Wenn man heute schnell Notizen hinkritzelt, kann man sich gar nicht vorstellen, wie mühsam das Schreiben früher mit Gänsefedern und später mit Stahlfedern gewesen ist. Auch Papier ist heute in Hülle und Fülle vorhanden – früher war das Luxus. So hat sich das Schreiben im Wandel der Zeit verändert.
Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich in Europa die Stahlfeder durch. Das bedeutete einen enormen Komfortgewinn beim Schreiben. Man musste nicht wie früher die Gänsefeder mühsam schneiden, ständig nachschärfen und Kleckse befürchten, man konnte das vorgefertigte Gerät einfach kaufen und relativ problemlos auch mehrere Worte mit einer Tintenladung schreiben, die Klecksgefahr war geringer.
Annette von Droste-Hülshoff entschuldigte sich 1845 in einem Brief, dass sie die (Gänse-) Schreibfedern alleine nicht zurechtspitzen könne: „Stoß dich nicht an mein schlechtes Schreiben, ich kann mich gar nicht mit dem Federschneiden behelfen (...), ich schreib mit wahren Spänen.“ Tatsächlich war der Brief kaum leserlich. Drostes Problem bestand darin, dass ihr persönlicher „Federschneider“ (vermutlich ein Hausdiener) gerade nicht verfügbar war – sie selber konnte es jedenfalls nicht. Stahlfedern waren zu Drostes Zeit zwar schon am Markt, hatten sich aber offenbar bei der damals Achtundvierzigjährigen noch nicht durchsetzen können. War es beim Aufkommen des Computers nicht ähnlich, dass manche Menschen länger an der alten Schreibmaschine festhielten?
Vom Ritzen zu Schreiben
Auch die Gänsefeder war einmal revolutionär. Im Mittelalter stellte sie gegenüber den bisher verwendeten Griffeln, mit denen man in Schiefer oder Holz Texte einritzte, einen enormen Fortschritt dar. Alternativ (und wesentlich teurer) konnte man auch ägyptische Schreibrohre (aus Schilf oder Bambus) verwenden, aber nach dem Ende des Weströmischen Reichs war der Handel damit eingebrochen – nur im Orient waren sie weiter in Verwendung. In Asien bevorzugte man den Pinsel zum Schreiben. Die Federn waren als Schreibwerkzeuge jedoch besser geeignet, weil man damit feiner und sauberer schreiben konnte, sofern man Übung hatte. Für Wenigschreiber waren sie eine Tortur.
Gänse waren daher eine sehr beliebte Handelsware: Das Fleisch war essbar, die Daunen wärmten, die langen Federn verwendete man als Schreibgeräte. Man konnte die Federn aber auch als Pipetten in der Medizin oder als Zahnstocher nutzen. Die Nachfrage nach Federn war sehr groß, auch weil ihre Gebrauchsdauer sehr begrenzt war. Wegen des hohen Bedarfs in Mitteleuropa wurden sogar aus Spanien Federn importiert.
Federn als Importhit
Um 1600 wird von dem Ravensburger Bürger und Händler Clemens Ankenreute in einem Zollregister von Barcelona berichtet, dass er auf einer Spanienreise 3500 „plomes de scriure“, also Schreibfedern, einkaufte und diese mit großem Gewinn in Deutschland weiterverkaufte – auch nach Regensburg, wo ein Teil weiter nach Osten verschifft wurde.
Alternativ kamen auch pflanzliche Schreibrohre zum Einsatz.
Mit höherer Alphabetisierung stieg der Federnbedarf bis zum 19. Jahrhundert enorm an, bis die Gänsefedern schließlich von Stahlfedern abgelöst wurden.
Bleistifte verwendete man vereinzelt schon ab circa 1600, Stahlfedern ab etwa 1840, Füllfedern mit Tintenbehältern gab es ab 1900, Kugelschreiber kamen um 1920 auf.
Nicht nur die Schreibwerkzeuge änderten sich, auch die Beschreibstoffe: Ägyptischer Papyrus wurde vom deutlich haltbareren (aber teurerem) Pergament aus Schaf- und Ziegenhäuten ersetzt. Ab dem 12. Jahrhundert fand das Papier aus China kommend über Arabien den Weg nach Europa. Die erste Papiermühle in Europa entstand erst 1609 im Benediktinerkloster Thierhaupten nördlich von Augsburg. Heute kann man im ehemaligen Kloster Führungen zur Papierherstellung buchen.
Zerschnittenes Pergament in Regensburg
In der Bischöflichen Zentralbibliothek in Regensburg befindet sich eine der ältesten deutschen literarischen Handschriften auf Pergament. Es handelt sich um etwa 800 Jahre alte Fragmente des „Tristan“ Romans von Eilhard von Oberg (nicht zu verwechseln mit dem „Tristan“ von Gottfried von Straßburg). Ursprünglich im Besitz eines Damenstiftes, wurden die Handschriften, als die Damen eine Druckversion erhalten hatten, um 1500 einfach zerschnitten und anderwärtig verwendet, im 19. Jh. dann wiedergefunden. Später gingen sie nochmals verloren, bis sie endlich sicher in Regensburg gelagert wurden – bis heute.
Auf dem Foto heißt es in der ersten Zeilen (auf Mittelhochdeutsch, vereinfacht), dass König (=chunich) Marke in den Wald kam, weil ein Hofzwerg (=der vil cleine man) „zu Recht vernommen hätte“, dass Tristan dort seine Geliebte Isolde, die eigentlich dem König versprochen war, heimlich treffen wollte:
Do der chunich in den walt quam
und der vil cleine man
vil reht het vernommen
daz Tristant ze de vrauwen wolde komen
Tristan-Fragment: Die älteste nicht religiöse Handschrift mit der Textstelle über den König im Baum (ca. um 1100), © Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg
Der König als Voyeur
Was weiter passiert, finden wir ebenfalls in Regensburg, und zwar auf einem Medaillonteppich aus dem 14. Jahrhundert im Stadtmuseum, auf dem genau diese Szene mit dem König Marke, der Tristan und Isolde beim Liebesspiel von einem Baum aus beobachtet, abgebildet ist. Tristan entdeckt aber den neugierigen König im Spiegelbild des Brunnenwassers und warnt Isolde. Die Inschrift dazu:
„ich sich in des prunen schein auf dem paum den herren mein.“
Der mittelalterliche Medaillonteppich aus Regensburg, Museen der Stadt Regensburg, © Peter Ferstl
Tristan und Isolde spielen dem König einen Streit vor. Dieser ist vorerst zufrieden, weil er glaubt, die beiden seien offenbar doch kein Liebespaar. So einfach ging das damals!
Wachstafeln
Für Notizen unterwegs war das teure Pergament, auf dem Tristans Geschichte geschrieben wurde, nicht geeignet. Vor der Verfügbarkeit billiger Papierhefte waren Wachstafeln üblich, die am Gürtel hängend oder im Handgepäck verstaut, leicht mitgetragen werden konnten. Ob das immer so angenehm war?
Geschrieben wurde seit der Spätantike bis zum Buchdruck vorwiegend in Klöstern oder von Berufsschreibern, die auf Wunsch Urkunden oder auch Gebrauchstexte gegen Bezahlung anfertigten. Das Arbeitspult eines Schreibers war umfangreich ausgestattet: Federn, Spitzmesser, Radiermesser, Tintengefäße, Leisten zur Fixierung des Schreibbogens, Kreide, Putzlappen, Zeichenstifte zur Markierung des Schriftbildes, Schriftmusterbücher und einiges mehr.... Auf heutigen Schreibtischen liegt oft auch ziemlich viel herum...
Schreiben war hauptsächlich Männersache
Schreibfehler konnte man, wie erwähnt, mit einem Messer wegkratzen oder mit Farbe übermalen. Aufgrund kaum vorhandener Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen war Schreiben weitgehend Männersache. Frauen konnten sich das Schreiben privat aneignen, es aber nicht öffentlich nutzen. Während die Schreibkunst wegen der komplizierten Technik auf wenige Menschen beschränkt war, existierten in der breiten Bevölkerung auch ohne Schulbildung durchaus partielle Lesefähigkeiten.
Zum Weiterlesen: Wernli, Martina: Federn lesen. Eine Literaturgeschichte des Gänsekiels. Wallstein Verlag 2021
Wolfgang Ludwig