Nach Corona ist vor Corona, aber gerade dürfen wir alles und wir wollen auch alles. Doch die Gastro kämpft um zu wenige Arbeitskräfte. Warum ist das so und wie kriegt man Köche wieder an den Herd? Der filter hat sich im letzten Monat mit führenden Gastronomen aus Regensburg unterhalten, um mögliche Gründe zu finden. Eine Spurensuche.
Rauer Umgangston. Gewöhnungsbedürftige Arbeitszeiten. Fragwürdige Bezahlung. Die Arbeit vor und hinter der Küchentür ist sicherlich kein Zuckerschlecken. Und wie Corona gezeigt hat, längst nicht so krisensicher als gedacht. Und gerade während der jetzt anlaufenden Hochsaison brodelt es hinter den Kulissen, denn anstelle nun endlich die notwendige Kasse zu machen, ringen Gastronomie und Hotellerie mehr denn je um kompetentes Personal. Fachkräftemangel ist in aller Munde in der Gastro – ein selbst gemachtes Problem? Eine Reportage von Lucas Treffer.
Regensburg Genuss-Stadt
Wer in oder um Regensburg lebt, hat es gut. Die wunderschöne Altstadt bietet mit ihrer Vielzahl an Biergärten, Italienern und sogar mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants den Besuchern eine kulinarische Kulisse, die kaum Wünsche offenlässt. Auch der Corona-Pessimismus ist endlich dem ersehnten Ansturm auf Tische und Hotelzimmer gewichen. Es ist endlich wieder Zeit, Geld zu verdienen. Eigentlich perfekte Voraussetzungen, eine Lehre in der Gastronomie zu beginnen. Doch die beiden Corona-Jahre haben auch gezeigt: Gastro ist nicht krisensicher. Ganz im Gegenteil: Obwohl es in der Studentenstadt Regensburg eigentlich nie an willigen Aushilfskräften mangelt, sind diese in den vergangenen beiden Jahren in andere Branchen abgewandert. Diesen Trend aufzuhalten ist aber nur die halbe Miete, betrachtet man den grassierenden Fachkräftemangel in Service- und Gastronomie-Berufen.
Arbeitskräftemangel Koch und Köcher
Dass in Deutschland seit Jahren nicht nur in der Gastronomie Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, merkt ein jeder im Alltag: Wochen- oder gar monatelange Wartezeiten auf einen Handwerker sind zur Normalität geworden. Doch auf einen Termin für ein Schnitzel zu warten, klingt wie düstere Dystopie im Land, in dem Bier und Spezi fließen. „Nur: Wenn der Schreiner sagt: ‚Ich liefere dir den Schrank erst in einem Jahr.‘ Dann kriege ich ihn halt erst in einem Jahr. Wenn wir aber sagen: ,Du kriegst dein Schnitzel erst übermorgen.‘ Dann sagt der Gast: ‚Ich glaub, dir brennt der Hut!‘“, fasst Anton Sperger – stellvertretender Vorsitzender der DEHOGA Regensburg – die Situation mit dem nötigen Galgenhumor zusammen. Spergers Familie ist seit mehreren Generationen im Gastgewerbe. Er selbst schwang bereits mit Alter von fünf Jahren den Kochlöffel und ist – nachdem er zuerst den heimischen Familienbetrieb übernommen hatte – mittlerweile seit vielen Jahren Pächter der Regensburger Institution „Spitalgarten“. Um uns ein Bild von der aktuellen Situation der Regensburger Gastronomie zu verschaffen, haben wir mit vielen Kennern der Branche gesprochen. Fast alle eint der Umstand, dass ihnen das Gewerbe in die Wiege gelegt wurde. Mit Blick auf die von Corona offenbarten Unsicherheiten der Branche, den steigenden Kosten für Energie und Lebensmittel und den Hindernissen an geeignetes Personal für einen mehr oder minder reibungslosen Normalbetrieb zu sorgen, braucht es diese innige Bindung zum Gastgewerbe wohl auch, um auf Dauer ein Teil dieser Welt zu bleiben. Zumal die Arbeit wohl auch in absehbarer Zukunft sicherlich nicht einfacher werden wird. Doch wo liegen die Ursprünge der sich derzeit auftuenden Gräben?
Ein Blick über den Tellerrand
Das Gewerbe sei kaputtgespart worden. Das sagen zumindest die, die es wissen müssen. Seit Jahren habe in Deutschland eine „Geiz ist geil“-Mentalität vorgeherrscht, die nun dazu führe, dass Preiserhöhungen in Restaurant den Gästen gleich doppelt auf den Magen schlügen, berichten gleich mehrere Gastronomen. Die Deutschen seien zwar im Ausland bereit, teils weitaus höhere Preise für ihr Essen zu zahlen, so der einstimmige Tenor, nur zu Hause soll alles zwar qualitativ hervorragend, aber mindestens genauso billig bleiben.
Als Kenner seiner Zunft weiß auch Sperger: „Gerade in unserer Region sind die Essenspreise noch sehr human. Auch wenn Regensburg in den letzten Jahren etwas angezogen hat, muss man nur nach Österreich oder in andere Bundesländer schauen, um deutlich höhere Preise zu finden.“ Und von der Schweiz oder Österreich bräuchten wir erst gar nicht reden. Eine Tatsache, die auch dem Betreiber des offiziell ältesten Wirtshauses der Welt, Muk Röhrl, nicht unbekannt ist: „Die Franzosen und die Italiener geben einen viel größeren Teil ihres Gehaltes fürs Essen gehen aus. Der Deutsche ist schon immer billige Preise für viel Essen gewöhnt“, so das Fazit des Wirts.
Luxusgut Wienerschnitzel
Woher diese deutsche Gier nach billiger Ware und Dumping-Dienstleistung nach all den Skandalen rund um den Fleischverarbeitungsbetrieb Tönnies herrührt, ist auch der Betreiberin der Alten Kuchl, Simone Heuberger, ein Rätsel. Denn „in einem Schnitzel steckt so viel mehr als das Fleisch und Arbeitskraft“, weiß die gelernte Restaurantfachfrau. Und obwohl die Erkenntnis, dass gut und fair produzierte Lebensmittel nicht billig sein können, bereits bei der Kühltheke angelangt ist, weigert man sich, diese Erkenntnis unübersehbar in die Preise der Speisenkarten eingeschrieben zu sehen. Wer aber nur ein klein wenig mit der Gastronomie vertraut ist, weiß: Hinter dem Preis eines Schnitzels steckt mehr als der Einkaufspreis der Zutaten. Strom- und Wasserkosten, Diesel für die Lieferkette und nicht zuletzt auch die geforderte gerechte Entlohnung für Küche und Service müssen damit gedeckt werden. All das ist in den letzten Jahren kontinuierlich teurer geworden und wird mittelfristig nicht wieder im Preis sinken.
Doch wie fair kann die Entlohnung in der Gastronomie ausfallen, wenn sich die Gäste mit einer gerechten Bezahlung für gastronomische Dienstleistungen immer noch schwertun? Wird das Thema Fachkräftemangel in den sozialen Netzwerken diskutiert, kommt man dort freilich schnell zu dem Schluss, dass es sich dabei um ein hausgemachtes Problem handeln muss: Denn dass die Gastro ihre Preise seit 2019 zwar gefühlt verdoppelt habe und die Angestellten immer noch das gleiche „Gehalt“ bekämen, könne nicht der Grund für das Ausbleiben von Bewerbern sein, kommentiert ein Facebook-User die Sachlage sarkastisch. Offensichtlich wird dabei allenfalls, dass man dringend gesuchtes Personal nicht länger damit abspeisen kann, von der sprichwörtlichen Hand in den Mund zu leben. Aber wenn die Angestellten fair entlohnt werden sollen, wird gutes Essen in einem Wirtshaus wohl oder übel zum Luxusgut werden müssen – vor allem dann, wenn man neben einer gerechten Bezahlung noch den Wünschen nach frischer und regionaler Ware gerecht werden will.
Kathrin Fuchshuber
Wie hier die jüngste Predigt von CDU-Chef Merz von Verzicht und einem enger geschnallten Gürtel ins Bild passen soll, ist nicht nur fragwürdig, sondern mit Blick auf die eigene finanzielle Situation des Parteivorsitzenden mehr als nur unangebracht. Denn in den Biergarten zu gehen ist keine Aktivität, die den Bessergestellten der Gesellschaft vorbehalten sein sollte. Nicht zuletzt, weil die bayerische Gastronomie dann riskiert, ihre volkstümliche Gemütlichkeit zu verlieren. Auch die Hotelbranche bleibt nicht verschont. Kathrin Fuchshuber – Vorsitzende des Hotelvereins Regensburgs und Besitzerin des AltstadtQuartiers Hotel Münchner Hof – geht es mit ihren Zimmern ähnlich. An jedem hängt eine Vielfalt an Kosten: „Das tragen Sie alles in eine Exceltabelle ein und am Ende fällt Ihnen noch ein, dass Sie als Unternehmer die Verpflichtung tragen Gewinn zu erwirtschaften.“
Die eingebrockte Suppe
Wie schleppend die Suche nach geeigneten Fachkräften heute verläuft, zeigt folgendes Beispiel: Heuberger hat inmitten der Corona-Pandemie das Gasthaus „Alte Kuchl“ übernommen und ihm ein besonderes Konzept verpasst. Die komplette Karte ist gluten- und laktosefrei. Seit Monaten sucht sie einen weiteren Koch für die „Alte Kuchl“, doch trotz Anzeigen in allen gängigen Portalen und in den sozialen Medien bleibt die Stelle bisher unbesetzt.
Eigentlich hatte Simone Heuberger die Hoffnung, dass das besondere Konzept ihrer Gaststätte attraktiv genug sein könnte, um die Stelle von der Konkurrenz abzuheben, doch der Effekt bleibt bislang aus. Besonders ärgerlich, denn beim Betrieb mit absoluter Minimalbesetzung läuft Heuberger immer Gefahr, ihr Restaurant nicht aufmachen zu können, falls sie oder ein Mitarbeiter ausfallen: „Man will dem Personal gerne geregelte Früh- und Abendschichten geben, aber kann es nicht“, kommentiert die Gastronomin den Mangel. Am Ende des Tages weiß auch Heuberger aber auch: „Man kann niemanden in die Gastronomie zwingen. Dafür muss schon das Herz schlagen.“
Simone Heuberger
Endlich reinen Tisch machen
Die Zeiten, in denen Azubis in Küchen regelrecht misshandelt und ausgebeutet wurden, sollen zwar lange vorbei sein, aber das Stigma vom rauen Umgangston, unangenehmen Arbeitszeiten und schlechten Lohn haftet der Zunft noch immer an. „Das hat einfach mit dem Ruf unserer Branche zu tun. Da ist die letzten zwanzig Jahre viel schiefgelaufen – das muss man auch mal ganz klar sagen. Da wurden Mitarbeiter ausgenutzt und es wurde mit der Cholerik übertrieben“, erklärt Röhrl. Auch Sperger berichtet von den früher teilweise untragbaren Schichtplänen: „Vormittags arbeiten, dann ein paar Stunden frei und im Anschluss noch bis in die Puppen – diese Zeit ist definitiv vorbei.“ Durch neue Gesetze und fairere Betriebe sollte die Zeit der Ausbeutung ein Ende gefunden haben. Für einige sind die Verordnungen aber auch ein Dorn im Auge, so auch für Muk Röhrl: „Ich habe Mitarbeiter mit einer längeren Anfahrt, die lieber vier Tage zehn bis zwölf Stunden arbeiten wollen würden, als fünf Tage acht Stunden.“ Natürlich hat es aber auch sein Gutes, dass Gastronomen sich an Arbeitszeitgesetze halten müssen, selbst dann, wenn es die Arbeitsorganisation der Küche erschwert.
Auch die Bezahlung habe sich zwar gebessert, doch für das wenige Geld wählten die wenigsten eine Lehre in der Gastronomie. Wie bekommt man die Generation „TikTok“ zurück an den Herd? Muk Röhrl schaut mit Verwunderung auf die Versuche seiner Kollegen. „Eine Stellenausschreibung in die Tageszeitung zu drucken, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Dass man das 2022 überhaupt noch erklären muss, wundert dann doch sehr. Von der Ironie, dass gerade Kochrezepte eine der gängigsten Content-Formen auf „TikTok“ sind, will man gar nicht anfangen. Ein Umstand, der bei genauerer Betrachtung in der Lage ist, einiges über die Versäumnisse und augenscheinliche Festgefahrenheit der alten Gastronomiegarde auszusagen. Überhaupt scheint es ein generelles Generationenproblem in der Gastronomie zu geben.
Nicht nur Kathrin Fuchshuber sieht den Fachkräftemangel hauptsächlich als ein Problem der gesellschaftlichen Einstellung. „Die jetzige Generation ist verbrannt“, summiert sie. Viele Leute wollten drei Tage die Woche arbeiten, aber für sechs Tage bezahlt werden. Dass das Handwerk heute zu Unrecht nicht mehr als ernsthafte Alternative zu Abitur und Studium gilt, hat vielfältige Ursachen. Fuchshuber ist sichtlich genervt vom aktuellen Ruf der Ausbildungsberufe: „Der Fachkräftemangel wird uns jetzt ein paar Jahre lang richtig wehtun.“ Es sei eine, von den Eltern gesteuerte „Akademiker-Gesellschaft“, der Studierte habe die gesellschaftliche Anerkennung, der der arbeitet sei der „Depp“. In den Tenor, dass „keiner mehr arbeiten gehen will“, stimmen überraschend viele der Gastronomen ein. Auch Simone Heuberger berichtet, dass ihr schon mehrere Service-Kräfte wieder abgesprungen sind, weil ihnen der Beruf zu hart oder die Arbeitszeiten zu stressig waren. Die Jungen sind faul und undiszipliniert und die Alten hinterlassen nur Probleme – möchte man meinen. Ein Konflikt, der sich bereits über Jahrtausende hinzieht. Schließlich wusste bereits Aristoteles mit den Worten „Wenn ich die junge Generation anschaue, verzweifle ich an der Zukunft der Zivilisation“ über die Jugend zu klagen.
Im Dunstkreis der eigenen Abzugshaube
Dass der Fachkräftemangel in Deutschland uns noch Jahre beschäftigen wird, ist keine neue Erkenntnis. Bei den Lösungsansätzen gehen die Meinungen momentan dennoch auseinander: „In der Flüchtlingskrise haben wir uns sehr engagiert und Menschen aus allen möglichen Ländern eingestellt. Teilweise habe ich auch bis zum Innenminister vordringen müssen, um eine Ausbildungserlaubnis für einen jungen Äthiopier zu erhalten“, berichtet Muk Röhrl. Eine Lösung für den Fachkräftemangel sind Krisen in anderen Teilen der Welt jedoch nicht. So auch nicht die ukrainischen Geflohenen, die momentan in Regensburg ankommen. Kathrin Fuchshuber freut sich zwar über den Arbeitswillen, jedoch sei die Sprachbarriere nicht von heute auf morgen zu überwinden. „Außerdem wollen die Geflüchteten gar nicht dauerhaft bei uns bleiben“, berichtet Fuchshuber aus ihren persönlichen Erfahrungen: „Die wollen nach dem Krieg verständlicherweise zurück in ihr Land.“
Anton Sperger nennt einen der offensichtlicheren Auslöser des Personalmangels: der letzte Lockdown 2021. „Als wir eigentlich schon wieder volle Auftragsbücher hatten, wurde uns von einem auf den anderen Tag das Geschäft einfach kaputtgemacht. Binnen einer Woche mussten wir unser komplettes Weihnachtsgeschäft stornieren. Auch zu unseren Aushilfen, zu denen wir vorher noch gesagt hatten, dass es endlich wieder losgeht, mussten wir wieder sagen, dass wir sie nicht mehr brauchen.“ Das habe viel Vertrauen gekostet. „Diese Arbeitskräfte sind unwiederbringlich weg“, bedauert nicht nur der Wirt des Spitalgartens. Auch Simone Heuberger merkt schmerzlich: „Die Gäste wären wieder da, aber mir fehlt das Personal.“ Viele der Gruppen, die normalerweise in Gastroberufe streben, haben sich in den letzten beiden Jahren umorientiert. „Die Leute haben gemerkt, dass sie auch woanders Geld verdienen können“, sagt Heuberger und bestätigt damit die vorherrschende Meinung der Kommentarspalten auf Facebook und Co: „Wer in der Corona-Zeit gemerkt hat, dass man mit weniger Arbeit und weniger Stress das gleiche Geld bekommt, wird sich hüten, in die Gastro zurückzugehen“, heißt es dort von einem User.
Biergarten der Gastätte Röhrl
Ein positives Beispiel liefert das älteste Gasthaus der Welt um Muk Röhrl: „Auf je mehr Schultern sich die Arbeit verteilt, desto leichter wird sie auch.“ Dann mache die Arbeit auch wieder Spaß. Denn Arbeit müsse ja nichts Schlimmes sein, weiß der Gastronom: „Wichtig ist, eine Arbeitgeber-Marke aufzubauen, also auch nach außen zu tragen, dass man einen coolen Betrieb hat. Und dass man auch gerne bei einem arbeiten kann.“ Man müsse eben kreativ werden bei der Personalsuche und seine Netze an ungewöhnlicheren Orten auswerfen: „Man darf einfach nicht glauben, dass ich wie vor zwanzig Jahren eine Kleinanzeige in eine Zeitung setze und danach dreißig Bewerbungen am Tisch liegen habe.“ Einen besonders kreativen Ansatz lieferte Ende Juni die Bamberger Brauerei Schlenkerla: Nur für die Vermittlung einer Küchenhilfe versprach der für sein Rauchbier bekannte Betrieb 100 Flaschen des beliebten Gebräus. Eine Idee, die vielleicht auch bei Regensburger Traditionsbrauereien Einzug halten könnte.
Wasser predigen, Wein saufen
Felix Diankha ist 27 Jahre alt, begeisterter Koch und liebt sein Handwerk. Die Zustände in vielen Betrieben haben ihm jedoch auch oft den Spaß an der Arbeit genommen. Seit ein paar Wochen ist er nun auch Vater eines kleinen Kindes und blickt mit Skepsis in die Zukunft – und auf die Aussagen der Großgastronomen: „Die Gastro hat die Leute doch selbst verheizt.“ Einen einzelnen Grund für die Probleme wie den Fachkräftemangel zu nennen, sei dabei nicht möglich. „Das ist eine Kettenreaktion, die schon bei den extrem hohen Mieten anfängt“, meint der 27-Jährige. Diese würden zwangsweise Einsparungen an anderer Stelle nach sich ziehen – oft genug bei Qualität oder Personal. „Du musst auch erstmal einen Betrieb finden, der dir jeden Monat pünktlich deinen Lohn überweist.“ Generell fehlt den Köchen die Wertschätzung – nicht nur für ihre Arbeit. „In der Gastro denken Arbeitgeber oft, es reicht, wenn du deine zwei Wochen Urlaub kriegst.“ Faire Löhne und geregelte Arbeitszeiten sollten eigentlich das absolute Minimum sein.
Ähnlich sieht das auch Moritz Götten. Der 29-Jährige hat seinen Meister gemacht, in einem Zwei-Sterne-Restaurant gearbeitet und ist mittlerweile in einem bekannten Regensburger Café untergekommen. „Die Restaurantbesitzer müssen sich auch mal etwas einfallen lassen, um ihren Mitarbeitern ihre Wertschätzung zu zeigen.“ Betriebsausflüge oder Teamabende wären eine Idee, so Götten weiter. Beide Köche teilen ihre teils sehr negativen Erfahrungen mit den Arbeitszeiten. 14-Stunden-Schichten seien auch heute keine Seltenheit. Als Auszubildender nach der Berufsschule noch in den Lehrbetrieb fahren? Ganz normal. „Wenn Sonntag der Anruf kommt, ob du kurz für zwei bis drei Stunden reinkommst, bleibt es halt nicht bei den wenigen Stunden“, weiß Götten aus seiner Ausbildung zu berichten. „Wenn jemand ausfällt, stehst du sowieso als Ersatz am Herd“, ergänzt Diankha.
Arbeit nach dem Motto: Feiern wie die Feste fallen
Natürlich könne es auch toll sein, wenn man den überlaufenen Einkaufszentren und Badeseen am Wochenende aus dem Weg geht, jedoch hätten viele Bekannte aus anderen Branchen nur am Wochenende Zeit, musste Moritz Götten feststellen. Familienfeiern, Geburtstage und mehr: All das findet oft statt, wenn Gastronomen arbeiten müssen. „In meiner Anfangsphase hätte ich meine Frau gar nicht kennenlernen können.“ Auch bei späteren Anstellungen litt die Beziehung des Kochs: „Wenn du von Freitag bis Sonntag durcharbeitest, kommst du eigentlich nur nach Hause, um zu schlafen und bist nicht ansprechbar.“ Besitzer wie Muk Röhrl sind sich der Problematik bewusst: „In einer breit gefächerten Branche wie der unseren gibt es einfach schwarze Schafe.“ Die Betriebe, die gute Bedingungen bieten, müssten dann doppelt gute Arbeit leisten, um den schlechten Ruf wettzumachen.“
Generell bleibt die Gastro deswegen gerne – aber auch gezwungenermaßen – unter sich. Dass das Personal nach getaner Arbeit dann noch zusammensitzt, kann schön sein. „Maracujasaftschorle wird da aber nicht getrunken“, scherzt Götten. Dass Alkohol und Drogen in der Gastronomie für die Belegschaft zu einem ernsten Problem werden können, ist dabei ein offenes Geheimnis.
Auch Felix Diankha hat einige Kollegen zur Flasche greifen sehen. Im Dauerschichtdienst werden Menschen selten glücklicher. Aber nicht nur die Arbeitszeit sei ein Problem, sondern auch was während der Schicht zu tun ist. „Harte Arbeit kann auch Spaß machen, wenn du dich am Ende der Schicht nicht fragen musst: ‚Was habe ich heute eigentlich gemacht?‘“ Was Felix Diankha damit meint, ist, dass die Kreativität und die Lust am Kochen nicht gänzlich von der Gewinnmaximierung und Ablaufoptimierung verdrängt werden dürfen. Oder: Ein Schnitzel darf schon teuer sein, wenn der Koch mit frischen Zutaten sein Handwerk ausüben kann und der Gast etwas bekommt, was ihm schmeckt. „Dieses Feeling, wenn die Bude voll ist und man sich die Hacken abrennt, um am Ende des Tages dann zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen zusammen zu sitzen und was geschafft zu haben, ist einfach toll“, bekräftigt auch Muk Röhrl.
Ein Gruß aus Teufels Küche
Weiter müssten die Betreiber auch den Mut mitbringen und ihren Betrieb auch von Zeit zu Zeit runterfahren. „Ein Ausflugslokal muss nicht immer Montag und Dienstag geöffnet haben, ein Sternerestaurant nicht sieben Tage die Woche“, rechnet Götten vor. So könne man auch konstanter gewährleisten, dass die Belegschaft ordentliche Ruhezeiten kriege. Auch die Ausbildung müsse sich verändern, ergänzt Felix Diankha: „Unsere Gesellschaft ist heute schon so multikulturell, das müssten auch die Lehrpläne widerspiegeln.“
Bilder aus der guten alten Zeit: Kugler Sophie, um 1950, Gaststätte Röhrl.
Die Ausbildung sollte gute Köche ausbilden und neben den Grundlagen auch den Spaß am Zubereiten vermitteln: „In der Berufsschule Leber und Nieren zu kochen, ist nicht mehr zeitgemäß.“ Die Grundlagen seien wichtig, aber vieles sei überholt und gerade für junge Leute eher abschreckend. Da sind sich die beiden Köche einig. Ein niedriges Lehrlingsgehalt, von dem man gleich zu Beginn seine komplette Ausstattung – von der Jacke bis zum Messer – kaufen müsse, komme noch erschwerend dazu, erklärt Götten. Zusätzlich gilt in vielen Betrieben der Umstand, dass ungelernte Küchenhilfen einfach die gleichen Aufgaben übernehmen wie die gelernten Profis. „Da fragst du dich schon, warum du den Job extra gelernt hast“, wundert sich Dianka. Als Koch muss man aufpassen, nicht desillusioniert zu enden. Noch sind die beide Köche mit Herzblut dabei und stolz auf ihre Ausbildung.
Die Unattraktivität der Branche ist hausgemacht – im Gegensatz zum Essen. Viele, gerade größere Betriebe setzen laut Diankha mittlerweile auf Convenience Produkte. Bei großen Ketten haben wir das akzeptiert, jedoch greifen auch Restaurants und Gaststätten, bei denen man es nicht vermuten würde, auf Fertigprodukte zurück, um große Massen an Essen in kurzer Zeit zu bewältigen. Der Idee, für das Essen mehr zu verlangen, stehen die Köche offen gegenüber. Jedoch müsste gleichzeitig der Qualitätsstandard steigen. Man dürfe nicht die Preise erhöhen und Essen auf demselben Niveau anbieten, das auch ein Amateur in der eigenen Küche mit Convenience Produkten kochen kann, unterstreicht Felix Diankha. In diesem Kontext stellt sich dem erfahrenen Koch vor allem eine Frage: Wie könne man als Laie überhaupt noch Qualität erkennen, wenn alles auf denselben billigen Produkten basiert?
Drei Groschen für den Koch
Essen gehen soll etwas Besonderes sein und Essen im Restaurant etwas, das man zu Hause so nicht selbst hinbekommt. Auch sollte die Restaurantlandschaft die Vielfältigkeit der Gesellschaft reflektieren. Doch mehr noch als in der restlichen Wirtschaft gilt in der Wirtschaft: Der Kunde ist König. Warum sollten Restaurants mehr gut ausgebildete, gut bezahlte und frei arbeitende Köche einstellen, wenn der wirtschaftlich rentablere Weg ein anderer ist? Kochen, Essen, Trinken gelten als Kulturgut in Bayern, aber nicht um jeden Preis. „Aufreißen, aufwärmen, auftischen“ funktioniert zwar gut, aber dennoch würde es uns wohl allen wehtun, wenn die Alternative „frisch, freundlich und frei“ auf Dauer nur noch den oberen Zehntausend vorbehalten wäre.
Wir entscheiden selbst, wohin wir zum Essen gehen. Damit entscheiden wir nicht nur über das, was dort auf der Karte steht, sondern auch darüber, wo wir überhaupt essen gehen können: egal ob laktosefreie oder vegane Alternativen, Küche aus fernen Ländern oder Schnitzel vom glücklichen Schwein aus einem Bauernhof der Region. All das macht sich zwar längt gut in unserer Instagram-Story, aber dafür zahlen wollen wir immer noch nicht. Die Frage, die sich Gäste, Produzenten und Gastronomen heute stellen müssen, lautet: Wie lange können wir noch nach der Brecht‘schen Formel „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ handeln, bevor der Kreislauf zusammenbricht?
Lucas Treffer / RNRed