Zum Jahreswechsel beschäftigen sich die Menschen alle Jahre wieder mit dem Thema „Gute Vorsätze“. Selbst wenn diese Jahr für Jahr bereits nach einigen Wochen wieder scheitern, machen wir uns im Dezember erneut Gedanken über neue gute Vorsätze. Warum wir diese so selten dauerhaft umsetzen und wie sinnvoll sie überhaupt sind, hat uns Psychologie-Dozentin Hildegard Stuff verraten.
Immer etwa um die gleiche Zeit im Dezember machen sich zahlreiche Menschen Gedanken über ein zentrales Thema: Gute Vorsätze. Alle Jahre wieder nehmen wir uns vor, ab 01. Januar eine strikte Diät zu befolgen, vor allem aber gesünder zu essen und mehr Sport zu treiben, weniger Alkohol zu trinken, mit dem Rauchen aufzuhören, nachhaltiger zu leben oder Screentime auf ein Minimum zu reduzieren – die Liste der guten Vorsätze ist endlos. Und alle Jahre wieder scheitert dieses Vorhaben zumeist spätestens im Februar und wir fallen in alte Gewohnheiten zurück. Ausnahmen bestätigen hier selbstverständlich die Regel.
Doch woran liegt das eigentlich und sind gute Vorsätze dann überhaupt sinnvoll? Was bewegt uns dazu, sie Jahr für Jahr wieder zu forcieren, obwohl wir gefühlt in den vergangenen 20 Jahren daran gescheitert sind? Erklärungsansätze für diese Fragen sowie Tipps, wie gute Vorsätze aussehen sollten und wie wir sie dauerhaft umsetzen können, gibt es passend zum Jahreswechsel nicht nur vom filter-Team, sondern auch von Hildegard Stuff, Lehrbeauftragte am Institut für Psychologie an der Universität Regensburg.
Diese betont gleich zu Beginn, dass es in jedem Fall gut und wichtig sei, sich etwas vorzunehmen, denn nur dann bestehe die Möglichkeit, etwas auch umzusetzen: „Was aus meiner Sicht entscheidend ist, ist die Absicht: Was motiviert mich dazu? Häufig sind die Vorsätze motiviert aus einem Erleben von ‚es ist nicht gut genug, so wie es jetzt ist‘, ‚Ich bin nicht schlank genug, nicht sportlich genug…‘. Wir motivieren uns aus einem Mangelerleben heraus und versuchen, uns zu verändern, um ‚gut zu sein‘.“ Das verursache sowohl Stress als auch Anspannung im Körper. Stuff erklärt, dass man sich selbst zugestehen sollte: ‚Erst mal bin ich so in Ordnung, wie ich bin und trotzdem möchte ich versuchen, gesünder zu leben oder meinen Körper besser zu versorgen‘. Aber aus Fürsorge heraus.
Konkrete Vorsätze, konkrete Ziele
Die Umsetzung guter Vorsätze erfordert Disziplin und Beharrlichkeit. „Und das gelingt uns leichter, wenn es mit einer positiven Vision verbunden ist“, erläutert die Psychologie-Dozentin und ergänzt: „Statt Formulierungen zu verwenden wie ‚Ich möchte weg vom Rauchen‘, sollten wir uns überlegen, wo wir hinmöchten, in diesem Fall zu mehr Gesundheit. Wir können uns vorstellen, wie es ist, besser atmen zu können oder beim Sport weniger kurzatmig zu sein“. Der gute Vorsatz, mehr Sport zu treiben, könnte zum Ziel haben: ‚Ich fühle mich gesund und fit in meinem Körper. Ich kann mit meinen Kindern herumtoben, ohne gleich außer Atem zu sein.‘
Genauso konkret sollten wir auch die neue Gewohnheit selbst formulieren. Anstatt zu sagen ‚Ich mache mehr Sport‘ beschließen wir: ‚Ich mache zwei Mal pro Woche Kraft-
sport und gehe jeden Tag 15 Minuten an der frischen Luft‘.
Mit ‚Baby Steps‘ zum Erfolg
Wichtig hierbei ist eine exakte Planung sowie kleine, realistisch erreichbare Zwischenziele festzulegen. „In der systemischen Therapie nennt man diese ‚Baby Steps‘“, erläutert die Psychologie-Dozentin. „Das Wichtigste ist, dranzubleiben und das gelingt uns leichter, wenn wir uns mit unseren Zielen nicht überfordern. Wenn ich mir vornehme, ab sofort drei Mal pro Woche 40 Minuten zu joggen, aber von Null starte, ist das keine Gewohnheit, die ich vermutlich lange durchziehe. Statt zu sagen, ‚ich lebe ab Januar gesünder‘, sollte ich mir vornehmen: ‚Ich integriere jeden Tag eine Sorte Gemüse‘. Im Februar kann ich diese Menge auf eine Obst- und eine Gemüsesorte pro Tag steigern, um sie in den Folgemonaten weiter zu erhöhen, bis das langfristige Ziel, zum Beispiel fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag, erreicht ist.
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Routinen statt Restriktion
Betrifft es nicht gerade Themen wie das Rauchen, gilt, dass wir uns nichts komplett verbieten sollten. Das hat häufig zur Folge, dass wir noch mehr Lust – zum Beispiel auf Schokolade – entwickeln und langfristig unsere Gewohnheiten nicht beibehalten. ‚Ich verzichte während der Woche auf Süßes, aber am Wochenende erlaube ich mir das‘, nennt Stuff ein geeignetes Ziel.
Gesunde Routinen statt Restriktion ist hier die Devise. Das ist ein Begriff, der vor allem im Bereich Sport und Ernährung häufig fällt. Auch wenn es diese Tage gibt, an denen wir vor Motivation übersprudeln, können wir uns nicht dauerhaft auf sie verlassen. Feste Routinen schaffen hier Abhilfe. Wir können uns vornehmen, immer montags und donnerstags zum Sport zu gehen. Ein guter Tipp ist an der Stelle, sich diese Sporttage als Termin in den Kalender einzutragen. Ähnlich wie beim Zahnarzt- oder Friseur-Termin wissen wir, dass wir an diesem Tag zu erscheinen haben und hinterfragen es nicht mehr. Das gute Gefühl danach wird uns dafür belohnen!
Es ist doch nur für zwei Monate
Eine andere Herangehensweise beschreibt Stuff darin, sich bestimmte Ziele nur für einen begrenzten Zeitraum vorzunehmen und dann zu beobachten, was das mit einem macht. „Ich kann zum Beispiel mit mir vereinbaren, dass ich für 40 Tage keine Süßigkeiten mehr esse. Dann schaue ich, wie ich mich in dieser Zeit gefühlt habe“, beschreibt sie. Der Hintergrund ist hier, dass wir neue Gewohnheiten mit der Zeit leichter weiterführen können, wenn wir merken, dass sie eine Wirkung haben oder das Wohlbefinden erhöhen.
Auf Hindernisse vorbereitet sein
„Es ist zudem zentral, dass wir auf Hindernisse vorbereitet sind“, beschreibt Stuff. „Was mache ich, wenn ich irgendwo zum Kaffeetrinken eingeladen bin, mir aber vorgenommen habe, meinen Zuckerkonsum zu reduzieren? Hier wäre ein Ansatz für diesen Tag, bewusst eine Ausnahme zu planen und diese auch zu genießen.“ Man solle laut der Expertin für verschiedene Eventualitäten vorbereitet sein, also etwa auch planen, was zu tun sei, wenn man krank sei, jedoch eigentlich drei Mal die Woche Sport machen wolle. Wichtig sei hier, nicht zu streng mit sich zu sein, sondern geduldig und versöhnlich. Ansonsten kämen wir schnell in die Haltung: ‚Jetzt ist es auch egal, jetzt kann ich eigentlich alles essen oder den Sport gleich ganz sein lassen.‘ Zentral sei, immer wieder einen neuen Anfang zu finden. „Die Balance ist wichtig und jeder kleine Schritt verändert etwas. Jedes Mal, wenn wir auf eine Süßigkeit verzichten, tun wir unserem Körper etwas Gutes“, erklärt sie.
Für mein späteres Ich - Ein Gedankenexperiment
Trotzdem ist Veränderung zunächst unangenehm. Dazu stellt Hildegard Stuff ein interessantes Gedankenexperiment vor: „Wenn ich mir vorgenommen habe, mehr Sport zu treiben, ist das erst einmal nicht angenehm. Es kann leichter sein, sich vorzustellen, es für jemand anderen zu tun, etwa für mein späteres Ich. ‚Heute habe ich nichts davon, für mich ist es unangenehm und anstrengend. Aber ich mache es für eine ältere Version von mir in der Zukunft‘.“ Hier kann man ähnliche positive Beispiele aus der eigenen Vergangenheit heranziehen, wie ‚Ich habe meine Ausbildung durchgehalten, obwohl ich sie gerne abgebrochen hätte. Mein jüngeres Ich hatte die Anstrengung, aber heute habe ich dafür einen guten Job. Es muss für mich heute nicht angenehm sein, aber meine ältere Version wird davon profitieren.
Accountability Partner – gemeinsam zum Ziel
„Habe ich jemanden im Außen, der mich zusätzlich unterstützt, die Vereinbarung, die ich mit mir selbst getroffen habe, einzuhalten, ist das sehr hilfreich“, gibt Hildegard Stuff noch als Tipp. Noch besser sei es, wenn dieser den gleichen Vorsatz wählt.
Welche Rolle spielt der 01. Januar?
Gefühlt schlemmen wir vor dem 01. Januar noch alles in uns hinein, weil dann schließlich Zuckerverzicht oder gesunde Kost ansteht. Auch wenn sich einige tatsächlich auf die Challenge freuen, bringt dieses Datum häufig etwas Negatives, fast Bedrohliches mit sich und man stellt sich darauf ein: ‚Ab diesem Zeitpunkt werde ich mich einschränken MÜSSEN‘. Aus diesem Grund sollten gute Vorsätze wie eine Ernährungsumstellung am besten sofort umgesetzt werden.
Stuff sieht hingegen durchaus einen weiteren Grund als reine Prokrastination, die den 01. Januar zum perfekten Startpunkt für viele macht: „Ein Jahr geht zu Ende und ein neues beginnt. Dieser Jahresbeginn ist ein Symbol für Aufbruch und Erneuerung, für Hoffnung und einen neuen Anfang. Nächstes Jahr wird alles anders“, beschreibt sie.
Warum geben wir nicht auf?
Nun wissen wir, was zu tun ist. Trotzdem stellt sich die Frage, warum wir überhaupt bis hierher gekommen sind? Nach jahrelangem Scheitern starten wir alle Jahre wieder hochmotiviert mit neuen Vorsätzen ins Jahr. Stuff sieht die Motivation dadurch gegeben, dass „die Sehnsucht bleibt und wir alle nach Glück und Wohlbefinden streben. Das verbinden wir häufig mit bestimmten Situationen oder Dingen, wie dem Idealgewicht, einem bestimmten Fitnesszustand oder einem neuen Partner. Die Vorstellung ist dann häufig: ‚Wenn ich das erreicht habe, ist alles gut‘.“
Da wir nun wissen, wie wir diese Zielsetzung richtig angehen, steigt die Hoffnung, dass wir mit diesen Tipps im Gepäck unsere Vorsätze umsetzen und langfristig gute Gewohnheiten in unser Leben integrieren können. Am Ende bleibt zu sagen, dass wir geduldig und nicht zu streng mit uns selbst sein und uns auf die positive Veränderung freuen sollten!
Wir wünschen Ihnen einen guten Rutsch in ein glückliches und gesundes neues Jahr 2024.
Marina Triebswetter | filterVERLAG