Die Mär von der weißen Weihnacht
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Die stade Zeit – weiß bestäubt knirscht sie unter unseren Füßen. Während die Adventskränze wöchentlich um ein Lichtlein ergänzt werden, weiten sich die Augen bei jeder fallenden Schneeflocke ein Stückchen mehr. Denn mit jeder weiteren Landung der Flockenpracht steigt die Hoffnung auf ein besonderes Weihnachtsfest: die weiße Weihnacht ganz wie in den frühen Kindheitstagen. Stapft man an Heiligabend aber nur noch durch eine graue Crushed-ice-Suppe, knirscht der eine Enttäuschte zum anderen: „Es gibt doch keine richtigen Winter mehr, oder?!“ – „Allerdings, früher gab es viel öfter Schnee – auch an Weihnachten!“ Doch stimmt das wirklich? Was ist dran an der Mär von der weißen Weihnacht?
Kurz vor Weihnachten wird den regionalen Wetterberichten wieder besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Fast täglich wird die Wetter-App gecheckt, und zwischen den Weihnachtsklassikern am Radio dudeln die Schneeprognosen für die Feiertage. Denn Deutschland ist abermals im Fieber. Und das anscheinend bereits seit Ende Oktober – wenn man die ersten Weihnachtsschnee- Prognosen auf ein aufrichtiges Leserinteresse und nicht auf hinterhältiges Clickbaiting zurückführt. Doch sei’s drum. Fest steht: Der Deutsche ist sensibilisiert, wenn es um die weiße Pracht an der Weihnacht geht. Für viele ist sie das Nonplusultra der Kindheitserinnerungen und mindestens so wichtig wie der Weihnachtsbaum in der Stube oder „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" in der Flimmerkiste. Fällt der Weihnachtsschnee allerdings ins Wasser, wertet man sein Fehlen oftmals als sichtbare Folgen des Klimawandels. Denn schon Oma und Opa wussten: Früher war es kälter und verschneiter, auch zur Weihnachtszeit.
Blickt man allerdings auf die Weihnachtsfeiertage der letzten 118 Jahre – genauer gesagt auf den 25. Dezember – dürfte schnell Ernüchterung eintreten. Was würden Sie schätzen, wie oft die Weihnacht weiß war: 50 Mal? 40 Mal? Oder doch nur 30 Mal? Falsch! Lediglich 23,7 Prozent der letzten 118 Regensburger Weihnachten waren mit einer drei Zentimeter hohen, weißen Schneedecke gesegnet. Das entspricht gerade einmal 28 Winterwonderlands zu Weihnachten. Doch weshalb ist die weiße Weihnacht dann fest in den Köpfen verankert?
Zum einen spielen Marketingstrategien und Weihnachtsfilme gezielt mit der Wunschvorstellung der weißen Weihnacht, sodass sie uns als perfektes Weihnachtsszenario von klein auf eingeimpft wurde. Zum anderen erinnern wir uns an positive Ereignisse tatsächlich öfter als an negative. Da wir weiße Landschaften und Wege zur Weihnachtszeit als besonders schön empfinden, erinnern wir uns auch vermehrt an derartige Landschaftsszenarien zur Weihnachtszeit. Das häufigere Abrufen positiver Erinnerungen im Gegensatz zu negativen erklärt im Übrigen auch Aussagen wie „Früher war alles besser“, obwohl es das nicht unbedingt war. Auch die Rückkehr in eine destruktive Beziehung lässt sich durch dieses Prinzip erklären – das Schlechte wird getilgt, das Gute bleibt.
Dennoch gibt es für die Mär von der weißen Weihnacht auch einen konkreten Anlass – zumindest für alle 1950er Jahrgänge. Denn bei dieser Generation trifft die Aussage „Früher war es kälter und Weihnachten war weiß“ tatsächlich zu. Zwischen 1960 und 1980 gab es mit neun weißen Weihnachten in 20 Jahren annähernd jedes zweite Jahr Schnee zu Weihnachten. Und genau das bekommen auch die Folgegenerationen ständig zu hören. Dass dem davor – zumindest zwischen 1900 und 1960 – nicht so war, bleibt dabei aus mangelnder Kenntnis unerwähnt. Es gibt allerdings auch Grund zur Sorge: Seit 2000 gab es nur zwei zweimal weiße Weihnachten in Regensburg: 2001 und 2010. Wenn sich die vom Klimawandel bedingten, frostfreien Tage um die Weihnachtzeit auch weiterhin mehren, dürften zukünftige Generationen die weiße Weihnacht tatsächlich nur noch aus Märchen und Geschichten kennen.