An Weihnachten beschäftigen sich viele Menschen mit dem Thema Dankbarkeit. Allgemein scheint das Thema en vogue zu sein, Influencer:innen propagieren gefühlt täglich Dankbarkeits-Praktiken auf Social Media. Doch wie sinnvoll sind Dankbarkeits-Tagebücher & Co. wirklich? Wir haben bei Psychologie-Dozentin Hildegard Stuff der Uni Regensburg nachgefragt und uns überlegt, wofür wir tatsächlich dankbar sind.
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen jeden Tag neue negative Meldungen über einen hereinzubrechen scheinen – sei es von Krieg, Umweltkatastrophen oder einem erneuten Rechtsruck im eigenen Land – fällt es vielen Menschen schwer, noch Dankbarkeit zu empfinden. Gleichzeitig wird immer wieder behauptet, dass sich in Dankbarkeit zu üben, einen signifikant positiven Effekt auf Gesundheit und Wohlbefinden hätte. Und es gäbe wahrscheinlich kaum eine bessere Zeit als die Weihnachtszeit, um sich Gedanken darüber zu machen, wofür wir eigentlich alle dankbar sein dürfen.
In der Adventszeit resümieren viele Menschen, was in ihrem Jahr gut und schlecht gelaufen ist. Sie werden nachdenklicher. Die beste Zeit also, sich zu fragen, ob das Obst, das Fleisch und andere Lebensmittel, die die meisten von uns jede Woche ganz selbstverständlich in den Einkaufwagen legen, oder auch unsere Kleidung und ein Dach über dem Kopf, wirklich so selbstverständlich sind. Alles scheint ständig verfügbar und trotzdem beklagt sich jeder. Es wird Zeit, dass wir uns wieder mehr Gedanken darüber machen, was wir eigentlich alles haben. Aus diesem Grund haben wir versucht herauszufinden, was es mit dem Begriff „Dankbarkeit“ tatsächlich auf sich hat und mit Hildegard Stuff, Dozentin der Psychologie der Universität Regensburg, darüber gesprochen, wie wir mehr Dankbarkeit in unser Leben integrieren können.
Zahlreiche Studien belegen positive Wirkung
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Studien zum Thema Dankbarkeit durchgeführt und es gibt Hinweise, dass Menschen, die sich in Dankbarkeit üben, zufriedener und optimistischer sind, erfülltere Beziehungen haben und auch körperlich gesünder sind. Es ist ein junger Forschungszweig und es bedarf noch weiterer Erforschung mit methodisch gut aufgestellten Studien. Dennoch können wir anhand der bisherigen Ergebnisse vermuten, dass Dankbarkeit sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Das betrifft nicht nur gesunde Menschen, sondern nach einer Meta-Analyse* aus dem Jahr 2023 können sich Dankbarkeitsübungen auch positiv als therapeutische Ergänzung bei der Behandlung von Angst und Depressionen auswirken.
Wofür bin ich eigentlich dankbar?
Dankbarkeit ist ein großer Begriff, den wahrscheinlich jeder für sich etwas anders auslegt. Die Psychologie betrachtet Dankbarkeit einerseits als Persönlichkeitseigenschaft (trait) und andererseits als emotionalen Zustand (state). Der Zustand Dankbarkeit bedeutet, dass man diesen als Emotion in einer bestimmten Situation empfindet, für etwas, das gerade da ist oder das jemand anderes für einen tut. Die Persönlichkeitseigenschaft Dankbarkeit beschreibt eine Neigung, eher empfänglich für das Gefühl von Dankbarkeit zu sein. Das kann durch die Gene bedingt sein, aber auch durch Erfahrungen, die diese Menschen gemacht haben.
Man fragt sich häufig, warum man eigentlich die alltäglichen Dinge, wie die Familie, gute Freunde oder einen sicheren Job einfach vergisst. Wir wissen, wofür wir dankbar sein sollten und können, aber das Gefühl stellt sich nicht ein. Stuff beschreibt, dass unser Tun häufig sehr zielgerichtet sei: „Wir sind im Alltag oft schnell unterwegs, immer ausgerichtet auf ein bestimmtes Ziel. Häufig sind wir gar nicht anwesend in dem Moment, in dem das Leben stattfindet, sondern im Geist bereits einen Schritt weiter.“ Die meisten kennen den Zustand, wenn wir etwa auf dem Weg in die Arbeit bereits daran denken, welche Aufgaben und Termine heute anstehen. Sind wir in der Arbeit, denken wir darüber nach, mit wem wir zu Mittag essen. Beim Mittagessen sind wir in Gedanken schon wieder bei der anstehenden Besprechung und auf dem Nachhauseweg planen wir, was es zum Abendessen gibt. Wann immer keine besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist, nutzt das Gehirn die Kapazitäten, um Vergangenes nachzuverdauen und Zukünftiges vorauszuplanen. So sind wir viele Momente am Tag in Gedanken versunken und merken es meistens gar nicht.
Ein Ort, an dem man ganz von selbst Dankbarkeit für das Leben und die Natur fühlt. Ein absolut empfehlenswerter Besuch, die Kohlschachten im Bayerischen Wald. © filterVERLAG
„A wandering mind is an unhappy mind“
„Es gibt hierzu eine Studie der Harvard University aus dem Jahr 2010, die ergeben hat, dass wir knapp 50 Prozent der Zeit nicht bei dem sind, was wir tun, sondern gedanklich mit etwas anderem beschäftigt sind. Und je häufiger die Aufmerksamkeit woanders war, desto unglücklicher waren die Menschen. Das Gedankenwandern korreliert mit Unglücklichsein – „A wandering mind is an unhappy mind“, so Stuff. „Wenn wir ganz bei der Sache sind, ist das Erleben intensiver. Die Gedanken tragen uns weg aus dem direkten Erleben. Wir können nur im jetzigen Moment sehen, hören, riechen, spüren, tasten und das erfahren wir intensiver, wenn wir mit der Aufmerksamkeit ganz dabei sind. Zudem kreisen die Gedanken die meiste Zeit um das, was gerade schwierig ist.“ Unsere Aufmerksamkeit und unser Denken bewegen sich dann in einem ganz engen Korridor. Das mache es so schwer, auch das wahrzunehmen, was gerade gut sei.
Doch warum ist das so? Stuff liefert einen evolutionären Erklärungsansatz und beschreibt, dass unser Gehirn nicht zum Glücklichsein konstruiert sei. Das oberste Ziel unseres Gehirns sei es, unser Überleben zu sichern, weshalb der Fokus stets darauf gerichtet sei, was fehle, wo die Probleme und Gefahren lägen. Das hat sich als Überlebensvorteil in der Evolution bewährt: „Unsere Vorfahren sind nicht diejenigen, die sich sorglos am Busch mit den Beeren beschäftigt oder versunken den Sonnenuntergang betrachtet haben. Unsere Vorfahren sind die, die wachsam waren und auf jedes Knacken im Gebüsch gehört haben.“
Wenn unser Gehirn allgemein eher auf das Negative ausgerichtet ist, kann es dann auch lernen, sich stärker auf das Positive im Leben zu konzentrieren? Tatsächlich ist das durch gezielte Übung möglich. Wir können unser Gehirn trainieren, auch die schönen und guten Dinge im Leben mehr wahrzunehmen. Das erfordert, dass wir immer wieder unseren Blick öffnen und positive Erfahrungen ganz bewusst erkennen und aufnehmen. Wenn etwas neu ist und wir insgesamt in einer positiven Grundstimmung sind, wie zum Beispiel im Urlaub, gelingt uns das meistens noch gut. Doch wir gewöhnen uns schnell. Und so schweift die Aufmerksamkeit ab und hält Ausschau nach neuen Chancen oder Gefahren.
Achtsamkeit ermöglicht Dankbarkeit
Durch Achtsamkeitsübungen, wie den Bodyscan oder die Betrachtung des Atems, können wir die Fähigkeit stärken zu bemerken, wo die Aufmerksamkeit gerade ist und sie bewusst wieder in den jetzigen Moment zurücklenken. Bei der Atembetrachtung versuchen wir etwa, uns einige Minuten lang nur auf unsere Atmung zu konzentrieren. Wenn die Aufmerksamkeit abwandert, lenken wir sie geduldig und ohne Bewertung wieder zurück auf den nächsten Atemzug. Stuff weist darauf hin, dass für diese Praktiken etwas Übung und Anleitung erforderlich ist. Es könne aber auch schon hilfreich sein, sich im Alltag kleine Erinnerungsanker zu setzen. Das können ein bestimmter Gegenstand oder ein Post-It sein, das uns in Momenten von Hektik und Getriebenheit daran erinnert, einen Moment innezuhalten. Wir machen dann eine Art Stopp, um zu betrachten, was uns gerade beschäftigt. „Wir weiten den Blick und gehen raus aus dem Denken hin zu den Sinneserfahrungen: Was gibt es gerade zu sehen, zu hören, zu spüren? Für einen Moment nur mal die Füße spüren im Kontakt mit dem Boden oder die kühle Luft im Gesicht, wenn wir das Fenster öffnen. Oder bewusst wahrnehmen, wie wir uns gerade fühlen. Sinneserfahrungen sind eine Quelle von Lebensfreude und wir können sie nur im jetzigen Moment erleben“, beschreibt Stuff.
Dankbarkeit verlagere die Perspektive von ‚ich habe nicht‘ zu ‚ich habe‘, von ‚nicht genug‘ zu ‚genug‘. „Wenn ich genug habe, erzeugt das ein Gefühl von Zufriedenheit und bringt uns in eine gute Grundstimmung. Diese macht unsere Wahrnehmung wieder offener für neue Erfahrungen und Kontakte, welche weitere positive Emotionen hervorrufen. Die positiven Emotionen verstärken sich gegenseitig, Dankbarkeit erzeugt Freude, Dinge, über die ich mich freue, erzeugen wieder Dankbarkeit. All diese Emotionen lassen den Körper entspannen, was wiederum förderlich für die Gesundheit ist“, so die Psychologie-Dozentin. Dankbarkeit mache uns auch großzügiger. Es ist einfacher, von einem Ort des „ich habe genug“ zu geben als von einem Ort des Mangels“. Großzügigkeit wiederum schaffe Verbundenheit und wirke sich positiv auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen aus, erläutert sie die Wirkungen.
Sie betont, dass es allerdings nicht darum gehe, dass man das Negative ausblende: „Es geht darum, den Blick zu öffnen, um wahrzunehmen, was neben dem Schwierigen gleichzeitig auch an Gutem da ist.“
Dankbarkeit ohne große Anstrengung?
Auf die Frage, wofür Stuff selbst dankbar ist, schildert sie, dass sich ihr eigenes Dankbarkeitserleben über die Jahre sehr verändert habe. „Heute erlebe ich jeden Tag Momente von Dankbarkeit. Ich tue nichts aktiv dafür, das Gefühl kommt in bestimmten Momenten einfach. Manchmal ist es Dankbarkeit für die großen Dinge: meine Gesundheit, meine Familie, dass ich eine Arbeit habe, die mir Freude macht. Ganz häufig sind es diese vielen kleinen Dinge, ein Moment von Ruhe am Morgen, eine freundliche Begegnung oder wenn ich auf dem Weg zur Arbeit sehe, wie der Nebel über der Donau aufsteigt und der Reiher über das Wasser zieht. Dann bin ich für einen Moment froh – und dankbar, beides“, beobachtet sie. Freude und Dankbarkeit gehören für sie ganz eng zusammen. „Aber auch in Momenten, die anstrengend oder schwierig sind, zum Beispiel, wenn ich mit Husten und Fieber im Bett liege und da jemand ist, der mir einen warmen Tee bringt, gibt es solche Momente. Oder wenn ich auf der Straße stolpere, falle und bemerke dann, es bewegt sich noch alles, es ist nichts gebrochen, dann ist sofort ein Gefühl von Dankbarkeit da“, erzählt sie. Die meisten würden sich hier wahrscheinlich denken, ‚Das war klar, dass das wieder mir passiert, hoffentlich hat mich keiner gesehen.‘ Dass sich bei Stuff hier automatisch ein Gefühl von Dankbarkeit einstellt, führt sie auf viele Jahre Achtsamkeitspraxis zurück. „Durch Achtsamkeit wächst die Dankbarkeit von ganz alleine. Wenn wir mehr in dem Moment leben, in dem das Leben stattfindet, nehmen wir auch intensiver wahr, was uns gerade an Schönem und Gutem widerfährt.“
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„Ich weiß gar nicht, wofür ich dankbar bin“
Derzeit ist zudem der Trend entstanden, ein sogenanntes Dankbarkeits-Tagebuch zu führen. Immer mehr Influencer:innen propagieren auf Social Media das Notieren von Dingen, für die man heute dankbar war, um langfristig zufriedener und glücklicher zu werden. Hier drängt sich die Frage auf, ob das wirklich zielführend oder einfach eine Art Social Media Hype entstanden ist.
Stuff erzählt, dass sie schon eine Zeit lang Achtsamkeitskurse gegeben hatte und bereits wusste, wie hilfreich ein Dankbarkeits-Tagebuch sein kann, selbst eines geführt hatte sie bis dahin allerdings nicht. Also kaufte sie sich kurzerhand ein kleines Heftchen für ein, zwei Euro, um es sich mit einem Stift neben ihr Bett zu legen. „Und da lag es erstmal für drei Tage. Ich fühlte mich zu müde dafür. Es kostet erstmal Energie, so etwas zu starten. Als ich schließlich am vierten Tag alle Energie zusammen nahm, saß ich erst mal da und mir fiel nichts ein. Ich dachte, da ist gar nichts, wofür ich gerade dankbar bin“, schildert die Psychologie-Dozentin ihre Eindrücke. Das sei eine häufige Erfahrung: „Wenn wir müde oder erschöpft sind, ist der Fokus der Wahrnehmung eng, auf Erholung oder Schlafen ausgerichtet, wir möchten uns eigentlich nicht mehr anstrengen. Uns fällt dann häufig nichts ein“, beschreibt sie und fügt hinzu, dass das jedoch nichts Schlechtes sei und wir uns dafür nicht verurteilen sollten.
„Ich habe das auf mich wirken lassen und dann kam auf, dass ich dankbar dafür bin, dass für heute alles getan ist und ich hier liegen kann. Ich war dankbar für mein Bett. Dafür habe ich in diesem Moment wirklich Dankbarkeit empfunden. Drei Tage lang hatten meine Notizen genau diese Qualität, dann hat es sich verändert und es kamen immer mehr neue Dinge hinzu.“ Das beschreibt die Dozentin auch als zentral bei dieser Übung. Eigentlich wissen die meisten von uns, wofür sie dankbar sein können und sollten, wie zum Beispiel dafür, dass wir in Frieden leben, dass wir eine Familie und Freunde und etwas zu Essen haben. Viele schreiben dann genau diese Dinge auf. Aber das Gefühl dazu stellt sich nicht ein. „Es ist wichtig, nur das aufzuschreiben, wofür wir in dem Moment tatsächlich ein Gefühl von Dankbarkeit erleben. Und wenn da gar nichts ist, dann ist das vollkommen in Ordnung.“
Häufig führen viele von uns einige Wochen lang penibel ein Dankbarkeits-Tagebuch, nur um es mit der Zeit aufgrund des täglichen Alltagsstresses wieder sein zu lassen. Deshalb empfiehlt Stuff, diese Praxis ganz niederschwellig anzugehen. „Den Stift zur Hand nehmen, zum Beispiel am Abend, und sich im Rückblick auf den Tag fragen, wofür bin ich dankbar oder worüber habe ich mich heute gefreut? Sich dieser Frage für ein, zwei Minuten öffnen und sich überraschen lassen, was sich zeigt. Ohne etwas zu erwarten. Uns erlauben, dass keine Dankbarkeit da sein muss. Dankbarkeit lässt sich nicht erzwingen, wir können Dankbarkeit nur einladen“, fügt sie an.
Wie wirksam ist ein Dankbarkeits-Tagebuch?
„Für mich hat es sich sehr bewährt, das Dankbarkeits-Tagebuch immer mal wieder für ein, zwei Monate jeden Abend zu führen, ohne Druck, ohne Erwartung und ohne Bewertung“, resümiert die Expertin. Man kann es auch nur einmal oder zweimal pro Woche führen. Hier sollte jeder ausprobieren, womit er oder sie am besten zurechtkommt. Es gibt auch Menschen, die ein Dankbarkeitsbuch lieber am Morgen führen. Stuff selbst schätzt den positiven Tagesabschluss am Abend, was sich auch förderlich auf die Schlafqualität auswirken kann.
Sich einsinken lassen und Gewohnheiten für´s Gehirn schaffen
Wenn sich Gefühle von Dankbarkeit oder Freude einstellen, dann solle man sich richtig einsinken lassen in das Gefühl, rät die Expertin und ergänzt: „Während die negativen Erfahrungen sofort abgespeichert werden, rutschen die positiven Eindrücke häufig durch. Der Neuropsychologe und Experte für positive Neuroplastizität Rick Hanson beschreibt es so: Das Gehirn verhält sich bei negativen Erfahrungen wie Klettband und bei positiven wie Teflon. Je mehr wir uns in eine positive Erfahrung einsinken lassen und sie mit allen Sinnen genießen, umso stärker ist die Spur im Gedächtnis und wirkt der Negativitätstendenz des Gehirns entgegen.“ Man könne sich das wie eine Art Trampelpfad vorstellen, der durch viele Wiederholungen immer mehr zu einem gut begehbaren Weg wird. Das führt dazu, dass wir die positiven Dinge leichter wahrnehmen und mehr Freude und Dankbarkeit erfahren.
Menschen, die schwer belastet oder in einer akuten Depression seien, würde Stuff allerdings nicht unbedingt zu Dankbarkeitsbüchern raten, da diese häufig keine Dankbarkeit empfinden könnten, was in dieser Situation ganz normal sei. Hier könne die Dankbarkeitspraxis auch kontraproduktiv sein, weil man sich denke, ‚Selbst das gelingt mir nicht‘.
Dankbarkeit als Marketingzweck?
Dankbarkeits-Tagebücher sowie Artikel und Bücher darüber, wie wir dankbar und glücklich werden können, boomen. Stuff empfiehlt hier, genau zu prüfen, ob die Strategien und Methoden in solchen Ratgebern verkürzt dargestellt werden – als einfache Rezepte zum Glücklichsein. Dann können sie auch genau das Gegenteil bewirken. Wenn es nicht funktioniert, führen wir das womöglich auf unsere eigene Unfähigkeit zurück und fühlen uns dann noch schlechter.
Wer jedoch vor dem Hintergrund und der Komplexität der menschlichen Psyche mehr Dankbarkeit in sein Leben integrieren möchte, für den ist ein Dankbarkeitsbuch in jedem Fall ein gutes Mittel. Stuff hat uns zudem drei weitere Techniken verraten, um Dankbarkeit im Alltag zu kultivieren und beizubehalten.
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Dankbarkeit äußern
Die Forschung habe gezeigt, dass es einen zusätzlichen Effekt haben kann, wenn wir Dankbarkeit nicht nur fühlen, sondern auch äußern. Hier empfiehlt Stuff etwa einen Brief an jemanden zu schreiben, in dem wir beschreiben, wofür wir ihm oder ihr dankbar sind. Wir können diesen ebenso am Telefon vorlesen. Auch wenn wir im Krankenhaus liegen und fürsorglich betreut werden, können wir das der Pflegerin oder dem Pfleger mitteilen. Dankbarkeit sollte jedoch – auch in einer Partnerschaft – nicht zur Floskel verkommen, da sie sonst auch Unmut stiften kann, das Gefühl dahinter ist entscheidend. Wenn wir wiederum echte Dankbarkeit empfinden und diese aussprechen, weckt das Freude bei uns selbst und beim Gegenüber, was die Dankbarkeit wiederum verstärkt.
Jammern nutzen und den Blick weiten: Viele neigen dazu, sich häufig zu beklagen. „Wir sollten uns auch dafür nicht verurteilen, sondern genau den Moment, in dem wir realisieren, dass wir uns beklagen, als Erinnerungsanker verwenden, um den Blick zu weiten und innerlich einen Kommentar hinzuzufügen“, beschreibt Stuff eine weitere Dankbarkeits-Praxis. Das kann allgemein gehalten werden: ‚Mein Job ist so stressig UND ich weiß, dass ich sehr geschätzt bin‘ oder konkreter werden: ‚Mein rechtes Knie tut so weh UND mein linkes Knie ist ok‘, ‚die Heizung funktioniert nicht UND ich bin dankbar, dass der Monteur morgen kommt‘“. Stuff ergänzt, dass es hierbei wichtig sei, „und“ statt „aber“ zu verwenden. „Dadurch verknüpft sich das Negative mit dem Positiven, sodass es gleichzeitig aufgerufen wird.“ Trainiert man diese Praxis, könne sich die Betrachtungsweise langfristig ändern.
Was würde ich vermissen? Eine weitere, sehr effektive Übung ist laut Stuff, sich zu fragen: ‚Welche drei Dinge würde ich in diesem Moment vermissen, wenn sie sich auflösen würden?‘ „Vielleicht fällt uns dann unser gemütliches Bett ein, in dem wir gerade liegen und die warme Decke. Dann können wir einen tiefen Atemzug nehmen und uns einsinken lassen in das Gefühl der Freude und Dankbarkeit, dass beides noch da ist.“ Das kann übrigens auch verwendet werden, wenn man wieder einmal vor seinem Dankbarkeits-Tagebuch sitzt und nicht weiß, was man reinschreiben soll: ‚Gibt es jetzt gerade in diesem Moment drei Dinge, die ich vermissen würde, wenn sie sich auflösen würden?‘
Es gibt verschiedene Dankbarkeitspraktiken und jeder sollte selbst probieren, welche Übungen am besten wirken und welche Effekte sich jeweils einstellen. So können wir alle den Blick auf das Positive trainieren und etwas mehr Dankbarkeit in unser Leben integrieren – ob es nun der sichere Job oder unser gemütliches Bett ist. Vor allem aber sollten wir über die Menschen dankbar sein, die unser Leben jeden Tag bereichern. Häufig merken wir erst, was wir alles hatten, wenn wir es nicht mehr haben. Grund genug, sich wieder bewusst vor Augen zu führen, was schön in unserem Leben ist. Mit Sicherheit gibt es bei jedem etwas, wofür er dankbar sein kann!
Wir wünschen Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest voller schöner Momente und ganz viel Dankbarkeit – die Sie Ihren Liebsten dann bei Gelegenheit auch direkt zeigen dürfen!
Hildegard Stuff
Hildegard Stuff ist Lehrbeauftragte am Institut für Psychologie an der Uni Regensburg seit 2014. Ihre Themengebiete sind Kommunikationspsychologie, Führungskräfteentwicklung und Mindfulness. Zudem hat sie außerhalb der Universität 2018 mit ihrer Kollegin Madeleine Kamper das Zentrum für Achtsamkeit und Resilienz in Regensburg gegründet, in dem achtsamkeitsbasierte Trainings zur Stressbewältigung und Förderung der Resilienz angeboten werden.
Studien zum Thema Dankbarkeit
Diniz G, Korkes L, Tristão LS, Pelegrini R, Bellodi PL, Bernardo WM. The effects of gratitude interventions: a systematic review and meta-analysis. Einstein (Sao Paulo). 2023 Aug 11;21:eRW0371. doi: 10.31744/einstein_journal/2023RW0371. PMID: 37585888; PMCID: PMC10393216.
Boggiss AL, Consedine NS, Brenton-Peters JM, Hofman PL, Serlachius AS. A systematic review of gratitude interventions: Effects on physical health and health behaviors. J Psychosom Res. 2020 Aug;135:110165. doi: 10.1016/j.jpsychores.2020.110165. Epub 2020 Jun 3. PMID: 32590219.
Marina Triebswetter | filterVERLAG