen sei. Er hinterlässt eine Frau und fünf Kinder. Laura, die ihn vom Sehen kannte, war schockiert. Sie wollte die Party sofort absagen. „…wir können doch nicht eine Gartenparty veranstalten mit einem Toten draußen vor dem Tor.“
Die Sache mit dem Toten wissen wir nicht so genau, so eine Party fand aber wahrscheinlich wirklich statt: Im Garten von Tinakori Road 75 in Wellington, Neuseeland. 1898 war Katherines Familie in diese gehobene Wohngegend gezogen, von der man aber hinunter auf das damalige Armenviertel von Thorndon sehen konnte.
Da ihr Vater einen hohen Posten bei der Bank of New Zealand innehatte und ihre Mutter das gesellschaftliche Ansehen sehr genoss, lud man sicher öfters zu Partys im Haus der Beauchamp. Und sehr wahrscheinlich hätte ihre Mutter wegen eines solchen „Vorfalls“ die Party nicht abgeblasen. In der Kurzgeschichte „The Garden Party“ (1922 erschienen) fand sie folglich auch statt, denn als Laura der Mutter ihre Absicht berichtete, weigerte sie sich, die Tochter ernst zu nehmen: „Aber mein liebes Kind, sei doch vernünftig. Wir haben es ja nur durch Zufall erfahren. Wenn jemand dort auf normalem Wege gestorben wäre – und ich verstehe sowieso nicht, wie sie in diesen dumpfigen, kleinen Löchern am Leben bleiben -, dann würden wir doch unsere Party auch geben, nicht wahr?“
Die Party fand also statt, am Abend jedoch besuchte Laura die Familie und brachte Reste vom Buffet mit. Das Mädchen aus gutem Haus kam sich in der Trauerfamilie extrem deplatziert vor.
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Frühe Liebe
Katherine Beauchamp (die sich später Mansfield nannte), wurde am 14. Oktober 1888 als drittes von fünf Kindern in Wellington geboren. Mit zehn Jahren machte sie ihre ersten Schreibversuche. Später schrieb sie Kurzgeschichten und Erzählungen, die meistens stark autobiographisch angelegt waren. Daher können wir aus ihren Texten viel über ihr Leben erfahren. Schon sehr früh, mit vierzehn, hatte sie sich in den Musiker Arnold Trowell, bei dessen Vater sie Cello - Unterricht nahm, verliebt. Arnold hielt zwar jahrelang Kontakt zu ihr, erwiderte aber ihre Gefühle nie.
London versus Wellington
Fast zwei Jahre ihrer Schulzeit verbrachte sie in London. Als sie im Dezember 1906 wieder nach Neuseeland zurückkehrte, wurde ihr die provinzielle Enge der Kolonie am Ende der Welt richtig bewusst und sie wollte so bald wie möglich wieder weg. Ihre Familie gehörte zur „Bridge und Golf- Society“ von Wellington, was sie anwiderte. Viele Einträge in ihrem Tagebuch zeigen, wie gelangweilt und abgestoßen sie sich fühlte. In einem Brief an eine Freundin heißt es: „I feel absolutely ill with grief and sadness there – it is a nightmare…”. Immer verglich sie Wellington mit London, die Neuseeländer mit den Engländern, den weltstädtischen mit dem kleinstädtischen Lebensstil – und revoltierte dagegen, indem sie sich auf Arnold Trowell fixierte, von dem sie Erlösung aus der Enge erhoffte, mit ersten lesbischen Erfahrungen, und mit Ablehnung der Unterdrückung der Maori. Konflikte mit den Eltern waren die logische Folge.
Im Juli 1908 hatte sie endlich ihr Ziel erreicht: Ihr Vater gestatte ihr eine erneute Reise nach Großbritannien, von der sie nie mehr zurückkommen sollte.
Hartes Leben in Europa
Am 24. August 1908 kam Katherine wieder nach England – ohne Ausbildung und mit mageren 100 Pfund jährlichem Taschengeld von den sehr wohlhabenden Eltern.
Sie lebte in billigsten Pensionen, traf sich wieder mit ihrer aussichtslosen Liebe Arnold Trowell, der in London als Musiker arbeitete und sich bald endgültig von ihr lossagte – und ließ sich mit seinem Bruder ein. Auch dieser machte auf Druck seiner Familie bald mit ihr Schluss und ließ Ende 1908 eine schwangere Katherine zurück. In ihrer Verzweiflung ging sie wieder eine lesbische Beziehung mit einer alten neuseeländischen Freundin ein, griff immer öfter zum Schlafmittel Veronal und ließ sich bald mit dem Musiker George Bowden ein. Am 02. März 1909 heiratete sie George, den sie in keiner Weise liebte. Ihr Hochzeitskleid war bezeichnenderweise schwarz. Als George sich ihr in der Hochzeitsnacht zu nähern versuchte, erklärte sie ihm, frigide zu sein und verließ ihn am nächsten Tag.
Solche Dinge sprachen sich auch in einer Weltstadt wie London schnell herum, schließlich gelangte die Fama ins ferne Neuseeland. Katherines Mutter war entsetzt, als sie die Gerüchte erfuhr und nahm das nächste Schiff nach England, wo sie am 27. Mai 1909 ankam. Der Mutter ging es in erster Linie um den guten Ruf, ein enges Verhältnis zu ihrer Tochter vermochte sie nicht herzustellen. Da auch sie die Ehe nicht retten konnte, arrangierte die Mutter für Katherine einen Aufenthalt bei den Dominikanerinnen im weit entfernten Wörishofen (damals noch ohne „Bad“), das Pfarrer Kneipp zu einem bekannten Kurort gemacht hatte. Auf den Ort war sie durch persönliche Empfehlungen gestoßen. Am 10. Juni, nach nur zwei Wochen Aufenthalt in Europa, war Mutter schon wieder am Weg nach Neuseeland. Die hochschwangere Tochter ließ sie in der fremden Umgebung zurück. Katherine hielt es nicht lange bei den Klosterschwestern und den verordneten Kneipp – Wassertherapien aus und wohnte lieber in einfachen Hotels und Pensionen. Ende August erlitt sie eine Fehlgeburt.
In einer bayrischen Pension
In Wörishofen lernte sie etwas Deutsch, hatte Beziehungen zu Männern, unter anderem zu einem österreichischen Journalisten. Um sich über den Verlust des Kindes zu trösten, ließ sie sich ein achtjähriges, unterernährtes Kind aus den Londoner Slums nach Wörishofen vermitteln, päppelte es auf und schickte es nach einigen Wochen ohne weitere Zukunftschancen in die Slums zurück. In der Sammlung „In A German Pension“ (1911) sind ihre Erfahrungen in Deutschland verarbeitet.
Diese Sammlung von Kurztexten war ihr erster literarischer Erfolg. Das Personeninventar besteht hauptsächlich aus merkwürdigen Kurgästen, mit denen die Ich-Erzählerin meist nur als stille Beobachterin Kontakt hat: Frau Fischer, der Herr Rat, der Baron, der Oberregierungsrat erzählen in handlungsarmen Geschichten in einfach gehaltenem Englisch diverse Banalitäten und betonen ihr negatives Bild von England. Auffällig sind die zahlreichen Germanismen in den Texten, etwa wenn der Herr Rat über seine Magenprobleme spricht: „That is what I need. My ´magen´ has not been in order for several days.” – “How interesting”, ist alles, was die Ich-Erzählerin dazu meint. In dieser Gesellschaft ist auch eine seltsame Witwe anwesend. Als sie erfährt, dass die Erzählerin Vegetarierin sei und noch dazu keine Familie habe, äußert sie die Ansicht, dass man in England überhaupt keine großen Familien habe, denn: „I suppose you are too busy with your suffragetting. Now I have had nine children.“ Der Herr Oberlehrer, der die Unterkunftsmöglichkeiten in Deutschland und England vergleicht, meint in mäßigem Englisch: „It must be very interesting for you, gnadige Frau, to be able to watch (…). Now, in England, your ´boarding´ ´ouse´ (sic) one does not find the first class, as in Germany.“
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Trauriges Leben
Im Jänner 1910 kehrte Katherine depressiv, kränklich und ohne Geld nach England zurück. Kurz lebte sie wieder mit George Bowden, den sie nach der Hochzeit verlassen hatte, zusammen, hatte auch andere Bekanntschaften, litt an einer Bauchfellentzündung, an Tripper, an einer Lungenentzündung und hatte eine Abtreibung. Einige Jahre war sie mit dem Schriftsteller John Middelton Murray (1889 – 1957) liiert, den sie später heiratete – auch diese Beziehung war nicht glücklich. Literarisch hatte sie sich inzwischen einigermaßen etabliert, die Einnahmen blieben wegen schlechter Verträge jedoch dürftig. Im Juni 1911 kamen ihre Eltern anlässlich der Krönung von George V. noch einmal aus Neuseeland zu Besuch und blieben fast zehn Monate. Trotz des langen Aufenthaltes erkannten sie die gesundheitlichen Probleme und die finanziellen Schwierigkeiten der Tochter, die vieles geheim zu halten versuchte, nicht. Ab Dezember 1911, nach dem Erscheinen von „In A German Pension“, ging es zumindest finanziell etwas besser. Es folgten weitere Veröffentlichungen in Zeitungen und in Buchform. „Bliss and Other Stories“ war sehr erfolgreich, ebenso „The Garden Party“ (1922), die ihre neuseeländische Vergangenheit thematisiert.
Irgendwann vor 1920 erkranke Katherine Mansfield an Tuberkulose. Da die Schulmedizin nichts für sie tun konnte, begab sie sich wie ein letztes Aufbegehren in Behandlung des griechisch- armenischen Esoterikers Georges Gurdjeff nach Fontainebleau, der auch nicht mehr helfen konnte. Zwei Tage vor ihrem Tod schrieb sie voller Hoffnung einen Brief an eine Freundin in London: “When this time is over I shall make for the South or the East & never go North again.” Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Katherine Mansfield starb am 9. Jänner 1923 in Fontainebleau, wo sie – weit von ihrer Familie – auch begraben liegt.
Sie hinterlässt 73 Erzählungen, Kurzgeschichten, Gedichte und Fragmente. Ihre Charakterstudien und die meisterhafte Beobachtungsgabe machten sie zu einer hervorragenden Vertreterin moderner Kurzprosa.
Wolfgang Ludwig