Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, ein besseres Leben, treibt sie in den gefährlichen Einfluss von Menschenhändlern. Osteuropäerinnen werden nicht nur im Ausland zur Zwangsprostitution genötigt, auch in Deutschland, selbst in Regensburg, gibt es einschlägige Häuser, die als Gefängnisse für junge Frauen und Kinder dienen.
Sie vertrauen den falschen Personen, werden ausgebeutet und bedroht. Wer einmal in die Falle von Menschenhändlern tappt, findet nur schwer wieder einen Weg aus dem Strudel voller Lügen und Kriminalität. Der Umsatz von Menschenhandel wird jährlich auf ganze siebe Milliarden Euro geschätzt, genauso viel wie der internationale Drogenhandel einbringt. Nicht nur im Ausland werden Osteuropäerinnen ausgenutzt, auch in Deutschland hinterlassen Menschenhändler ihre Handschrift. Durch die Grenznähe ist auch unsere Stadt von den dunklen Machenschaften betroffen. Laut der Polizeidienststelle Oberpfalz, sind vier von fünf Fällen in Regensburg lokalisiert.
In Regensburg werden die Frauen in unauffälligen Privatwohnungen festgehalten. Mitten im Stadtgebiet. Ganz anonym. Unter den schlimmsten Bedingungen. Die Opfer leben in ständiger Angst, ungewiss, was sie als Nächstes erwartet. Jeden Tag kommt eine neue Welle der Ausbeutung auf sie zu. Mitte Mai soll in Regensburg eine SOLWODI-Einrichtung (SOLidarity with WOmen in DIstress – Solidarität mit Frauen in Not) gegen den Menschenhandel ankämpfen und einen sicheren Hafen für Frauen in Not darstellen. „Wir helfen den Opfern aus der Zwangsprostitution, begleiten sie auf ihrem Weg zurück ins Leben und eventuell auch zurück in ihre Heimat“, erklärt Karin Schlecht, Diözesanvorsitzende des Katholische Deutschen Frauenbundes in Regensburg. „Es gestaltet sich sehr schwierig aus den Kreisen der Menschenhändler zu fliehen, weil die Frauen schon menschliche Wracks sind. Vollkommen zerstört.“ Bisher war Regensburg ein weißer Fleck auf der Landkarte, Einrichtungen dieser Art fehlten. Ab sofort arbeitet die SOLWODI-Organisation eng mit der Polizei zusammen, bietet deutschlandweit Schutzwohnungen und Therapieplätze an.
„Die Meisten wollen das Problem vor der eigenen Haustüre nicht sehen, es würde nur ihr scheinbar sicheres Umfeld zerstören. Sie drücken sich davor“, erklärt Constantin Weber. Der Produzent des Spielfilms „Waldsterben“, der in Regensburg und Umgebung dreht, setzte sich in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema Menschenhandel auseinander. Er selbst spielt eine Hauptrolle in dem Film, der die Aufmerksamkeit auf das allgegenwärtige Problem lenken soll. „Würden wir alle hinsehen und nicht weg, dann würde es den Menschenhändlern und Freiern viel schwerer fallen, mit ihrer Masche durchzukommen“, weiß Weber. Für den Film informierte er sich zusammen mit seinem 41-köpfigen Team detailliert bei unzähligen Einrichtungen und war schockiert über die Geschichten, die einen tiefen Einblick in die Unterwelt geben. Cheb, der größte Kinderstrich Europas, liegt nur xx Kilometer von Regensburg entfernt. „Die tschechischen Behörden interessieren sich nicht für den Menschenhandel. Deutsche können nichts dagegen unternehmen, weil der Ort nicht in ihr Gebiet fällt.“ Die Erklärung ist genauso simpel, wie empörend. Für die Polizei ist der Weg bei einem Verdachtsfall langwierig, wie Polizeihauptkommissar Stefan Weinberger von der Dienststelle Oberpfalz mitteilt: „Sollten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens Hinweise auf ausländische Aktivitäten bekannt werden, müssen die entsprechenden Auskünfte aus dem Ausland, die für das Verfahren relevant sind, auf dem Weg der Internationalen Rechtshilfe eingeholt werden.“
„Allein aus Osteuropa sollen im Jahr rund 200.000 Frauen verschleppt werden.“ Die Banden sind zu gut organisiert, sie nehmen die Ausweise ab und schüchtern ihre Opfer mit Drohungen gegen Familienmitglieder ein. Die Geschichten, die die Frauen der Polizei auftischen sollen, sind perfekt geplant. Bei Kontrollen haben die Ordnungshüter meist keine Chance, die brenzlige Situation zu erkennen und einzugreifen. Dabei spielt auch die Struktur der Verbrecherbanden eine entscheidende Rolle, wie das Bayerische Landeskriminalamt bestätigt: „Es ist davon auszugehen, dass hinter dem Delikt des Menschenhandels häufig komplexe Täterstrukturen und staatenübergreifende Organisationen stehen, die arbeitsteilig und konspirativ vorgehen. Die Mehrzahl der ausländischen Opfer stammt aus EU-Mitgliedstaaten und besitzt somit eine legale Aufenthaltsmöglichkeit in Deutschland. Dies erschwert es den Strafverfolgungsbehörden, Opfer des Menschenhandels zu identifizieren und entsprechende Ermittlungen gegen die Täter einzuleiten.„ Die jungen Frauen, meist zwischen 14 und 16 Jahren, werden über Afrika, Italien und Frankreich hierher gebracht. „Über 16 Jahren sind die Mädchen den Menschenhändlern schon zu alt“, weiß Weber. „Nahezu alle als Opfer identifizierte Personen sind Frauen und, ausgehend von den Bundeslagebildern der letzten Jahre zu diesem Deliktsbereich, etwa die Hälfte davon unter 21 Jahre alt. Ein Großteil der Opfer stammte aus Europa, etwa zwei Drittel aus Ost- und Südosteuropa, vor allem aus Bulgarien und Rumänien“, weiß das BLKA. „Es wäre einfacher, wenn die Opfer wie in unserem Film einfach in einem Haus im Wald festgehalten werden würden, dann wären sie leichter aufzuspüren.“ Doch wie kommen die Freier an die Opfer von Menschenhändlern? „Ein einfacher Suchbegriff im Internet führt sie sofort zu billigen Angeboten. Dass das vielleicht nicht mit rechten Dingen zugeht, daran denkt niemand.“
Meist sind es Frauen, die vom Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gezwungen werden, bestätigt auch der KOK, der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. Besonders Migrantinnen, die die Sprache nicht ausreichend beherrschen und deren Kenntnisse über Arbeits-, Aufenthalts- und Sozialrecht nicht ausreichen, werden Opfer. „Immer mehr Menschen sind in die internationale Arbeitsmigration involviert und können dabei Opfer von struktureller, psychischer und physischer Gewalt werden“, erzählt eine Sprecherin des KOK. Auf ihren Schultern lastet der enorme Druck, durch die Migration nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familie sichern zu müssen. In dieser prekären Situation machen sie sich angreifbar und erpressbar. Menschenhändler nutzen dies aus. Sie machen den Frauen Angst, sie bei Behörden anzuzeigen, drohen mit rechtlichen Konsequenzen, wenn sie die ausbeuterische Situation verlassen. Doch das perfide Spiel mit der Angst betrifft nicht nur den Menschenhandel durch sexuelle Ausbeutung sondern auch durch Arbeitsausbeutung. Vor allem im Bereich der Pflege und des Haushalts werden Frauen ausgebeutet. Männern dagegen sind in der Logistik und dem Bau anzutreffen.
Eine zuverlässige Aussage über den Umfang von Menschenhandel zu treffen, ist schwierig. „Es ist von einem nicht unerheblichen Dunkelfeld auszugehen“, so das Team SG 533 des Landeskriminalamtes. Grund dafür ist auch, dass es für die Opfer schwer ist, den ausgeübten Zwang zu beweisen – vor allem wenn es sich um psychischen Zwang handelt, die Betroffenen mit Drohungen unter Druck gesetzt werden. „Das Erkennen der Ausbeutung ist oft schwierig, da es vorkommt, dass Betroffene, denen zum Beispiel mit dem Wohl ihrer Familie gedroht wird, angeben, sie würden dies freiwillig machen“, so der KOK. Um jedoch Menschenhändlern einen Riegel vorzuschieben, müssen ihre Opfer eine Aussage machen. Laut dem Strafgesetzbuch ist nur so der Nachweis des Menschenhandels möglich. Kann ein Betroffener dies nicht, werden die Verfahren gegen Menschenhändler regelmäßig eingestellt. Die Politik ist hier demnach gefragt, denn selbst bei Aussagen sind die erforderlichen Merkmale, die in den entsprechenden Paragraphen formuliert sind, nur schwer nachzuweisen. Sogar Juristen bemängeln die unglückliche Formulierung und Ausgestaltung der Paragraphen zum Menschenhandel im Strafgesetzbuch. In vielen Prozessen wird daher auf andere, leichter nachzuweisende Straftaten wie Nötigung oder Lohnwucher ausgewichen.
Wie ist es also möglich, aus dem Teufelskreis wieder herauszukommen? Betroffene wenden sich, so der KOK, an Bekannte oder Kunden oder suchen eine Fachberatungsstelle auf. Einige werden außerdem im Rahmen von Streetwork von Unterstützungseinrichtungen und Beratungsstellen angesprochen, mit Flyern und Informationsmaterialien versorgt. Im Bereich der sexuellen Ausbeutung werden Opfer bei Polizeirazzien angetroffen und an Fachberatungsstellen verwiesen. Diese bieten eine Reihe von Angeboten für die Betroffenen: Krisenintervention, Vermittlung einer sicheren Unterbringung, Organisation von medizinischer Versorgung, Unterstützung bei Behördengängen und der aufenthaltsrechtlichen Situation, psychosoziale Beratung etc. Doch soweit müsste es nicht kommen, wäre die Aussagebereitschaft der Opfer höher. Um näher an sie heranzukommen und im Idealfall ein wenig Sicherheit zu vermitteln, ist die polizeiliche Präsenz im Milieu unabdingbar. Bei den Schwerpunktdienststellen der Polizei in Bayern sind speziell geschulte Milieubeamte im Bereich der Kontrolle des Prostitutionsmilieus eingesetzt, die ein besonderes Augenmerk auf Menschenhändler und ihre Opfer haben und einen regelmäßigen und guten Kontakt zu den relevanten nichtstaatlichen Organisationen pflegen.