Erreicht man das gegenüberliegende Ende der Steinernen Brücke, taucht man in eine andere Welt ein. In Stadtamhof scheinen die Uhren langsamer zu ticken. Der Genuss alla Italia steht ganz weit oben im heutigen In-Viertel. Dabei munkelt man, dass sich vor rund 50 Jahren noch eine Rotlichtbar an die andere reihte? Vom Leben in Stadtamhof – von damals bis heute.
Wenn man bei strahlendem Sonnenschein über die Steinerne Brücke geht – immer bemüht, den entgegenkommenden Radfahrern auszuweichen – kommt man am drüberen Ende in einer anderen Welt an. Alles wirkt etwas kleiner und der herrliche Ausblick auf den Regensburger Dom und die Stadtkulisse zieht einen förmlich in seinen Bann. Die Straße im Zentrum von Stadtamhof ist von bunten Gebäuden gesäumt. Die Hektik der Stadt scheint wie weggezaubert. Im Sommer treibt es die Menschen in die zahlreichen Restaurants und Cafés, wo sie Aperol schlürfen oder mit einer Kugel Eis ein Gefühl von Italien im Herzen Regensburgs genießen. Nicht umsonst wurden 2006 die Altstadt und das malerische Stadtamhof zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt.
Nach der einstigen Rivalität zwischen dem bayerischen Stadtamhof und der Reichsstadt Regensburg, ist der Stadtteil – obwohl der kleinste – mittlerweile einer der beliebtesten der insgesamt 18 Stadtbezirke geworden. Über die frühe Geschichte und die Rivalitäten ist mittlerweile viel bekannt. Doch wie hat sich Stadtamhof eigentlich in den letzten 50 Jahren entwickelt? Man munkelt, dass sich im jetzt so hippen In-Viertel vor nicht allzu langer Zeit noch eine zwielichtige Bar an die andere reihte.
Wir haben uns im Genusswarenladen zum Interview mit dessen Besitzer Thomas Winter, dem vorherigen langjährigen Pächter der Marien-Apotheke Karl-Heinz Prischenk sowie dem gebürtigen Stadtamhofer Richard Reil getroffen. Sie haben uns Einblicke gegeben, wie Leben und Arbeiten früher in Stadtamhof aussah und was sich heute verändert hat. Mit welchen Problemen der Stadtteil zu kämpfen hatte, wie das Verhältnis unter den Bewohnern und Geschäftstreibenden ist und warum das Leben für sie hier am lebenswertesten ist.
Karl-Heinz Prischenk, Richard Reil und Thomas Winter (v. li.)
Karl-Heinz Prischenk ist 1985 mit seiner Frau nach Stadtamhof gekommen. Damals pachtete er die Marien-Apotheke, in der sich jetzt der Genusswarenladen befindet. Seit dieser Zeit wohnt er mit seiner Familie auch hier – in den ersten zehn Jahren sogar direkt über der Apotheke im ersten Stock. 1997 konnten sie dann am Franziskanerplatz ein Haus erwerben.
Als gebürtiger Stadtamhofer wohnt Richard Reil bis heute mit seiner Familie hier in der Dandlstraße. Dort, wo sich jetzt die Polizei befindet, stand damals das Distriktskrankenhaus, in dem er zur Welt kam. Getauft in Stadtamhof, zur Schule gegangen in Stadtamhof, eine Lehre gemacht in Stadtamhof. Er ist sichtlich stolz darauf, Stadtamhofer zu sein, ist Mitgründer des Heimatverein „Statt am Hoff“ (1981) und war federführend bei mehreren Büchern über die Geschichte des Stadtteils.
Thomas Winter ist seit 2021 Besitzer des Genusswarenladens und bereits seit 2010 der kuchenbar – woher ihn wahrscheinlich viele kennen. Er hat lange in Stadtamhof gelebt. Gerade haben seine Frau und er Nachwuchs bekommen und sind daher „über die Brücke“ gezogen. Irgendwann möchte er aber wieder zurück nach Stadtamhof.
Wie hat Stadtamhof früher ausgesehen und welche Geschäfte kennt man heute nicht mehr?
Anders als heute reihte sich in Stadtamhof damals nicht ein Restaurant an das nächste, um die Menschen zum Verweilen einzuladen. Vielmehr dominierte der Einzelhandel die Straßen des Stadtviertels. Neben zahlreichen Geschäften für den täglichen Bedarf gab es laut Richard Reil alleine fünf Bäcker und vier Metzgereien, mehrere Elektrogeschäfte, Kolonialwarengeschäfte, Hutmacher, Schuhmacher, Schneider, Obst- und Gemüseläden sowie etliche Ärzte – in jedem Haus waren eine Firma oder ein Betrieb. Um den Brückenbasar gab es damals um die 30 inhabergeführte Geschäfte. „Früher galt Statdtamhof deshalb als das Einkaufszentrum Regensburgs. Wir hatten alles vor Ort – deshalb auch der Name Brückenbasar“, weiß der Stadtamhofer.
Neben dem Krankenhaus, in dem Richard Reil geboren wurde, gab es damals viele Häuser und Geschäfte, die nur noch sehr wenigen aus der jüngeren Generation bekannt sind. Dort, wo jetzt die Raiffeisenbank ist, befand sich beispielsweise früher das Rathaus. An der Außenfassade kann man bis heute das Wappen von Stadtamhof mit den drei Schlüsseln bewundern. Dort, wo die Kirchen-Musikschule (Hochschule für katholische Kirchenmusik & Musikpädagogik) ist, war früher das Landratsamt. Jeder, der also etwa sein Auto angemeldet hat, kam dafür nach Stadtamhof. Dort, wo heute eine Fülle an unterschiedlichen Restaurants – von Italienisch bis Griechisch – und Cafés das Stadtbild prägen, war früher eine vielfältige Wirtshauskultur vorzufinden, ganz zu schweigen von zahlreichen Brauereien. Das älteste noch bestehende Restaurant ist der Spitalgarten. Richard Reil hat zu diesem Thema eine Broschüre herausgebracht: In „Ein Spaziergang durch Stadtamhof“ beschreibt er, was sich früher wo befand und was heute daraus wurde.
Das Wappen von Stadtamhof am ehemaligen Rathaus
Von der 48-Stunden-Woche und einstiger Wirtshauskultur
Noch vor 50 Jahren war für die meisten selbstverständlich, dass sie dort lebten, wo sie arbeiteten. Viele der Geschäftsbesitzer waren selbst Eigentümer des Hauses. „Wir haben uns früher fast alle gekannt. Es gab einen großen Zusammenhalt. Man hat eigentlich auch nur in Stadtamhof eingekauft“, schildert Reil. „Die Arbeitszeit früher war von 7:00 bis 18:00 Uhr. Nachtschicht arbeiteten lediglich die Zeitungen. Ich habe noch 48 Stunden pro Woche gearbeitet, von Montag bis Samstag und Samstag immer bis Mittag. Dann ging es zurück auf 45 und später auf 40 Stunden. Damals war der Aufgabenbereich von Frauen und Männern strikt getrennt. Die Männer haben das Geld verdient und die Frauen den Haushalt und die Familie geführt.“ Als gelernte Verkäuferin sei seine Frau erst wieder in den Verkauf gegangen, als die Kinder in der Schule gewesen seien, beschreibt Reil.
„Die Damen waren für den Einkauf zuständig und wenn wir was Besonderes wollten, sind wir am Samstag oder Sonntag gemeinsam in die Stadt gegangen und haben schon mal in die Schaufenster geschaut, was wir brauchen könnten. Die Geschäfte waren ja nicht geöffnet. Das gibt es heute gar nicht mehr“, schwelgt Reil in Erinnerungen. Wenn die Herren mal Freizeit hatten, gingen sie am Sonntag ins Wirtshaus. Anders als heutzutage sei man dort aber nicht zum Essen gegangen – dafür sei man Zuhause geblieben. „Wir waren dort vor allem zur Unterhaltung, zum Stammtisch oder um Freunde zu treffen. Nur an einem hohen Feiertag ging man zum Beispiel zum Bratwurstessen. Im Wirtshaus ist die Frau eher beim Mann dabeigesessen, die hat keinen Schoppen Wein bekommen (lacht), sie hat eher mal vom Maßkrug trinken dürfen“, gibt Reil zu.
Wenn man an Leben in Stadtamhof denkt, bleibt ein weiteres Thema nicht aus: Hochwasser. „Ich kann mich noch sehr gut an das Hochwasser 1988 erinnern, da stand in der Marien-Apotheke einen halben Meter hoch das Wasser. Es gab noch keine Kanalisation und so kamen der ganze Dreck und Schlamm herein. Um das zu verhindern, stellte man Sandsäcke vor die Eingangstüren, sodass das Wasser zumindest etwas klarer in die Gebäude kam“, schildert Prischenk. Reil bestätigt, dass Hochwasser auch schon früher immer Thema in Stadtamhof gewesen sei und das nicht nur einmal im Jahr. „Dazu kam noch der Eisstoß, der das Wasser gestaut hat und dann ist bis in den Mai das angespülte Eis gestanden“, erklärt Reil. Das Pylonentor – das direkt hinter der kuchenbar aufragt und das Ende der zentralen Straße durch Stadtamhof markiert – wurde dann mit Brettern verrammelt. So konnte man zwar das Wasser nicht immer abwehren, aber zumindest die Eisschollen. Reil hat auch positive Erinnerungen an das Hochwasser: „Wir Jungs hatten es damals immer schön, wenn Hochwasser war – weil dann keine Schule war“, blickt er lächelnd zurück. An der Hausmauer des Gebäudes in der Hauptstraße Nummer 17 ist sogar eine Hochwassermarke angebracht. Das Anfang der 90er Jahre am Gries installierte Schöpfwerk und der mobile Hochwasserschutz an der Wassergasse und am Franziskanerplatz bieten heute einen verbesserten Schutz, jedoch noch nicht den angestrebten Schutz für ein 100-jähriges Hochwasser.
Hochwassermarke im Zentrum von Stadtamhof
Probleme auf „der Insel“
Neben dem Hochwasser hatte Stadtamhof in seiner jüngeren Geschichte mit weiteren Problemen zu kämpfen, durch die sich der Stadtteil scheinbar ständig im Wandel befindet: Eine erste wesentliche Veränderung in der jüngeren Geschichte Stadtamhofs, die verantwortlich für ein großes Geschäftssterben war, war der Kanalbau von 1972 bis 1978. Stadtamhof war dadurch plötzlich ein Stück weit abgeschnitten vom Umkreis, da die Zufahrt deutlich erschwert wurde. Vor dem Kanal ging der Hauptverkehr direkt durch Stadtamhof und direkt dort, wo der Kanal entstand, befand sich ein großer Parkplatz. Somit ging nach dem Kanalbau die Geschäftstätigkeit stark zurück, viele Läden mussten ganz schließen. „Wir befinden uns einfach auf einer Insel und uns begegnet immer wieder das Infrastrukturproblem“, beklagt Prischenk.
Von der Einkaufsmeile zum Rotlichtviertel
Vom florierenden Stadtamhof war nicht mehr viel übrig. Dafür versuchten sich nach und nach anrüchige Bars und Nachtclubs anzusiedeln. Ein Vorhaben, das die Bewohnerinnen und Bewohner Stadtamhofs dringend verhindern wollten. Reil erinnert sich, dass sie etwa zur Zeit der 80er-Jahre gegen die Ansiedlung solcher Etablissements gekämpft haben. „Im Stali war zum Beispiel ein Sexkino, ‚Stadtamhofer Lichtspiele‘, dort wurden regelmäßig Pornofilme gezeigt. In der Zeit nach dem Krieg wurden dort noch Cowboy-Filme gezeigt. Das ging dann aber nicht mehr und die Betreiber mussten verkaufen, woraufhin das Pornokino reinkam. Direkt bei der Hausnummer 13 in der Hauptstraße war der Eingang“, beschreibt er. „Es waren weitere Ansiedlungen von Erotikbars geplant. Die Besitzerin einer sehr bekannten Bar hatte schon ein Haus gekauft, um dort einen Puff zu eröffnen, ist jetzt jedoch in Reinhausen, weil wir Stadtamhofer das verhindern konnten“, verrät Reil. Sie hätten nicht gewollt, dass Stadtamhof zum Sündenviertel Regensburgs wird und hätten bewusst Feste betrieben, um zu zeigen, dass sie nicht nur das „Glasscherbenviertel“ sind.
© Heimatverein Stadtamhof
Schluss mit Autos auf der Steinernen Brücke
Nachdem sich die Situation in den kommenden Jahren entspannte, siedelten sich wieder neue Geschäfte an. 1985 übernahm Prischenk als Pächter die Marien-Apotheke und er beschreibt, dass das Geschäft damals sehr gut lief. 1997 kam es jedoch mit der Brückensperrung erneut zu einem Einschnitt für die Wirtschaft des Stadtviertels. Bretterten zunächst noch Autos und Busse über die Steinerne Brücke, durfte diese ab 1997 vom Individualverkehr nicht mehr passiert werden, ab 2008 war das auch Bussen und Taxis verboten. Obwohl es einige Einzelhandelsgeschäfte – auch der Apotheke – damals erheblichen Umsatz kostete, hielten viele Regensburger diesen Schritt für längst überfällig. Einige mussten ihr Geschäft sogar ganz aufgeben oder haben ihren Standort verlagert. Stadtamhof war vom Hinterland und der Stadt verkehrsmäßig spürbar abgeschnitten. Somit stellte die Brückensperrung einen wichtigen Strukturwandelpunkt dar. Laut Prischenk seien in Stadtamhof drei Arten von Strukturwandel zu beobachten: in der Infrastruktur, der Geschäftsstruktur sowie der Bevölkerungsstruktur.
Dass Teile von Stadtamhof danach von der Stadt zum Sanierungsgebiet ernannt wurden, führte zu einer weiteren großen Veränderung. Mit der Sanierung seien auch die Investoren gekommen. Viele Häuser seien voll- oder teilsaniert worden, was zu teureren Mieten und kleineren Wohnungen geführt und wiederum eine andere Bevölkerungsstruktur mit sich gebracht habe.
„Ich bin sozusagen zur schwierigsten Zeit gestartet“
Ein weiterer Einschnitt war der Brand der Protzenweiherbrücke, die in der Folge drei Jahre geschlossen war. Dadurch war die Anbindung an die Stadt unterbrochen. „Das war genau zu der Zeit, als ich 2010 meine kuchenbar eröffnete“, erinnert sich Thomas Winter. „Ich kannte es vorher aus geschäftlicher Perspektive ja nicht. Von dem her wurde es bei mir eigentlich von Jahr zu Jahr besser. Ich bin sozusagen zur schwierigsten Zeit gestartet.“ Am Anfang hatten die Leute Probleme, die kuchenbar zu finden, die sich am Ende der Hauptstraße befindet. Grund dafür war, dass „so weit hinten“ zu dieser Zeit wenige Geschäfte angesiedelt waren. „Leute haben damals angerufen, dass sie kommen wollten, jedoch die kuchenbar nicht gefunden hätten“, erzählt Winter.
In dieser Zeit war ein großer Zuzug zu beobachten. Ein junges und kaufkräftiges Publikum sowie Familien hätten sich laut Prischenk seither niedergelassen. Er gibt jedoch zu bedenken, dass aufgrund der kleineren Wohnungen sowie Umzügen aufgrund neuer beruflicher Perspektiven bis heute laufend ein großer Wechsel stattfinde. Alleine Stadtamhof solle zwischen 300 und 400 Wechsel im Laufe des Jahres zu verzeichnen haben. „Das Schöne an Stadtamhof ist, dass die Leute bevor sie wegzogen, noch in die Apotheke kamen, um sich bei uns zu verabschieden“, verrät er. Winter erlebt immer wieder ähnliche Situationen.
Dass heute viele Menschen nicht mehr ihr Leben lang am gleichen Ort bleiben, macht auch den Vereinen zu schaffen. Von den ehemals zahlreichen Vereinen – vom Fußballverein bis zum Schützenverein – existieren heute nur noch wenige. Dazu gehören die Spielvereinigung und der Liederverein, der im Mai 175 Jahre gefeiert hat und damit der älteste in Regensburg ist. „Früher hatte jeder Verein in einer Wirtschaft ein Nebenzimmer, ein sogenanntes Vereinszimmer, das gibt es heute nicht mehr. Wir hatten eigene Möbel für den Heimatverein, Einbauschränke und so weiter“, erinnert sich Reil.
Karten der Aktionsgemeinschaft Pro Stadtamhof mit kreativen Slogans
Die Aktionsgemeinschaft Pro Stadtamhof, die aus Geschäftsleuten von Stadtamhof besteht, hat immer versucht, positiv auf Wandel zu reagieren. „Stadtamhof – Das Tor zur Stadt“ war etwa einer ihrer Slogans. Als später die Baustellen aufgekommen seien, hätten sie geschrieben „Wer uns findet, findet uns gut“, beschreibt Prischenk, der selbst lange Vorsitzender des Vereins war. „Als jahrelang die Baustelle bei der Steinernen Brücke war, hat das wirklich nicht schön ausgesehen. Dann haben wir eine große Fotowand mit historischem Blick zur Steinernen Brücke als Blickfang quer vor deren Zugang am Brückenbasar erstellt. Auch an den Einfahrtsstraßen haben wir versucht, Menschen auf uns aufmerksam zu machen. Nachdem die Protzenweiherbrücke fertig war, haben wir geschrieben ‚Lust auf Stadtamhof: Endlich wieder Verkehr‘“.
„Ein Dorf in der Stadt“: Konkurrenz oder Freundschaft?
Die Eingemeindung von Stadtamhof feiert kommendes Jahr 100-Jähriges, was der Heimatverein „Statt am Hoff“ e.V. dann auch feiern wird. Sogar eine eigene Festschrift wird es geben. „Wir sind vor 100 Jahren praktisch auch Regensburg Großstadt geworden – obwohl wir damals nie so richtig beachtet wurden“, beklagt Reil. Früher sagte man sogar Sätze wie „Über die Brücke heiratet man nicht.“ Doch die Stadtamhofer selbst haben immer zusammengehalten, da sind sich die drei Herren einig. „Natürlich gab es auch mal Konkurrenzverhalten. Da hat ein Bäcker schon mal den anderen am Wirtshaus-Stammtisch mit seiner Kipferl-Größe aufgezogen“, blickt Reil zurück. „Aber immer, wenn es Probleme gab – egal ob die Steinerne Brücke gesperrt wurde oder beim Unfall am Protzenweiher – haben alle zusammengeholfen“, weiß Prischenk.
Als neuer Vorsitzender von Pro Stadtamhof ist Winter überzeugt, dass sich jeder Inhaber bis heute bewusst ist, dass es ihm gut geht, wenn es dem Stadtteil gut geht. Prischenk kann das nur bestätigen: „Wir haben immer ganz bewusst unseren Stadtteil unterstützt. Fast unseren gesamten Lebensbedarf haben wir hier abgedeckt, Essen gegangen sind wir ebenfalls hauptsächlich in Stadtamhof.“ Und das ist bis heute so geblieben: „Heute gehen wir oft hier Mittagessen, nach Ladenschluss geht’s in die Klappe. Das ist vielleicht auch der Unterschied, dass sich wirklich viel im Stadtteil abspielt. Hier musst du dein Geschäft mit Herzblut betreiben. Die Leute kennen einen. Hier wird vieles noch per Handschlag auf dem Bürgersteig vereinbart“, schildert Winter das Besondere am Leben und Arbeiten hier. Der Stammkundenanteil sei viel größer als in der Stadt: „Da kommt zum Beispiel einer nach dem Laufen spontan in den Laden. Der kann dann anschreiben und zahlt morgen, weil man sich einfach kennt. Stadtamhof ist wirklich ein Dorf in der Stadt“, lacht er. „Wir hätten uns mit der kuchenbar auch nicht so schnell etablieren können, wenn wir die Stadtamhofer nicht gehabt hätten, die regelmäßig kommen.“
© Heimatverein Stadtamhof
„Neutral kann man im Internet bestellen“: Der besondere Flair von Stadtamhof
Obwohl sie gerne in Erinnerungen von früher schwelgen, ist allen klar, dass man mit der Zeit gehen muss, um weiter bestehen zu können. Und bisher ist es Stadtamhof sehr gut gelungen, sich immer wieder von kleineren und größeren Krisen zu erholen – mit einem Gefühl von Gemeinschaft und einer ganz großen Leidenschaft für Stadtamhof. Heute ist der Stadtteil als Ausgehmeile und Gastronomiehochburg bekannt. Bayerische Kost und kühles Bier lockt immer noch zahlreiche Menschen in die Biergärten und Wirtshäuser. Daneben zieht es aber auch immer mehr Genießer für ein entspanntes Mittagessen oder einen kühlen Drink zum Sonnenuntergang nach Stadtamhof – die Dolce Vita scheint hier angekommen. Das ist aber noch nicht lange so. So wechselte etwa der Italiener am Brückenbasar noch um 2006 immer wieder den Pächter, da sich keiner halten konnte. Dass sich das mittlerweile gewandelt hat, führt Prischenk auch auf die Sanierung der Hauptstraße Anfang der 2000er Jahre, die breiteren Bürgersteige und vermehrten Freisitze zurück.
Wer jetzt jedoch denkt, dass Stadtamhof ausschließlich von seinem Flair und seiner kulinarischen Vielfalt lebt, der irrt. Denn auch kulturell hat der Stadtteil einiges zu bieten. Am Grieser Spitz ist beispielsweise immer eine Location für den Kultursommer. Bei diesem finden verteilt über die Stadt den ganzen Sommers über kulturelle Events statt – von Viertelfesten bis zu Open-Air-Konzerten. „Stadtamhof ist auch bekannt für seine Feste. Es ging sogar mal der Iron Man durch Stadtamhof mit mords Aufbauten – das wurde manchen Anwohnern dann aber zu viel“, schmunzelt Reil. „Eine kulturelle Vielfalt ist auch durch die Kirchen-Musikschule, das St.-Katharinenspital, St. Andreas oder das Künstlerhaus im Andreas-Stadel gegeben“, findet Prischenk und ist überzeugt, dass Stadtamhof immer einen Ausflug wert ist, „nicht nur zum Eisessen“!
„Vielleicht ist Stadtamhof in 50 oder 100 Jahren wieder ein Einkaufszentrum, wer weiß. Jedoch ist jetzt nicht die Zeit, dem Alten nachzutrauern“, meint Winter. Obwohl der Bio-Laden im Zentrum des Stadtteils aufgrund des großen Interesses nach Regionalem und Bio gut läuft, hätten die meisten akzeptiert, dass sie wohl nicht mehr so schnell Einzelhandelshochburg werden würden. „Im Vergleich zu früher, als einige Discounter hier waren, ist die Nahversorgung mit Lebensmitteln trotzdem nicht optimal. Gerade für ältere Menschen macht es das natürlich schwieriger, hier zu leben. Umso dankbarer sind wir natürlich, dass wir unter anderem unseren Bio-Markt haben, einen Bäcker, ein Geschäft für Fleisch- und Wurstwaren und immer mittwochs den Katharinen-Markt“, findet Prischenk. Winter ist der Meinung, dass sich Läden wie ein Schmuckgeschäft mit handgemachtem Schmuck oder eine Goldschmiede genauso wie Dienstleister oder Handwerker wie Schuhmachermeister oder ein Fahrradfachhandel etc. gut halten könnten. „Geschäfte, die keine Massenware anbieten und sich von der harten Konkurrenz des Internets abheben – das schätzen die Leute“, meint er. „Es müsste auf jeden Fall wieder ein Erlebnis sein, einzukaufen“, findet Reil. Hier sei wieder eine enge und vor allem persönliche Kundenbindung das Geheimnis für langfristigen Erfolg. „Neutral kann man auch im Internet bestellen“, resümiert Winter. „Womit wir punkten müssen, ist der Flair und der Charme, heute sagt man, wir sind hip“, ist Prischenk überzeugt.
Die Zeiten der großen Feindschaft mit der Stadt sind heute vorbei, doch Stadtamhof möchte trotzdem ein selbstbewusster und selbstständiger Stadtteil bleiben: „Der unabhängige Geist steckt hier in den Genen“, meint Winter und Prischenk ergänzt: „Auch wenn jetzt neue Menschen hier sind, aber der Geist bleibt vorhanden.“
Bürgerfest mit ganz neuem Konzept?
Vom 16. bis 18. Juni hat das Bürgerfest in Regensburg erfolgreich stattgefunden. Stadtamhof hatte sich für dieses Jahr etwas ganz Besonderes überlegt: „Gemeinsam mit dem neuen Spitalmeister haben wir daran gearbeitet, dass wir das Bürgerfest Stadtamhof-intern so organisieren, dass es wieder ein Fest wie früher ist.“ Passend zum Motto „Zurück in die Zukunft“ wurden die Stände deshalb dieses Jahr von Stadtamhofer Gastronomen, Vereinen und Geschäftsleuten selbst betrieben. „Wir haben es nicht mehr wie eine Dult mit verschiedenen Schaustellern gestaltet, sondern wollten uns selbst präsentieren“, freut sich Winter. Dabei haben regionale Bands den Besucherinnen und Besuchern richtig eingeheizt. Kunsthandwerk aus der Nähe habe kostenlos Stände betreiben können, um ihre Werke vorzustellen. Um das Bürgerfest wieder stärker zu einem kulturellen Erlebnis zu machen, habe Stadtamhof eng mit dem Kulturreferenten der Stadt, Wolfgang Dersch, zusammen gearbeitet, betont Winter.
Marina Triebswetter | filterVERLAG