Regensburg und sein einzigartiges Flair sind geprägt von den großartigen Bauten. Die kleinen verwinkelten Gässchen, in denen hinter jeder Ecke ein anderes kleines Café oder eine schicke Boutique wartet, verleihen Regensburg dabei seinen ganz besonderen Charme. Doch aktuell hat man beim Stadtbummel das Gefühl, dass immer mehr Geschäfte leer stehen.
Zieht man rund um den Neupfarrplatz durch die Straßen, stechen einem sofort mehrere leere Schaufenster ins Auge. Immer darauf wartend, dass vielleicht ein „Coming Soon“-Schild im Fenster hängt, beobachten viele Regensburger:innen die aktuelle Lage mit Sorge. So steht etwa das Gebäude, in dem ehemalig die Modekette ZARA beherbergt war, bereits seit Ende des vergangenen Jahres leer. Das Café Alex ein paar Häuser weiter hat derzeit wegen Umbauarbeiten geschlossen und auf der gegenüberliegenden Seite des Neupfarrplatzes ist im Aloha Poke Anfang des Jahres die letzte Bowl über die Ladentheke gegangen. Auch Stadtamhof ist von einigen Schließungen betroffen. Mit welchen Problemen haben Laden-Inhaber derzeit zu kämpfen? Kann hier bereits von „Altstadtsterben“ die Rede sein? Oder ist die Situation gar nicht so schlimm, wie manche angesichts der leerstehenden Gebäude im Herzen Regensburgs befürchten? Wir haben bei der Stadt Regensburg, Faszination Altstadt sowie dem Stadtmarketing Regensburg nachgefragt.
Personalmangel und verärgerte Kunden?
Fragt man nach den Gründen für die Leerstände, erklärt Stephan Bergmann, der als „Altstadtkümmerer“ für die Stadt Regensburg tätig ist, dass diese sehr unterschiedlich seien und in der Regel mehrere Faktoren zusammenkämen: „Ein aktuelles Phänomen ist sicher der Bedarf an Arbeitskräften. Für die Gastronomie und den stationären Einzelhandel ist diese Entwicklung besonders spürbar und zeigt sich beispielsweise in der Reduzierung von Öffnungszeiten oder im schlimmsten Falle in einer Geschäftsaufgabe.“ Die unterschiedlichen Öffnungszeiten würden laut Michael Quast, Geschäftsführer des Stadtmarketing Regensburg e.V., bei vielen Kunden zur Verwirrung führen. „Viele Geschäfte haben in den ersten Monaten im Jahr sogar Montag und Dienstag geschlossen, einige schließen um 18.00 Uhr, andere erst um 19.00 Uhr. Vielerorts fehlt es an Personal, wodurch das Geschäft zum Teil mittags schließen muss – welcher Kunden ist da nicht verärgert?!“
Die größte Herausforderung sei seiner Meinung nach jedoch, den Kund:innen einen Mehrwert zu bieten – „Kaufe bei mir und nicht im Internet, wo es gegebenenfalls ein bisschen günstiger ist. Kundenfreundlichkeit und Kundenbindung ist so wichtig wie nie zuvor.“
Lieber Leerstand als geringere Mieten
Quast verweist ebenfalls auf hohe Mieten, die sich viele Inhaber:innen nicht mehr leisten können: „Im Einzelhandel haben die Vermieter zum Teil überzogene Mietvorstellungen, diese sind realistischerweise nicht mehr erzielbar.“ Er kritisiert dabei, dass Vermieter:innen häufig lieber einen Leerstand in Kauf nehmen würden als mit dem Mietpreis runter zu gehen. Die Stadt bekomme immer wieder Anfragen bezüglich einer Eindämmung der enormen Mietpreise, erzählt Bergmann, betont jedoch, dass die Stadt keine Eigentümer:innen von Immobilien dazu verpflichten könne, ihre Ladenlokale zu vermieten. „Ebenso dürfen wir keine Mietkonditionen oder Mietkonzepte bis ins kleinste Detail vorgeben. Es handelt sich um Privateigentum, das aus gutem Grund geschützt ist und auf das wir daher keinen Zugriff haben.“
Regensburger Innenstadt als „schwieriges Pflaster“ für kleine Geschäfte?
Doch auch wenn die Miete noch so gering und die Besucherzahlen noch so hoch sind – wenn das Konzept die Kund:innen nicht zum Einkauf in der Stadt bewegt, werden keine Umsätze generiert. So entscheidet letztendlich das Kaufverhalten der Konsument:innen maßgeblich darüber, welche Läden und Gastronomiebetriebe sich langfristig halten können. Quast kann die Kund:innen jedoch zum Teil verstehen: „Wenn man bedenkt, dass man mittlerweile schon gar nicht mehr weiß, ob man ein bestimmtes Produkt in der Altstadt überhaupt bekommt, bestellen viele im Internet. Dieses Verhalten – einfacher, schneller, zeitsparend – aus den Köpfen der Konsumenten wieder rauszubekommen, ist eine Mammutaufgabe.“
Stephan Bergmann und Ingo Saar bestätigen, dass die Erhaltung eines Geschäfts durchaus anspruchsvoller geworden sei, sehen die Schwierigkeiten jedoch nicht per se an die Lage in der Altstadt gekoppelt, sondern sind der Meinung, dass Einkaufszentren und andere Handelslagen ebenso betroffen seien. Quast stellt jedoch heraus, dass die Center durchaus Vorteile in Bezug auf ein starkes gemeinsames Marketing, kostengünstige Parkplätze und gute Erreichbarkeit hätten. Mit Saar ist er sich in dem Punkt einig, dass die Regensburger Altstadt nicht mehr primär Einkaufs-, sondern Erlebnisstandort sei. Dinge wie „mit einem Eis durch die Stadt schlendern“ seien für viele wichtiger als ein Einkaufsbummel.
Gähnende Leere oder spannende (Wieder)eröffnungen?
Großes Sorgenkind scheint, ähnlich wie im vergangenen Jahr, der Neupfarrplatz zu sein. Bergmann sieht hier die Größe der leerstehenden Immobilien als größte Herausforderung. Umso erfreulicher ist die Nachricht, dass in das Gebäude, in dem ehemals die Modekette ZARA beherbergt war, ein neuer „Hochkaräter“ einziehen wird. Altstadtkümmerer Bergmann berichtet, dass im Herbst dieses Jahres der Herrenausstatter Anson’s dort eröffnen werde und ist sich sicher, dass dieser die Angebotsvielfalt erhöhen und den Mode-Standort Altstadt stärken werde. Rund um den Neupfarrplatz ist auch die Drei-Helm-Gasse seit einiger Zeit sehr „verlassen“. Hier öffnet jedoch demnächst ein 24/7 Store im ehemaligen Royal Donuts. Dieser bietet 24 Stunden am Tag Süßwaren, Getränke, Snacks, USA-Food & Drinks und Kaffee an. Für das ehemalige Aloha Poke gibt es laut Aussagen des Vermieters ebenfalls einige Interessenten, auch aus dem Einzelhandelsbereich. Vermietet ist hier jedoch noch nichts. Auch Ingo Saar hat erfreuliche Nachrichten: „In der Maximilianstraße 29/Ecke Ernst-Reuter-Platz können wir uns auf eine attraktive Neueröffnung eines Modegeschäftes Ende März freuen.“
Laut Quast sei insbesondere der untere Teil der Maximilianstraße, in dem sich die Buchhandlung Bücherwurm befinde, immer noch mit viel Leerstand behaftet. „Die Pfauengasse und Schwarze-Bären-Straße sehen wir auch etwas kritisch“, meint Quast. Letztere habe jedoch das große Glück, das Zugpferd „Schreiner“ zu haben. Bergmann berichtet von einem neuen Projekt im Kulturbereich, das die Leute in die Maximilianstraße ziehen solle. Die Rede ist vom Kulturort M26. „Hier hat das Kulturamt der Stadt im Januar die einjährige Zwischennutzung gestartet.“
Blickt man auf die andere Seite der Donau, gibt es auch dort positive Entwicklungen zu vermelden. So werden die Räumlichkeiten des ehemaligen Curry&Style in Stadtamhof von einem Burger-Restaurant angemietet. „Darüber hinaus wird der Besitzer der Kuchenbar, [Thomas Winter], direkt nebenan in der ehemals als Eisdiele genutzten Fläche eine Aperitivo-Bar eröffnen“, bestätigt Bergmann. „Beide Konzepte passen hervorragend zum Stadtteil und werden die gastronomische Vielfalt in Stadtamhof erweitern und damit die Standortattraktivität erhöhen.“ Neben diesen und einigen weiteren bereits erfolgten und noch anstehenden Neueröffnungen teilte der Altstadtkümmerer zudem mit, dass es bei den meisten anderen leerstehenden Objekten in der Altstadt Entwicklungen unterschiedlicher Art gebe, von denen die Stadt wisse. Näheres wollte er hierzu nicht mitteilen.
Einige Eigentümer:innen führen darüber hinaus umfassende Modernisierungs- oder Sanierungsmaßnahmen durch. Dazu zählt etwa das Alex mitten am Neupfarrplatz. Wer bislang mit Sorge an dem derzeit geschlossenen Café vorübergegangen ist, sei beruhigt: Hier finden lediglich große Umbauarbeiten statt, sodass das Alex dann Mitte April mit neuem Konzept in neuem Glanz erstrahlen kann.
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Konzepte gegen die Abwanderung: Events, Mobilität und mehr Grün für die Stadt
Nichtsdestotrotz muss das Ziel weiterhin sein, dass Menschen die Geschäfte der Innenstadt besuchen anstatt im Internet auf Schnäppchenjagd zu gehen. Um das zu erreichen, hat sich die Stadt verschiedene Konzepte überlegt. Besonders stolz ist Bergmann auf das nahezu ganzjährige und hochwertige Veranstaltungsprogramm, das auch mit städtisch organisierten Events gespickt sei. Dieses solle regelmäßig Anlässe bieten, um die Altstadt immer wieder aufs Neue zu entdecken. So ist das Jahr 2023 beispielsweise mit dem Winterzauber am Neupfarrplatz gestartet, wo noch bis zum 12. März auf Kunststoffeis Schlittschuh gelaufen werden kann. Ebenso hat es Ende Januar mit dem internationalen Jazzfest ein neues Veranstaltungsformat gegeben, das in der ruhigsten Zeit des Jahres Besucher:innen in die Stadt gelockt hat.
Für die Erreichbarkeit und das Mobilitätsverhalten innerhalb der Altstadt soll weiter am Verkehrsmaßnahmenplan für die Altstadt gearbeitet werden. Bergmann hebt hervor, dass im Mobilitätssektor während der letzten zehn Jahren bereits viele neue Möglichkeiten geschaffen wurden, um von A nach B zu kommen: E-Scooter, Lastenräder und Carsharing seien hierfür Beispiele.
Um die Attraktivität des Weltkulturerbes Regensburger Altstadt und Stadtamhof weiter zu steigern, kündigte Bergmann für das Frühjahr zudem an, dass das städtische Gartenamt neue Pflanztröge in der Maximilianstraße, am Neupfarrplatz und am Marc-Aurel-Ufer errichten werde. Hiermit kommt die Stadt dem Wunsch vieler Bewohner:innen und Geschäftsleute nach mehr Grün in der Altstadt nach. Er bestätigt außerdem eine Ausweitung der Freisitze über 2022 hinaus – die wieder zahlreiche Möglichkeiten bieten, draußen zu verweilen.
Altstadtsterben oder nur „Saure-Gurken-Zeit“?
Die Angst vor einem Altstadtsterben scheint die Regensburger:innen besonders häufig in den tristen Wintermonaten zu überkommen. Da sich zu dieser Zeit allgemein weniger Leute in der Stadt aufhalten, verstärkt sich der Eindruck einer „leerstehenden Stadt“. „Januar und Februar sind traditionell ‚Saure-Gurken-Zeit‘ im Einzelhandel, vor allem, weil die Frequenz in der Altstadt schon wetterabhängig ist. Dafür kann man in den Sommermonaten beobachten, wie gut besucht die Altstadt ist“, bekräftigt Saar. Eine erfreuliche Ausnahme bilde in den kalten Monaten die Weihnachtszeit, in der die Altstadt laut Michael Quast sehr gut besucht gewesen sei, was sich auch im Umsatz bemerkbar gemacht habe: „Attraktive Events sorgen immer für eine gute Frequentierung der Altstadt“, so seine Begründung.
Betrachtet man die gesamte Altstadt, bestehe laut Bergmann kein Grund zur Panik: „Die aktuelle Leerstandsquote beträgt laut der letzten Erhebung im September 2022 8,3 Prozent. Im Vergleich zu den Vorjahren (2021 = 7,7 Prozent, 2020 = 8,3 Prozent, 2019 = 8,4 Prozent) ist der Wert in etwa stabil geblieben und verdeutlicht, dass die Altstadt erstaunlich krisensicher ist.“ Bezüglich eines Altstadtsterbens mache er sich auch aufgrund der Nachfragesituation nach geeigneten Flächen deshalb keine Sorgen.
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Altstadt im Wandel – doch das Wichtigste bleibt
„Wir haben rund um den Neupfarrplatz eine Konzentration von Leerständen, die ins Auge sticht und weh tut“, resümiert Ingo Saar. Die Aussage, dass immer mehr Läden schließen, wolle er jedoch nicht so stehen lassen. „Die Altstadtgeschäfte haben sich in der Pandemie insgesamt erfreulich gut geschlagen, viele laufen wieder auf Vor-Krisen-Niveau.“ Als weiteren Vorteil nennt er, dass sich die Altstadt in der Vergangenheit zur „Feinkostabteilung des Supermarktes Regensburg“ entwickelt habe. „Heute kommt ihr das zugute, weil viele Geschäfte überdurchschnittlich kaufkräftige Kunden bedienen, die ihr Kaufverhalten auch in wirtschaftlich schwierigen Situationen kaum einschränken.“
Insgesamt scheint sich in Regensburg ein Wandel zu vollziehen, wobei jeder Wandel immer Chancen mit sich bringt. Altstadtkümmerer Bergmann ist sich sicher: „Uns wird es in 20 oder 30 Jahren genauso gehen wie heute, wenn wir Fotos aus der Altstadt aus zurückliegenden Jahrzehnten betrachten und darauf scheinbar vollkommen Unbekanntes entdecken. Unsere Altstadt ist seit Jahrhunderten ein sehr gut funktionierender Stadtteil. Das wird so bleiben.“ Zum Stichwort positiver Wandel nennt Bergmann exemplarisch die Wahlenstraße, da diese sehr schön aufzeige, welch positive Entwicklung eine Straße dadurch nehmen könne, wenn Aufenthaltsqualität durch eine barrierefreie Gestaltung, zusätzliche Aufenthaltsbereiche und Freisitze ermöglicht würde: „Die Wahlenstraße hat sich in kürzester Zeit zu einer Top-Adresse in der Altstadt entwickelt.“
Die Situation scheint also weit weniger schlimm zu sein, als die Leerstände am Neupfarrplatz Glauben machen. Denn auch wenn viele die Schließungen der Läden, die sie ins Herz geschlossen haben, sehr bedauern, so können sie sich doch stetig über spannende Neueröffnungen freuen. Es bleibt zu hoffen, dass die vielen unterschiedlichen kulturellen und gastronomischen Facetten der nördlichsten Stadt Italiens weiterhin Bewohner:innen und Besucher:innen in die Innenstadt ziehen und jede:r einzelne maßgeblich dazu beitragen wird, dass das noch lange so bleibt.
Marina Triebswetter | filterVERLAG