Seit den ihrem Durchbruch in den 90-ger Jahren ist sie weltberühmt. Doch Patricia Kelly ist nicht nur ein Teil der Kelly Family, sondern auch eine erfolgreiche Solokünstlerin, die durch viele Höhen und Tiefen ging und sich trotz aller Widrigkeiten nie unterkriegen ließ. Uns hat sie in einem persönlichen Gespräch Einblicke in ihr bewegtes Leben gegeben.
Sie hat, wie sie selbst sagt, ein Pippi Langstrumpf Leben geführt, ist schon als Kind mit ihrer Großfamilie im VW Bus durch Europa gezogen und hat auf den Straßen von Rom, Paris und London gesungen. Musik liegt ihr im Blut. Ganz nebenbei ist Patricia Kelly jedoch auch noch eine außergewöhnliche und unglaublich starke Frau, die in ihrem bisherigen Leben mehr durchgemacht hat, als man sich vorstellen kann.
Mit uns hat sie in einem sehr persönlichen Interview über ihre Kindheit und die Erfolge der Kelly Family, aber auch über persönliche Schicksalsschläge gesprochen und uns einen Einblick gewährt, wie sie in ihren schwersten Zeiten die Kraft fand, weiterzumachen.
Du hattest eine sehr ungewöhnliche Kindheit und hast schon mit fünf Jahren auf der Straße musiziert. Wie hast du dieses Leben damals empfunden?
Als Kind war das für mich wie ein Pippi Langstrumpf Leben. Ich war super glücklich und das ist wirklich von Herzen gemeint. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr war ich ein absolut glückliches Kind. Mir fehlte nichts, ich hatte Liebe von meinen Eltern, ich hatte Freiheit, ich habe viel gesehen und bin viel gereist.
„Als meine Mutter starb, war das sehr, sehr schwer. Von dem Moment an war meine Kindheit vorbei.“
Als dann 1982 meine Mutter starb, war das jedoch sehr, sehr schwer und fast unerwartet. Sie hatte Brustkrebs bekommen und ein Jahr später war sie weg. Es war eine Zeit, in der man nicht viel mit dieser Krankheit anfangen konnte. Wir hatten alles versucht, sie zu den besten Ärzten gebracht, aber es hat alles nichts geholfen. Ich war damals zwölf Jahre alt, aber von dem Moment an war meine Kindheit vorbei und ich musste erwachsen werden.
„Wir sind auf die Straße gegangen und haben für ein paar Groschen gesungen und davor und danach die Kinder versorgt.“
Papa sank in eine tiefe Depression und trank ein bisschen zu viel, also mussten Kathy, meine neun Jahre ältere Schwester und ich uns um die Familie kümmern. Wir sind auf die Straße gegangen und haben für ein paar Groschen gesungen und davor und danach die Kinder versorgt. Wir haben gewaschen und gekocht, Flaschen vorbereitet und haben einfach überlebt und für Geld gesorgt. Die Familie hatte kein Geld mehr, weil wir in der Zeit, in der Mama krank war, nicht gearbeitet hatten.
Die Öffentlichkeit war für mich nie ein Problem, weil unser Papa uns davor geschützt hat. Wir sind als Teil einer großen Familie auf eine Bühne gegangen oder hatten zwei Lieder im Fernsehen gesungen und dann war es gut. In den 90er-Jahren, genauer gesagt 1994, kam der große Durchbruch und da ist die Sache außer Kontrolle geraten, nicht weil wir das wollten, sondern weil niemand das erwartet hat. Die Hysterie und die Öffentlichkeit kamen wie ein Tsunami auf uns zu.
„Ich bin viel gereist, habe sechs Sprachen gelernt und habe dadurch eine andere Sicht der Dinge bekommen.“
© Philipp Herrmann
Wie haben deine Kindheit, der Erfolg, aber auch der große Druck und der Medienrummel dein späteres Leben geprägt?
Ich glaube, dass ich reifer war als andere Kinder. Ich bin viel gereist, habe sechs Sprachen gelernt, und habe dadurch eine andere Sicht der Dinge bekommen. Der Rummel und die Bekanntheit waren und sind Teil meines Jobs. Es ist nicht so, dass ich gerne in der Öffentlichkeit stehe. Andererseits weiß ich auch zu schätzen, was ich habe und ich bin Deutschland sehr dankbar für all die Unterstützung, die unsere Familie über vier Jahrzehnte bekommen hat.
Es gibt sicherlich viele denkwürdige Momente aus der damaligen Zeit der Kelly Family. An welche erinnerst du dich besonders gerne?
Da kommt spontan ein Bild von meinen Eltern hoch vor der Zeit unseres Erfolgs, wie die beiden lächeln, glücklich sind und in den Straßen musizieren. Das war die Zeit, als wir mit dem VW Bus unbeschwert durch Europa getingelt sind und in den Straßen von Rom, Wien, Paris, London und München gesungen haben und es war einfach schön.
Was hat sich in eurem Leben verändert, nachdem ihr 1994 mit dem Album „Over the Hump“ euren großen Durchbruch hattet?
Ganz klar die Freiheitsbeschränkung. Man kann sich nicht mehr denken, ich geh‘ jetzt spontan in die Stadt und trinke einen Kaffee und treffe mich mit Freunden. Man hat einen Wunsch und danach kommt gleich der Gedanke: Moment mal, das kannst du gar nicht, du musst einen Bodyguard mitnehmen. Was ist, wenn die Presse dich sieht? Was ist, wenn da Fans auftauchen? Wenn man ein Mensch der Öffentlichkeit ist, ist der Sicherheitsaspekt ein anderer. Man ist nicht mehr Herr seines Lebens, man muss sich gewissen Regeln beugen.
„Ich glaube nicht an Stillstand, entweder geht man zurück oder nach vorne.“
© Sandra Ludewig
Seit 2008 bist du auch solo unterwegs. Wie hat sich deine musikalische Reise seitdem entwickelt und was ist dir in deiner Musik besonders wichtig?
Für mich ist wichtig, dass ich mich ständig weiterentwickle. Ich glaube nicht an Stillstand, entweder geht man zurück oder nach vorne. Ich bin Künstlerin und kreiere meine eigenen Songs. Die behandeln weitgehend biografische Themen. Für mich ist wichtig, dass ich so ehrlich wie möglich bin und das ist schwer, wenn man weiß, wie viele Menschen das hören werden. Ich versuche aber, mir Freiheit zu geben, etwas Neues zu probieren und das zu tun, was in meinem Herzen ist.
„Für mich wäre es schlimmer, wenn jemand dabei wäre, während ich komponiere, als würde man mich nackt erwischen.“
Erzähle uns etwas von deinem kreativen Schaffensprozess. Wie entstehen deine Lieder?
Meistens am Klavier oder auf der Gitarre. Meistens komponiere ich, wenn der Tag vorbei ist und mein Mann und meine zwei Jungs schlafen. Dann setze ich mich ans Klavier in meinem kleinen Studio und das ist ein sehr intimer Moment. Für mich wäre es schlimmer, wenn jemand dabei wäre, während ich komponiere, als würde man mich nackt erwischen. Komponieren ist wie ein Tagebuch. Manche Songs sind innerhalb von fünf Minuten da und andere dauern Monate. Diese Ideen nehme ich dann zu meinen Co-Produzenten und Co-Songwriters nach London und Los Angeles mit und stelle die Songs dann mit ihnen fertig.
Gibt es ein Lied, das dir besonders am Herzen liegt?
Ich würde sagen, der Titel des Albums „Unbreakable“. Diesen Song habe ich meinem Mann gewidmet, da unsere Liebe „unbreakable“ ist. Wir sind jetzt schon 25 Jahre zusammen, davon 23 Jahre verheiratet und das ist eine unglaubliche Reise. Das Beste, was ich jemals getan habe, ist meinen Mann zu heiraten. Wir hatten auch unsere Höhen und Tiefen, aber er ist ein guter und liebevoller Mann, ein toller Vater und toller Ehemann. Der Song ist ein Dankeschön für alles, was er für mich und die Kinder getan hat. Dieser Song liegt mir am Herzen und deswegen heißt das Album „Unbreakable“.
„Ich glaube, ich würde sterben ohne Familie.“
© Philipp Herrmann
Was ist das Geheimnis eurer Beziehung und was bedeutet Familie für dich?
Ich glaube, ich würde sterben ohne Familie, ich bin ein Familienmensch durch und durch. Ich könnte nicht atmen ohne meine Familie und würde alles für sie hergeben. Mein Glaube und meine Familie sind das Wichtigste in meinem Leben, das steht über allen anderen Dingen.
Seit 2017 ist die Kelly Family wieder als Band unterwegs und konnte nahtlos an vergangene Erfolge anknüpfen. Wie fühlt es sich an, wieder als Familie auf der Bühne zu stehen und was ist anders als damals?
Es ist großartig! Wir hatten das gar nicht erwartet nach all den Jahren. Es ist anders als damals, da jeder von uns mittlerweile ein eigenes Leben, Kinder und eigene Soloprojekte hat. Wir kommen zusammen als Erwachsene. Auch wenn wir teilweise sehr unterschiedlich sind, sind wir eine Einheit, was die Musik angeht. Auf der Bühne ist es magic.
„Ich bin Kämpferin, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“
Du bist, wie du selbst sagst, eine Kämpferin und lässt dich trotz persönlicher Rückschläge nicht unterkriegen. Deine Mutter starb an Brustkrebs, als du zwölf Jahre alt warst. Im Alter von 23 bist du an Meningitis erkrankt und warst teilweise auf einen Rollstuhl angewiesen. 2009 wurde auch bei dir Brustkrebs diagnostiziert und du musstest dich einer großen Operation unterziehen. Und als wäre das nicht genug, hattest du auch mehrere Fehlgeburten. Wie gehst du mit solchen Schicksalsschlägen um und woher nimmst du die Kraft, weiterzumachen?
Erstmal stimmt das alles und wahrscheinlich ist das im Internet noch ziemlich harmlos dargestellt. Es war eine sehr harte und brutale Zeit, die ich da erlebt habe und ich bin Kämpferin, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Aber ich habe auch eine tolle Familie und mein Mann hat mich all die Jahre wahnsinnig unterstützt. Ich bin auch sehr gläubig und dieser Glaube und die Hoffnung haben mich gerettet. Und dann muss man auch selbst was dafür tun. Als ich die Meningitis hatte, habe ich meine ganze Ernährung umgestellt. Ich wurde Vegetarierin, habe Heilfasten gemacht und aufgehört, weißen Zucker zu essen. Ich bin sehr diszipliniert, achte auf meine Ernährung, trinke kaum Alkohol und bewege mich täglich. Von nichts kommt nichts.
Wie spiegeln sich diese persönlichen Schicksalsschläge in deiner Musik wider?
Die spiegeln sich auf jeden Fall wider, aber im Positiven, das sagen mir viele. Wenn man meine Texte genau liest, sind sie sehr tiefgründig und haben eine Message. Von daher denke ich, dass mir diese Schicksale einen Tiefgang im Leben gegeben haben, auch als Künstlerin.
Zusammen mit deinem Vater hast du damals die Kelly Family gemanagt. Du hast dich um PR und Marketing gekümmert. Nebenbei sprichst du auch noch sechs Sprachen! Und das obwohl du nie auf eine normale Schule oder Universität gegangen bist. Denkst du, du hast das alles erreicht, obwohl du kein geregeltes Leben geführt hast oder gerade deswegen?
Mein Vater, der eine sehr starke Persönlichkeit hatte, würde sagen deswegen. Ich glaube auch deswegen. Ich sehe nicht, was ich im Leben alles erreicht habe, sondern ich entdecke das Leben jeden Tag aufs Neue. Ich glaube schon, dass dieser Lifestyle Vor- und Nachteile hatte, aber er hat mir auf jeden Fall ein sehr außergewöhnliches Leben geschenkt und da bin ich meinen Eltern sehr dankbar.
„Wenn man im Krieg und überall auf der Welt schaut, da sind es die Frauen, die diese innerliche Stärke haben und das ist ein Geschenk, das Gott uns gegeben hat.“
© Sandra Ludewig
Das Musikgeschäft ist hart und immer noch eine Männerdomäne. Trotzdem konntest du dich als Frau behaupten. Heute machst du dich für Frauen stark. Was möchtest du mit deinem Einsatz bewirken und was würdest du Frauen, die an sich selbst zweifeln, auf den Weg geben?
Vertraut auf eure innere Stimme, weil Frauen sind, wenn es hart auf hart kommt, die Stärksten. Als Mama starb und mein Vater zusammenklappte, haben wir Frauen die Familie wieder nach vorne gebracht. Und das ist oft so. Wenn man im Krieg und überall auf der Welt schaut, da sind es die Frauen, die diese innerliche Stärke haben und das ist ein Geschenk, das Gott uns gegeben hat. Ich versuche, Frauen zu bestärken, dass wir unglaublich stark sind und so viel leisten und das muss gelobt werden. In meinem Geschäft ist das eine Katastrophe. Die Führungspositionen sind alle mit Männern besetzt. Frauen verdienen schlechter als Männer. Das kann es nicht sein im Jahr 2024. In der Festival Branche sind 70 bis 80 Prozent der Kollegen männlich. Auch in den Charts sind Frauen die Ausnahme. Die Deals werden abends an der Bar gemacht, von Männern zu Männern.
Welche musikalischen Projekte gibt es, die du in Zukunft gerne realisieren würdest?
Ich hab‘ was im Herzen, und das ist in letzter Zeit entstanden. Das ist was ganz Minimalistisches, ganz nah am Publikum. Vielleicht nur mit 200 Leuten, etwas ganz Intimes und „back to the roots“. Das ist so eine Sehnsucht, die da aufkommt im Moment. Warum, weiß ich nicht, aber man wird sehen, was dabei rauskommt.
Patricia, wir danken dir sehr herzlich für diese teils sehr persönlichen Einblicke in dein Leben und deine Karriere und wünschen dir alles Gute für deine Zukunft!
Kathrin Gnilka | filterMagazin