Hochwasser an der Donau ist so alt wie die Donau selbst. Wer in Städten wie Regensburg oder Passau wohnt, weiß, dass große Flüsse in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen über die Ufer treten und Teile der besiedelten Gebiete überfluten können. Seit Jahrhunderten haben sich die Einwohner mit diesen Ereignissen arrangiert und können gut damit umgehen.
Auch in diesem Jahr konnten in der Stadt Regensburg mit Hilfe von mobilen Katastrophenschutzelementen, Sandsäcken und anderen Hilfsmitteln die Schäden in Grenzen gehalten werden. Rund 1.500 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, Rettungsdiensten, Wasserwacht und Technischem Hilfswerk waren rund um die Uhr im Einsatz, um Deiche zu befestigen, Keller auszupumpen und im Fall der Werftstraße Menschen zu evakuieren. Dazu kamen viele städtische Mitarbeiter, des Tiefbauamtes, des Bauordnungsamtes, des Amtes für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr, des Gartenamtes, des Amtes für Katastrophenschutz, sowie dem Fuhramt zum Einsatz. Mitarbeiter des Wasserswirtschaftsamtes und der REWAG waren ebenfalls maßgeblich beteiligt. Ein wahrer Kraftakt, der nicht nur viel Erfahrung, sondern auch hervorragende Koordination erfordert.
Das diesjährige Hochwasser erreichte einen Höchststand von 6,17 Metern, gemessen an der Eisernen Brücke in Regensburg. Damit lag es im Rahmen eines kleineren Hochwasserereignisses, wie es rund alle fünf bis zehn Jahre vorkommt. Also keine große Sache?
Hochwasser ist nicht gleich Hochwasser
Ganz so einfach ist es nicht, denn „jedes Hochwasser ist anders und die Herausforderung ist, aus der Vielzahl der Wettermodelle und der vorhandenen Daten die richtige Prognose zu treffen und die richtige Information an die Kommune weiterzugeben“, so Stefan Neudert, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes in Regensburg. Es kommt nämlich nicht nur auf die Höhe des Wasserpegels an. „Es kann eine sehr steile Welle sein, mit einem sehr steil ansteigenden und schnell abfallenden Scheitel. Es kann aber wie in diesem Jahr auch eine sehr flache Welle sein, die sehr lange im höchsten Bereich dahinfließt“.
Als die Donau 2013 über die Ufer trat, war der Pegel an der Messstelle Schwabelweis 50 - 60 cm höher als in diesem Jahr. Der Scheitel der Welle war jedoch im Vergleich zum diesjährigen Hochwasser wesentlich kürzer, daher ging das Hochwasser zurück, bevor der Grundwasserspiegel eine flächendeckend kritische Höhe erreichen konnte. In diesem Jahr blieb der hohe Wasserstand im Scheitelbereich über mehrere Tage bestehen. Das steigende Grundwasser suchte sich seinen Weg nach oben, lies Keller volllaufen und durchweichte Straßen und Deiche, die dem großen Druck nur durch enormen Aufwand und zusätzliche Befestigungen standhalten konnten.
Doch die Herausforderungen begannen lange im Vorfeld, denn Hochwasserereignisse sind schwer vorauszusagen. „Man hat gewusst, dass sehr viel warme und feuchte Luft aus dem Mittelmeerraum nach Bayern strömt, man hat jedoch nicht gewusst, wo genau sich nördlich der Alpen diese Feuchtigkeit abregnet und wo infolge dessen die größten Überflutungen zu erwarten sind“, so Neudert. Die langanhaltenden Starkregenfälle im Juni ließen etwa Donauzuflüsse wie Zusam, Paar und Glonn derart anschwellen, dass die Wasserpegel fast senkrecht anstiegen und teilweise sogar die Wasserstände eines hundertjährlichen Hochwassers überschritten wurden. „Daher war es schwierig vorherzusagen, was genau auf uns zukommt“, so Neudert.
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Unwetterereignisse nehmen zu
Auch wenn ein Jahrhunderthochwasser in Regensburg ausblieb und die Lage auch in diesem Jahr wieder gut gemeistert werden konnte, sieht Stefan Neudert keinen Grund zur Entspannung, denn die Anzahl der Hochwasserereignisse, die statistisch gesehen nur alle 10 oder 20 Jahre auftreten, hat in den Jahren seit dem Hochwasser 1999 zugenommen.
Die Hochwasserschäden im Juni 2024 schlagen in Bayern und Baden-Württemberg mit Kosten von zwei Milliarden Euro zu Buche.
Zu den Überschwemmungen durch Dauerregenfälle kommen seit einigen Jahren vermehrt kurze und punktuelle Extremwetterereignisse wie Sturzfluten infolge Starkregen, Sturm oder Hagel, die relativ unvermittelt auftreten und innerhalb kürzester Zeit ganze Gemeinden verwüsten können. Allein in 2023 verursachten solche Wetterextreme in Bayern Schäden in Höhe von weiteren rund zwei Milliarden Euro, dreimal so viel wie im Vorjahr.
Dabei verändert sich die Jahresniederschlagsmenge in den meisten Gebieten Deutschlands kaum. Was sich jedoch ändert, ist die Verteilung. Waren die Niederschlagsmengen vor einigen Jahrzehnten noch relativ gleichmäßig über das Jahr verteilt, fallen heute oft sintflutartige Regenfälle, die innerhalb weniger Stunden Wassermengen von mehreren Wochen bringen.
Diese Verschiebung hat katastrophale Folgen, denn die Böden können die großen Wassermengen nicht aufnehmen und vor allem kleinere Flüsse verwandeln sich innerhalb kürzester Zeit in reißende Ströme, die alles mitnehmen, was sich ihnen in den Weg stellt.
Was erwartet uns in der Zukunft?
„Wir müssen lernen, mit Wahrscheinlichkeiten zu rechnen“, betont Prof. Dr. Harald Kunstmann, Lehrstuhlinhaber Regionales Klima und Hydrologie an der Universität Augsburg. „Wir wissen, dass starke Niederschläge zunehmen werden und je mehr Zeit vergeht, umso wahrscheinlicher ist es, dass es zu Katastrophen in der eigenen Region kommt. Jeder muss sich bewusst sein, dass es ihn treffen kann, daher ist es unabdingbar, private Vorsorgemaßnahmen zu treffen“.
Um aktuelle Regenfälle verlässlich zu messen, bedient sich Prof. Dr. Kunstmann einer innovativen Methode: Er nutzt die Mikrowellenstrahlung bestehender Mobilfunkmasten. Wenn Mikrowellenstrahlen durch die Atmosphäre übertragen werden, werden sie von Regen- oder Schneetropfen absorbiert und gestreut. Dadurch wird das Signal abgeschwächt. Durch den Grad der Abschwächung kann die Niederschlagsrate bestimmt werden. Die Vorteile dieser Methode: Die Telekommunikationsnetze sind bereits vorhanden und decken große Gebiete ab. Die Daten können in nahezu Echtzeit verarbeitet werden, was schnelle und aktuelle Informationen über Niederschlagsereignisse liefert. Die Methode ergibt also ein genaueres und vollständigeres Bild der Niederschlagsverteilung. Diese Forschung ist ein wichtiger Bestandteil, um aktuelle Regenmengen zu bestimmen. Eine Vorhersage Stunden im Voraus, welche Regionen von Starkregenereignissen betroffen sein werden, kann jedoch auch sie nicht leisten.
Spätestens seit der Katastrophe im Ahrtal schlagen Wetterdienste frühzeitig Alarm, sobald sich ein größeres Tiefdruckgebiet aufbaut. Dennoch werden Städte und Gemeinden oft von Hochwasser überrascht und hart getroffen. Denn wer sich nicht in unmittelbarer Nähe eines größeren Gewässers befindet, wiegt sich oft in Sicherheit. Doch wie sich in den vergangenen Jahren gezeigt hat, können ganze Ortschaften, selbst wenn sie weit von einem Fluss entfernt liegen, dem Erdboden gleich gemacht werden. Da sich Wasser immer den Weg des geringsten Widerstands sucht, können sich abfließende Regenfälle bei entsprechendem Gefälle schnell in zerstörerische Flutwellen verwandeln.
„Diese lokalen Starkregenereignisse haben sich in den letzten Jahren massiv erhöht“, bestätigt Stefan Neudert. „Sturzfluten aufgrund von Starkregen können bayernweit flächig überall auftreten, auch wenn kein Gewässer da ist. Daher ist die bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung hier tätig geworden und hat entsprechende Forschungsvorhaben anlaufen lassen. Ein wesentlicher Punkt sind die sogenannten HIOS-Karten. Das heißt, Hinweiskarten für oberflächliche Sturzfluten. Diese Karten geben einen Hinweis auf eine potenziell erhöhte Überflutungsgefährdung und sind eine wichtige Informationsquelle für Kommunen, um festzustellen, wo eine Gefährdung vorliegen kann. (https://www.lfu.bayern.de/wasser/starkregen_und_sturzfluten/hinweiskarte/index.htm).
Die Wasserwirtschaftsverwaltung hat weiterhin einen sogenannten Leitfaden zur Aufstellung von integralen Konzepten zum kommunalen Sturzflutrisikomanagement erarbeitet. Das ist eine bayernweit einheitliche Vorgehensweise, durch die bestehende Gefahren ermittelt werden und Kommunen besser einschätzen können, wo sich Risikobereiche befinden, um entsprechende Vorkehrungen treffen zu können“.
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Reichen diese Maßnahmen aus?
Prof. Dipl.-Ing. Andreas Ottl, Dekan der Fakultät Bauwesen an der OTH Regensburg, betont: „Um diese Starkniederschläge müssen wir uns in der Zukunft dringend kümmern, denn die werden durch die Klimaveränderung nachhaltig beeinflusst und betreffen Regensburg genauso wie jeden anderen Ort.
Da können wir jedoch planerisch eingreifen, indem wir in der Zukunft Regenwasser nicht nur in die Kanäle ableiten, sondern den ursprünglichen Wasserhaushalt wiederherstellen. Denn mit jeder Bebauung verändern wir diesen natürlichen Wasserhaushalt. Jede Dachfläche, die gebildet wird, verändert den Zustrom zum Grundwasser sowie den Zustrom in die Atmosphäre.“
Wasser, das auf eine versiegelte Fläche trifft und nicht verdunsten kann, wird in der Regel ins Kanalsystem abgeleitet. Dieses wurde jedoch laut Prof. Ottl in den 60er und 70er Jahren gebaut und ist nicht auf die heutigen und zukünftigen Regenmassen ausgerichtet. Daher ist ein Ausbau der Kanäle eine dringende Maßnahme, um die Einwohner Regensburgs vor zukünftigen Überflutungen zu schützen.
Das Konzept der sogenannten Schwammstadt wird im Hinblick auf die klimabedingten Extremwetterereignisse immer wichtiger. Es thematisiert nämlich gleich zwei Probleme, die Städte und Gemeinden auf ganz unterschiedliche Art und Weise vor große Herausforderungen stellen. Zum einen die oft kurzfristig auftretenden Starkregenfälle und zum anderen langanhaltende Trockenperioden und extreme Hitze, mit der auch die Region zu kämpfen hat.
Daher befasst sich auch Florian Plajer, Leiter des Planungs- und Baureferats der Stadt Regensburg, intensiv mit dem Thema. Denn Ziel einer Schwammstadt ist es nicht nur, dem Niederschlagswasser natürliche und langsame Versickerungsmöglichkeiten zu bieten, sondern auch Verdunstung zu ermöglichen und somit eine natürliche Kühlung zu erzeugen. In einer mittelalterlichen Stadt wie Regensburg, deren Altstadt zu großen Teilen versiegelt ist, sind solche Eigenschaften äußerst wichtig. Da die Gebäude unter doppeltem UNESCO-Weltkulturerbe stehen, ist das Vorhaben jedoch auch eine gewisse Herausforderung. Daher heißt es, kreativ werden. Einen kleinen Beitrag sollen bereits die sogenannten Hotspot-Pots, also große Pflanzkübel mit Bäumen leisten, die an besonders vegetationsarmen Stellen in der Altstadt aufgestellt wurden. Das dies bei weitem nicht ausreicht, ist jedoch klar. Daher müssen weitere Möglichkeiten gefunden werden, versiegelte Flächen in der Innenstadt aufzulösen. So könnten Parkplätze wasserdurchlässig gestaltet werden, sodass Regenfälle langsam versickern, aber auch verdunsten können. Auch Dächer und Fassaden bieten Flächen zur Begrünung und werden im Rahmen von Erneuerungen geprüft. Ein konkretes Projekt plant die Stadt Regensburg im Obermünsterviertel, im Zuge dessen versiegelte Flächen begrünt, neuer Lebensraum entstehen und die städtischen Kanäle saniert werden sollen.
Doch bei diesen Maßnahmen soll es nicht bleiben, denn die Stadt überarbeitet gerade ihren Flächennutzungsplan. Das ist auch dringend notwendig, denn der aktuelle Plan aus dem Jahr 1983 hält den Herausforderungen des Klimawandels nicht mehr stand. Daher sollen nun landschaftliche Flächen, Grünflächen und Parks berücksichtigt werden, die nicht bebaut werden dürfen. Weiterhin sollen Biotope geschaffen und bestehende Biotope vernetzt werden, um natürliche Kaltluftschneisen zu schaffen. Im Hinblick auf zukünftige Starkregenereignisse werden auch Retentionsflächen, also natürliche Flächen identifiziert, die eine natürliche Versickerung ermöglichen.
„Wir suchen sozusagen klimawirksame Flächen, um für die weitere Baurechtschaffung eine Grundlage zu haben und entscheiden zu können, was wo entstehen kann und welcher Versickerungs- oder Versiegelungsgrad vorhanden sein muss“, so Florian Plajer.
Keine leichte Aufgabe. Regensburg ist eine attraktive Stadt, die stetig wächst. Wohnraum ist knapp, somit müssen neue Bebauungen ins Auge gefasst werden. Auch industrielle und wirtschaftliche Projekte beanspruchen Platz, um Arbeitsplätze zu schaffen und Wohlstand zu sichern. Doch mit jedem neuen Gebäude und jeder Straße wird eine Fläche versiegelt, die im Falle eines Starkregenereignisses nützlich gewesen wäre. Prof. Ottl bringt es auf den Punkt: „Auf einer natürlichen Fläche verdunsten zwei Drittel des gesamten Niederschlags. Wenn wir bebauen und Flächen komplett versiegeln, sind es noch zehn Prozent“.
Dieser Problematik muss sich die Stadt Regensburg stellen und Eingriffe in die Natur genau auf den Prüfstand stellen: „Grundsätzlich werden für alle Flächen, die versiegelt werden, weil man neu bauen muss oder will, entsprechende Ausgleichsflächen vorgesehen“, so Florian Plajer. Das beinhaltet eine spezielle artenrechtliche Prüfung, was die Flora und Fauna betrifft, damit die Qualität, die nicht mehr da sein kann, wo sie vorher war, möglichst in räumlicher Nähe wiederhergestellt werden kann“.
Besonders jedoch bei neuen Projekten besteht Potenzial, von Beginn an nachhaltig zu planen und so die Einwohner vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Prof. Ottl ist überzeugt: „Wir können gegen die Starkniederschlagsfolgen in einer Ortschaft, egal wo diese Ortschaft ist, etwas machen. In einer Stadt wie Regensburg ist es ein leichter Spagat, zugegebenermaßen, aber Ingenieure sind kreativ genug, um auch da entsprechend Lösungen zu finden. Das sind zum einen bautechnische Elemente wie Gründächer, Mulden, Versicherungseinrichtungen und Rückhalteanlagen und zum anderen müssen wir bei den Bebauungsplanungen genau diese Flächen freihalten, in denen sich erfahrungsgemäß bei Starkniederschlag Wasser sammelt. Und das ist in jeder Mulde und in jeder Vertiefung. Ich bin optimistisch, denn es ist sehr, sehr vieles machbar, wenn die Menschen bereit dafür sind. Das ist der Casus knacksus. Der Mensch ist die verursachende Stelle, nicht die Natur“.
Bei dieser Diskussion geht es jedoch nicht nur um Fakten und Maßnahmen, sondern auch um Eigenverantwortung und Solidarität mit seinen Mitmenschen. Viele dringend notwendigen Schutzmaßnahmen werden verzögert oder scheitern an der Zustimmung Einzelner. Doch auch in unserer unmittelbaren Umgebung können wir vieles besser machen. Wer der Natur in seinem Garten Raum gibt, sich zu entfalten, trägt gleichzeitig dazu bei, sich und seine Mitmenschen vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.
Prof. Ottl bringt es auf den Punkt: „Es kann jeder, und das betone ich wirklich, es kann jeder etwas tun. Und die Ausrede, dass eine einzelne Person nichts ausrichten kann, ist falsch. Ganz einfach“.
Kathrin Gnilka | filterVERLAG