Die zweite Corona-Welle ist seit Monaten in Deutschland angekommen. Zweitweise waren die Intensivstationen bayernweit zu rund 25 Prozent mit Covid-19-Patienten belegt. Mehr als die Hälfte davon musste beatmet werden. Wir haben uns mit dem Direktor der Klinik für Anästhesiologie des Caritas-Krankenhauses St. Josef, Priv.-Doz. Dr. med. Michael T. Pawlik, über die Erfahrungen der letzten Monate, dem Ausbleiben neuer Therapiemöglichkeiten und die Impfbereitschaft seines Teams unterhalten.
Was haben Sie und Ihr Team in den letzten Wochen auf der Intensivstation erlebt?
Wir waren für die zweite Welle ein bisschen besser vorbereitet. Insofern, dass wir die Erkrankung sowie die möglichen Krankheitsverläufe kennengelernt haben und uns bewusst waren, dass uns nicht viele Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Krankheitsursache zu behandeln. Wir wussten also, auf was wir uns einstellen mussten – auch hinsichtlich der Überlebensraten der Patienten. Wir haben gelernt, dass wir mit langen Aufenthaltszeiten rechnen müssen. Bis zum endgültigen Verlassen der Station lagen die Patienten sechs Wochen auf Intensiv – manche sogar noch länger. Aufenthaltszeiten von unter drei Wochen, wie wir es von der Influenza kennen, gab es keinen einzigen. Der Aufenthalt ist natürlich immer auch abhängig von Alter und Ausgangszustand der Patienten. Die Alterspanne während der zweiten Welle liegt in unserem Haus zwischen 49 und 87 Jahren.
Was hat sich seit dem Sommer innerhalb der Therapie getan?
Von den vielen Therapieoptionen, die in den ersten Monaten auf den Plan kamen, wie Hydroxychloroquin, Remdesevir, Antikörper-Cocktails oder Rekonvaleszentenplasma, hat keines den durchschlagenden Erfolg in der kausalen Therapie gebracht. Was hingegen tatsächlich ein wenig geholfen hat, war die Erkenntnis, dass man die überschießende Entzündungsreaktion des Körpers, wie sie bei den mit Sauerstoff versorgten oder beatmeten Patienten auftritt, mit Cortison abdämpfenkann. Ebenso haben wir beim Umgang der Patienten dazugelernt: Es wird später beatmet als in der allerersten Phase und viel mehr Lagerungstherapie gemacht, sodass die Patienten mittlerweile von Anfang an konsequent auf dem Bauch liegen. Aber von den anfänglichen Hoffnungsträgern hat sich keiner als „Game Changer“ erwiesen.
Das bedeutet, dass sich innerhalb der Sterblichkeitsrate von Intensivpatienten nicht viel getan hat?
Die Gesamtsterblichkeit bei einer Covid-19-Infektion liegt bei etwa ein bis zwei Prozent – je nachdem, welche Literatur man zitiert. Im Schnitt liegt die Sterblichkeit bei allen Covid-19-Patienten, die beatmet werden müssen, bei 35 bis 40 Prozent, bei den über 80-Jährigen sogar bei um die 80 Prozent. Daran hat sich nichts geändert. In jedem Fall ist die Infektionssterblichkeit 10-mal höher als bei der Influenza.
Mittlerweile mehren sich die Indizien, dass Personen, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben, keinesfalls vollkommen genesen sind. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
Die Patienten, die wir sehen, berichten von Kopfschmerzen, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, Ermüdung und einer deutlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit – auch noch ein halbes Jahr danach. Hier muss man sich aber vor Augen führen, dass diese Patienten maximal neun Monate aus der Krankheit raus sind. Hier wird man abwarten müssen, bis die ersten Patienten ein volles Jahr hinter sich haben, um bei einer Nachuntersuchung zu klären, was von Corona übrigbleibt. Um die Frage nach bleibenden Folgen zu klären, ist es deswegen sicherlich noch zu früh. Was wir aber zur Kenntnis nehmen müssen, ist die Tatsache, dass es sich bei Corona um keine einfache Lungenerkrankung handelt. Es ist eine Systemerkrankung des gesamten Menschen, die das Endothel befällt, also jene Zellen, die alle Organe im Körper auskleiden. Hier dockt das Virus an und sorgt mittels Entzündungen für Veränderungen in Gehirn, Herz, Lunge, Niere und Darm.
Wie groß ist die Impfbereitschaft in Ihrem Team? Und was halten Sie von den neuen Impfstoffpräparaten gegen Covid-19?
Als Klinikdirektor bin ich sehr glücklich, dass sich bereits über 95 Prozent der Ärzte und Pflegekräfte unserer Abteilung haben impfen lassen. Ich bewerte das als einen sensationellen Erfolg. Als Arzt würde ich das aber auch so erwarten, dass sich diejenigen, die an der Front kämpfen, allein schon aus Eigenschutz impfen lassen. Für mich stellte sich aber nie die Frage, ob ich mich impfen lassen soll oder nicht. Wir sind permanent mit Corona-Patienten in Kontakt – und die Alternative, sich mit Corona zu infizieren, und womöglich selbst auf Intensiv zu kommen, war für mich keine Option.
Seit November befinden wir uns in einem zweiten Lockdown, der nach und nach verschärft wurde. Wenn Sie die letzten Wochen auf der Intensivstation Revue passieren lassen: Kamen die Maßnahmen in Ihren Augen zu spät oder gerade noch zur rechten Zeit?
Ich glaube, die Mehrzahl der auf der Intensivstation Tätigen würde sagen: Dieses sukzessive Nachjustieren kam letzten Endes zu spät. Hier stellt sich sicher die Frage, woran wir messen wollen. Messen wir an der Belastung des Systems und der Mitarbeiter auf der Vernachlässigung von anderen Operationen und der Versorgung von Notfällen oder messen wir an den Toten pro Tag? Wenn man Bergamo oder England als Messlatte nimmt, dann kann man sagen, dass wir das noch verhindert haben. Es muss uns dabei aber immer klar sein: Wenn wir früher mit schärferen Maßnahmen einsteigen, dann bleibt die Pandemie kontrollierbar. Und im Moment ist sie das mit Blick auf Sachsen oder Thüringen nicht. Klare Aussage: „Sie kamen zu spät.“
Was halten Sie von den neuen Infektionsschutzmaßnahmen wie dem Tragen einer FFP2-Maske im Nahverkehr und im Einzelhandel? Und sollten die Maßnahmen in Ihren Augen auf medizinische Teilbereiche ausgeweitet werden, wie es vereinzelt von der Politik gefordert wurde?
FFP2-Masken sind die richtige Reaktion, denn die Mund-Nasen-Schutzmasken sind bei einer hohen Inzidenz und einer weiten Verbreitung des Virus in der Population unzureichend. Im Nahverkehr und Einzelhandel sind diese Masken sicherlich die richtige Antwort darauf. Für die Krankenhäuser kann ich nur sagen: Wir tragen in unserem Krankhaus auf Intensiv immer FFP2-Masken. In den patientennahen Bereichen wurden sie Anfang/Mitte Dezember verpflichtend eingeführt. Und selbst davor gab es bereits ein Angebot, auf Wunsch eine FFP2-Maske zu erhalten.
Wenn Sie eine Prognose über den weiteren Verlauf der Pandemie in Deutschland für die verbleibenden Wintermonate machen müssten: Wie sähe diese aus?
Das ist schwierig zu sagen. Aber wir sollten hier auf das gesamteuropäische Ausland blicken und darauf achten, wie sich die Pandemie in den umliegenden Ländern Frankreich, England, Irland, Spanien oder Italien entwickelt. Hier lässt sich ein guter indirekter Schluss ziehen, was mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch in Deutschland kommen wird.
„Dieses sukzessive Nachjustieren kam letzten Endes zu spät“
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