Weiter geht’s mit unserer Reihe zu Regensburgs Städtepartnerschaften! Dieses Mal: Pilsen, der Urquell des beliebten Biers und eine Stadt mit einer bewegten Geschichte. Wir werfen einen Blick darauf, welche Vergangenheit in den Mauern der böhmischen Perle steckt.
Puffs, Pils und Prag – unseren tschechischen Nachbaren wird oft genug unterstellt, das Land hätte aus deutscher Perspektive nicht mehr zu bieten. Wer jedoch einen Blick über den Tellerrand wagt, entdeckt schnell, dass Tschechien hinter dem Grenzgebiet nicht aufhört und vor Kultur, Historie und Kulinarik geradezu strotzt. So auch Pilsen, eine weitere Partnerstadt Regensburgs, die im Vergleich zur großen Schwester Praha fast schon stiefmütterlich behandelt wird. Im dritten Teil zu den Städtepartnerschaften werfen wir einen Blick auf Pilsen, die Kultur und die Geschichte der Stadt.
Die Schwester im Osten?
Nachdem die Reise durch die Partnerstädte Regensburgs von Odessa in der Ukraine ins schottische Aberdeen ging, richten wir unseren Blick nun wieder gen Osten und landen in Pilsen. Die Stadt im Westen der Tschechischen Republik liegt ziemlich mittig auf der Strecke zwischen Regensburg und Prag – nicht ohne Grund. Denn Pilsen sollte ein Umschlagsplatz für den Handel zwischen Böhmen und Bayern werden und wurde mit diesem Ziel im Hinterkopf immer weiter ausgebaut. Das verbindet die beiden ehemaligen Handelsstädte bis heute und ist mitunter einer der Gründe für die erfolgreiche Partnerschaft zwischen Regensburg und Pilsen seit über 30 Jahren.
Von der Monarchie bis zum Kommunismus
Wer an die Geschichte Tschechiens und Pilsens denkt, denkt wahrscheinlich nicht zuerst an das Königreich Österreich-Ungarn. Dabei hat das Gebiet, das heute die Tschechische Republik darstellt, noch bis zum Ende des Ersten Weltkriegs der Österreichischen Krone angehört und verabschiedete sich erst nach Kriegsende von der Monarchie – um die Erste Tschechoslowakische Republik zu gründen. Dass diese nicht überlebte, wird allein schon durch die Benennung klar: Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte die zweite Tschechoslowakische Republik, die gemeinhin eher als kommunistische Tschechoslowakei bekannt ist. Zuerst musste jedoch die erste Republik fallen – wofür spätestens das Münchner Abkommen sorgen sollte.
Wegen des Münchner Abkommens wurden Teile Tschechiens an das Dritte Reich abgetreten und auf einmal wurde aus Pilsen, der Stadt im Herzen Böhmens, eine Grenzstadt. Die vielen Sehenswürdigkeiten und Errungenschaften der Stadt wurden umfunktioniert oder umgedeutet – was jedoch dazu geführt hat, dass viele von ihnen den Krieg überlebten und bis heute erhalten geblieben sind. Die Škoda-Werke, die Große Synagoge oder die beeindruckende St. Bartholomäus-Kathedrale im Herzen der Stadt – sie alle zeugen von der bewegten Geschichte Pilsens, wenn auch mit einigen Schrammen. Das sorgt jedoch dafür, dass Tourist:innen immer wieder überwältigt davon sind, was die böhmische Perle, die 2015 sogar europäische Kulturhauptstadt war, zu bieten hat.
Geschichte im Herzen der Altstadt
Dass die Große Synagoge in Pilsen den Zweiten Weltkrieg und die Sowjetherrschaft überdauerte, grenzt beinahe an ein Wunder. Sie ist nicht nur die zweitgrößte Synagoge Europas aus dem 19. Jahrhundert – nach der Großen Synagoge in Budapest –, sondern auch eine beeindruckende Mischung an verschiedenen Baustilen und Kunstrichtungen. Die Zwiebeltürme erinnern an orthodoxe Basiliken, während die Decke im Inneren durch arabische Malereien geschmückt wird. Dazu kommt ein Tora-Schrein, der Elemente indischer Baukunst in das Innere der Synagoge bringt. Auch wenn der Bau bis heute beeindruckt, sahen die Pläne ursprünglich noch gewaltiger aus: Der Architekt Max Fleischer hatte ursprünglich vorgesehen, dass die Synagoge prachtvoll am Hauptmarkt Pilsens thronen sollte – was jedoch vom Stadtrat abgelehnt wurde, da sie nicht die gegenüberliegende Kathedrale überragen sollte. Fertiggestellt wurde die Synagoge erst 1893, was bedeutete, dass die jüdische Gemeinschaft in Pilsen, die damals aus mehr als 2.000 Menschen bestand, von der Alten Synagoge in den damaligen Neubau umzog.
Im Zuge der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs und der Shoah wurde der Großteil der Juden und Jüdinnen aus Pilsen im Jahr 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Zuvor wurden sie jahrelang zur Zwangsarbeit im Pilsner Stadtteil Karlov gezwungen, während sowohl die Alte als auch die Große Synagoge zu Lagerräumen degradiert wurden – was jedoch dafür sorgte, dass die bedeutungsreichen Gebäude überlebten. Seitdem wurde die Synagoge aufwendig renoviert, da sie im tschechoslowakischen Kommunismus nicht instandgehalten wurde und dient nun nicht nur als Gebetshaus, sondern auch als Ort kulturellen Austauschs.
Die Škoda-Werke: Mehr als „nur“ Industrie
Aber nicht nur die Synagoge wurde zeitweilig zweckentfremdet: Die in Pilsen ansässige Industrie wurde ebenfalls für die Zwecke anderer genutzt. So auch die berühmten Škoda-Werke: Sie wurden 1869 durch Emil Škoda erbaut, dem Begründer einer Automarke, deren Modelle bis heute in ganz Europa über die Straßen rasen. Während die Ansiedlung der Industrie zunächst einen wirtschaftlichen Aufschwung für Pilsen und die Bewohner:innen der Stadt bedeutete, steckt noch viel mehr Geschichte in den Wänden der Industriehallen.
Hier wurden nicht nur Waffen für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg produziert, sondern auch die Arbeiterbewegung Tschechiens vorangetrieben: Der Aufstand von Pilsen war die Reaktion auf eine Währungsreform durch die Tschechoslowakische Regierung im Jahr 1953. Die Arbeiter:innen der Škoda-Werke wehrten sich, indem sie in das Rathaus der Stadt einbrachen und jegliche Symbole des Kommunismus entfernten. Die damalige Regierung reagierte, indem sie den Aufstand gewaltsam niederschlug. Aber der Wille der Pilsner:innen blieb ungebrochen: Während der Samtenen Revolution, die den Fall des Sowjetsozialismus in der Tschechoslowakei einläutete, protestierten auch hier die Fabrikarbeiter:innen und streikten. Tausende legten ihre Arbeit nieder und schlossen sich den landesweiten Protesten an, die letztendlich zur Auflösung der Tschechoslowakei als Satellitenstaat der Sowjetunion führen sollten.
Pilsner Urquell: Eine bayrisch-böhmische Idee
Legt man die Geschichte Pilsens einen Moment beiseite, ist die Stadt natürlich vor allem für Eines bekannt: Pilsner Urquell. Dass das „Pils“ seinen Namen hier erhalten hat, ist keine Überraschung. Dass ein Bayer hinter der Erfindung des untergärigen Biers steckt, dafür umso mehr. Mitte des 19. Jahrhunderts kam man zu dem Schluss, dass die Qualität des Biers vor Ort nicht ausreichend sei – also musste jemand her, der es besser machen sollte. Dieser jemand war Josef Groll, ein Bayer, der 1842 durch die Bürger:innen der Stadt nach Pilsen gerufen wurde, um hier als Braumeister ein modernes Bier zu brauen. Das Ergebnis kennen wir bis heute unter dem Namen „Pilsner Urquell“, ein nicht-pasteurisiertes und ungefiltertes Bier, das sich größter Beliebtheit erfreut.
Heutzutage kann man nicht nur die Brauerei besichtigen und sich durch die Erzeugnisse probieren, sondern auch einen Spaziergang durch die unterirdischen Gänge machen, die sich unterhalb Pilsens verstecken. Hier lagerten die Bürger:innen der Stadt nicht nur ihr Bier: In Krisen- und Kriegszeiten versteckten sich die Pilsner:innen in denselben Tunneln, um sich vor eventuellen Angriffen zu schützen. Heute sind die Gänge nicht mehr in Benutzung, Gäste der Brauerei können jedoch sowohl die neun Kilometer langen „Katakomben“ als auch die modernen Abfüllanlagen bestaunen, wenn sie sich für einen Besuch entscheiden.
Na zdraví und Prost!
Der kleine Einblick in das kulturelle und geschichtliche Leben der Stadt erklärt, warum Regensburg und Pilsen Schwestern im Geiste sind: Neben der Liebe zum Bier und der geteilten mittelalterlichen Vergangenheit haben sich beide Städte zu Kulturzentren ihrer jeweiligen Regionen weiterentwickelt und dabei auch harte Zeiten überlebt. Die Städtepartnerschaft, die seit 1993 besteht, war der Anfang einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit und wurde zuletzt 2018 beim 25-jährigen Jubiläum gefeiert. Darauf kann man auf jeden Fall anstoßen – mit zwei Flaschen Regensburger und Pilsner Bier.
Nicole Michalak/filter-Magazin