Etwa 950.000 Menschen in Deutschland leiden unter den Folgen eines erhöhten Harnsäureanfalls im Körper, der sogenannten Hyperurikämie oder im Volksmund „Gicht“. Es ist aber nicht jeder, der unter zu hoher Harnsäure leidet, ein Alkoholiker oder Vielfraß.
Etwa 950.000 Menschen in Deutschland leiden unter den Folgen eines erhöhten Harnsäureanfalls im Körper, der sogenannten Hyperurikämie oder im Volksmund „Gicht“. Harnsäure ist ein Abbauprodukt von Purinen. Diese fallen im Körper beim Abbau kranker Zellen oder durch die Zufuhr über die Nahrungsaufnahme an. Sie wird zu 75 Prozent über die Nieren und daneben auch noch über Speichel, Schweiß und den Darm ausgeschieden.
Werden zu viele Purine abgebaut oder zugeführt, sodass ein bestimmter Harnsäurespiegel überschritten wird, verfestigt sich dieser Überschuss oder „fällt aus“ und lagert sich in Form kleiner Kristalle in den ableitenden Harnwegen, in der Blutbahn und in Geweben mit bradytrophem, also „langsamem“, Stoffwechsel wie in Knorpeln, Bändern und Gelenken ab. Gerne fallen diese Kristalle auch in entzündetem Gewebe aus, also etwa in Gelenken, die schon durch einen Verschleiß wie Arthrose gereizt sind, und befeuern eine Entzündung dankbarerweise noch ein bisschen bis wirklich mehr. Folgen dieser Ablagerungen können außerdem Nieren- und Blasensteine, die Verstopfung kleiner Gefäße, die „langsame“ Gewebe versorgen, die dadurch in Folge Schaden nehmen, und natürlich eine klassische Gelenkentzündung sein. Von dieser ist nicht immer nur der große Zeh im Sinne einer „Podagra“ betroffen. Auch andere größere Gelenke wie Sprunggelenke, Knie oder Ellenbogen können durch eine befeuerte Entzündung dank „Harnsäureausfall“ betroffen sein.
Wenn die Harnsäure dauerhaft zu hoch ist, dann ist das jedoch in den wenigsten Fällen ausschließlich ernährungsbedingt. Meist liegt eine angeborene Stoffwechselstörung vor, die sogenannte „primäre Hyperurikämie“. Die häufigere Variante ist, dass die Nieren, die Harnsäuren aus dem Körper transportieren, permanent überfordert sind und einfach nicht die passenden Kapazitäten für eine ausreichende Ausfuhr mitbringen. In seltenen Fällen produziert der Körper zu viel Harnsäure, und die Niere ist mit dem Zustrom schlicht und ergreifend überfordert (Lesch-Nyhan-Syndrom).
Eine sekundäre Gicht liegt vor, wenn durch eine Krankheit bedingt zu viele Purine im Körper entstehen. Dies tritt bei Prozessen mit hohem Zellzerfall auf:
- Tumorerkrankungen, bei denen körpereigene Zellen massenhaft zugrunde gehen
- bestimmte Formen der Blutarmut, bei denen ein hoher Zerfall an Blutkörperchen besteht
- unter Therapie mit Medikamenten, die einen hohen Zellzerfall verursachen (z.B. Chemotherapie)
- Bestrahlungen jeglicher Form, da diese ebenfalls einen hohen Zellzerfall nach sich ziehen
Als dritte Ursache darf die übermäßige Zufuhr durch falsche Ernährung trotzdem nicht unerwähnt bleiben. Zahlreiche Nahrungsmittel, die früher gänzlich in Verruf standen, für die fiesen Gelenkschwellungen ursächlich zu sein (Hülsenfrüchte, Kaffee), sind mittlerweile „entschuldigt“. Dennoch gibt es immer noch Einiges bei der Wahl der richtigen Speisen zu beachten, um nicht am nächsten Morgen mit einem roten Zeh oder einem anderen schmerzhaften Gelenk aus dem Bett zu humpeln. Als erster Risikofaktor für einen solchen „Gichtanfall“ wird in allen Studien Übergewicht angeführt, und dieses gilt es zu reduzieren. Übergewichtige haben fast ausnahmslos erhöhte Harnsäurewerte, was in erster Linie auch einfach einem erhöhten Zellumsatz oder -zerfall aufgrund höherem „Zellaufkommens“ geschuldet sein mag. Somit ist eine Gewichtsreduktion bei immer wiederkehrenden Beschwerden als erste Maßnahme zur Abhilfe genannt. Aber nicht übertreiben, denn eine zu strenge Diät kann unter Umständen auch wieder einen zu hohen Zellzerfall auslösen.
Darüber hinaus gilt es Folgendes zu beachten:
- Verzicht auf übermäßigen Verzehr von purinreichen Lebensmitteln (Inneren, Wurst, Krustentiere, Ölsardinen, bestimmte Fischarten wie Heilbutt)
- Verzicht auf fruktosereiche Lebensmittel, vor allem solche, die mit Fruktose-Sirup abgeschmeckt sind: Fruchtsäfte oder Softdrinks sollten möglichst gemieden werden. Obstsäfte in Maßen sind nicht verboten, jedoch wird einer übermäßigen Zufuhr an Einfachzuckern bei Menschen mit erhöhter Harnsäure mittlerweile eine ähnlich schädliche Wirkung wie eine ebensolche mit Alkohol nachgesagt.
- Verzicht auf zu viel Alkohol: Alkohol hemmt die Harnsäureausscheidung über die Niere und stimuliert über einen Mechanismus in der Leber die körpereigene Harnsäureproduktion. Zudem enthält Bier – auch alkoholfreies – sehr viele Purine!
- Vermeidung strenger Diäten: Bei stark gedrosselter Nahrungszufuhr beginnt der Körper teilweise, Muskulatur abzubauen. Dabei werden Purine frei.
- übermäßige körperliche Anstrengung: Bei zu starker körperlicher Belastung wird aus der Muskulatur viel Milchsäure freigesetzt. Diese wird über die Niere ausgeschieden und vermindert bei hohem Anfall die Ausscheidung der Harnsäuren, die aufgrund eines gesteigerten Zellzerfalls der Muskulatur ebenfalls in hohem Maße anfallen.
- Medikamente, die die Ausscheidung erhöhen: Durch sehr hohen Flüssigkeitsverlust sowohl durch Urin als auch durch Stuhl wird auch das Blut recht dickflüssig. Die vermehrten Scherkräfte in den Gefäßen führen zu erhöhtem Zellzerfall, und die Nieren sind durch ein vermindertes Flüssigkeitsaufkommen in Ihrer Ausscheidungsfähigkeit auch gedrosselt.
- Verzicht auf fettreiche Ernährung: Zu viele Fette hemmen die Harnsäureausscheidung, und Übergewicht – eben durch fettreiche Ernährung – sorgt wieder für ein zu hohes Harnsäureaufkommen an der Niere.
Ein Gastbeitrag von Dr. Heinz Lehmann