Sit Down for the Future!? – Impressionen von der Großdemo
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Wochenlang wurde sie diskutiert, wochenlang sorgte sie für Kontroversen, wochenlang war sie in den Schlagzeilen und nun ist sie vorbei – die Großdemonstration der Bewegung Fridays for Future in Regensburg. Bei der Kundgebung am Dom wurde dabei vor allem eines deutlich: Das „Stand Up for the Future“ ist einem „Sit Down“ gewichen.
Es ist kurz nach 17 Uhr am Freitag, als der Demonstrationszug den Neupfarrplatz in Regensburg erreicht und kurz vor seinem Zielort steht: dem Domplatz. Angeheizt von Parolen ziehen marschierende Menschen aller Altersgruppen mal mit, mal ohne Plakat durch die Gassen der Regensburger Altstadt. Am Ende des Zuges, auf Höhe Pustetpassage, bietet sich dem Zuschauer folgendes Bild: Der Beifahrer eines schwarzen Pkws fuchtelt wild mit seinem rechten Arm aus dem Autofenster, als wolle er die Schlusslichter der Demo-Teilnehmer antreiben. Sie solle endlich aus dem Weg gehen, brüllt er eine Demonstrantin an und droht: „Sonst steige ich gleich aus!“ Ein Mann versucht den aufgebrachten Beifahrer zu besänftigen, zieht dann aber doch friedlich von dannen. Es war einfach nicht jedermanns Geschmack – diese Großdemo. Dem schwarzen Pkw folgt ein Polizeibus, dahinter weitere Pkws, die sich nach Stunden der Sperrung wieder ihren Weg durch die Regensburger Altstadt bahnen. Auf Höhe Pustetpassage geht alles langsam wieder seinen gewohnten Gang.
Noch Stunden vorher sah dies anders aus, denn Ungewissheit machte sich breit. Schließlich verhandelten Stadt und Demonstranten bis kurz vor Beginn der Demo über ihre jeweiligen Interessen. Bis kurz vor Beginn blieb es spannend, welche Route der Demonstrationszug letztendlich nehmen würde, welche Straßen für den Verkehr gesperrt würden, welche Ab- und vor allem Zufahrten trotz einer geplanten kompletten Lahmlegung des Verkehrs in der Altstadt durch die Klima-Bewegung gewährt werden würden. Das Ganze endete mit einem Rechtsstreit, mit dem sich nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof befassen muss, auch wenn die Demo mittlerweile Schnee von gestern ist.
Parolen mit Techno-Beat
Szenenwechsel: Freitag, kurz vor 18 Uhr, Kundgebung am Domplatz. Ein junger Mann tritt auf der Rednerbühne vor der ehemaligen Dompost ans Mikro. 2.500 Menschen hätten an der Demo teilgenommen, die Bewegung hätte es geschafft, die komplette Altstadt mit einer Menschenkette einzukesseln, dann fordert er Jung und Alt auf dem Domplatz auf, sich in die Arme zu nehmen. Kurz darauf wirft er noch eine weitere Zahl in die Menge. 28.000 Unterschriften von Wissenschaftlern würden belegen, dass Fridays for Future Recht hat und nicht die Politik. Das darauffolgende „Los geht’s“ bekundet dann endgültig den Start der Kundgebung.
Den Anfang macht die Parole „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, die von Sprechchören wiederholt wird, ehe der Techno-Beat einsetzt und dem Ganzen, wenn auch etwas aus dem Takt, Songcharakter verleiht. Für einen kurzen Moment erinnert die Szene an ein Stadion-Konzert von Rammstein, wo Tausende Menschen egal welcher Nation wie ferngesteuert einfache deutsche Songverse wiederholen: „Du, du hast mich, du hast mich gefragt und ich hab nichts gesagt.“ Die Szene erinnert für einen kurzen Moment an Rammstein, nur eben ohne Gitarrenriffs, ohne Pyrotechnik, ohne in die Luft gerissene Arme, ohne Head Banging…. eigentlich erinnert die Szene so gar nicht an Rammstein. Vor allem nicht, wenn man ein Ohr auf die PA-Anlage richtet. Die jungen Redner sind während ihrer kurzen Vorträge oft schlecht zu verstehen, es sei denn, man steht mittig und nicht zu weit von der Bühne entfernt. Das Resultat: Während die vorderen Reihen jubeln und applaudieren, herrscht bei den Menschen, die sich im hinteren Teil der Kundgebung an den Außenmauern des Doms anlehnen zum Teil gähnende Stille – und das buchstäblich.
Doch weiter im Programm mit einem weiteren Song, der das gleiche Muster besitzt wie der erste: Parole, Techno-Beat, schlechte Akustik. „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle – umz, umz, umz, umz.“ Ob es nun der Spruch ist oder der Beat, der die Demonstranten zum Hüpfen animiert, bleibt offen. Fakt ist: Die Menschen auf dem Domplatz stehen und hüpfen – zumindest für die Dauer des Songs. Danach setzt sich der Großteil der jungen Demonstranten wieder auf das warme Kopfsteinpflaster.
Aus Sit-in und Bed-in wird Sit-down
Um neben Climate auch Love, Peace und Happiness zu zelebrieren, ertönt verhältnismäßig leise John Lennons Imagine. Eine Frau, geschätzt um die 50, steht rechts neben der Bühne, bewegt ihren Körper zum Takt der Hippie-Friedenshymne der 70er und singt die Lyrics mit. Vor ihr sitzen im großen Kreis junge Menschen, die ihre Kinder sein könnten, und schweigen. Kennen sie den Song nicht? Fehlt der Techno-Beat? Oder schlicht die Animation zum Mitmachen? Eine Erinnerung an John Lennon und Yoko Ono blitzt auf – ihr berühmter Bed-in aus dem Jahr 1969. Im Bett sitzend, umringt von Fotografen und mit den Statements „Hair Peace“ und „Bed Peace“ an den Fensterscheiben kuscheln der Beatles-Sänger und seine Frau für Liebe und Frieden. In diesem Zusammenhang poppt noch ein weiteres Bild im Kopf auf: die Sit-ins der 60er, eine gewaltfreie Revolte gegen Rassendiskriminierung.
Laut Polizei nehmen 1.200 Menschen an der Kundgebung auf dem Regensburger Domplatz teil, es bleibt friedlich bis zum Ende der Demo um 20.30 Uhr. Doch trotz Friede, Liebe und nicht zuletzt einer bedeutsamen Thematik, die alle angeht, hinken wie schon bei Rammstein auch diese beiden Vergleich beim Blick auf die Kundgebung, und das vor allem aus einem Grund: Egal ob Bed-in oder Sit-in – es fehlt an Enthusiasmus. Das, was sich am Freitag auf dem Regensburger Domplatz abspielt, ist ein Sit-down. Leidenschaft gab es meistens nur auf der Bühne zu sehen. Es sei denn, die – nennen wir sie Animateure – versuchten, die zum Teil träge wirkenden jungen Menschen zum Mitmachen oder gar zum Aufstehen zu bewegen.
Mühsame Animationsversuche gegen die Bequemlichkeit
„What do we want?“ tönt es aus den Lautsprecherboxen. „Climate Justice“ – grölen die Teilnehmer als Antwort und sind für einen Moment wieder hellwach. „When do we want it?“ – „Now!“ Das Animieren zeigt Wirkung. Problematisch wird es nur, wenn es ans Aufstehen geht. Stand Up for the Future? Auf dem Domplatz eher Fehlanzeige. Die Parolen sollen mit einem Recorder aufgenommen werden. „Wäre super, wenn ihr dafür alle noch mal aufstehen könntet“, bittet ein junger Animateur geradezu die Teilnehmer. Schließlich hätten sie doch Energie, um den Slogan ins Mikro zu brüllen. Doch Energie hin oder her, nur einen Atemzug später korrigiert er seine Fünf-Minuten-Angabe auf zwei Minuten herunter und das nicht ohne Grund. Es erfolgt zwar tatsächlich eine kollektive Erhebung, doch nur wenige Momente später verfällt sie erneut dem bequemen Sitzen auf dem warmen Kopfsteinpflaster. Im Anschluss ertönen ein paar Verse aus David Bowies Heroes. Und ja, die Bewegung hat Recht, we all can be heroes – aber bitte ohne Strumpfhosen und Pantoffeln.
Denn dieses Bild kommt auf, wenn man den nächsten Animationsversuch verfolgt. Ein Musik-Act wird angekündigt. „Dafür solltet ihr vielleicht wieder aufstehen!“, ruft ein junger Mann freudig ins Mikro. Nach einer kurzen Pause ohne Regung der Sitzenden fügt er fast schon kleinlaut hinzu: „Oder sitzenbleiben – je nachdem, wie ihr wollt.“ Es scheint, als wolle er die abgekühlten Gemüter bloß nicht erhitzen. Dabei redet er mit den sitzenden Demonstranten wie ein Vater, der seine Kinder möglichst antiautoritär erziehen möchte. Mit jungen Menschen, die für Klimaschutz brennen, ernst genommen werden und etwas bewegen wollen, redet man anders.
Stand Up for the Future
Die Kundgebung am Domplatz gleicht einem Happening, bei dem jeder sein individuelles Anliegen zum Thema Klimaschutz zu Karton oder Bettwäsche bringen darf: der Antikapitalistische Block, der Saatguttag, Omas for Future und selbst Freunde der Bienen rufen noch immer zu deren Rettung auf. Ein Eindruck will sich aber dennoch nicht verflüchtigen: Es fehlt an Enthusiasmus. Fahnen, Plakate, Parolen, ein aktuelles und brennendes Thema, Musik und kurzes Gegröle hin oder her – Leidenschaft transportieren können letztendlich nur die Demonstranten.
Lediglich ein Mann sticht aus der Masse heraus. In seiner Hand über dem Kopf hält er einen Papp-Karton mit der Aufschrift: Make Climate Great Again. Er tut nicht viel mehr, als den Karton stehend über seinen Kopf zu halten und sich ab und an durch die Reihen zu bewegen – und dennoch kommt bei seinem Anblick das Gefühl hoch, als liege ihm das Klima-Thema tatsächlich am Herzen. Ein Thema, das ohne Frage von großer Relevanz ist. Für die Gegenwart und für die Zukunft. Für Jung und für Alt. Bei Ninja Warrior hätte man ihn wohl zum „Last Man Standing“ gekürt. Auf dem Regensburger Domplatz scheint man für jegliche Ehrung zu erschöpft zu sein.
Was auf dem Regensburger Domplatz passiert, hat mit einer Rammstein-Atmosphäre, einem Bed- oder Sit-in oder gar einem Stand-up nichts zu tun. Es gleicht vor allem bei den jungen Teilnehmern zum Großteil einem Sit-down – einem Ausruhen, das mit begeisterter Revolte egal in welcher Form wenig zu tun hat. Die Forderungen der Bewegung sind lang und bedeutend: Kohleausstieg bis 2030, 100 Prozent erneuerbare Energien oder ein Nettonull in der Treibhausbilanz sind nur ein paar wenige davon. Es sind Forderungen, für die es sich aufzustehen und kämpfen lohnt. Deswegen, Fridays for Future Regensburg: Stand Up for the Future – und das nicht nur im Winter, wenn das Kopfsteinpflaster zum Sitzen zu kalt ist.