Am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka mit 41 Jahren in Kierling in Niederösterreich an den Folgen der Tuberkulose. Nicht nur seine Werke, auch seine Erlebnisse auf Reisen geben Anlass, seine Person besser kennen zu lernen. Wir geben faszinierende Einblicke in das Leben einer der bedeutendsten Schriftsteller der Moderne.
Heute gilt Kafka (geboren 1883 in Prag) als einer der bedeutenden deutschsprachigen Schriftsteller, zu Lebzeiten war er nur einem Fachpublikum bekannt. Viele seiner Werke erschienen erst nach seinem Tod, darunter „Der Prozeß“ (1925). Durch seine berufliche Tätigkeit bei der Arbeiterunfallversicherung in Prag kam er wenig zum Schreiben und hielt viele Manuskripte als unfertig zurück. Auch Lesungen gab er aus Zeitgründen nur wenige, eine hatte es aber in sich.
Zuhörer fielen in Ohnmacht
Am 10. November 1916 las Kafka in der Galerie Hans Goltz in München aus „In der Strafkolonie“. Für diese Erzählung, in der einem auf dem Bauch liegenden, gefesselten Gefangenen mittels einer von einer Maschine geführten Nadel seine angebliche Straftat in den Rücken geritzt wird, braucht man starke Nerven. Drei Zuhörerinnen fielen bei der Lesung in Ohnmacht, viele hielten es nicht aus und verließen vor dem schrecklichen Ende der Erzählung den Saal.
Kafka soll ungerührt weitergelesen haben. So berichtet es zumindest einer der Gäste, der Schweizer Schriftsteller und Psychologe Max Pulver. Andere Gäste schildern die Lesung etwas harmloser.
Einer breiten Öffentlichkeit sind die „Briefe an Milena“ (erschienen 1952) bekannt.
Milena Jesenská war Kafkas in Wien lebende und dort verheiratete Geliebte und Übersetzerin ins Tschechische. Klingt kompliziert und das war es auch. Während eines Kuraufenthalts in Meran begann der Briefwechsel, der die Problematik der Beziehung gut nachvollziehen lässt.
Goldenes Gässchen in Prag: Hier wohnte Kafka zeitweise ab 1916, © Wolfgang Ludwig
Flugshow und Bordell
Kafka unternahm auch mehrere Reisen. Beruflich musste er für die Versicherung in Böhmen oft Arbeitsbedingungen in Betrieben inspizieren und wegen Arbeitsunfällen zu Gerichtsterminen reisen. Zeit zum Schreiben fand er meist nur nachts.
Privat war vor allem Italien mehrmals das Ziel, erstmals 1909. Da besuchte er zusammen mit seinem Freund Max Brod vom Gardasee aus (damals bei Österreich) eine große Flugshow in Brescia, über die er in der Prager Zeitung Bohemia ausführlich berichtete. Zum ersten Mal wurde hier das neue Flugwesen literarisch thematisiert. Kafka ist beeindruckt von den „Aeroplanen“ und den eleganten Besuchern, besonders von den Damen, beschreibt aber auch den Ärger mit einem Droschkenfahrer, der wegen des Events unverschämte Preise verlangt, Drohungen ausstößt und die Polizei holen will („das Gäßchen ist leer, der Kutscher ist stark“).
Hauptbahnhof Prag: Ausgangspunkt von Kafkas Reisen, © Wolfgang Ludwig
Auf der nächsten Italien-Reise im Jahr 1911 entstanden wieder eine Menge Reisenotizen, vor allem über reale und fiktive, meist weibliche Mitreisende. Die Reise führte über die Schweiz nach Mailand, das eine Attraktion anderer Art hätte bieten sollen: Kafka und Brod statteten dem Edelbordell „Al vero Eden“ einen Besuch ab. Allerdings war die Atmosphäre nicht ganz ihr Ding und sie zogen ohne Damenkontakte wieder ab („Bezahlen, konsumieren, gehen“ war dort die Devise). Kafka kritisierte, dass es sofort zur Sache ging, in Prag hingegen wären Small Talk und Plaudereien zuvor üblich. Heute würde man den Mantel des Schweigens über so eine Sache legen, oder eher über die meist illegalen Arbeitsverhältnisse und die Abnormität und Skrupellosigkeit der Kunden klagen. Damals beschrieben die beiden Herren unbekümmert die Unterschiede zwischen Prager Etablissements und dem in Mailand, als würden sie Warenhäuser vergleichen. Die Kafka Forschung bringt eben auch negative Seiten ans Licht.
Eine Cholera-Epidemie führte zu einem abrupten Abbruch der Reise.
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Eine Kafka-Statue in Prag von Jaroslav Róna, © Wolfgang Ludwig
Wie wird man Millionär?
Abgesehen von dem verunglückten Bordellbesuch und der Cholera hatten Kafka und Brod auf der Reise 1911 eine „geniale“ Idee: Sie wollten eine völlig neue Art von Reiseführern herausgeben, die für ein wenig zahlungskräftiges Publikum preisgünstige Reisen beschreiben sollte. Als Name war passenderweise „Billig“ angedacht. Max Brod schreibt in seinen Erinnerungen: „Franz war unermüdlich und hatte eine kindische Freude daran, die Prinzipien dieses Typs, der uns zu Millionären machen und vor allem der scheußlichen Amtsarbeit entreißen sollte...auszubauen.“ Einige der heißen Tipps für das künftige Lesepublikum lauteten: „Tramway“ statt „Droschke“ nehmen, in der 3. Bahnklasse reisen und Museumsbesuche auf Tage mit billigerem Eintritt zu verlegen.
Die beiden entwarfen inhaltliche Vorgaben und machten erste Notizen...aber leider: Es wurde nichts daraus. Das Reisepublikum dürfte auch von selber auf diese Tipps gekommen sein.
Zur Kur in Meran
1920 ging es nochmals nach Italien, nach Meran, das nun zu Italien gehörte. Er wohnte in der Pension Ottoburg. Kafkas Tuberkuloseerkrankung war schon weiter fortgeschritten, heilen konnte man sie nicht, aber die Kur sollte wenigstens Erleichterung bringen. Auch in Meran war die wirtschaftliche Lage recht traurig. Obwohl es besser ging als in Deutschland oder Österreich, kam dort kaum ein richtiges Urlaubsfeeling auf. Eigentlich wollte Kafka lieber in Partenkirchen kuren, aber er erhielt kein Einreisevisum, da man sich in Bayern nicht in der Lage sah, Ausländer „mitzufüttern“.
Im Frühjahr 1920 begann der berühmte Briefwechsel mit seiner in Wien verheirateten Freundin und Übersetzerin Milena Jesenská, die er im Sommer 1920 noch zweimal treffen sollte, verbunden mit unangenehmen Reisekomplikationen am Bahnhof Ceske Velenice (Gmünd) wegen eines abgelaufenen Visums.
Die Kur brachte nur kurzfristige Erleichterung. Bald wurden die Symptome der Krankheit wieder stärker. Kafka wurde frühpensioniert und verbrachte die letzten Monate in einem Sanatorium in Klosterneuburg (Niederösterreich), wo er am 3. Juni 1924 qualvoll starb.
Veranstaltungen in Regensburg
In vielen Orten Europas gab und gibt es im Gedenkjahr zahlreiche Veranstaltungen, auch in Regensburg, obwohl Kafka keine Beziehung zu der Stadt hatte.
Vom 12.10. bis 12.1.2025 zeigt die Ostdeutsche Galerie in Regensburg Illustrationen zu Franz Kafka, auch zu der erwähnten Erzählung „In der Strafkolonie“. Dabei sind unter anderem Werke des 1903 in Sarajevo geborenen Hans Fronius zu sehen, der viele Kafka-Texte illustrierte. In der Dauerausstellung gibt es Bilder aus Kafkas Prag.
Besonders interessant dürfte auch der Film über Marianne Steiner-Pollak, die Nichte von Franz Kafka (gestorben im November 2000), werden. Ort: Evangelisches Bildungswerk, Am Ölberg, 13.11.2024.
Viel über Kafka und seine Zeit erfährt man auch in: Rieder, Veronika u. Patrick Rina: Kafka in Meran. Edition Raetia, 2020.
Weitere Infos zu den anstehenden Kafka-Veranstaltungen:
kafka2024.de/mesto/regensburg
Wolfgang Ludwig | filterMAGAZIN