Die Diskussionen um die Stadtbahn gehen kurz vor dem Bürgerentscheid am Sonntag in die heiße Phase. Am vergangenen Dienstag lud der CSU-Ortsverband zu einer Infoveranstaltung zum Thema ein, bei der die Planer der Stadtbahn ihre aktuellen Ergebnisse zur Vorplanung präsentierten. Anschließend wandte sich Kathrin Fuchshuber, Sprecherin der Stadtratsfraktion der CSU im Ausschuss für den Neubau einer Stadtbahn, an die Anwesenden, um die ihrer Meinung nach bei der Planung der Stadtbahn gemachten Fehler aufzuzeigen.
An der Veranstaltung nahm auch Irmgard Freihoffer, Stadträtin des Bündnisses Sahra Wagenknecht, teil. Diese wendet sich nun in einem offenen Brief an die Stadtbahnkritiker, insbesondere an Herrn Heinz-Eberhard Deckart, einen Sachverständigen für Eisenbahninfrastruktur und ehemaligen Mitarbeiter des Eisenbahnbundesamtes, der bei der genannten Veranstaltung jedoch selbst nicht anwesend war. Heinz-Eberhard Deckart ist bekennender Kritiker der Stadtbahn Regensburg und betont seit Jahren, dass die Stadtbahn seiner Meinung nach kaum finanzierbar ist.
Der anschließende Brief wurde uns von Frau Irmgard Freihoffer mit der Bitte um Veröffentlichung gesendet. Die Stellungnahmen von Frau Kathrin Fuchshuber und Herrn Heinz-Eberhard Deckart werden folgen.
Offener Brief von Frau Irmgard Freihoffer and Herrn Heinz-Eberhard Deckart
Sehr geehrter Herr Deckart,
Sie haben sich des Öfteren kritisch zur geplanten Einführung einer Stadtbahn geäußert und dabei wie im Herbst 2022 die Ihrer Ansicht nach zu hohen Kosten einer Stadtbahn als auch zu geringe Verlagerungseffekte beim Verkehr ins Feld geführt. Da seit März 2024 genauere Zahlen zu den Kosten der Einführung einer Stadtbahn und seit Kurzem auch die für die Optimierung unseres Bussystems ohne Stadtbahn vorliegen, möchte ich noch zu Ihren Aussagen, Stadtbahnen wären sinnvoll, aber nicht für Regensburg, Stellung beziehen.
Kosten
Die voraussichtliche Gesamtinvestition für die Stadtbahn beträgt bezogen auf das Jahr 2023 878 Mio. € und bezogen auf das Jahr 2030 1,212 Milliarden. Die Eigenbeteiligung der Stadt beträgt im Bezugsjahr 2023 334 Mio. € und wird für das Jahr 2030 mit 464 Mio. fortgeschrieben. Für die Kostenfortschreibung wurden folgende jährliche Kostensteigerungsraten zugrunde gelegt: 4,5 % für die Gleisinfrastruktur, 4,4% für die Fahrzeugbeschaffung und 6,0% für den Betriebshof. Eine Stadtbahn mit entsprechend angepasstem und optimiertem Bussystem kostet, bezogen auf die nächsten drei Jahrzehnte, insgesamt 1,52 Milliarden.
Bezogen auf den Zeitraum der nächsten 30 Jahre betragen die Ausgaben für ein optimiertes Bussystem ohne Stadtbahn fast dasselbe, nämlich 1,489 Milliarden. Das ergibt einen Unterschied von 31 Mio. €. Nach den 30 Jahren kehrt sich die Kostenbilanz um, das optimierte Bussystem wird dann teurer. Auch wenn natürlich für die Straßenbahn weiterhin Aufwendungen für den Unterhalt und den laufenden Betrieb zu leisten sind, so fallen einmalige Erstinvestitionen wie das Verlegen von Kanälen und den verschiedenen Sparten weg. Und der Unterhalt und die laufenden Betriebskosten für ein optimiertes Bussystem sind dann teurer, u. a. aufgrund der deutlich geringeren Lebensdauer der Busse und der Personalkosten. Siehe hierzu im Anhang die Berechnungen der Kämmerei auf der Grundlage der Daten des Stadtwerks.
Hinzu kommt: Ein optimiertes Bussystem ohne Stadtbahn hat bei Weitem nicht die Kapazität eines öffentlichen Nahverkehrs mit Stadtbahn. Eine Stadtbahn kann drei Gelenkbusse ersetzen.
Das nun von der CSU in Regensburg, insbesondere von meiner Stadtratskollegin Kathrin Fuchshuber ins Spiel gebrachte Platooning im Busverkehr - mehrere Busse fahren in einer Kolonne, wobei der erste Bus von einem menschlichen Fahrer gesteuert wird und die nachfolgenden Busse automatisch folgen, - ist nichts als eine vage Nebelkerze. Das Bus-Platooning wird derzeit in München und Karlsruhe getestet, trotzdem planen beide Städte den weiteren Ausbau ihrer Stadtbahnen. Ob das Bus-Platooning irgendwann tatsächlich im größeren Maßstab einsetzbar sein wird, lässt sich im Augenblick nicht vorhersagen. Allerdings ist eine gewisse Skepsis angebracht, wenn man bedenkt, dass die Platooning-Testphasen im Güterverkehr auf Straßen, also das Hintereinanderschalten von LKWs, vor wenigen Jahren eingestellt wurden, da der Aufwand und die Kosten in keinem Verhältnis zum Nutzen standen. Bus-Platooning ist alles andere als eine bewährte Technik. Umgekehrt lässt sich feststellen, dass Stadtbahnen eine seit Langem erprobte und technisch ausgereifte Verkehrsart darstellen und den Kinderkrankheiten längst entwachsen sind.
Man kann also nicht ein nur in Testphasen befindliches Verkehrsmittel wie das Bus-Platooning in Planungen und Kosten-Nutzen-Untersuchungen einbeziehen, weil es keinerlei belastbare Daten gibt, weder bezüglich der Effizienz und Machbarkeit noch bezüglich der Kosten.
Es geht letztlich darum, für die Zukunft die Kapazitäten im ÖPNV zu schaffen, um weitere autoverkehrsreduzierende Maßnahmen durchführen zu können, wie z. B. die Begrenzung der Anzahl der Parkplätze in Regensburg oder weitere Park&Ride-Anlagen. Man muss also zuerst einen entsprechenden Ausbau des ÖPNV verfolgen, um den Menschen hier vor Ort auch einen Umstieg vom Auto ermöglichen zu können.
Dabei sind autoverkehrsreduzierende Maßnahmen dringend notwendig, aber nicht nur aus Gründen des Umweltschutzes, um den Ressourcen- und gigantischen Flächenverbrauch durch das Auto, Lärm, CO2-Emissionen und die Schadstoffemissionen wie Feinstaub und Stickoxiden mit all ihren gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen durch Steigerung der Krebsraten, Herz-/Kreislauf- und Demenzerkrankungen zu verringern, sondern auch wegen der hohen Kosten.
Der Autoverkehr ist die teuerste und indirekt am höchsten subventionierte Verkehrsart überhaupt, wenn man auch die externen Kosten, also die Kosten, die nicht beim Autofahrer selbst anfallen, sondern von der Allgemeinheit getragen werden wie z. B. Unfallfolgekosten und Kosten durch Umweltschäden, miteinbezieht. Laut einer EU-Studie von 2018, verursachte der Verkehr in Europa im Jahr 2016 eine Billion € an externen Kosten, wovon 75 % auf den Straßenverkehr fallen. Eine neuere Studie der TU München kommt zu dem Ergebnis, dass in München Diesel- und Benzin-basierte Autos für fast 80 Prozent aller externen Kosten im Verkehrsbereich zuständig sind. Wer ernsthaft Kosten sparen will, muss also den öffentlichen Verkehr massiv ausbauen und autoverkehrsreduzierende Maßnahmen ergreifen.
Das Problem, dass das Denken im volkswirtschaftlichen Maßstab stets verhindert: Die Kosten fallen in unterschiedlichen Bereichen bzw. Budgets an und der Bundespolitik fehlt der Wille, die Rahmenbedingungen für eine effiziente und ökologische Verkehrspolitik anhand der gesamten volkswirtschaftlichen Kosten auszurichten. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 liefert hiervon ein eindrucksvolles Zeugnis.
Zur Kostenwahrheit gehört: Wenn sich unsere Stadt eine Stadtbahn nicht leisten kann und will, dann ist auch ein optimiertes Bussystem mit Elektrobussen, zusätzlichen Linien, besserer Taktung etc. nicht leistbar. Das würde bedeuten, dass vielleicht einige wenige kleinere Verbesserungen im Bussystem noch umsetzbar wären, aber kein großer Wurf, kein Quantensprung im ÖPNV, der in Zukunft die Voraussetzungen für einen größeren Umstieg vom Auto auf den ÖPNV schaffen würde.
Und noch ein Hinweis sei hier erlaubt. Auch der Bau der Bahn im 19. Jahrhundert war, gemessen an dem damaligen Bruttoinlandsprodukt ein sehr teures Unterfangen. Und trotzdem waren die Investitionen sinnvoll und nachhaltig, weil die darauffolgenden Generationen in hohem Maße davon profitierten. Diese grundlegende Tatsache wird auch nicht dadurch geschmälert, dass die Finanzierung damals zu einem beträchtlichen Teil über Aktiengesellschaften erfolgte.
Veränderung des Modal Splits
In Ihrem Schreiben vom 11.9.22 gehen Sie unter dem Punkt 2 auf den „generierten Effekt“, also die Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr (MIV) hin zum ÖPNV ein. Sie bezweifeln, dass „irgendeiner der Stadträte oder der Verwaltung sich die Mühe gemacht hat, die 3 Komobile-Berichte zu lesen, denn sonst hätte auffallen müssen, dass der ureigenste Zweck einer Stadtbahn, nämlich die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in Regensburg mit dieser Stadtbahn nicht gelingen wird.“
Ich will hier nicht auf Ihre Mutmaßungen bezüglich des angeblich mangelnden Einsatzes und der fehlenden Sorgfalt der Stadträte eingehen, sondern auf die Aussagekraft der Standardisierten Bewertung zu Verlagerungseffekten weg vom MIV hin zum ÖPNV.
Sie beziehen sich bei Ihren Ausführungen auf die Zahlen der Machbarkeitsstudie von 2018. Da ja seit dem 20. März 2024 die neuen Zahlen der Nutzen-Kosten-Untersuchung vorliegen, werde ich mich auf diese beziehen, zumal die Unterschiede zur Machbarkeitsstudie nur sehr gering sind. Beim Binnenverkehr wird für das Jahr 2035 eine Verlagerung vom MIV zum ÖPNV von 0,8 Prozentpunkten berechnet, das entspricht einer Verlagerung von 2%, im Quell-Zielverkehr Landkreis wird ein Verlagerungseffekt von 0,7 Prozentpunkten angegeben, das entspricht einer Veränderung von einem Prozent gegenüber dem Ohnefall.
Sie behandeln diese Zahlen des Verlagerungseffekts beim Verkehr, als wären sie auch für die Jahre nach 2035 endgültig festgeschrieben und nicht veränderbar, wenn Sie schreiben, „dass der ureigenste Zweck einer Stadtbahn, nämlich die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in Regensburg mit einer Stadtbahn nicht gelingen wird“. Das aber ist ein grobes Missverständnis. Diese Zahlen, die sich nur auf das Jahr 2035 beziehen, dürfen nicht für die darauffolgenden Jahre verabsolutiert werden, denn die Einführung einer Stadtbahn als Ersatz für eine Buslinie erzeugt in der darauffolgenden Zeit immer erhebliche Fahrgastzuwächse, die über die errechneten weit hinausgehen, wie wir aus den Beispielen anderer Städte sehen. D. h. also, dass die Aussage zur Verkehrsverlagerung in der Standardisierten Bewertung ausschließlich für das Jahr 2035 gilt und nicht für das Jahr 2038 oder 2040 und darüber hinaus.
Wer über die Verlagerung des Modal Splits im Rahmen der Standardisierten Bewertung spricht, muss sich damit beschäftigen, von welchen Voraussetzungen diese ausgeht. Die Annahmen, die der Standardisierten Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen im öffentlichen Personennahverkehr zugrunde liegen, sind sehr konservativ gehalten. Zudem wird vom Status Quo ausgegangen, nämlich der aktuellen Beschlusslage ganz konkreter Planungen, u. a. dem Bau weiterer Parkhäuser in der Stadt wie am Unteren Wöhrd mit der stattlichen Erhöhung der Anzahl der Parkplätze von 650 auf 1.4003. Dass aber dieses Parkhaus in Modulbauweise, so die Ausführungen der Verwaltung, auch wieder zurückgebaut bzw. anders genutzt werden kann, wenn der ÖPNV deutlich besser ausgebaut wird, sodass eine Reduzierung des Parkplatzangebotes möglich ist, wird in die Berechnung der Verkehrsverlagerung gemäß Standardisierter Bewertung nicht mit aufgenommen, ebenso wenig wie die Beschlüsse des Green Deals in Regensburg oder z. B. weitere Park&Ride-Anlagen , wie sie z. B. im Regensburg-Plan 2024 vorgesehen sind. Da es aber noch keine konkreten Planungen gibt, werden diese auch nicht in der Standardisierten Bewertung berücksichtigt. D. h. autoverkehrsreduzierende Maßnahmen, wie sie der Stadtrat in vielen Leitbildern und dem Regensburg-Plan 2040 beschlossen hat, sind explizit ausgeschlossen. Ebenso ist u. a. beim Quell-Zielverkehr Landkreis-Stadt keine Weiterführung der Stadtbahn in das Umland, was natürlich die Zahlen deutlich zum Positiven hin verändern würde, mitberücksichtigt.
Dass die Berechnungen der Verlagerungseffekte im Verkehr gemäß Standardisierter Bewertung die Realität nicht abbilden, sondern der Zuwachs bei den Fahrgastzahlen regelmäßig deutlich übertroffen wird, zeigen die Beispiele aus anderen Städten, in denen Buslinien durch eine Stadtbahnlinie ersetzt wurden, ein Effekt, der auch mit dem Begriff „Schienenbonus“ bezeichnet wird. Beispiele aus anderen Städten, in denen Buslinien durch Stadtbahnen ersetzt wurden, zeigen Anstiege der Fahrgastzahlen um über 100 %. Auch wenn hierunter teilweise induzierter Verkehr fällt, also Fahrgäste gewonnen werden, die die Fahrt ohne Stadtbahn nicht angetreten hätten, so erweisen sich bei den Fahrgastzahlen die Einführungen von Stadtbahnlinien in den letzten Jahren und Jahrzehnten in deutschen und europäischen Städten immer als Erfolg. Hinzu kommen natürlich andere positive Effekte, u.a. die deutliche Aufwertung des öffentlichen Raums, wenn z. B. vierspurige Straßen auf zwei Spuren reduziert werden.Die Einführungen von Stadtbahnlinien erwiesen sich bei den Fahrgastzahlenin den letzten Jahren und Jahrzehnten in deutschen und europäischen Städten immer als Erfolg. Hinzu kommen natürlich andere positive Effekte, wie z. B. die deutliche Aufwertung des öffentlichen Raums, wenn z. B. vierspurige Straßen auf zwei Spuren reduziert werden.
Interessant ist, dass selbst bei den unter streng konservativen Voraussetzungen der Standardisierten Bewertung berechneten Verlagerungseffekten im Verkehr immerhin schon 9.900 Autofahrten im Binnenverkehr täglich eingespart werden.
Sie sprechen in Ihrem Schlussfazit auch vom Zerschneiden der Altstadt durch die Stadtbahn. Es ist aber der ständige Verkehrsfluss der Autos entlang der Dr.-Martin-Luther-Straße, wo die Stadtbahn vorgesehen ist, der diese Trenn- und Barrierewirkung darstellt. Wo Stadtbahnen fahren, führt das regelmäßig zu einer Beruhigung des Verkehrs, wie man es auch in anderen Städten wie Freiburg beobachten kann. Ihre Erwähnung von jahrelangen Baustellen muss ebenfalls relativiert werden: Es handelt sich um Wanderbaustellen. Da werden an einer Stelle mal 100 oder 200 Meter Gleis verlegt und nach einigen Wochen wird die Baustelle weiterverlegt. Es ist nicht so, wie Ihre Formulierung zumindest suggeriert, dass hier entlang der gesamten Stadtbahntrasse jahrelang Baustellen wären.
Irmgard Freihoffer, Stadträtin Bündnis Sahra Wagenknecht | RNRed