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Lange wurde diskutiert, jetzt steht es endlich fest. Ab 1. Januar sollen alle Arbeitnehmer in Deutschland mindestens 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Eine Entlastung für die Arbeitswelt oder schlägt das neue Gesetz mit negativen Auswirkungen genau in die entgegengesetzte Richtung?



Paul S. (Name von der Red. geändert) bangt um seinen Arbeitsplatz. Zu Recht. Bisher wurden in seiner Firma schon rund 300 Leute aufgrund der Einführung des Mindestlohns entlassen. Die Kosten steigen, die Arbeitnehmer können nicht mehr alle bezahlt werden. Der 23-jährige Promoter aus Regensburg verdient sechs Euro in der Stunde, „trotzdem würde ich lieber meinen Job behalten und auf das bisschen Geld mehr verzichten.“ Mit seinen Ängsten ist Paul nicht alleine. Professor Dr. Peter Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Sozial-, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Uni Regensburg, erklärt, dass Arbeitnehmer durch mögliche Kündigungen nicht mehr rentabel arbeiten können. Zu groß ist der Druck, Zukunftsängste steigen.

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hätte jeder sechste Arbeitnehmer Anspruch auf eine Lohnerhöhung. Vor allem Minijobber, Schüler, Studenten, Rentner und Arbeitslose mit einem Hilfsjob verdienen oft weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Von ihnen könnte jeder Zweite profitieren. Theoretisch. Denn bis 31. Dezember 2016 stehen dem unzählige Ausnahmen im Weg. Ausnahmen, die Langzeitarbeitslose, Praktikanten und Jugendliche ohne Ausbildung betreffen. Aber auch in den einzelnen Branchen gibt es Sonderregeln. „Übergangsweise gehen für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge dem Mindestlohn vor“, erklärt Professor Dr. Enzo Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung an der Universität Regensburg. So gilt in den nächsten Jahren zum Beispiel für Zeitungszustellern ein Niveau von 75 Prozent bzw. 85 Prozent des Mindestlohns.

Ob der Mindestlohn mit 8,50 Euro die richtige Messlatte legt, bleibt offen. „Das ist vorab sehr schwer zu sagen. Ein Mindestlohn muss hoch genug liegen, dass er Fehlentwicklungen korrigieren kann“, so Professor Dr. Weber. „Aber nicht so hoch, dass er Beschäftigung zu sehr verteuert. In Großbritannien hat es sich als praktikabel erwiesen, zunächst auf einem relativ niedrigen Niveau zu beginnen und dann unter starker wissenschaftlicher Beteiligung Anpassungen vorzunehmen.“ Zwar ist ein Mindestlohn wegen der deutlich gestiegenen Lohnungleichheit sinnvoll, allerdings hätte die Art und Weise laut der Meinung des Experten überdacht werden können. Besser ausgearbeitet. „Durch moderates Vorgehen hätten Risiken verringert werden können. Vorstellbar wäre zum Beispiel gewesen, sich an ein angemessenes Mindestlohnniveau heranzutasten und dabei laufende Erfahrungen und wissenschaftliche Untersuchungen einzubeziehen.“ Dass die Einführung des Mindestlohns im Vorfeld nicht ausreichend diskutiert wurde findet auch Professor Dr. Fischer. Dennoch ist der Wirtschaftspsychologe grundsätzlich für einen Mindestlohn. „Aus humanistischer Sicht ist das schon lange notwendig. Für gute Arbeit muss es gutes Geld geben.“

Wem nützt, wem schadet der Mindestlohn?

„Der wesentliche Nachteil liegt in dem Risiko, dass Beschäftigungen verloren gehen können“, weiß Professor Dr. Enzo Weber. Der Leistungsdruck der Arbeitnehmer steigt, gesundheitliche Probleme wie Burn Out können die Folge sein. Die Mehrkosten wirken sich allerdings auch auf die Preise aus, die höheren Arbeitskosten müssen teilweise an die Kunden weitergegeben werden. „Auf mehr Akzeptanz werden Preiserhöhungen zum Beispiel im Friseurhandwerk stoßen“, so Professor Dr. Weber. „Hier ist allgemein bekannt, dass die Leistungen teilweise sehr günstig angeboten werden. Schwieriger wird es bei Preisanpassungen in Branchen sein, die starkem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind.“ Wie stark mögliche Effekte auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit ausfallen, lasse sich vorab kaum prognostizieren.

Trotzdem bringt der Mindestlohn auch aus Sicht der Experten einige positive Wirkungen mit sich. „Der Vorteil ist eine Begrenzung der Ungleichheit“, ist sich Professor Dr. Weber sicher. Generell gibt es durch den Mindestlohn aber auch eine höhere Jobstabilität, mehr Investitionen der Beschäftigten in betriebsspezifisches Wissen und leichtere Stellenbesetzung. „Außerdem stellt der Staat sich finanziell besser, da Sozialleistungen sinken und auch mehr Steuern eingenommen werden“, erklärt Prof. Dr. Weber.

Aber steigert der Mindestlohn auch die Motivation der Arbeitnehmer? „Ja und Nein“, sagt der Wirtschaftschaftspsychologe Professor Dr. Fischer. „Aus der Lernperspektive kann man sagen, dass die Leistungsbereitschaft und Motivation des Arbeitnehmers steigt, wenn man diesem einen höheren Anreiz gibt. Durch Belohnung verstärken wir unser positives Verhalten.“ Jedoch kann auch die sogenannte Frustrationskomponente ins Spiel kommen. „Der Arbeitnehmer könnte durch den Mindestlohn denken, dass er schon immer einen Anspruch auf mehr Lohn gehabt hätte und der Arbeitgeber ihm diesen bisher nicht zugestanden hat. Dann steigt die Arbeitsbereitschaft nicht.“ Welches Verhalten der Arbeitnehmer an den Tag legt, ist typabhängig und lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Menschen verdienten bisher bei einem Vollzeit-Job weniger als ein Hartz IV Empfänger. Schafft der Mindestlohn für sie Anreize zurück in die Arbeitswelt? „Jeder Mensch hat das Grundbedürfnis zu arbeiten. Nur die wenigsten Menschen beziehen lieber Hartz IV – auch wenn sie in ihrem Job weniger verdienen als der Sozialhilfeempfänger. Der Grund liegt darin, dass wir Arbeit für unser Selbstwertgefühl und unsere Gesundheit brauchen. Bei Langzeitarbeitslosen beispielsweise lässt sich eine deutlich höhere Zahl an Depressionen feststellen.“

Wichtig bei dem neuen Gesetz ist vor allem eine gute Kontrolle. Damit sich die Unternehmen an die Regeln halten. „Viele Firmen werden den Mindestlohn aber als gegeben hinnehmen und das Beste daraus machen“, ist sich Professor Dr. Weber sicher. „Schließlich gibt es neben der Belastung durch höhere Kosten auch mehrere Vorteile.“ In mehr als einem Dutzend Branchen gelten Lohnuntergrenzen. Vor allem das Gastgewerbe, der Einzelhandel, Taxigewerbe, Friseure, aber auch Call Center müssen sich mit den Löhnen am meisten anpassen. Hier können allerdings auch die Preise durch den Mindestlohn um 10 oder 20 Prozent steigen.



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