Verseuchte Babynahrung! - Killerkäse aus Österreich tötet sieben Menschen! - Erneuter Gammelfleischskandal!
Die Schlagzeilen der Medien künden von immer neuen Lebensmittel-Skandalen, die Verbraucher werden ? zumindest kurzzeitig ? aus ihrer Lethargie geweckt. Die einen sind empört, möchten mehr erfahren, was in ihrem Essen drin ist, informieren sich oder steigen auf Bio-Produkte um, die anderen winken ab und sprechen von Panikmache.
Spätestens seit dem letzten und schlimmsten Fall von Lebensmittel-Verseuchung ? Listerien-Bakterien in Käse von der Firma Prolactal, in Deutschland von Lidl verkauft ? , an der sieben Menschen starben und Dutzende schwer erkrankten, stellen sich verunsicherte Verbraucher die Fragen:
"Wie sicher sind unsere Lebensmittel?"
und "Inwiefern werden Hersteller und Händler kontrolliert und wie stark kann man sich darauf verlassen?"Dazu sagte in einem Bericht auf Stern.de vom 10. März der Vize-Chef des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure Harry Sauer wörtlich: "Lebensmittelsicherheit ist in Deutschland eine Mogelpackung".
Grund: Für eine Million Betriebe wie Schlachtereien, Molkereien, Gasthöfe, Supermärkte, Restaurants etc. seien gerade mal 2500 amtliche Kontrolleure zuständig. Engmaschige Überprüfung gleich null, eher ein Tropfen auf dem heißen Stein. Manche Betriebe könnten nur alle drei Jahre überprüft werden, manche Produkte gar nicht. Für mehr Personal fehle allerdings der politische Wille.Denn: Für die Überwachung sind die Länder, und nicht der Bund zuständig. Laut Sauer sei diese zersplitterte Struktur mitverantwortlich für die Misere, denn es würde nur nach Finanzlage der Gemeinden entschieden. Wenn diese sowieso schon knapp bei Kasse sind, würden sich die zuständigen Landräte dreimal überlegen, ein gewinnträchtiges (und eventuell verdächtiges) Unternehmen genau unter die Lupe zu nehmen und eventuell lahmzulegen. Das zuständige Verbraucherministerium unter Ilse Aigner (CSU) sehe hier zudem keinen Handlungsbedarf.
Das dritte und vielleicht größte Problem sei die mangelnde Information der Öffentlichkeit. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) veröffentlicht zwar die Ergebnisse der kommunalen und länderübergreifenden Lebensmittelkontrollen in verwirrenden Daten und Zahlen, aber in welchen Betrieb was beanstandet wurde, gehe laut Stern.de nicht daraus hervor, auch nicht auf Nachfrage. Die Verbraucherschützerin Angelika Michel-Drees berichtet dazu, dass die berechtigte Forderung der Verbraucherschützer, die Verantwortlichen beim Namen zu nennen, regelmäßig abgewiesen werde mit der Begründung, dass man Betriebsgeheimnisse wahren müsse und Unternehmen nicht in wirtschaftliche Gefahr bringen wolle.
Was aber ist mit der Gefahr für die Verbraucher?
Zwar werden besonders akute Fälle von den Kontrollbehörden und dem BVL ans Europäische Schnellwarnsystem weitergeleitet, das die verseuchten Lebensmittel auflistet, aber auch dort bleiben Hersteller und Händler anonym. Die belasteten Produkte werden zwar aus dem Handel entfernt, aber Otto Normalverbraucher erfährt trotzdem nicht, welchen schimmligen Käse er schon daheim liegen hat und bei der nächsten Brotzeit genüsslich vertilgt.
Die Verbraucherorganisation "foodwatch" mit Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode (63) an der Spitze tritt seit Jahren erfolgreich gegen Verbrauchertäuschung und Etikettenschwindel an. Im "Killerkäse"-Fall fand foodwatch heraus, dass den Behörden in Österreich bereits am 20. Januar 2010 ein Bericht vorlag, aus dem eindeutig hervorging, dass die gemeldeten Listeriose-Erkrankungen auf den Käse von Prolactal zurückgingen. Spätestens Anfang Februar wussten die deutschen Stellen davon. Zwar empfahl Lidl am 23.01. auf seiner Homepage, aus "Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes" den Käse nicht zu essen, der Zusammenhang mit den Todesfällen wurde jedoch nicht erwähnt.
Erst am 16. Februar, als das Robert-Koch-Institut auch die zwei deutschen Todesfälle auf den "Killerkäse" zurückführte, veröffentlichte Lidl eine verschärfte Warnung.
Fast drei Wochen seit Bekanntwerden sind vergangen, in denen man die Menschen hätte warnen können.
Tatsächlich besagt Paragraf 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes (LFGB), dass Behörden vor Sicherheitsgefahren zwar warnen "sollen" ? aber sie MÜSSEN nicht!
Thilo Bode kritisiert dazu in seinem Buch "Abgespeist ? Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können", dass Verbraucher fast keine Rechte hätten, systematisch betrogen und irregeführt würden. Die Hersteller würden wichtige Informationen verschweigen, die Verbraucher sind machtlos, denn der Staat stünde aufgrund wirtschaftlicher Interessen letztendlich auf Seiten der Industrie.
Da Rohstoffe immer teurer werden, würden Lebensmittel durch künstliche Aromen, Zusätze und Farbstoffe aufgehübscht, geschickte Werbung verkaufe sie als Qualitätsprodukt.
Was also im Erdbeer-Joghurt als "natürliches Aroma" gepriesen wird, stammt laut Bild.de von Sägespänen statt Früchten. Analogkäse und Formschinken sind nur die Spitze des Eisbergs.
Wie auch in Bezug auf den Inhalt durch Werbung getäuscht wird, zeigt Abgespeist.de, eine Aktion von foodwatch, die für besonders dreiste Werbelügen den "Goldenen Windbeutel" verleiht. Beispielsweise enthalten Produkte speziell für Kinder "Mit der Extraportion Milch" kaum Kalzium, dafür mehr Zucker und Fett als Vollmilchschokolade. "Gesunde" Fruchtdrinks haben mehr Zucker als Cola und die Zitronensäure darin greift (Milch-)zähne an.
Pestizid- oder Metallbelastung, Schimmelbefall, Salmonellen ? laut BVL-Liste keine Ausnahmen. Allein im März 2010 wurde im Schnellwarnsystem all dies in Käse, Gewürzen, Nüssen, Backwaren oder Gemüse gemeldet. In welchen Waren genau und wo zu kaufen ? Fehlanzeige.
Auf nichts könne man sich mehr verlassen, sagt auch Bode. Dabei gilt: Teuer bedeutet nicht zwangsläufig gut. Die elitäre Aussage der Hersteller, dass die Verbraucher wegen ihrer "Geiz ist geil"-Mentalität selber schuld sind, findet Bode unterträglich. Denn viele müssen aufs Geld schauen und haben trotzdem das Recht auf gute Lebensmittel. Das A und O sei laut Bode, dass die Verbraucher erst über die herrschenden Misstände aufgeklärt werden und sich dann organisieren. Nachfragen, sich informieren, unbequem und sauer werden: Nur so könne man die Lebensmittelkonzerne aufschrecken und die Politik zum Handeln bewegen.
Ein guter Anfang wäre die Ampelkennzeichnung gewesen, die die Inhaltsstoffe in Lebensmitteln in Rot, Gelb, Grün und somit für den Verbraucher verständlich einteilt. Eine entsprechende EU-Petition wurde laut foodwatch am 16.03.10 zwar knapp abgelehnt, aber die letzte Entscheidung des Parlaments fällt erst im Mai. Natürlich stellt sich die Industrie dabei quer, denn man könne so auf den ersten Blick erkennen, wie viel Zucker und Fett wirklich in den als "gesund" oder "Fitness" beworbenen Produkten stecken.
Handlungsbedarf besteht dringend, denn laut Bundesverband der Verbraucherzentralen sind in Deutschland bereits zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig und somit die dicksten Europäer. Sowie jedes fünfte Kind und jeder dritte Teenie. Grund: Zu wenig Bewegung, zu viele Kalorien in Form von Fastfood, Fertigprodukten und nicht zuletzt aufgrund irreführenden Ettikettenschwindels.
Was kann man dann überhaupt noch essen?
Doch auf Bio könne man sich nicht komplett verlassen. Denn laut Bode macht der Etiketten-Wirrwarr auch nicht vor dem Bio-Markt halt. Zwar werden die Tiere artgerechter gehalten und die Pestizidbelastung sei geringer, doch auch Bio-Ware kann Bode zufolge Zusatzstoffe enthalten oder aus fernen Ländern importiert werden, was dem zugrundeliegenden Umweltgedanken zuwiderläuft. Man solle hier auf Bio-Siegel mit strengen Kriterien achten wie "Demeter".
Ob man sich wirklich mit Bio-Produkten gesünder ernährt, ist bis jetzt mit größeren Studien nicht bewiesen worden, so Sueddeutsche.de. In vielen Umfragen und Versuchen betonten diejenigen, die Bio-Produkte zu sich nehmen, dass sie sich besser fühlen, was laut Bericht von Sueddeutsche.de aber eher daran liegt, dass man das Gefühl hat, etwas Gutes für sich und die Umwelt zu tun. Da schmecken die verkosteten Lebensmittel gleich besser. Basiert Bio also nur auf dem Placebo-Effekt? Zumindest würde für den Ökoanbau weniger fossile Energie verbraucht. Wer seinen kleinen Teil dazu beitragen will, Umwelt und Tier zu schonen, setzt bei Bio-Produkten zumindest an der richtigen Stelle an.
Die Verbraucher zeigen langsam, dass sie es nicht länger hinnehmen werden, systematisch von geschäftstüchtiger Industrie und handlungsunwilliger Politik betrogen zu werden. Hinsehen statt Wegsehen lautet die Devise. Denn jeder hat das Recht zu wissen, was in seinem Essen drin ist. Weder die Wirtschaft noch die Politik oder die Werbung, sondern jeder mündige Mensch sollte endlich selbst die Freiheit haben zu entscheiden, was er WIRKLICH zu sich nimmt. (Christine Zimmer)
Macht unser Essen krank? Die Gefahr aus dem Einkaufswagen
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- Kategorie: Panorama
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