Wie wohnen wir im Alter? Welche Möglichkeiten einer guten Versorgung gibt es auf dem Land angesichts eines steigenden Bedarfs an Wohn- und Pflegeplätzen? Und welche Rolle kann die Landwirtschaft dabei spielen? Das waren Themen des ersten Stakeholder Forums von NEU.LAND., dem landwirtschaftlichen Gründerzentrum der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft.
Rund 50 Akteurinnen und Akteure aus den verschiedensten Bereichen der Agrar-, Bau- und Pflegebranche beleuchteten Mitte November in Ruhstorf an der Rott die Möglichkeiten des „Senioren-Wohnens auf dem Hof“ als einen Zweig der Sozialen Landwirtschaft.
Green Care als Modell für die Zukunft
Soziale Landwirtschaft, in anderen Ländern auch bekannt unter dem Begriff Green Care, meint einen bisher kleinen, aber zukunftsorientierten Zweig der Diversifizierung in der Landwirtschaft. Landwirtinnen und Landwirte öffnen dabei ihren Hof für Menschen mit Betreuungs- oder Unterstützungsbedarf. Beispiele sind Bauernhofkindergärten, Arbeitsplätze für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen, Tiergestützte Therapie und auch Angebote im Bereich Wohnen und Tagespflege für Senioren. Laut Theresia Nüßlein, Leiterin der zuständigen Arbeitsgruppe an der LfL, sind in Bayern rund 200 Betriebe bekannt, die sich damit ein Zusatzeinkommen erwirtschaften. Aufgrund der demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen besteht aber bereits jetzt ein hohes Marktpotenzial, das voraussichtlich noch zunehmen wird.
Es braucht dringend Wohnraum für Senioren
Wie drängend das Thema Wohnen und Pflege von Senioren werden wird, benannte Christian Müller vom Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention im Rahmen der Veranstaltung in Ruhstorf anhand von Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung. Für ihn ist dieses Szenario Aufgabe und Möglichkeit zugleich: „Soziale Landwirtschaft bietet für die Pflege eine Chance und für die Höfe ein großes Potential“, so Müller. Allerdings deckt das Angebot bisher bei weitem nicht den Bedarf. Aber „viele landwirtschaftliche Betriebe sind auf der Suche nach Einkommensalternativen. Die Umnutzung leerstehender Gebäude bietet die Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen. Und durch Ausbildungen von Familienmitgliedern im sozialen Bereich eröffnen sich interessante Synergieeffekte“, erklärte Wolfgang Scholz, Vizepräsident des BBV Oberbayern und 2. Vorsitzender des Vereins Soziale Landwirtschaft in Bayern e.V.
Ein Pilotprojekt in Bayern zeigt: das Konzept funktioniert
Wie Wohnen für Senioren praktisch auf einem landwirtschaftlichen Betrieb umgesetzt werden kann, berichtete Johanna Brauneis. Auf ihrem Familienbetrieb hat sie gemeinsam mit ihrem Mann als Pionierin in Bayern vor 25 Jahren „Service-Wohnen“ etabliert. 14 Seniorinnen und Senioren leben in Appartements über dem ehemaligen Milchviehstall und können je nach Bedarf verschiedene Leistungen, wie die Verpflegung, zusätzlich in Anspruch nehmen. Dieses Konzept funktioniert durch eine gute Kooperation mit dem örtlichen Pflegedienst. Familie Brauneis hat mit ihrem Betriebszweig den Hof wirtschaftlich und zukunftsorientiert auf sichere Beine gestellt, doch bisher gibt es nur wenige Nachahmerinnen. Wo liegen die Hürden, welche Herausforderungen müssen ressortübergreifend angegangen werden, damit landwirtschaftlichen Betrieben der Einstieg erleichtert wird? Darüber diskutierten die Teilnehmerinnen aus verschiedenen Teilbereichen intensiv in fünf Workshops.
Angebot ist noch zu wenig bekannt
Als wichtige Grundlage wurde eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit für das Thema angemahnt. Es ist schwierig abzuschätzen, wie groß das Potential in der Landwirtschaft wirklich ist. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass - sowohl bei praktizierenden Landwirten als auch in der Berufsvertretung und der Beratung - die Möglichkeiten, die sich durch soziale Angebote bieten, noch viel zu wenig bekannt sind. Eine Verankerung des Themas in der landwirtschaftlichen Ausbildung ebenso wie bei den verschiedenen Bildungseinrichtungen und der Berufsvertretung wurde dringend gewünscht.
Kommunen im ländlichen Raum sind sich ihrer Aufgabe nicht bewusst
Deutlich wurde aber auch, dass der Themenbereich umfassender gesehen werden muss, wie auch Inge Schmidt-Winkler, Vorstand der MARO-Genossenschaft in ihrem Impulsvortrag darstellte. Betreuung und Pflege von Senioren erweisen sich als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Kommunen im ländlichen Raum sind sich dabei ihrer Rolle für die Daseinsvorsorge oft noch zu wenig bewusst. Politisch sind kleinere Einheiten beim Seniorenwohnen gewollt, aber die Umsetzung vor Ort kann nicht allein in der Hand interessierter Landwirte liegen, sondern muss als Aufgabe der regionalen Entwicklung erkannt und umgesetzt werden. Spannend war diesbezüglich der Beitrag von Hans Sperl, Vorstand der genossenschaftlich organisierten, ambulant betreuten Senioren-Wohngemeinschaft in Neukirchen b. Hl. Blut. Mit Hilfe der Genossenschaft hat man in der Gemeinde mit knapp 4000 Einwohnern das Thema Seniorenwohnen selbst in die Hand genommen. Die Kombination aus bürgerschaftlichem Engagement, auch bei der Finanzierung, und den Ressourcen landwirtschaftlicher Betriebe, bietet durchaus Chancen, braucht aber das Bewusstsein und die Unterstützung vor Ort.
Auflagen erschweren die Umbaumaßnahmen
Als ein großer Stolperstein entpuppte sich nicht ganz überraschend das Thema Bauen mit den Herausforderungen im Baurecht und auch bzgl. der Finanzierung. Die Umnutzung von landwirtschaftlichen Gebäuden zu Wohnzwecken wird durch die verschiedensten Auflagen erschwert. Diese Probleme ergeben sich sowohl aus dem Bau-, aber auch aus dem Steuerrecht. Dazu kommen gestiegene Baukosten und Zinsen. Für eine belastbare Kalkulation der Wirtschaftlichkeit fehlen allerdings bisher Kennzahlen.Es wurde im Laufe der Veranstaltung deutlich, dass Begeisterung und Motivation, aber auch klar durchdachte Strategien und Umsetzungspläne für das Gelingen von Seniorenwohnprojekten auf dem Bauernhof nötig sind. „Senioren-Wohnen auf dem Hof“ ist keine Lösung für jeden Betrieb, sondern wird eine Nische bleiben. Aber wenn Betriebe in diese Richtung gehen wollen, dann sollen sie die bestmögliche Unterstützung erhalten - das war erklärtes Ziel der Teilnehmenden dieses Stakeholder-Forums. So können Höfe mit ihrer lebensfreundlichen Umgebung einen wichtigen Beitrag zum menschenwürdigen Altern in der gewohnten Umgebung im ländlichen Raum bieten. Und für so manchen landwirtschaftlichen Betrieb eröffnen sich dadurch Zukunftschancen.
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) / RNRed