Immer mehr junge Menschen beziehen ihre Informationen zur aktuellen Politik aus dem Internet – aber wieso wird den Stimmen aus dem Internet so viel Know-how angerechnet? Professor Alexander Straßner vom Institut für Politikwissenschaft an der Uni Regensburg hat sich mit Meinungsbildung beschäftigt und erklärt, wie sich die deutsche Medienlandschaft und die politische Kultur im Zuge der Informationsbeschaffung per Social Media verändert.
Zunächst muss man wissen, was „Polit-Influencer“ bedeutet. Die Bundeszentrale für politische Bildung leitet den Begriff vom Englischen „to influence“ ab, zu Deutsch also „zu beeinflussen“. Dabei ist der Inhalt zunächst irrelevant, allein die Größe der Followerschaft zählt. Man kann schon mit verhältnismäßig kleinen Followerzahlen zu den sogenannten Mikro-Influencern zählen (gemeint sind hier Zahlen im kleineren fünfstelligen Bereich). Polit-Influencer ist demnach, wer einer relativ großen Gefolgschaft etwas über politische Inhalte vermittelt. Inwiefern diese Inhalte von der persönlichen Überzeugung der Influencer geprägt sind, spielt vorerst keine Rolle. Hier wird auch der größte Unterschied zum klassischen Journalismus klar: Ein oberstes Gebot der Neutralität gilt hier meistens nicht. Somit stellt sich also die Frage, wie diese Art der gefärbten Berichterstattung einen Einfluss auf die politische Einstellung ihrer Follower hat.
Herr Straßner, welche Entwicklungen haben Sie die letzten Jahre bei der Meinungsbildung beobachten können?
Die Meinungsbildungsforschung ist ein uraltes Feld der Politikwissenschaft, dementsprechend alt sind auch die Theorien. Früher hat man noch über „Meinungsbildner“ gesprochen, jetzt sind es „opinion leaders“ oder eben einfach Influencer, dabei waren wahrscheinlich immer dieselben Personen gemeint.
Und gerade Influencer spielen eine große Rolle, weil sich ein Rückgang des Konsums traditioneller Medien feststellen lässt: Die Gruppe der Unter-25-Jährigen bezieht ihre Infos zum Großteil aus dem Netz, während klassischer Journalismus immer weniger konsumiert wird. Dazu zählen auch die Tagesschau oder die bekannten Tageszeitungen. Weil der Beruf des Influencers noch so jung ist, hat sich allerdings noch kein Berufsethos oder Kodex herauskristallisiert. Influencer haben also andere Ansprüche an ihre Art der Berichterstattung und sind gerade im Vergleich zum neutralen Politjournalismus vielleicht ZU präsent.
Welche Unterschiede lassen sich zwischen den sogenannten Polit-fluencern und dem klassischen Journalismus erkennen? Liegt der Unterschied allein in der Darstellungsform?
Der größte Unterschied ist der Standpunkt, aus dem die beiden Personengruppen heraus berichten: Politische Journalisten haben den Anspruch, immer aus einer kompletten Neutralität heraus zu berichten. Natürlich könnte man das Influencertum durch eine Gleichstellung von „Normalbürgern“ zu Journalisten als legitimiert ansehen. Wenn Bürgerinnen und Bürgern auch eine Plattform geboten ist, auf denen sie ihre Ansichten kundgeben können, ist das zunächst nichts Negatives. Problematisch wird es dann, wenn sich eine klare und einseitige parteiliche Färbung erkennen lässt, der Influencer aber dennoch eine politische Neutralität für sich beansprucht. Hier ist der Unterschied zum Journalismus sehr eindeutig.
Ein weiterer Punkt ist natürlich die Form, in der Influencer ihre Inhalte darbieten. Videoformate oder andere Posts biedern sich dem „Infotainment“-Format sehr an, da braucht man auch die kurzen, humorvollen Einspieler und Clips. Das Problem daran kennt man auch schon beispielsweise von Referaten: Je mehr man sich mit der grafischen Darstellung beschäftigt, desto eher leidet aber die Qualität des Inhalts. Natürlich gibt es auch Influencer, die großen Wert auf die Inhalte, deren Richtigkeit und die vorangegangene Recherche legen. Allerdings bedingt die Natur des Jobs oft eher das Gegenteil – Influencer vermarkten zu einem gewissen Grad auch immer sich selbst wie ein Produkt.
Welchen Einfluss könnten diese Entwicklungen in der politischen Berichterstattung auf die Diskussionskultur in Deutschland haben?
Hier haben wir es eigentlich mit typisch deutscher politischer Kultur zu tun: Die Influencer bieten nicht nur Informationen, sondern erklären auch gleich, wie man diese interpretieren sollte. Gefährlich wird das allerdings dann, wenn nur noch eine einzige Meinung als legitim dargestellt wird. Das A und O der politischen Berichterstattung ist der Quellenpluralismus und zwar so ausgelegt, dass es wehtut. Bei Polit-Influencern lässt sich oft eine liberale oder linke Färbung in der Darstellung erkennen, konservative Standpunkte sind eher selten. Und eine derartige parteipolitische Einseitigkeit ist in keiner Weise förderlich für eine funktionierende Zivilgesellschaft: Die Fähigkeit zum Aushalten anderer Meinungen ist zum Teil so schlecht ausgeprägt, dass das ein schlechtes Licht auf unseren Toleranzbegriff wirft. Das macht sich an der Wortwahl bereits bemerkbar – niemand würde von einer „Zerstörung“ der Grünen reden, aber bei einer konservativen Partei ist das offenbar in Ordnung. Dabei sollte eigentlich gelten: Alles, was keine Grundlage für unser demokratisches Zusammenleben bildet, darf und muss kontrovers diskutiert werden.
Gibt es Möglichkeiten, wie man als Zuschauer solcher Kanäle gegen diese Negativeffekte ankämpfen kann? Oder gibt es gar positive Auswirkungen durch das Aufweichen der eingefahrenen Informationsstrukturen?
Als Zuschauer sollte man sich bewusst sein, was einem in solchen Formaten dargeboten wird. Dazu gehört auch, dass man auf eigene Faust Fakten checkt und auf den Quellenpluralismus in den Posts achtet. Aber auch auf dem eigenen Feed kann man Quellenpluralismus fördern, indem man die Meinungen verschiedener Seiten betrachtet.
Eine weitere wichtige Ergänzung für die breite Gesellschaft wäre, dass Medienkompetenz gezielt gefördert wird. Das könnte man auch, wie es zum Teil schon geschieht, als Schulfach einführen. Man muss sich bewusst sein, dass nicht jede Quelle unfehlbar ist und das bezieht insbesondere Internetquellen mit ein.
Natürlich sind an den Entwicklungen in der Meinungsbildung nicht alle Aspekte negativ: Influencer sind ein wichtiges Korrektiv aus der Bevölkerung für den Politjournalismus. Durch sie werden etablierte Strukturen aufgerissen und der klassische Journalismus muss darauf reagieren. Diese Herausforderung vom Bekannten beeinflusst die ganze Medienlandschaft, das hat einen großen „Pull-Effekt“. Und gerade wenn derartige Formate junge Menschen gezielt ansprechen, fördert das das Engagement nochmal sehr.
Professor Dr. Alexander StraßnerProfessor Dr. Alexander Straßner wurde 1974 im Bayerischen Wald geboren und beendete im Jahr 2000 sein Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Germanistik an der Universität Passau. Seit seiner Promotion zum Thema „Die dritte Generation der RAF“ forschte er weiterhin zu Terrorismus und politischer Verbandsarbeit. In seiner Arbeit als außerplanmäßiger Professor an der Universität Regensburg beschäftigt er sich neben seinen persönlichen Forschungsfeldern auch mit politischer Kultur und Willensbildung. |