Vor über hundert Jahren, am 3. Juni 1924, starb Franz Kafka, einer der bedeutenden deutschsprachigen Schriftsteller, mit nur 41 Jahren an Tuberkulose. Veranstaltungen in ganz Europa beschäftigen sich daher mit seinen Werken und seinem schwierigen Leben. Auch wir begleiten ihn heute auf einigen seiner Reisen.
Franz Kafka war immer wieder auf Reisen: Dienst- und Privatreisen in Böhmen, gelegentlich ging´s nach Wien, Berlin, München, Paris, einige Male nach Italien, dabei auch über die Schweiz. Aber war Kafka eigentlich auch in Regensburg? Die Reisen nach Italien hätten sich dafür angeboten.
Kafka zeichnete seine Reisewege nicht so genau auf, sammelte keine Fahrscheine, fotografierte kaum. Er schrieb Briefe und machte Notizen, die zum Teil in seine Werke einflossen.
Heute würde man mit dem Zug von Prag über Nürnberg oder Regensburg nach München und weiter nach Innsbruck und Italien reisen. Diese Strecken gab es auch damals, sie waren aber mit mehrmaligem Umsteigen und Transitvisa verbunden. Einfacher und oft auch schneller ging es früher über Budweis, Linz, Innsbruck oder von Prag über Wien nach Triest (das damals nicht zu Italien gehörte) und weiter nach Venedig.
1909 reiste Kafka mit seinem Freund und späteren Herausgeber Max Brod über München an den Gardasee mit Ausflügen nach Italien. Ob der Nachtzug von Prag über Regensburg oder Nürnberg (mit Zugteilung nach Frankfurt) fuhr, ist heute unklar – genauso wie bei der zweiten Italienreise, die 1911 über die Schweiz führte. Diese Reise endete wegen einer Choleraepidemie in Oberitalien in einem Fiasko mit fluchtartiger Abreise.
1913 war wieder Italien das Ziel. Da fuhr Kafka aber über Wien, wo er dienstlich einen Kongress besuchte, dann weiter nach Triest und Oberitalien.
Kompliziertes Reisen
Gut dokumentiert ist seine Reise nach Meran im April 1920. Kafka war schon ziemlich krank, er litt an der damals unheilbaren Tuberkulose. Der Kuraufenthalt sollte wenigstens Linderung und etwas mehr Lebenszeit bringen. Die Arbeiterunfallversicherung in Prag, sein Arbeitgeber, zahlte sogar den Aufenthalt, weil man ihn als Mitarbeiter sehr schätzte.
Eigentlich wollte Franz Kafka die Kur in Partenkirchen und nicht in einem Lungensanatorium zusammen mit „hustenden und fiebernden Leidensgenossen“ verbringen. Doch er erhielt wegen der schlechten Versorgungslage kein Visum für Deutschland. Man wollte nicht auch noch Ausländer „durchfüttern“. Also Meran: „Mein Kopf hat, glaube ich, den Norden lieber, meine Lunge den Süden.“ Dazu brauchte er auch ein Transitvisum für Österreich, er war ja nach dem Krieg tschechischer Staatsbürger geworden. Diese Reise führte definitiv über Linz, Salzburg und Innsbruck nach Südtirol.
So umständlich war das Reisen in Europa damals!
Zur Kur nach Meran
Vom 3. April bis Ende Juni 1920 weilte er in Meran und logierte in der Pension Ottoburg. Meran, kürzlich erst zu Italien gekommen, war damals von den Spitzenzeiten des ehemals kaiserlichen Kurbetriebs noch weit entfernt, wirtschaftlich ging es aber besser als in Deutschland oder Österreich. Von seiner Erkrankung erzählte er der Quartiergeberin nichts, vielleicht wäre er dann nicht genommen worden.
Während des Kuraufenthalts begann der berühmte Briefwechsel „Briefe an Milena“ an seine tschechische Übersetzerin und Geliebte Milena Jesenská, in Wien unglücklich verheiratet. Die Liebesbeziehung verlief ziemlich dramatisch, ein ständiges Auf und Ab. Um sich mit ihr auszusprechen, plante er die Rückreise am 28. Juni 1920 mit einem Umweg über Wien, wo er ein paar Tage bleiben und Milena treffen wollte.
In der Pension Ottoburg in Meran wohnte Kafka im Frühjahr 1920. © Palais Mamming Museum Meran
Ärger bei der Rückreise
Das Treffen in Wien führte zu keiner Klarheit in der komplizierten Beziehung. Am 4. Juli reiste Kafka von Wien über Gmünd zurück nach Prag. Doch an der tschechischen Grenze fiel einem jungen, aufmerksamen österreichischen Grenzbeamten auf, dass sein Transitvisum abgelaufen war. Er musste zum Chef der Grenzpolizei, der ihm erklärte, da könne man nichts machen. Also: zurück nach Wien und das Visum verlängern. Das war für Kafka extrem unangenehm, würde er doch dadurch zu spät zur Arbeit nach Prag kommen. Es half alles nichts. Die Nacht auf Montag musste er im Grenzort Gmünd (der Bahnhof liegt heute in České Velenice) verbringen, Montag zeitlich früh nach Wien fahren, das Visum verlängern und zu Mittag nach Prag zurückkehren.
Der einst prächtige Bahnhof Gmünd (heute in České Velenice) blieb Kafka in unangenehmer Erinnerung (um 1900). © Stadt Gmünd, NÖ
Es geht ja doch
Am 5. Juli beschrieb Kafka den Vorfall in einem Brief an Jesenská:
„...Aber in welchem Zustand werde ich sein nach der Nacht und der Fahrt (...), wie werde ich in Prag ankommen, und was wird der Direktor sagen, den ich also jetzt wieder telegraphisch um Urlaubsverlängerung bitten muß?“
Am Weg zum Hotel Huber vis á vis vom Bahnhof kam ihm der junge Grenzbeamte (vielleicht ein Bewunderer des Schriftstellers?) jedoch nachgerannt und schrie: „Schnell zurück, der Inspektor lässt Sie durch!“ Kafka ist enorm erleichtert. Er will dem Beamten Geld geben, doch der junge Mann ist „fast“ nicht korrupt. „Zehnmal müssen wir (er war nicht der Einzige mit abgelaufenem Visum, Anm.) den Polizisten bitten, ehe er das Geld von uns nimmt.“ Er kam also doch rechtzeitig nach Prag.
Noch ein Treffen
Am 14. und 15. August 1920 gab es ein weiteres Treffen mit Milena, wieder České Velenice (tschechischer Teil von Gmünd), wo Kafka als Tscheche visumfrei reisen konnte. Milena, durch Heirat Österreicherin geworden, durfte den Grenzort ebenfalls ohne Visum besuchen. Außerdem lag der Ort praktischerweise genau auf halbem Weg zwischen Wien und Prag. Aber auch dieses Treffen konnte die Beziehung nicht retten.
Heute hat der Bahnhof von ČCeské Velenice seinen alten Glanz verloren. © Wolfgang Ludwig
Heute wirkt České Velenice mit seinen Billigläden und dubiosen Bars sehr herabgekommen, während Gmünd in Niederösterreich schön herausgeputzt ist. Vor dem trostlosen Bahnhof auf der tschechischen Seite steht heute immerhin eine Bank, die Kafka gewidmet ist.
Kafka starb knapp vier Jahre später in einem Lungensanatorium in Kierling bei Wien.
War Kafka jetzt in Regensburg?
In Regensburg aufgehalten hat sich Kafka bestimmt nicht, zum Unterschied von Goethe, der auf seiner Italienreise 1786 in der Domstadt übernachtete und sich positiv äußerte.
Ob Kafka bei seiner ersten und zweiten Reise nach Italien über Regensburg fuhr, ist möglich, Nürnberg ist wahrscheinlicher. In München unterbrach er öfters seine Reisen und hielt sich mehrmals dort auf. Die beiden späteren Italienreisen führten sicher nicht durch Bayern.
Daher also: Kafka war nie in Regensburg zu Gast, München interessierte ihn mehr. Und wenn er durchgereist sein sollte, war er ja nur ein paar Minuten am Bahnhof, vielleicht sogar in einem Nachtzug – und das lassen wir sicher nicht als Aufenthalt gelten!
Veranstaltungen im Kafka-Jahr
Obwohl das Kafka-Jahr schon fast wieder zu Ende geht, gibt es noch Veranstaltungen in Regensburg:
- Die Ostdeutsche Galerie zeigt ab 12.10 bis 12.1 2025 Illustrationen zu Franz Kafka.
- Am 12.11. liest Magdaléna Platzová im Jüdischen Gemeindezentrum aus „Leben nach Kafka“. Es geht um das Leben von Felice Bauer, einst Kafkas Verlobte.
- Am 13.11. zeigt das Evangelischen Bildungswerk den Film „Besuch bei Kafkas Nichte“ mit anschließender Diskussion.
- Viel über Kafka erfährt man in: Rieder, Veronika u. Patrick Rina: Kafka in Meran. Edition Raetia, 2020
Wolfgang Ludwig