Cannabis ist längst Teil unserer Gesellschaft, und mit der neuen Gesetzgebung vom 1. April 2024 hat Deutschland den legalen Rahmen für den privaten Konsum und Anbau von Cannabis geschaffen. Dieser erste Teil unserer Reportage beleuchtet die wesentlichen Aspekte des neuen Cannabis-Gesetzes, seine Ziele und die unterschiedlichen Sichtweisen von Experten.
Kiffen, einen „durchziehen“ oder ganz formal gesprochen: Cannabis konsumieren! Ab und zu einen Joint zu rauchen, das ist heute Teil unserer Gesellschaft. „Gesicherte Studien belegen, dass 10 Prozent der Erwachsenen sowie 7,6 Prozent der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert haben“, heißt es in einer Pressemitteilung der Caritas Suchthilfe Regensburg. Cannabis ist somit neben Alkohol und Nikotin die am häufigsten konsumierte Substanz.Seit 1. April 2024 ist es offiziell: Unter bestimmten Voraussetzungen darf in Deutschland ganz legal geraucht und die Cannabis-Pflanze für den privaten Gebrauch angebaut werden. Es wurde in den letzten Jahren unglaublich viel über das „legale Kiffen“ diskutiert, sei es in politischen Gremien, im Bereich der Suchtmedizin oder im Freundes- und Familienkreis. Wir klären in unserer zweiteiligen Cannabis-Reportage die wichtigsten Fakten zum neuen Gesetz. Was ist erlaubt, was nicht? Wer vertreibt Cannabis und zu welchem Zweck? Wie schätzen Ärzte und Apotheker aus der Region sowie Drogenbeauftragte der Caritas Regensburg den Konsum ein? Welchen Herausforderungen müssen sich nun Justiz und Polizei stellen und wofür kann ich belangt werden? Wir wollen herausfinden, was die Cannabis-Legalisierung für Möglichkeiten bietet, wer davon profitiert und wann der Konsum gefährlich werden kann.
Cannabis-Gesetz: Was gilt seit dem 1. April?
Mit dem neuen Cannabis-Gesetz (kurz: CanG) wurde der private Anbau von bis zu drei Pflanzen zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen legalisiert. Auch der Besitz und Konsum von Cannabis ist unter bestimmten Bedingungen legal. Demnach dürfen Erwachsene bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen und in der Öffentlichkeit bis zu 25 Gramm mit sich führen.
Wer Cannabis allerdings weitergibt und verkauft, macht sich weiterhin strafbar. Ebenso verboten bleibt der Konsum für Minderjährige und in Gegenwart von Minderjährigen. Rund um Schulen, Kitas, Spielplätze und öffentliche Sportstätten ist das Kiffen in Sichtweite verboten. Auch in Fußgängerzonen darf per Gesetz zwischen 7:00 Uhr und 20:00 Uhr kein Cannabis konsumiert werden.Cannabis legal erwerben können Volljährige langfristig durch eine aktive Mitgliedschaft in sogenannten Anbauvereinigungen. Die entsprechenden Lizenzen für diese eingetragenen nicht-wirtschaftlichen Vereine können ab dem 1. Juli 2024 beantragt werden. Bis dahin bleibt erst mal nur der Eigenanbau oder der Schwarzmarkt. Das „Gras“ dort zu kaufen ist legal, das Verkaufen eben strafbar. Allerdings hat man hier keine Kontrolle über die Qualität.
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Ziele des neuen Gesetzes: Sicherer Konsum, Schwarzmarkt eindämmen, Jugendschutz
Neben dem Kinder- und Jugendschutz, der Aufklärung über Risiken und der Verstärkung präventiver Maßnahmen ist auch der Gesundheitsschutz ein wichtiges Ziel des neues Cannabis-Gesetzes. Jede erwachsene Person soll auf geprüftes Haschisch zurückgreifen können, sei es durch den Eigenanbau oder später dann eben die Vereine. Auf dem Schwarzmarkt haben Konsumenten keine Kontrolle darüber, welche Sorte sie kaufen oder wie hoch der Anteil des berauschenden Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (kurz: THC) ist. Darüber hinaus bekommt man auf dem Schwarzmarkt häufig „gepanschtes“ Cannabis, welches mit Blei, Sand oder Haarspray gestreckt und bearbeitet wird, um die Blüten schöner und schwerer zu machen. Ziel des neuen Gesetzes ist es demnach auch, durch die Legalisierung den Verkauf auf dem Schwarzmarkt zu reduzieren.
Wirkung von Cannabis
Beim Rauchen eines Joints gelangt das THC über die Kapillaren der Lungenoberfläche in das Blut und das Gehirn. Wenn Cannabis in Form von Keksen konsumiert wird, wird das THC zuerst im Magen und im oberen Darm aufgenommen und dann über das Blut in die Leber und von dort in das Gehirn transportiert. Beim Rauchen beginnt die Wirkung nach ungefähr zehn Minuten und dauert ungefähr zwei bis drei Stunden. Beim Essen dauert es länger (eine Stunde oder mehr) bis zum Eintritt der Wirkung und die Dauer variiert je nach Dosis. Wie und wie stark sich der Cannabis-Konsum bemerkbar macht, hängt stark von der Menge, der Sorte und der Konsumart ab. Außerdem spielt es eine Rolle, ob die Person regelmäßig Marihuana raucht, in welchem Umfeld sie das tut und in welcher emotionalen Stimmung sie sich gerade befindet. Cannabis hat die Tendenz, positive und negative Gefühle zu verstärken, sodass auch die Gefühlslage zum Zeitpunkt des Konsums eine Rolle spielt.Grundsätzlich kann sich die nun legale Droge physisch bemerkbar machen, wie zum Beispiel durch erweiterte Pupillen, einen trockenen Mund, Herzrasen, Entspannung der Muskeln oder leichten Schwindel. Psychische Auswirkungen sind beispielsweise eine höhere Licht- und Geräuschempfindlichkeit, den Drang zu reden oder zu lachen, ein Gefühl von Leichtigkeit oder Konzentrationsschwäche. Bei zu hoher Dosierung kann der Konsum auch mit Angst, Panik und Wahnvorstellungen einhergehen. Dies ist von Person zu Person unterschiedlich und hängt von den oben genannten Faktoren ab. THC kann sehr lange nachgewiesen werden: bei regelmäßig Konsumierenden bis zu zwölf Stunden und länger im Blut oder sogar einige Tage im Urin.
Genuss-Cannabis vs. medizinisches Cannabis
Neben dem reinen Genuss wird Cannabis in den letzten Jahren auch immer häufiger für medizinische Zwecke eingesetzt, da es nachweislich gegen unterschiedlichste Beschwerden wie Schlafstörungen, Depressionen, Migräne, aber auch bei ADHS oder chronischen Schmerzen helfen kann. Das bestätigen auch einige Kunden der Sebastian-Apotheke in Tegernheim, wo man sich in den letzten Jahren zunehmend auf den Vertrieb von medizinischem Cannabis spezialisiert hat. „Wir haben oft Leute mit den verschiedensten Krankheiten bei uns, die erzählen, dass jahrelang nichts gegen ihre Beschwerden geholfen hat, bis sie dann oft eher zufällig Cannabis ausprobiert haben. Seitdem lassen sich viele Patienten die Pflanze als Medizin vom Arzt verschreiben“, erzählt uns Apotheker Andreas Beutl. Seit bereits fünf Jahren bietet die Apotheke in Tegernheim medizinisches Cannabis an und die Auswahl ist inzwischen deutlich gewachsen. „Zu Beginn hatten wir nur vier oder fünf verschiedene Sorten, weil es generell noch sehr wenige Anbieter gab“, so Beutl, „mittlerweile können wir uns vor Angeboten von Unternehmen kaum retten und sind inzwischen bei etwa 30 Sorten in diversen Preiskategorien, welche stark vom Wirkstoffgehalt abhängen.“ Die meisten Pflanzen seien tatsächlich nicht aus Deutschland, sondern aus Ländern wie Kanada, Portugal, Dänemark oder auch Israel importiert.
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Die Legalisierung hat im medizinischen Bereich vieles vereinfacht
Insgesamt sei durch die Legalisierung alles unkomplizierter geworden, das merke man laut Beutl schon jetzt in den ersten Wochen deutlich. Und es sei nicht nur für die Patienten leichter, sondern auch für Ärzte und Apotheker: „Noch im letzten Monat war Cannabis ein Betäubungsmittel und auf einer Stufe mit sehr starken Schmerzmitteln. Seit das weggefallen ist, sind zum Beispiel die Rezepte deutlich länger gültig und die Betäubungsmittelgebühr ist weggefallen, die man für den ganzen bürokratischen Aufwand, den wir hatten, bezahlen musste. Bisher musste es für jedes einzelne Rezept jedes Gramm Cannabis genau dokumentiert werden, wo es herkommt, welcher Arzt es für welchen Kunden verschrieben hat usw. Das war extrem viel Arbeit, damit waren zwei bis drei Mitarbeiter den ganzen Tag beschäftigt, weil es so viele Vorschriften gibt. An Betäubungsmittel-Rezepte haben sich vorher eben viele Apotheker und auch Ärzte gar nicht herangetraut, weil man dabei auch viel falsch machen kann.Das ist jetzt durch die Legalisierung alles weggefallen. Es braucht keine spezialisierten Schmerztherapeuten mehr, die medizinisches Cannabis verschreiben, das kann jetzt auch der Hausarzt um die Ecke ohne großen Aufwand tun. Die Versorgung geht jetzt deutlich einfacher, unkomplizierter und besser.“
Im medizinischen Bereich war die Cannabis-Legalisierung also durchaus hilfreich und eine Erleichterung. Was den reinen Genuss angeht, sieht Apotheker Andreas Beutl noch Handlungsbedarf: „Das Problem ist, dass der einzige Weg, um Cannabis legal rauchen zu dürfen, nach wie vor über den Schwarzmarkt läuft, wo eben viel gestreckt oder mit künstlichem THC besprüht wird. Damit schaden sich die Leute selbst. Dass wir als Apotheke als Teil des Gesundheitssystems Genuss-Cannabis ausgeben, fände ich auch nicht richtig. Aber von Seiten der Politik jetzt eine bestimmte Menge zu erlauben und gleichzeitig mit dem Start des neuen Gesetzes keine Möglichkeit zu schaffen, qualitativ hochwertiges Cannabis zu erwerben, das finde ich nicht gut.“
Polizei sieht Cannabis-Legalisierung kritisch
Im Bereich der Stadt Regensburg wurden im Jahr 2023 1.313 Rauschgiftdelikte erfasst. Davon drehten sich 68 Prozent um Cannabis. Das neue Gesetz ist also neben der gesundheitlichen Komponente auch aus polizeilicher Sicht relevant und wird seitens des Polizeipräsidiums Oberpfalz intensiv und mit kritischen Blicken verfolgt. Auf Nachfrage bestätigte uns Polizeihauptkommissar Michael Zaschka, dass durch die Cannabis-Legalisierung nicht alles einfacher wird, ganz im Gegenteil. Die Strafverfolgung beispielsweise wird deutlich komplizierter.Mit Blick auf die polizeiliche Praxis würden sich bei der Unterscheidung zwischen legalem und synthetischem Cannabis vom Schwarzmarkt Probleme ergeben. Diese könne man rein äußerlich nicht unterscheiden. „Ebenso fehlen Ermittlungsbefugnisse bei der Kontrolle der Grenzen des Eigenanbaus, welcher im häuslichen Bereich stattfinden darf“, so Zaschka. Es liese sich kaum nachvollziehen, wer wo bei sich zu Hause wie viel Cannabis anpflanzt. Als ein großes Problem sehe er auch das zu kontrollierende Trockengewicht: „Als Hintergrund darf erläutert werden, dass geerntetes Cannabis noch sehr viel Feuchtigkeit verliert. Die damit verbundene Ungewissheit bei einer Kontrolle läge sowohl auf Seite der Kontrollbehörden wie auch auf Seite der Besitzer.“ Generell sei die erlaubte Menge an Cannabis mit 25 Gramm in der Öffentlichkeit aus Sicht der Polizei überraschend hoch. Man müsse bedenken, dass ein Joint ein Gewicht von etwa 0,3 Gramm habe, sodass die erlaubte Besitzmenge bei über 80 Joints läge. Diese hohe Zahl, welche unabhängig vom THC-Gehalt ist, werde seitens der Oberpfälzer Polizei äußerst kritisch gesehen.
Auch was den Jugendschutz angeht, äußert sich Zaschka skeptisch: „Die umfangreichen Besitzmöglichkeiten im häuslichen Bereich werden im Sinne der Prävention als hinderlich betrachtet. Ein Anbau von Cannabis durch einen Erwachsenen in der eigenen Wohnung, der den Zugriff von Minderjährigen ausschließt, wird als sehr unwahrscheinlich eingeschätzt. Zudem kommt im öffentlichen Umfeld der Konsum dazu. Zwar darf nicht in unmittelbarer Nähe von Minderjährigen Cannabis konsumiert werden, jedoch zeigt der Umgang mit hochprozentigem Alkohol bereits jetzt, dass Minderjährigen regelmäßig über junge Erwachsene der Zugang zu verbotenen Konsumgütern ermöglicht wird.“
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Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit
„Der allgemein zu erwartende steigende Konsum von Cannabis werde zwangsläufig auch die Fahrten unter Drogeneinwirkung ansteigen lassen“, so Zaschka. Somit sei auch ein Anstieg der drogenbedingten Verkehrsunfälle zu erwarten, was bereits jetzt bei Alkoholfahrten zu beobachten sei. Damit verbunden sei eine große Unsicherheit auf Seite der Konsumenten, wann sie wieder am Verkehr teilnehmen dürfen, da sich das THC im Vergleich zum Alkohol nicht konstant im Körper abbaue. Insgesamt rechnet die Polizei durch das neue Gesetz in den nächsten Wochen und Monaten mit einem erhöhten Ermittlungsaufwand und einigen Hürden, die mit der Cannabis-Legalisierung einhergehen.
Auf der einen Seite Mehraufwand, Unklarheit und Bedenken, auf der anderen Seite dagegen Erleichterung bei den Apotheken, Ärzten und Patienten, die Cannabis als medizinisches Produkt gegen Schmerzen oder Schlafstörungen nutzen. Wer einfach nur zum Spaß einen Joint rauchen will, der hat allerdings aktuell noch keine Anlaufstelle, um kontrolliertes Cannabis zu kaufen. Im zweiten Teil unseres Berichtes klären wir, ab wann sich das in Form der sogenannten Cannabis-Clubs ändern soll und wie diese funktionieren. Wir werfen den Blick auf einen weiteren Cannabis-Wirkstoff, das CBD, beleuchten das neue Gesetz von Seite der Justiz und stellen uns zusammen mit der Caritas Regensburg die Frage nach der Suchtgefahr. Wie gefährlich ist Cannabis für Minderjährige und ist es tatsächlich eine „Einstiegsdroge“?
Jennifer Schaller | filterRedaktion