Im Herbst 1967 reiste Thomas Bernhard von Wien nach Regensburg, um die „Ehrengabe des Kulturkreises der Deutschen Industrie“ in Empfang zu nehmen. Das Geld interessierte ihn sehr, Regensburg gar nicht. Überhaupt: Viele europäische Städte erregten die Missgunst des Schriftstellers.
Dieser renommierte Preis der Deutschen Industrie (heute: Literaturpreis „Text & Sprache“), den schon viele namhafte Schriftstellerinnen erhalten hatten, war mit 8.000 DM dotiert, damals viel Geld. Das konnte der lungenkranke Bernhard (geb. 1931 Heerlen, NL, gest. 1989 in Gmunden, Oberösterreich) nach einem Spitalsaufenthalt, den er zum Teil selber bezahlen musste, gut gebrauchen. In dem posthum erschienenen Werk „Meine Preise“ (2009) erzählt er von der Reise nach Regensburg kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.
Herr wird zur Frau
Die Fahrt dauerte damals etwa vier Stunden. Thomas Bernhard notierte: „Die Donau wurde immer noch schmäler, die Landschaft wurde immer noch lieblicher, schließlich, wo sie (...) wieder öd geworden war und grau und fade, war Regensburg.“ Im Hotel „Thurn und Taxis“ fühlte er sich aber wohl, vielleicht auch, weil er eine geschätzte Kollegin traf: Elisabeth Borchers, die ebenfalls ausgezeichnet werden sollte. Am nächsten Abend fand im Alten Rathaus die Preisverleihung mit einer peinlichen Verwechslung statt: Der Vorsitzende der Deutschen Industrie, Berthold von Bohlen und Halbach, dem die ganze Sache offenbar ziemlich egal war, las die Laudatio lustlos vom Blatt ab und verwechselte dabei das Geschlecht der beiden Preisträger. Aber macht nichts. „Frau“ Bernhard kassierte den Preis, sah sich noch ein wenig in der Stadt um und äußerte sich in „Meine Preise“ sehr negativ. Die Stadt gefiel ihm gar nicht, „sie ist kalt und abstoßend und hätte ich nicht die Borchers gehabt und die achttausend Mark in Aussicht, ich wäre wahrscheinlich in der ersten Stunde wieder abgefahren.“
Lust auf Schimpfen
Das Schlechtmachen von Städten, Hasstiraden gegen Bewohner oder Personen erhob Bernhard zur Kunstform, die sein Markenzeichen wurde. Gnadenlos hielt er Menschen einen Spiegel vor, der ins Extreme verzerrte. Nazis, nach dem Krieg in Österreich und Deutschland in die Gesellschaft wieder eingegliedert, gehörte seine besondere Abneigung.
In fast jeder Stadt fand er Anlass zu Kritik, die er stark überzeichnete. Er hatte Erfolg damit, rüttelte auf und gab Anstoß, sich mit der Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Was früher Menschen und Politiker persönlich nahmen, gilt heute fast als Auszeichnung: Sich im Bernhard´- schen Beschimpfungskatalog wieder zu finden.
Die „Lechkloake“
Regensburg kam da noch glimpflich weg. In Augsburg hingegen gab es einen handfesten Skandal, nachdem Bernhard die Stadt am Lech in „Die Macht der Gewohnheit“ (1974) einem „muffigen verabscheuungswürdigen Nest“ gleichsetzte und sie als „Lechkloake“ bezeichnete. Der Oberbürgermeister von Augsburg beschwerte sich im August 1974 bei Suhrkamp. Verlagsleiter Siegfried Unseld verwies in seiner Antwort auf die Tatsache, dass Aussagen von Protagonisten in Stücken nicht mit der Meinung eines Autors identisch sein müssen und die Äußerungen über Augsburg nichts „mit der Realität Ihrer Stadt zu tun“ hätten.
© Wolfgang Ludwig
Die hässliche Stadt
In den Werken Thomas Bernhards werden dutzende Städte mit negativen Kommentaren versehen: In Bremen erhielt er 1965 einen Literaturpreis von beachtlichen 10.000 DM. Er verkroch sich im Hotelzimmer, „um die Stadt Bremen nicht sehen zu müssen“. Immerhin half ihm das Geld, einen Bauernhof in Oberösterreich zu kaufen, wo er sich bevorzugt aufhielt. Passau wird im Roman „Der Untergeher“ (1983) als „eine der hässlichsten Städte überhaupt“ bezeichnet. Dabei sind für ihn bzw. seine Figuren viele Städte die hässlichsten. Paris sei „abscheulich“ („lieber sterben als in Paris leben“), Linz wäre „die abstoßendste und die durch und durch hässlichste österreichische Stadt“ (In: „Der Stimmenimitator“, 1978) und Wien sei eine „fürchterliche Genievernichtungsmaschine“ (Aus: „Holzfällen“, 1984), für die ein anständiger Mensch „nur mehr Spott und Hohn und die tiefste Verachtung übrighaben kann“. Positiv äußerte sich Bernhard über Lissabon, zumindest lässt er den Ich-Erzähler Josef Murau in „Auslöschung“ (1986) über Lissabon, die „herrlichste aller Städte“, sagen: „Lissabon ist tatsächlich noch schöner als Rom, aber es ist eine Provinzstadt.“
Kaffeehaus Bräunerhof
Das Bräunerhof war bevorzugter Aufenthaltsort Bernhards, wenn er von seinem Bauernhof in Oberösterreich, wo er wohnte, Wien besuchte. Seinen Lieblingsplatz muss man heute beim Kellner extra erfragen, denn gekennzeichnet ist nichts. Man möchte unter keinen Umständen zu einem Hotspot für Literaturpilger werden, sondern einfach ein möglichst ursprüngliches Kaffeehaus bleiben. Hier saß er stundenlang bei einer „Melange“ und fühlte sich wohl. Denn das „typische Wiener Kaffeehaus (...) habe ich immer gehasst.
Andererseits fühlte ich mich jahrzehntelang gerade im BRÄUNERHOF (...) wie zuhause.“ Vielleicht schrieb er hier auch die Zeilen: „Wien ist mir verhasst. Ich bin doch nicht (...) in einer bis an den Rand mit ihrem Unrat angefüllten Kloake zuhause.“ Dagegen klingen die Worte über Regensburg ja noch harmlos... Weitere Städtekommentare und Beschimpfungen in: „Städtebeschimpfungen“ (Suhrkamp, 2016) – nicht ganz neu, aber immer noch sehr amüsant.
© Wolfgang Ludwig
Anmerkung zu den Zitaten und Jahreszahlen der Bücher: Alle Zitate stammen aus dem oben erwähnten Suhrkamp-Buch „Städtebeschimpfungen“ (2016), wo wiederum die Bernhard´sche Gesamtausgabe als Quelle angeben wird: Thomas Bernhard: Werke, 22 Bände. Hrsg. Von Wendelin Schmidt-Dengler. Suhrkamp: Frankfurt/M, 2003-2015
Wolfgang Ludwig / RNRed