Die Suche nach einem mittelalterlichen Hafen ist in Regensburg fast so alt wie die Archäologen selbst, für die die Frage nach dem "Wo?" längst zur Lebensaufgabe geworden ist. Einen Hafen fand man zwar nicht, aber zu Beginn dieser Woche stießen die Ausgrabungsteams am Donaumarkt auf etwas, was einer Schiffs-Entladestelle schon sehr nahe kommt. Heute wurden die Fundstücke zur exakten Untersuchung abtransportiert.
Kulturreferent Klemens Unger freute sich wie ein kleines Kind, als er so etwas wie einen bestimmt 1.100 Jahre alten Anlegesteg der Öffentlichkeit präsentieren konnte. "Es ist schon ein in Bayern einzigartiger Fund, ja sogar eine kleine Sensation", fügte Dr. Lutz Dallmeier, seines Zeichens oberster Denkmalpfleger der Stadt, hinzu. Am Dienstag hatten Archäologen ein steg-ähnliches Plateau aus Holzbohlen am Donaumarktes direkt neben der Eisernen Brücke freigelegt.
Die Freude der Historiker lässt sich ganz einfach erklären: "Regensburg ist natürlich heute auch noch eine wichtige Stadt. Aber in dieser Zeit um das 10. Jahrhundert, der diese Fundstücke zuzuordnen sind, galt es als eine Art Metropolis, die wohl wichtigste Hauptstadt in der Karolingerzeit weit und breit. Hier gingen Kaiser und Könige ein und aus und bezogen Residenz", so Dallmeier. Natürlich wolle man daher Details des Alltagslebens aus jener Zeit erforschen. "Details, die uns wahnsinnig am Herzen liegen, um die Historie wirklich präsent machen zu können."
Selbst für die hartgesottenen Ausgrabungs-Profis unter den Archäologen sei dieser Fund etwas ganz besonderes, weil sich die Hölzer in dem feuchten, flussnahen Milieu überhaupt so gut konservieren konnten über diese mindestens 1100 Jahre. Da es offenbar im Laufe der Jahrhunderte zu keiner Berührung mit der Luft gekommen sei, blieben die Hölzer weitestgehend erhalten ? eine absolute Seltenheit. "Es ist auch deshalb so besonders, weil wir wissen, wie unsere Vorfahren am Ufer unterwegs waren und was sie hier getan haben", erklärt Dallmeier.
"Bei alten Ausgrabungen von Pfahl-Befestigungen hatten wir ja bereits herausgefunden, dass sich das Donauufer damals etwa 25 Meter südlicher ? also näher an der Altstadt ? befand." Damit würde der jetzige Holzbohlen-Fund genau mit dem damals veränderten Flußlauf übereinstimmen. Es könnte sich also auch um ein Plateau handeln, auf das man Boote oder Kähne gezogen oder aber auch Waren entladen hat.
"Es ist zwar kein seit Ewigkeiten herbeigesehnter Hafen, aber der gesamte Bereich wurde offenbar genutzt, um Waren anzulanden und zu verstauen", ist sich Dallmeier sicher. Die Fläche unmittelbar vor der alten, römischen Stadtmauer sei einst unverbaut und ideal dafür gewesen, größere Mengen an umgeschlagenen Waren zu lagern. Doch die musste man erst einmal trockenen Fußes vom Schiff bekommen.
"Wie wir auch jetzt im feuchten Herbstwetter sehen, sind solche tieferliegenden Bereiche in Ufernähe extrem schlammanfällig. Und wie kann man sich gegen Schlamm schützen ? indem man solche Hilfskonstruktionen aus Holz baut. Selbst in Venedig sind alle Befestigungen im Hafen- und Nassbereich aus Holz", erklärt Dr. Silvia Codreanu-Windauer vom Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege.
"Ich war nicht allzu sehr überrascht, da wir in letzter Zeit auf einige relativ gut erhaltene Feuchtfunde stießen. Aber über einen derart großer Zusammenhang von Holzbohlen, die sogar mit noch vorhanden Holznägeln verbunden wurden, habe ich mich irrsinnig gefreut. Holznägel hatte man daher genommen, weil sie bei höherem Wasserstand mit dem Holz aufquellen und auch wieder mit dem Holz trocknen." verrät die Referentin für mittelalterliche und neuzeitliche Archäologie.
Nur wenige Meter vom Holzsteg (Foto links) entfernt fanden die Archäologen zwei lange Pfähle, die zu einer Rinne konstruiert waren. "Vielleicht dienten sie als eine Ableitung von einem Badehaus, es könnte sich aber auch um eine Art Kanäle handeln, in dem das Abwasser aus der Stadt gespült wurde", mutmaßt Dallmeier. Badehäuser habe es damals durchaus gegeben ? wie auch einen Stadtgraben unweit der alten, römischen Stadtmauer.
Genau zwischen dem Holzplateau und der hölzernen Wasserableitung befindet sich offenbar ein weiterer historischer Volltreffer: Eine etwa 1,20 Meter hohe und einen Meter breite, freigelegte Mauer, die vermutlich ein Teil der Stadtbefestigung war und ebenso aus dem 10. Jahrhundert stammen könnte, hofft Dr. Silvia Codreanu-Windauer. "Es ist durchaus möglich, dass wir gerade vor der ältesten, mittelalterlichen Stadtmauer stehen, die wir bisher gefunden haben.", fügt Dr. Lutz Dallmeier hinzu.
Der hölzerne Bohlenweg bleibt aber das Prunkstück der Funde. Er sei mindestens ottonisch, also aus dem 10. Jahrhundert. Unger erwähnt hier sogar die Möglichkeit eines Zusammenhangs mit einem Brückenbau Karls des Großen im 9. Jahrhundert nur einen Steinwurf entfernt. Damit wäre der Bohlenbau gar karolingisch. Oder aber die Römer hätten einst gar schon derartige Konstruktionen an der Donau errichtet, was eine bedeutende Lücke in der Geschichte Regensburgs schließen würde.
Aus welchem Jahrhundert die Konstruktion aber exakt stammt, werde sich zeigen, wenn man die Holzbohlen dendrochronologisch untersucht. Dafür wurden sie heute vormittag vorsichtig gelöst und zum Abtransport fertig gemacht. So könne man anhand der Jahresringe genau feststellen, wann der Baum gefällt worden ist. Diese Untersuchung werde sich aber einige Wochen hinziehen. Erst dann haben alle Spekulationen ein Ende.