Ob Abrechnungsbetrug, Urkundenfälschung oder Bestechung – Fehlverhalten im Gesundheitswesen hat viele Gesichter und der Schaden für die Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenkassen ist groß. So erreichte der festgestellte Gesamtschaden bei der AOK Bayern mit 30,6 Millionen Euro in den Jahren 2022 und 2023 einen neuen Höchstwert.
13,4 Millionen Euro konnte Bayerns größte Krankenkasse davon erfolgreich zurückfordern (ca. neun Prozent mehr als 2020/2021) – seit Einrichtung der Fehlverhaltensstelle vor 20 Jahren sind es sogar 120 Millionen Euro. 2022 und 2023 verzeichnete die Gesundheitskasse fast 4.000 Verdachtsfälle – darunter knapp 2.500 neue und gut 1.500 Bestandsfälle. Knapp 3.000 Fälle konnten abgeschlossen werden und rund 350 Fälle gingen an die Staatsanwaltschaft. Das zeigt der aktuelle Bericht der AOK Bayern zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen.
Acht neue Fälle pro Arbeitstag
Die Expertinnen und Experten der AOK Bayern bearbeiteten im Berichtszeitraum insgesamt 3.485 neue Hinweise. „Das sind fast acht neue Fälle pro Arbeitstag mit Verdacht auf Betrug, Korruption, Bestechung oder Bestechlichkeit. Im Vergleich zum Berichtszeitraum 2020/2021 ist das eine Steigerung um etwa 25 Prozent“, stellt Frank Firsching, Vorsitzender des Verwaltungsrats der AOK Bayern, fest. „Wir sprechen mit dieser Arbeit aber keinen Generalverdacht aus! Im Gegenteil: Es geht darum, eine Minderheit, die den eigenen Berufsstand in Verruf bringt und am Ende die Reputation und Glaubwürdigkeit gefährdet, aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen. Denn wir wissen, dass die meisten Akteure im Gesundheitswesen gewissenhaft und regeltreu arbeiten.“
Problembereich: Pflege
Das Gros der Delikte kommt aus dem Bereich Pflege. Mit über 15 Millionen Euro Schaden und einer Steigerung von 68,7 Prozent im Vergleich zum Berichtszeitraum 2020/2021, führt es die Top fünf der Deliktsfelder an, gefolgt vom Bereich Arzneimittel (plus 74,3 Prozent) und Ärztliche Leistung (plus 73,5 Prozent). Die Bereiche Heilmittel (minus 26,2 Prozent) und Krankenhausbehandlung (minus 52,1 Prozent) verzeichneten einen Rückgang. „Der starke Anstieg in der Fallzahl und die Steigerung des finanziellen Schadens gerade im Pflegebereich dürfte an der Wiederaufnahme verschiedener Prüfungsmechanismen, vor allem im Bereich Pflege, liegen. Diese waren während der Corona-Pandemie teils vollständig ausgesetzt“, ergänzt Dominik Schirmer, Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei der AOK Bayern.
Insbesondere im Bereich der ambulanten Pflege sieht die AOK Bayern weiterhin Handlungsbedarf, um Fehlverhalten wirksam zu bekämpfen. „Bisher können Betrüger einfach in einem anderen Bundesland eine neue Zulassung für einen Pflegedienst beantragen, ohne dass die dortigen Kranken- und Pflegekassen über deren betrügerische Tätigkeit informiert werden“, erklärt Verwaltungsratsvorsitzender Firsching. „Aus diesem Grund fordern wir schon seit Jahren eine bundesweite Datenbank zur Prävention, in der Betrugsfälle personenbezogen gespeichert werden“, so Firsching. Positiv hingegen bewertet er die Zusammenarbeit mit der Zentralstelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen in Nürnberg. „Die in Bayern geschaffenen Strukturen sind bislang einmalig in Deutschland und ermöglichen eine gezieltere und effektivere Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen.“
Datenanalyse und KI bei Bekämpfung immer wichtiger
„Das Deliktsfeld ‚Fehlverhalten im Gesundheitswesen‘ ist bisher kaum erforscht. Eine kriminologische und gesundheitsökonomische Forschung wäre daher dringend notwendig, um die wirtschaftliche Dimension zu bewerten und noch gezieltere Gegenmaßnahmen zu ergreifen“, weiß Fehlverhaltensbekämpfer Dominik Schirmer. Er plädiert daher für den Einsatz von intelligenten Softwareprogrammen und Künstlicher Intelligenz. „Mit Hilfe fortschrittlicher Technologien können wir Muster und Auffälligkeiten in großen Datenmengen schneller und präziser erkennen. Datenanalytik und GenAI sind geeignet, die Betrugsabwehr effektiver und effizienter zu gestalten.“ Der Gesetzgeber erweitert hierfür gerade die rechtlichen Grundlagen, damit mit solchen Instrumenten die Abrechnungsdaten mehrerer Kassen gemeinsam geprüft werden könnten. Besonders aufwändig ist die Abrechnungsprüfung in der Pflege – hier ist auch heute noch Papier Standard. „Betrügerische Pflegedienste setzen gezielt elektronische Abrechnungsprogramme für ihre Betrugsmaschen ein und rechnen uns gegenüber dann aber auf Papier ab. Wir brauchen daher digitale und manipulationssichere Abrechnungssysteme in der Pflege“, fordert Schirmer.
AOK Bayern – die Gesundheitskasse / RNRed