Die Zeit der Ansichtskarten ist längst vorbei. Für Nostalgiker gibt es sie zwar noch zu kaufen, aber lieber schickt man seine Grüße mit selber gemachten Bildern per Whatsapp oder Instagram. Früher waren die kleinen Karten aber nicht nur ein netter Gruß vom Italienurlaub, sondern auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Mittlerweile schickt man lieber eine Whatsapp-Nachricht oder postet ein Reel auf Instagram, wenn man seine Urlaubserlebnisse mit anderen teilen möchte. Früher hat man das noch über eine Ansichtskarte gemacht – eine Reise ohne Versenden von Ansichtskarten war damals ein absolutes No-go. Deshalb stellten diese auch einen zentralen Wirtschaftsfaktor dar.
Goethe hat´s vorgemacht, Generationen danach sehnten sich ebenfalls nach Italien, wegen des Klimas, der Kultur und um die Bildung unter Beweis zu stellen – Baden war damals eher noch kein Thema. Als Rom 1870 an das internationale Bahnnetz angeschlossen wurde, war die Anreise ja überhaupt ein Kinderspiel geworden.
Bildtafeln: Teurer Vorreiter der Ansichtskarte
Da man den Zuhausegebliebenen seinen Aufenthalt irgendwie dokumentieren wollte, hatten sich findige Fotografen in Italien ab 1850 darauf spezialisiert, schöne Bildtafeln zum Verkauf anzubieten. Das waren zwar noch keine Ansichtskarten – dafür waren diese frühen Fotos mit einem Preis von umgerechnet circa 50 Euro noch viel zu teuer und mit Seitenlängen von über 25 Zentimeter zu unhandlich. Im Städelmuseum in Frankfurt sind derzeit solche Fotos aus der Vor-Ansichtskartenzeit von den gängigen Attraktionen wie dem Kolosseum, der Bucht von Sorrent, Venedig oder anderen Sehnsuchtsorten zu sehen. Die Ausstellung vermittelt einen guten Überblick der fotografischen Entwicklung in Italien im 19. Jahrhundert.
Wegen der langen Belichtungszeiten bis zu einigen Minuten wirken die Bilder oft gestellt, da sich die Personen einige Zeit nicht bewegen durften.
Viele Straßen- und Portraitmaler fühlten sich damals von dem neuen Medium in ihrer Existenz bedroht und forderten sogar ein Verbot der Fotografie.
Eine Ansichtskarte von Fruchtermann aus Konstantinopel, 1903 (Wolfgang Ludwig, Privatbesitz)
Fruchtermanns Ansichtskarten
Die kleinen Ansichtskarten haben sich ab dem späten 19. Jahrhundert in mehreren Ländern fast gleichzeitig entwickelt, nicht nur im klassischen Reiseland Italien, auch in der Türkei. Ein Fotograf, der aus der Gegend von Lemberg (Lviv/Ukraine, damals Österreich-Ungarn) nach Konstantinopel ausgewandert war, entwickelte ab 1890 als einer der ersten eine perfekte Ansichtskartenproduktion mit gängigen Motiven der Stadt und wurde damit sehr reich. Besonders Reisende des Orient-Express kauften seine Karten massenweise. Natürlich fand er in der ganzen Welt rasch Nachahmer. Eine Reise ohne Versenden von Ansichtskarten wurde bald ein absolutes No-go für die Touristen. Auch die Post profitierte sehr davon.
Ende des großen Reichtums
Doch dummerweise investierte Max Fruchtermann (1852-1918) fast sein ganzes Vermögen in österreich-ungarische Kriegsanleihen – und das war´s dann mit dem Reichtum. Sein Sohn Paul führte das Geschäft des Vaters zwar weiter, aber nach dem 1. Weltkrieg kam der Tourismus nicht mehr richtig in Schwung, und bald war ohnehin Schluss mit Reisen.
Auch der junge Fruchtermann hatte einen großen Fehler gemacht. In der Gier nach Mengenrabatten bei der Produktion der Ansichtskarten hatte er weit über 600.000 Stück auf Lager, als er 1966 das Geschäft auflösen musste. Viele dieser Karten sind heute noch in Antiquariaten von Beyoglu (Istanbuls europäisches Zentrum) zu erwerben.
Der Autor dieser Zeilen konnte mit Händlern sprechen, die den jungen Fruchtermann noch kannten (und ein paar tausend seiner Karten auf die Seite geschafft hatten).
Ansichtskartenboom in Italien
Da Italien im späten 19. Jahrhundert einen sehr intensiven Tourismus erlebte, spielten die Ansichtskarten dort eine noch größere Rolle. Die alten Fotografietafeln hatten zwar einiges für sich, weil sie in großen Formaten bekannte Motive, schöne Landschaften oder besondere Ereignisse wie einen Ausbruch des Vesuvs zeigten, aber die handlichen Ansichtskarten waren als neues Massenmedium einfach billiger, leichter zu verschicken und erfüllten den Dokumentationsdrang der Reisenden.
Wie man sich in Wien um 1910 den Verkehr der Zukunft vorstellte (Kohn KG, Handkolorierter Lichtdruck): © Wien Museum 235807
Kein Abbild der Realität: Ansichtskarten als Vorläufer von Instagram?
Bilder auf Ansichtskarten waren oft bearbeitet, Unerwünschtes wurde wegretuschiert. Das Ziel war eben eine populäre, geschönte Darstellung, nicht unbedingt ein Abbild der Realität. Ansichtskarten wurden auch zu einem wesentlichen Faktor in der Tourismusindustrie, da sie bei den Empfängern Sehnsüchte erzeugten und zu Reisen animierten. Der dazugeschriebene Text war sekundär und meist auch nicht besonders originell, auf das Bild kam es an! In gewisser Weise kann man die kleinen Karten als Vorläufer von Instagram bezeichnen.
Fotografien im Städel und in Wien
Derzeit beschäftigen sich gleich zwei Ausstellungen mit Ansichtskarten beziehungsweise ihren Vorläufern. Dass das Städel in Frankfurt eine beachtliche Zahl an alten Fotografien aus Italien besitzt, geht zurück auf Johann David Passavent (1787 - 1861), einem Maler und Kunsthistoriker aus Frankfurt, ab 1840 Direktor des Städel Museums. Er verbrachte viele Jahre in Italien, interessierte sich nicht nur für Malerei, sondern auch für das neue Medium der Fotografie. Passavent kaufte vor Ort zahlreiche Stadt-, Natur- und Kunstfotografien von italienischen und anderen Produzenten für das Museum.
Das Städel zeigt bis Anfang September die Schau „Italien vor Augen – Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“ mit zahlreichen Bildern aus eigener Sammlung.
Und falls Sie bis Ende September nach Wien kommen sollten: Im Wien-Museum stehen unter dem Titel „Großstadt im Kleinformat“ alte Wiener Ansichtskarten als prägendes Massenmedium der Moderne im Mittelpunkt.
Eine Ansichtskarte aus Regensburg nach Garmisch aus dem Jahr 1954: „Regensburg ist schön“ (Wolfgang Ludwig, Privatbesitz)
Wolfgang Ludwig