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Sie mögen den Rest der Woche genau so wenig wie Montag: Regensburg und seine BOOMTOWN RATS? Wir trafen ganz unterschiedliche Menschen, an denen der derzeitige Aufschwung einfach so vorbeirauscht. Die bewegenden Geschichten lesen Sie hier.

Noch nie stand unsere Heimatstadt so gut da wie derzeit. Doch mit den steigenden Mieten in Regensburg ändert sich auch das Gesicht der Obdachlosigkeit. Sie trifft viele heute schneller als früher - im gutgestellten Regensburg  ist die Zahl der Wohnungslosen in den vergangenen Jahren schleichend gestiegen ? obwohl offiziell nur von wenig Obdachlosigkeit die Rede ist.

Frank ist Regensburger. Eigentlich könnte er stolz drauf sein. Ist er doch Teil einer florierenden Metropole mit Welterbestatus. Einer Stadt, die alleine in den nächsten fünf Jahren über eine halbe Milliarde in Kultur und Bildung, Infrastruktur, eine steinerne Brücke sowie ein schmuckes Fußballstadion stecken wird.   

Doch davon wird Frank nicht satt. Das zusammengesammelte Kleingeld reichte an diesem Tag gerade mal für einen halben Liter Bier, eine Breze und eine Wurstsemmel. Wenn es die Obdachlosen-Zuflucht in der Taunusstraße nicht gäbe, müsste er die bevorstehende Nacht bei Minus sieben Grad im Freien verbringen oder darauf hoffen. Sein Freund Walter versucht es Nacht für Nacht in einem warmen Geldautomaten-Vorraum einer Bank. Doch Frank hat keine Lust, jede Zweite Nacht von Ordnungshütern wieder ins Freie befördert zu werden. Das ist ihm den einen Euro für die Unterkunft für Gestrandete wert.
Und besser als nichts ist es sowieso, da sind sich alle einig, die auf ein Zimmer im Städtischen Unterkunftsheim an der Taunusstraße warten. "Eine Etage drunter ist dann die Platte", sagt Frank."Wir haben noch niemanden auf der Strasse schlafen lassen" erzählt der zuständige Leiter des Ordnungamtes, Alfred Santfort. Selbst wer den einen Euro nicht aufbringt, werde nicht abgewiesen. Doch komplett belegt ist das Haus mit seinen 33 Betten aber nie. Erstaunlicherweise sei die Nachfrage nach Übernachtungen in den eisig kalten Wintermonaten kaum größer als zu anderen Jahreszeiten.
Auch die 24jährige Julia wollte dort schon übernachten. "Allerdings sind Haustiere und stark Betrunkene in der Taunusstrasse nicht erwünscht", erzählt die Wohnsitzlose, die mit ihren zwei Hunden vor etwa 8 Monaten aus Franken nach Regensburg kam und hier wegen ihrer neuen Liebe hängen blieb. Zum Glück hat ihr ebenso arbeitsloser Freund Lars mittlerweile eine Wohnung vermittelt bekommen.

Geholfen hat hierbei Frührentner Andi. Der ehemalige Drogenabhängige leidet an MS und hilft ? nachdem er selbst beim Streetwork-Unterstützerkreis SOFA Zuspruch und in offenes Ohr bekam ? Menschen ohne Perspektive in Not. "Wenn Du Hartz IV bekommst, vereinsamst Du im Geist und die Decke fällt einem auf den Kopf", erzählt der 42-Jährige, der immer etwas von der Welt sehen wollte, aber in Regensburg gestrandet ist.

"Die Strukturen und die Leute haben sich geändert." Den Tippelbruder, der auf verschlungenen Wegen von Hamburg nach Regensburg kommt, gebe es nicht mehr, seit viele Kommunen sich dem Problem Wohnungslosigkeit geöffnet haben, seit es Jobcenter in jeder größeren Gemeinde gibt und jeder soziale Leistungen direkt dort beziehen kann, wo er sich befindet", erzählt Andi.

Jeden Mittwoch trifft er im Sofa-Kontaktladen in der Ostengasse auf Gleichgesinnte, die sich sonst überwiegend im Bahnhofspark aufhalten. Laut Reinhard Kellner, Vorsitzender der Sozialen Initiativen, werde der wöchentliche Frühstücktreff gut angenommen. Heute trifft Andi hier auf Julia mit Freund Lars sowie auch auf Frank und Walter. Die beiden Männer haben sich schon seit zwei Tagen auf den warmen Eintopf gefreut, der bei SOFA gereicht wird.

Dazu, schätzt Kellner, kämen immer mehr vor allem jüngere Menschen zwischen 22 und Anfang 30, die jahrelang bei wechselnden Freunden und Bekannten nächtigen, bis sie auch aus diesem System fallen. "Viele die wir kennen, haben so angefangen." Und dann ist es oft die Scham oder die gefühlte Unfähigkeit, sich wieder in die Gesellschaft einzufügen, die sie in der Obdachlosigkeit verbleiben lässt.
Das Problem sei ein immer währender Teufelskreislauf, meint Obdachlosenpater Clemens Habiger. Laut Grundsicherung stünde den Menschen ja auch eine Wohnung zu, nur gebe es in Regensburg viel zu wenig bezahlbare Sozialwohnungen. "Einige Makler haben sich förmlich auf Hartz IV Empfänger spezialisiert und betreiben Hundehütten-Vermietung zu Höchstpreisen", prangert Habiger an. "Die errichtet tolle neue Wohnprojekte, aber jemand, der nur von der Grundsicherung lebt, kann sich das nicht leisten", erklärt Reinhard Kellner das Problem.    

Die Kluft zwischen dem Reichtum Regensburgs und der Armut einer nicht zu unterschätzenden Zahl seiner Einwohner wird immer größer. Die Obachlosen der Stadt, deren Zahl zwischen 50 und 150 schwankt - je nach offizieller Angabe oder inoffizieller Schätzung ? sind da nur die Spitze des Eisbergs. Auch an vielen Alleinerziehenden und Langzeitarbeitslosen zieht der Aufwärtsexpress vorbei, ohne dass sie eine Chance haben, aufzuspringen. An die 8000 Regensburger schaffen es derzeit nicht, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien aus eigener Kraft zu bestreiten.

"Wer kaum Geld zum Leben zur Verfügung hat, der hat auch wenig Möglichkeiten, kulturelle und soziale Angebote in unserer schönen Stadt zu nutzen und am öffentlichen Leben teilzunehmen", betont der Obdachlosenpater. "Regensburg ist zwar eine schöne Stadt" verrät Walter, "aber die Menschen hier behandeln einen wirklich wie menschlichen Abfall." Und obwohl es mittlerweile eine ausgedehnte Palette an Beratungs- und Hilfsangeboten vor allem von sozialen Einrichtungen und Initiativen gibt, ist Armut in Regensburg ein nach wie vor nicht zu beschönigendes Problem.

"Frei gewählt ist das Leben auf der Straße nie", sagt Schorsch, der vor einem Jahr in Regensburg im Alter von 62 Jahren sozusagen ein neues Leben begann. "Wer obdachlos ist, hat meist nicht einfach Arbeit, Wohnung oder familiäre Bindung verloren, sondern oft auch eine psychische Erkrankung, ist alkohol- oder drogenabhängig - und hat Furcht, wieder zu scheitern."

Er selbst habe 40 Jahre hart gearbeitet. Dann - kurz vor der Rente - habe ihn eine schwere Krankheit  ans Klinik-Bett gefesselt. Als der alleinstehende Mann ohne Familienanschluß nach sechs Monaten wieder in seine Wohnung wollte, gab es sein Zuhause nicht mehr. Das Haus der verschuldeten Eigentümerin zwangsversteigert, sein ganzes Hab und Gut entsorgt, weil keiner von seinem Klinikaufenthalt wusste.

"Ich hatte weder Kleidung noch Möbel, als Erinnerung blieb ihm nur noch sein Gedächtnis, weil auch sämtliche Fotos die ungewollte Wohnungsauflösung durch die Behörden in Bad Kötzting nicht überlebten", erzählt der 63-Jährige. Freunde waren plötzlich keine Freunde mehr und so fand er sich auf einer Parkbank in Regensburg wieder. "Ich saß da und bat den Herrn da oben, doch besser Schluß zu machen. Aber er hörte nicht auf mich." Zum Glück. Mittlerweile - ein Jahr später und nach unzählichen Nächten ohne Obdach - hat Schorsch eine kleine Wohnung in Regensburg.

Bescheiden war er schon immer. Und so hilft Schorsch für jeden Teller Suppe, den er bei SOFA bekommt, tatkräftig mit. "Wenn man auf der Straße lebt, geht's nicht mehr drunter und wegnehmen kann Dir niemand mehr was." Lange hat er es draußen nicht ausgehalten, dann kam der Winter, es war kalt. Etwa die Hälfte der Männer schaffen das, sagen sie hier beim Treff. "Das wäre schön", meint Kellner. "Aber es ist wohl eher nur ein Drittel."

Der Maschine mit frischem, heißen Filterkaffee gluckert. Aus dem kleinen Radio in der SOFA-Küche schallt ein Lied der Band Zweiraumwohnung. Zynisch? Andi grinst. "Wieso? Passt doch." Schorsch - am Ende der Theke mit dem Abwasch beschäftigt - ergänzt: "Den Humor darf man nicht verlieren. Einmal, da habe ich ihn verloren. Da bin ich dann einfach umgedreht und habe ihn gesucht. Jetzt habe ich ihn wieder."
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Schlagzeilenbild: HalfPoint / bigstockphoto.com - Stock Foto 38482333

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