Die Covid-19 Pandemie hat die Schwachstellen unseres Gesundheitssystems unbarmherzig offengelegt und uns die dringende Notwendigkeit von Reformen aufgezeigt. In Regensburg wird intensiv daran geforscht, wie durch den Einsatz von Technologie, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz innovative Lösungen für diese Herausforderungen entwickelt werden können.
Gesundheit ist unser höchstes Gut, doch die Covid-19 Pandemie hat uns deutlich gemacht, dass unser Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt. Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern relativ gut durch die Pandemie gekommen ist, hat Corona aufgezeigt, dass es in vielen Bereichen nicht rund läuft. Die Gesundheitsbranche beklagt seit Jahren einen eklatanten Fachkräftemangel. Covid-19 hat das Ärzte- und Klinikpersonal weit über die Grenzen des menschlich Vertretbaren gedrängt. Spätestens da wurde allen klar, welcher Belastung diese Menschen tagtäglich ausgesetzt sind. Es wurde viel diskutiert und geklatscht, geändert hat sich jedoch nicht viel.Besonders in ländlichen Gegenden wird die Lage kritisch. Immer häufiger müssen ärztliche Einrichtungen finanziell bezuschusst werden oder gar schließen und Patienten infolgedessen weitere Strecken zurücklegen, um medizinische Versorgung zu erhalten.
Die bereits prekäre Situation wird durch einen weiteren Faktor verschärft, der sich bereits seit Jahrzehnten abzeichnet: unsere Gesellschaft wird immer älter. Laut Statistischem Bundesamt waren 1970 noch etwa zwölf Prozent der Bevölkerung 67 Jahre und älter, im Jahr 2022 stieg diese Zahl bereits auf 20 Prozent. Für 2050 wird sogar ein Anteil von 26 Prozent prognostiziert.
Senioren benötigen in der Regel eine komplexere ärztliche Betreuung, da sie häufig an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden. Dies erfordert jedoch Pflegepersonal, das es nicht in ausreichender Anzahl gibt und vermutlich auch in Zukunft nicht geben wird. Es müssen also Mittel und Wege gefunden werden, um die Effizienz zu steigern, Prozesse zu verbessern und unnötige Bürokratie abzubauen, damit Mediziner die Möglichkeit haben, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren – Patienten zu behandeln. Was gebraucht wird, sind innovative Lösungen und genau hier kommen Technik, Digitalisierung und künstliche Intelligenz ins Spiel. Regensburg als Innovationsstandort ist in der Forschung ganz vorne mit dabei.
Fortschritt durch Innovation und Vernetzung
Dass Gesundheit nicht nur wichtig, sondern auch ein starker Wirtschaftssektor ist, war den Regierenden der Stadt schon früh klar und so wurde vor fast genau 25 Jahren der BioPark gegründet. Damals noch ein einziges Gebäude, war die Zielsetzung, biotechnologische und Life-Science-Forschung zu ermöglichen, zu fördern und als Wirtschaftszweig aufzubauen. Zwischenzeitlich hat sich der BioPark zu einem Technologie- und Innovationszentrum mit derzeit 38 Unternehmen und rund 700 Mitarbeitern entwickelt, der auf einer Fläche von fast 20.000 Quadratmetern nicht nur Forschung vorantreibt, sondern sich auch vollkommen eigenständig finanziert. Die räumliche Nähe zu Universität, OTH, Universitätsklinikum, Bezirksklinikum und TechBase ist dabei kein Zufall, sondern eine Strategie, um die Vernetzung der Einrichtungen zu erleichtern, Synergien zu nutzen und durch gezielte Zusammenarbeit komplexere Forschungsprojekte zu ermöglichen.
Doch die Anstrengungen, moderne Gesundheitstechniken zu fördern, gehen weit über den Standort Regensburgs hinaus. Dr. Ilja Hagen, Clustermanager des BioParks betreut nicht nur die in Regensburg ansässigen Unternehmen, sondern auch weitere 66 Einrichtungen mit rund 5.600 Mitarbeitern innerhalb der BioRegio, einem Einzugsgebiet, das sich über ganz Ostbayern erstreckt. Auch hier widmet man sich den Bereichen Biotechnologie, Medizintechnik, Diagnostik und Analytik sowie der Gesundheitswirtschaft – und das mit großem Erfolg. Bereits mehrere in der Region ansässige Unternehmen haben sich auf dem internationalen Markt etabliert.
© BioPark
Viele kleine Start-Ups haben diesen Weg noch vor sich. Um innovative Jungunternehmer zu unterstützen und von der Idee zur Marktreife zu begleiten, wurde die Initiative BioPark Jump gegründet. Denn auch wenn die Idee noch so gut ist, scheitern viele Gründer bereits an den regulatorischen Anforderungen, die mit den hohen Standards für Medizinprodukte einhergehen. Von der Erarbeitung eines funktionierenden Geschäftsmodells über die Finanzierung bis hin zum Ausarbeiten des Investorendecks steht den jungen Unternehmern ein professionelles Team zur Seite, um Ideen erfolgreich umzusetzen. Büroräume und Laborflächen werden dabei für die ersten zwölf Monate kostenlos zur Verfügung gestellt.
Von der Innovation und Forschung der Unternehmen im BioPark und der Region profitieren Menschen deutschlandweit und sogar international. Dennoch versucht das Team, auch regional Akzente zu setzen. Hierfür wird gerade gemeinsam mit der Gesundheitsregion Plus versucht, ein sogenanntes Helferportal einzuführen, das Ehrenamtliche im Raum Regensburg digital erfassen und per App an hilfsbedürftige Menschen vermitteln soll, die Unterstützung im Alltag benötigen. Eine schöne Idee und Beweis dafür, dass auch relativ einfache Ideen, professionell umgesetzt, viel Gutes bewirken können.
Mehr Transparenz zum Wohle der Patienten
Digitalisierung wird nun auch in unserem Gesundheitswesen vorangetrieben, um Arbeit effizienter zu gestalten, Transparenz zu schaffen und Prozesse zu beschleunigen. Ein Beispiel, das seit einiger Zeit in aller Munde ist, ist die elektronische Patientenakte, eine Initiative, die nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist. Denn derzeit werden Patientendaten von jedem behandelnden Arzt separat gesammelt. Diese Vorgehensweise schafft nicht nur einen erheblichen Arbeitsaufwand, sondern ist auch aus datenschutzrechtlichen Gründen fragwürdig und kann sogar gesundheitliche Probleme verursachen. Denn Menschen, die an mehreren Krankheiten leiden und von verschiedenen Ärzten behandelt werden, können unter Umständen übermedikamentiert werden. Die elektronische Patientenakte gewährt allen behandelnden Ärzten Einsicht und ermöglicht somit ein Gesamtbild des Patienten, was wiederum für Diagnosestellung und Behandlung von großem Vorteil sein kann.
Wer jedoch derzeit kaum Einsicht in seine Daten hat, ist der Patient selbst, denn die Informationen auf der elektronischen Patientenakte können zwar in den Kliniken und Arztpraxen eingetragen und eingesehen werden, der Zugang für den Patienten selbst ist jedoch noch sehr aufwändig. Dass sich dies ändert, daran arbeitet Prof. Dr. med. Georgios Raptis, Auslandsbeauftragter an der Fakultät Informatik und Mathematik an der OTH und zuständig für den Bereich E-Health. Seiner Ansicht nach wird die Gesundheitskarte wie wir sie heute kennen innerhalb der nächsten Jahre weitgehend verschwinden, denn, ähnlich wie man bereits seine Kreditkarte auf seinem Smartphone speichern kann, kann auch die Gesundheitskarte auf das Handy als „GesundheitsID“ geladen werden. Der Patient erhält dadurch eine virtuelle Smartphone-basierte Identität und hat dadurch viel leichter Einsicht in seine Gesundheitsdaten, wie z. B. in seine elektronische Patientenakte. Diese wird automatisch eingerichtet, sofern der Patient nicht ausdrücklich widerspricht.
Diese virtuelle Identität bringt weitere Vorteile, denn sie ermöglicht eine engere Vernetzung mit anderen Anwendungen. Viele wissen nicht, dass es bereits zahlreiche Smartphone-Apps gibt, die bei einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen helfen können. Sie bieten nützliche Tipps, Informationen und Übungen als Ergänzung zur ärztlichen Betreuung. Dies reicht von Sprachtherapie und Stressbewältigung bis hin zur Diabeteskontrolle und Anwendungen im Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie bei Multipler Sklerose. Der Nutzen dieser Apps wurde durch klinische Studien belegt, weshalb Hausärzte sie verschreiben können und die Kosten von vielen Krankenkassen übernommen werden. Alle verfügbaren Leistungen finden Sie online unter diga.bfarm.de.Mit der virtuellen Gesundheitskarte entsteht in Zukunft eine Schnittstelle zwischen diesen Apps und der virtuellen Patientenakte. Menschen können die Applikation also nutzen, um beispielsweise ein virtuelles Diabetes Tagebuch zu führen und ihre Krankheit besser zu kontrollieren. Auf Wunsch können die durch die App gesammelten Daten dem behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden, damit dieser die Informationen in seine Behandlung einfließen lassen kann.
Die Vorteile liegen klar auf der Hand, denn Studien belegen, dass sich Patienten, die in ihren Behandlungsprozess eingebunden sind, engagierter beteiligen und schneller genesen.
Um den Datenschutz muss man sich laut Prof. Dr. Raptis dabei keine Sorgen machen. Die virtuelle Identität wird nach höchsten Datenschutzkriterien auf Herz und Nieren geprüft, ehe sie zugelassen wird. Auch die verschreibungsfähigen Apps werden durch das Ministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemäß § 139e SGB V geprüft und zertifiziert.
Mit Robotik gegen den Fachkräftemangel
Digitalisierung und KI können auch in der Pflege größere Effizienz schaffen und das ist auch dringend nötig, um den chronischen Mangel an Pflegepersonal zumindest teilweise abzufedern. Auch hier hat sich die OTH mit einem interessanten Projekt beschäftigt. DeinHaus 4.0 Oberpfalz heißt die Studie, die ein großes, interdisziplinäres Team aus den Bereichen Logopädie, Physiotherapie, Pflege, Sozialwissenschaften, Medizin-Informatik und Ethik unter der Leitung von Prof. Dr. phil. habil. Karsten Weber durchgeführt hat. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurde hier der Nutzen von Telepräsenzrobotern für die häusliche Pflege von Schlaganfallpatienten untersucht.
Diese Studie war in vielerlei Hinsicht hilfreich. Laut der Deutschen Schlaganfallhilfe erleiden in Deutschland jedes Jahr rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Die meisten davon sind über 60 Jahre alt und rund 60 Prozent der Betroffenen bleiben auch ein Jahr später auf Therapie, Hilfsmittel und ambulante Pflege angewiesen. Viele Schlaganfallpatienten haben Beeinträchtigungen des Sprachzentrums und des Bewegungsapparats und benötigen Unterstützung von Logopäden und Physiotherapeuten. Sie sind jedoch oft nicht mobil genug, um entsprechende Einrichtungen zu besuchen. Die Fachkräfte müssten also zu den Patienten nach Hause kommen. Schwierig bei der dünnen Personaldecke, denn Pfleger werden noch dringender in der unmittelbaren Betreuung stationärer Patienten gebraucht.
Das Ziel der Studie war es daher, herauszufinden, ob Telepräsenzroboter die Arbeit der Pflegekräfte effizienter machen und die Versorgung der Patienten, vor allem im ländlichen Raum, sicherstellen können. Rund 50 Probandinnen und Probanden hatten sich für das Projekt beworben und konnten solch ein Assistenzsystem über einen Zeitraum von sechs Monaten zuhause nutzen.
© OTH Regensburg_DeinHaus 4.0_Marco Linke
Insgesamt wurden zwei bereits auf dem Markt erhältliche Versionen getestet. Eines der Geräte war ein auf Rollen fahrender kleiner Roboter, der Patienten aufs Wort folgen und sogar kleine Gegenstände durchs Haus transportieren kann. Weiterhin verfügt er über eine Kamera, Lautsprecher, Spracherkennung und ein Blutdruckmessgerät und wird mit Hilfe eines Tablets gesteuert.
Die zweite Variante war ein großer statischer Bildschirm mit Touchfunktion, der manuell auf Rollen bewegt werden kann. Er besitzt eine Kamera und Lautsprecher und kann zusätzlich mit einem Tablet bedient werden.Beide Roboter ermöglichten den Patienten, Videosprechstunden und -therapiesitzungen mit pflegerischem und therapeutischem Fachpersonal zu führen. Mit Hilfe verschiedener Programme, die auf die Tablets aufgespielt wurden, konnten die Probanden selbständig Sprach- und Bewegungstherapien nach einem vorgefertigten Trainingsplan durchführen. Die Studie wurde vom Team der OTH über den gesamten Zeitraum über wissenschaftlich begleitet.Das Fazit war überraschend positiv. Auch wenn die überwiegend älteren Herrschaften teilweise einige Startschwierigkeiten hatten, zeigten sich die meisten von ihnen durchaus bereit, sich mit den Geräten zu beschäftigen. Das Vorurteil der technikfeindlichen alten Menschen konnte somit widerlegt werden.
Wie sich in der Studie herausgestellt hatte, sind Telepräsenzroboter, die sich selbständig durch die Wohnung bewegen, derzeit noch nicht für die Pflege geeignet, doch der Ansatz stimmt. Die Langzeitstudie der OTH leistet hier einen wichtigen Beitrag, da die Systeme erstmals in der Praxis getestet wurden und die Ergebnisse zur Verbesserung der Technik beitragen können. Denn nur Produkte, deren therapeutischer Nutzen nachgewiesen werden kann, werden in den Pflegehilfsmittelkatalog aufgenommen und können somit von Ärzten verschrieben und von Krankenkassen bezahlt werden. Einige der Sprach- und Bewegungsprogramme haben definitiv überzeugt und viele der Probanden bedauerten, nicht schon früher über diese Möglichkeiten des selbständigen Trainings informiert gewesen zu sein. Prof. Dr. Weber ist mit dem Ergebnis der Studie zufrieden und sieht positive Signale für die Zukunft: „Was ich mir, als irgendwann vielleicht auch mal pflegebedürftiger Mensch, wünschen würde, wäre die Bereitschaft, solche Unterstützungsmöglichkeiten verstärkt in die Finanzierung der Solidarkassen aufzunehmen. Wir müssen heute anfangen, ein Umfeld zu schaffen, das offen ist für die Nutzung der Technik, nicht um Pflegekräfte zu ersetzen, sondern um Lücken zu füllen und die Pflegekräfte zu unterstützen – denn am Ende ist das zum Nutzen von uns allen.“
Der gläserne Mensch
Wie man Technik und KI sinnvoll nutzen kann, um Beschwerden zu lindern, daran forscht auch Prof. Dr.-Ing. Sebastian Dendorfer. Er beschäftigt sich an der OTH mit den Bereichen Biomechanik, Muskuloskelettale Simulation und Technische Mechanik. Genauer gesagt mit virtuellen Mensch-Modellen, also Computermodellen des menschlichen Körpers, mit denen man Bewegungen und Kräfte, die auf den Körper wirken, analysieren kann. Mit Hilfe dieser Modelle ermöglicht Dendorfer einen Blick in den Körper, durch den man die Funktionsweise von Muskulatur und Gelenken analysieren kann. Diese Information kann man dann für verschiedenste Bereiche verwenden, sei es Prävention, Diagnose oder Rehabilitation. Dazu analysiert er Menschen im Alltag, um, basierend auf KI-Algorithmik, die bestmöglichen Trainingsmethoden für jede einzelne Person zu erstellen.
Prof. Dendorfer forscht derzeit vor allem an zwei Projekten im Bereich der Vorsorge. Zum einen geht es um die Prävention von Beckenbodenproblemen, ein wichtiges, aber oft vernachlässigtes Thema. Rund 30 Prozent aller Frauen leiden nach der Geburt unter Inkontinenzproblemen. Dendorfers Team baut daher Modelle, die die natürliche Funktion des Beckenbodens bei Alltagsbewegungen und im Training analysieren und bestimmen kann. Damit kann ein zielgerichtetes Training entwickelt, in Alltagsbewegungen eingebaut und somit positive Effekte auf die Beckenbodenfunktion erzielt werden.
In seinem zweiten Projekt geht es um Osteoporose, gemeinhin auch als Knochenschwund bekannt – ein Thema, das sowohl Frauen als auch Männer betrifft und das sich durch den heute üblichen Bewegungsmangel zu einer regelrechten Volkskrankheit entwickelt hat. Bei Osteoporose wird die Knochendichte abgebaut, die Knochen werden porös und anfälliger für Brüche. Je weniger wir uns also bewegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich unsere Knochenqualität mit der Zeit verschlechtert. Die gute Nachricht ist, dass Osteoporose reversibel ist. In Studien hat sich herausgestellt, dass Knochen durch Belastung wachsen und sich selbst wieder aufbauen können und zwar in jedem Alter. Osteoporose ist daher kein Schicksal, dem man sich fügen muss, sondern eine Krankheit, die durch einen aktiven Lebensstil und gezieltes Training geheilt werden kann.
© OTH Regensburg_Prof. Sebastian Dendorfer
Durch zahlreiche Vermessungen in seinem Labor konnte Prof. Dr. Dendorfer ein genaues Profil des menschlichen Körpers erstellen und detaillierte Modelle entwickeln. Seine Technologie wird bereits in einigen Krankenhäusern in Regensburg angewendet. Ein Patient muss dabei lediglich durch ein Messfeld laufen und es wird das Zusammenspiel von Muskulatur und Gelenken analysiert. Dies ist die Grundlage für eine individualisierte Therapie. Diese Technologie ist nicht nur für Menschen bedeutsam, die bereits an Osteoporose leiden, sondern auch für diejenigen, die dafür sorgen wollen, dass es erst gar nicht soweit kommt. Im Hinblick auf unsere alternde Gesellschaft und ein Gesundheitssystem, das bereits seit Jahren überlastet ist, sind präventive Modelle Gold wert. „Wir können es uns als Gesellschaft nicht mehr leisten, so viele Kranke zu behandeln“, betont Dendorfer. „Wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft und unser Gesundheitswesen funktionieren, müssen wir präventive Maßnahmen ergreifen.“
Um diese Technologie allen Menschen zugänglich machen zu können, hat er zusammen mit seinem Team eine Smartphone App entwickelt, die sich bereits in der Testphase befindet. Die App beinhaltet große Mengen an Daten, die durch Vermessungen innerhalb der letzten Jahre gesammelt wurden. Mit Hilfe einiger weniger personenspezifischer Angaben wie Größe und Gewicht soll die App jedem Nutzer einen personalisierten und auf seine Befürnisse zugeschnittenen Trainingsplan erstellen. Solange der Nutzer sein Handy am Körper trägt, misst die App, ob die Bewegungen, Belastungen und Stöße auf den Körper groß genug sind, um den Knochen in ausreichendem Maße zu stimulieren, um in der Folge neue Zellen zu bilden. Anschließend erstellt sie eine Übersicht, die anzeigt, ob das tagesspezifische Soll erreicht wurde oder nicht.
Die Methode von Prof. Dr. Dendorfer kann auf verschiedene Personen- und Berufsgruppen ausgeweitet und individualisiert werden. Man kann also gespannt sein, an welchen innovativen Projekten hier auch in Zukunft noch getüftelt wird.
Mit KI zur besseren Diagnose
Künstliche Intelligenz ist das Herzstück all dieser Anwendungen. Sie ist nicht nur sehr vielfältig einsetzbar, sondern beschleunigt Prozesse um ein Vielfaches. Durch KI Diagnosen zu verbessern, dieser Aufgabe stellt sich Prof. Dr. Christoph Palm, Professor der Medizinischen Informatik an der OTH und einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der medizinischen Bildverarbeitung. Mit seinem Team forscht er derzeit an der Früherkennung von Speiseröhrenkrebs, einer selteneren Krebsart, die Ärzte durch endoskopische Untersuchungen identifizieren können. Die Unterscheidung von entzündetem und bereits von Krebs befallenem Gewebe ist jedoch nicht so einfach und erfordert viel Erfahrung. Prof. Dr. Palms Aufgabe ist es daher, die Ärzte in ihrer Diagnosestellung zu unterstützen. Dafür arbeitet er zusammen mit seinem Team an sogenannten künstlichen neuronalen Netzen. Diese arbeiten ähnlich wie ein menschliches Gehirn, dahinter steckt jedoch reine Mathematik. Die neuronalen Netze werden mit Bildern aus endoskopischen Untersuchungen „gefüttert“. Zuvor haben Ärzte vom Kooperationspartner an der Uniklinik Augsburg die von den Krebszellen befallenen Stellen auf den Bildern eingezeichnet. Dadurch ist das neuronale Netz in der Lage, gesundes von krankem Gewebe zu unterscheiden und die Wahrscheinlichkeit eines Tumors zu berechnen.
Mit der Erkennung von Mustern in Bildern wird bereits seit einiger Zeit gearbeitet, die künstliche Intelligenz hat es jedoch ermöglicht, dass neuronale Netze selbständig lernen können und nun Tumore auch auf Bildern erkennen, die sie bisher noch nicht gesehen haben. Dadurch wird ein durchgängig hoher Qualitätsstandard in der Diagnostik ermöglicht, der vorher nicht möglich war.
„Es war früher undenkbar, dass man in diese Sphären der Qualität steigt, die wir heute haben. Es war immer mein Ziel, dass wir, wenn ich mal in den Ruhestand gehe, annähernd die Qualität von Ärztinnen und Ärzten haben, heute ist das in Teilbereichen schon Realität geworden“, so Palm.
© OTH Regensburg_Florian Hammerich
In ersten Studien war Prof. Dr. Palms Arbeit bereits sehr erfolgreich und konnte die Wahrscheinlichkeit der richtigen Diagnose nicht nur von jungen, sondern auch von erfahrenen Ärzten deutlich erhöhen. Diese Art der medizinischen Bildbearbeitung verbessert nicht nur die Diagnostik, sondern macht die Arbeit der Ärzte effizienter und weniger invasiv. „Heute macht man eine Biopsie, um das Gewebe zu untersuchen und das macht man nicht nur an einer Stelle, sondern an vielen, weil man nicht so genau sagen kann, wo das bösartige Gewebe ist. Wir entwickeln ein Guiding System, das dem Arzt genau die Stelle definiert, von der er die Gewebeprobe nehmen soll. Die Vorteile liegen darin, dass man weniger Biopsien machen muss und eine größere Gewähr hat, dass man an der richtigen Stelle untersucht.“
Der behandelnde Arzt hat auch bei dieser Art der Untersuchung das letzte Wort in der Diagnosestellung. Dennoch schafft dieses neue System mehr Sicherheit, vor allem für jüngere Ärzte.
Noch ist die Technologie nicht auf dem Markt, sie befindet sich jedoch bereits in der Zulassungsphase und Prof. Dr. Palm hofft, dass sie innerhalb der nächsten drei Jahre zum Einsatz kommt. Eine beruhigende Aussicht für uns alle, denn auch wenn sich sein System derzeit auf die Früherkennung von Speiseröhrenkrebs fokussiert, könnte die Technik in der Zukunft auch auf die Erkennung anderer Krebsarten trainiert und dementsprechend eingesetzt werden.
ADHS spielend überwinden
Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder können von den technischen Innovationen profitieren. Das in der TechBase Regensburg ansässige Start-up Brainjo entwickelt eine durch Virtual Reality gesteuerte Therapie für Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS. Christian Michael Gnerlich, einer der beiden Geschäftsführer und der Visionär des Unternehmens, litt früher selbst an ADHS und wurde mit Hilfe von Medikamenten therapiert. Die erfüllten zwar meist ihren Zweck, er fühlte sich durch die Pillen jedoch eher ruhiggestellt, als nachhaltig therapiert und die Ursache konnten diese auch nicht beheben.
Während seines Informatikstudiums an der Uni Regensburg kam dann die Idee, kognitive Übungen mit Bewegungen zu verknüpfen. Seit eineinhalb Jahren tüftelt er nun mit seinem Team sowie Psychologen und Therapeuten an einer Möglichkeit, ADHS nachhaltig behandeln zu können. Die Virtuelle Realität eröffnet dabei neue Möglichkeiten. Sobald das Kind die VR Brille aufsetzt, betritt es eine andere Welt. Brainjo nimmt es auf eine Reise in die Vergangenheit mit, bei der es einen reichen Schatz an Wissen sammeln kann. Dabei macht es therapeutische Übungen und lernt wichtige Methoden, die einen nachhaltigen Effekt, frei von Nebenwirkungen, haben: „Es gibt z. B. ein paar Gedächtnismethoden, die man lernen kann und wenn man die einmal verstanden hat, ist es wie Fahrrad fahren. Man kann sie für den Rest des Lebens anwenden und das ist, worauf unsere Therapie abzielt“, so Gnerlich. Die Therapie kann durch die Technik zum Großteil „gamifiziert“ werden, das heißt die Übungen laufen spielerisch ab und machen sogar Spaß, ein wichtiger Erfolgsgarant. Dabei soll die virtuelle Lösung einen professionellen Therapeuten nicht ersetzen. Sie schließt jedoch eine Lücke zwischen der Diagnose und dem Beginn der Therapie. Es kann nämlich gut und gerne sechs Monate dauern, bis ein Kind nach Erstellung der Diagnose einen Therapieplatz bekommt. Zeit, die es mit dem virtuellen Angebot gut nutzen könnte. Im ersten Schritt fokussiert sich Brainjo dabei auf Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahre, die noch keine Medikation erhalten. Das Produkt ist noch in der Testphase, aber das Team bereitet sich auf die erste klinische Studie vor. Wenn alles gut läuft, wird die neue Methode ab 2026 offiziell auf dem Markt sein.
© Brainjo
Ein Arzt könnte die virtuelle Therapie dann ganz normal verschreiben, die VR Brille wird zusammen mit einigen Videoinstruktionen nach Hause geschickt und das Kind kann bis zu dreimal pro Woche virtuelle Therapiesitzungen von jeweils einer Stunde durchführen.
Für betroffene Eltern bedeutet das Hoffnung auf eine Alternative zur derzeitigen Medikation, die nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen haben kann.Unser Gesundheitssystem steht vor vielen Herausforderungen. Es gibt viele gute Ansätze und Ideen, die nur darauf warten, umgesetzt zu werden. Digitalisierung und künstliche Intelligenz schaffen dabei Möglichkeiten, die bis vor kurzem undenkbar waren. Um im internationalen Wettbewerb jedoch nicht abgehängt zu werden, muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
Dr. Ilja Hagen fasst die Situation sehr treffend zusammen: „Versorgung besteht aus Menschen, aus Prozessen und aus Technik. Menschen sind endlich, es werden nicht plötzlich doppelt so viele Leute im Gesundheitsbereich beschäftigt sein wollen. Das werden wir auch nicht bezahlen können. Das Einzige, was wir tun können, ist Prozesse zu verbessern. Wir müssen die Technologie nutzen, damit die Gesundheitsversorgung auch in der Zukunft sichergestellt werden kann.“
Kathrin Gnilka | filter Redaktion