Nachdem Sea-Eye und Mission Lifeline in den vergangenen Tagen bereits fast 400 Menschen retteten, konnten weitere 400 aus einem großen Holzboot geborgen werden. Die Rettungskräfte sind bereits am Rand ihrer Belastungsgrenze.
Bis Mittwochmorgen hatten die Besatzungen der SEA-EYE 4, German Doctors e. V. und die RISE ABOVE insgesamt 397 Menschen in sechs gemeinsamen Einsätzen auf dem Mittelmeer gerettet. Doch in der Nacht zum Donnerstag kam es zu einer weiteren, dramatischen Rettung von mehr als 400 Menschen aus einem überfüllten Holzboot. Nun folgt die Suche nach einem sicheren Hafen, den sie ansteuern können.
Sechs Stunden vom Unglücksort entfernt
Das AlarmPhone meldete am Mittwochvormittag einen Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungszone, in der Malta für die Koordinierung von Seenotfällen verantwortlich ist. AlarmPhone veröffentlichte den Notruf unter anderem auf Twitter, informierte fortlaufend die maltesische Rettungsleitstelle über neue Koordinaten und bat um Koordinierung der Rettung. Das RCC Malta reagierte jedoch auf keinen der Hilferufe. Die SEA-EYE 4 und die RISE ABOVE waren zu diesem Zeitpunkt rund sechs Stunden vom Unglücksort entfernt. Trotz der großen Entfernung und der Anzahl der Geretteten, die sich bereits an Bord der SEA-EYE 4 befanden, entschieden die Einsatzleitung von Sea-Eye und Mission Lifeline, die von AlarmPhone an die europäischen Rettungsleitstellen übermittelten Koordinaten anzufahren, denn anderweitige Hilfe für die Menschen in akuter Lebensgefahr war nicht zu erwarten.
Rettung in letzter Sekunde
Die RISE ABOVE erreichte das Holzboot, das über zwei Ebenen verfügte, am Mittwochabend zuerst. Zu dem Zeitpunkt war bereits ein Leck im Boot, durch das Wasser eindrang. Mehrere Personen waren ohne Schwimmwesten im Wasser und mussten direkt aus dem Meer gerettet werden. Die SEA-EYE 4 traf kurze Zeit später ein. Die Besatzungen der Rettungsboote versorgten die Menschen zügig mit Rettungswesten, beruhigten sie und stabilisierten zunächst die gefährliche Situation. Medizinische Notfälle wurden zuerst auf die SEA-EYE 4 evakuiert. Eine Person konnte bereits auf dem Rettungsboot auf dem Weg zur SEA-EYE 4 erfolgreich reanimiert werden. Die vollständige Evakuierung des Holzbootes konnte erst um Mitternacht abgeschlossen werden.
SEA-EYE 4 mit rund 800 geretteten Menschen auf der Suche nach einem sicheren Hafen
Es befinden sich nun mehr als 800 Menschen auf der SEA-EYE 4, die inzwischen Kurs auf Lampedusa genommen hat. Die italienische Insel ist nur wenige Stunden vom Unglücksort entfernt und so der am schnellsten erreichbare, sichere Hafen.
Noch nie da gewesene Belastungssituation
Für die 24 köpfige Besatzung der SEA-EYE 4 kommt es nun zu einer noch nie da gewesenen Belastungssituation. Das Rettungsschiff ist auf die schnelle Zuweisung eines sicheren Hafens angewiesen. Sea-Eye hat die Rettungsleitstelle in Rom bereits um die Zuweisung eines sicheren Hafens und das Auswärtige Amt um dringende Unterstützung gebeten, da Malta sich jeder Kommunikation verweigert.
Menschen in Seenot im Stich gelassen
„Auf der SEA-EYE 4 herrscht nun der Ausnahmezustand. Jede Verzögerung durch die Behörden gefährdet die Gesundheit und das Leben der geretteten Menschen und unserer Besatzung. Es ist beschämend, wie Malta sich immer wieder seiner Verantwortung entzieht und Notrufe ignoriert", sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye e. V.
Auch Axel Steier, Vorstand und Sprecher von MISSION LIFELINE e. V. hat kein Verständnis für die aktuelle Situation: „Das Verhalten der europäischen Behörden hat beinahe kriminelle Züge. Die Zuständigkeiten sind eindeutig und klar geregelt. Warum sich die Staaten nicht daran halten und wissentlich Menschen in Seenot im Stich lassen, kann nur mit mangelndem Verfolgungsdruck des internationalen Strafgerichtshofs zusammenhängen. Es wäre ein Leichtes, die Verantwortlichen persönlich zur Rechenschaft zu ziehen!"
„Wir brauchen Hilfe!“ – Rettungskräfte am Rand ihrer Belastung
Dr. Christine Winkelmann, Vorständin der German Doctors, äußert sich erschüttert darüber, wie viele Rettungen die Sea-Eye und andere Organisationen in den letzten Tagen vornehmen mussten. Sie beschreibt die Situation als dramatisch, da die Rettungskräfte bereits an den Rand ihrer Belastung kommen und auch die Kapazitäten nicht mehr ausreichen. „Wir brauchen Hilfe, damit alle Menschen, die gerade in Seenot sind, gerettet werden können. Das ist doch unsere gemeinsame moralische Verantwortung.“
Sea-Eye e. V. / RNRed