Erst Anfang Dezember fand der Tag der Freiwilligen statt: ein Tag zur Ehrung, der Arbeit, die helfende Hände das Jahr über leisten. Maria Simon, die Leiterin der FreiwilligenAgentur Regensburg, hat sich mit dem filter über das vermeintlich tote Ehrenamt und die Arbeit der Freiwilligen unterhalten.
Schon der französische Philosoph Voltaire soll einst gesagt haben: „Wertschätzung ist eine wunderbare Sache. Es macht das, was in anderen ausgezeichnet ist, auch zu uns.“ Selten eine Sache soll Wertschätzung so sehr verdient haben wie die Freiwilligenarbeit. In einer Zeit, in der Wohltaten und Arbeit für die Gemeinschaft mehr hervorgehoben werden als im restlichen Jahr, sollte auch ein Blick auf diejenigen geworfen werden, die den Laden die restlichen elf Monate über am Laufen halten. In Regensburg ist Freiwilligenarbeit omnipräsent und Maria Simon, die Leiterin der FreiwilligenAgentur Regensburg, hat wohl den besten Überblick dafür, was Freiwillige in der Stadt das gesamte Jahr über leisten. Die FreiwilligenAgentur in Regensburg vermittelt nicht nur Interessierte an passende Freiwilligenprojekte, sondern unterstützt auch einige Projekte selbst durch ihre Zuarbeit.
Viele Ausdrücke für gute Taten
Ehrenamt, FSJ oder Freiwilligenarbeit – der Wille, unentgeltlich Arbeit leisten zu wollen, ist in Deutschland auf verschiedenste Weisen organisiert und institutionalisiert. Während das Ehrenamt meistens tatsächlich in Verbindung mit einem öffentlichen oder repräsentativen Amt erwähnt wird, handelt es sich beim „FSJ“ um das Freiwillige Soziale Jahr, das Jugendliche meistens nach ihrem Schulabschluss absolvieren. Gerade für Ehrenämter sei es oftmals schwieriger, willige Menschen zu gewinnen, erklärt Maria Simon, die Leiterin der FreiwilligenAgentur Regensburg, einen möglichen Erklärungsansatz für Stagnation im Vereinsleben. Die umfangreichen Aufgaben und das benötigte Wissen könnten mögliche Interessenten abschrecken, spekuliert Simon. Eine Veränderung der Zuständigkeiten und eine gemeinschaftlichere Aufgabenaufteilung könnten an dieser Stelle helfen.
Spricht man von der vielen Arbeit, die auf freiwilliger Basis geleistet wird – unabhängig davon, ob es sich um projektbezogene oder langfristige Mitarbeit handelt –, ist Freiwilligenarbeit wohl der passendste Ausdruck und kann als Dachbegriff für Unterformen genutzt werden. Allein mit der Definierungsfrage wird klar, dass Freiwilligenarbeit in Deutschland fast schon Tradition ist und zum Alltag vieler Tausend Menschen gehört. Aber wie steht es tatsächlich um das Engagement, das die Deutschen in ihrer Freizeit leisten?
Freiwilligenarbeit in Deutschland – was sagen die Zahlen?
Freiwilligenarbeit statistisch zu erfassen, stellt sich als schwieriger heraus als gedacht: Zwar wurde in Deutschland durch die Formalisierung des Vereinslebens eine Struktur erbaut, die einen ungefähren Überblick schaffen kann, jedoch geschieht viel der Freiwilligenarbeit im Verdeckten. Nicht jede Nachbarschaftshilfe, Lesepatenschaft oder Bastelgruppe ist als gemeinnütziger Verein eingetragen – ergo fehlen an dieser Stelle offizielle Mitgliedszahlen. Stattdessen befragt das Statistische Bundesamt eine Gruppe an Bürger:innen dazu, wie sie ihre Zeit verwenden und schafft somit einen kleinen statistischen Einblick in das Engagement der Deutschen. Laut der letzten Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamts von 2012/13 haben Menschen über dem Alter von 65 Jahren die meiste Zeit in die Freiwilligenarbeit gesteckt: Mit durchschnittlich 31 Minuten pro Tag kommen sie auf einen Wochenwert von mehr als dreieinhalb Stunden. Dahingegen haben Bürger:innen im Alter von 10 bis 29 Jahren durchschnittlich rund 13 Minuten am Tag in ihr Engagement investiert, was pro Woche etwa anderthalb Stunden bedeutet.
Regensburg – eine Stadt der helfenden Hände
In Regensburg sind die Zahlen allgemeiner gehalten: Laut dem Jahresbericht 2021 der FreiwilligenAgentur Regensburg sind keine großartigen Überraschungen zu beobachten. Die größten Anteile der Freiwilligen liegen bei den Senior:innen und den Studierenden in Regensburg – ein Trend, der auch durch die deutschlandweiten Statistiken gespiegelt wird, da Senior:innen mehr Zeit für die Freiwilligenarbeit aufwenden. In Regensburg wurden im vergangenen Jahr 90 Beratungen für Freiwillige durchgeführt, davon waren rund 27 Prozent der Betreuten zwischen 20 und 29 Jahren alt. Dahingegen waren rund 38 Prozent der Betreuten über 50 Jahre alt. Die Verteilung ließe sich so erklären, dass Berufstätige mittleren Alters oft eine Familie und weniger Zeit für Engagement hätten, so Maria Simon. Studierende und Senior:innen seien daher eher die gängigen Interessenten.
Regensburg: Eine Stadt der Freiwilligen
Generell zeichne sich Regensburg durch seine vielzahl sozialer Initiativen aus: „Ich finde definitiv, dass Regensburg eine sehr soziale Stadt ist. Wir haben Vereine, die heuer 50-Jähriges feiern! Das sind Initiativen, die schon sehr lange überleben – beispielsweise der Donaustrudel. Auch das Autonome Frauenhaus ist aus einer ehrenamtlichen Initiative entstanden“, schildert Simon ihren Blick auf die Stadt. Die Tatsache, dass Vereine in den Siebzigern gegründet wurden und bis heute überleben, spricht auf jeden Fall dafür, dass Regensburger:innen sich gerne engagieren.
Die Welt hat sich geändert – das Ehrenamt auch
Die Arbeit, die Freiwillige in Regensburg und Deutschland leisten, hat sich in den vergangenen Jahren dank verschiedenster Entwicklungen verändert: Migrationszahlen, die durch Kriege und Klimakatastrophen nach oben getrieben werden oder die Auswirkungen von Naturgewalten wie die Flut im Ahrtal haben dafür gesorgt, dass sich in Deutschland unterschiedlichste Möglichkeiten aufgetan haben, seine Hilfe anzubieten. Auch in Regensburg haben sich als Reaktion auf die Events vergangener Jahre Initiativen gegründet, die bis heute bestehen und ihre Strukturen professionalisiert haben, weiß Maria Simon. Die Leiterin der FreiwilligenAgentur Regensburg hat wohl den besten Überblick darüber, wie viel Arbeit in der Stadt durch Freiwillige getan wird und ob sich das Engagement in der Stadt verändert hat.
Langfristige Lösungen für Probleme
Thesen, die heraufbeschwören, dass das Engagement in Deutschland abnehmen würde, kann sie nicht teilen: „Vielleicht ändern sich einfach die Formen des Engagements. Auf Regensburg bezogen wird deutlich, dass Menschen sich engagieren wollen.“ Als Beispiel nennt Simon den Verein „CampusAsyl“: Eine Initiative, die sich 2015 im Kontext der steigenden Zahlen an Geflüchteten in Regensburg gegründet hat und bis heute wichtige Arbeit im Form von Arbeitsgruppen, beispielsweise als Hausaufgabenbetreuung, Radwerkstatt oder Kochgruppe, leistet. Von Eintagsfliegen der Freiwilligenarbeit kann man hier also nicht sprechen. Vielmehr würde man hier versuchen, auf langfristige Sicht Lösungen für Probleme zu finden und umzusetzen, argumentiert Simon.
Integration nach Innen und Außen
Was man außerdem nicht unterschätzen dürfe, dass viele Freiwilligenprojekte nicht nur zur direkten Besserung, sondern auch zur langfristigen Integration beitragen würden – insbesondere im Sport würden Kinder und Jugendliche von dem Effekt profitieren, betont Maria Simon. Aber nicht nur als Teilnehmende der Projekte, sondern auch als Durchführende würden Menschen mit Migrationsgeschichte die Freiwilligenarbeit prägen. „Viele sagen, ich wurde als Kind oder Jugendliche:r von diesen Projekten unterstützt und möchte jetzt was zurückgeben“, erzählt die Leiterin der FreiwilligenAgentur von ihren Erfahrungen. Der Wille wäre da, sich dann mit seiner Arbeit im Stadtgeschehen einzubringen, erklärt Simon und weist darauf hin, dass im Jahr 2021 20 Prozent ihrer Freiwilligen in den Beratungen einen nicht-deutschen Pass hätten, was über dem Anteil der ausländischen Bevölkerung in Regensburg liegt.
In der Krise mehr Helfer:innen als Hilfesuchende
Ebenso wie die Freiwilligen selbst sind auch die Projekte, die in Regensburg auf die Beine gestellt werden, divers. Insbesondere zu Beginn des ersten Lockdowns vor zwei Jahren haben sich neue Formen der Freiwilligenarbeit in Regensburg etabliert: „Damals – 2020 während dem Anfang der Corona-Pandemie – hat die Stadt Regensburg die Corona-Nachbarschaftshilfe aufgebaut. Da wurde ja klar, dass Risikogruppen oder ältere Leute nicht zum Einkaufen sollten… Es war unglaublich schnell eine riesige Hilfsbereitschaft da und es haben sich letztendlich weniger Hilfesuchende als Helfende gemeldet“, blickt Maria Simon auf die jüngste Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Freiwilligenarbeit zurück.
Vielleicht lässt sich hier ein Trend erkennen, dass Freiwilligenarbeit vielmehr zur Bekämpfung akuter Notstände genutzt wird und weniger in streng organisierten und institutionalisierten Formen stattfindet? „Dasselbe ist auch dieses Jahr im Zuge des Kriegs in der Ukraine passiert. Bei Sea-Eye haben sich einfach so Menschen gemeldet, die Wohnraum zur Verfügung stellen wollten und das spricht – finde ich – dafür, dass Menschen sich in Notlagen füreinander einsetzen“, so die Meinung der Agenturleiterin.
Für Jung und Alt
Die FreiwilligenAgentur Regensburg fördert selbst einige Projekte, die oftmals aber weniger auf Ereignisse der jüngsten Geschichte reagieren, sondern bereits mehrere Jahre laufen. Darunter sind auch Projekte, von denen mehrere Generationengruppen etwas haben: So zum Beispiel bei den Lesepat:innen, die gemeinsam mit einem Kind aus einer der vielzähligen Partnerschulen ein Buch lesen und so das Verständnis der Kinder fördern. Gleichzeitig profitieren davon die Pat:innen, welche ansonsten vielleicht keinen Kontakt mehr zur jüngeren Generation hätten. So können Pat:innen und Patenkinder miteinander Zeit verbringen und vielleicht sogar noch etwas voneinander lernen. Gerade hier würden sich viele Senior:innen melden, die noch Zeit und Energie für dieses Projekt aufbringen können, erzählt Maria Simon.
„Wir konnten sogar noch einige Partnerschulen dazugewinnen, weil wir so viele Freiwillige hatten, die mit den Kindern lesen wollen“, schildert Simon den Erfolg des Projekts. „Die Leute kommen immer mit leuchtenden Augen, weil sie sehen, dass ihr Engagement Früchte trägt“, erzählt die Leiterin weiter vom Austausch mit den Pat:innen und unterstreicht damit, dass hier beide Seiten etwas von der Patenschaft haben.
Gemeinsam Lösungen finden
Zwischen den Projekten, die durch die FreiwilligenAgentur aufgenommen werden, existieren aber auch diverse Unterschiede – beispielsweise in der Langlebigkeit. Dass Freiwilligenprojekte durchaus über Jahre hinweg bestehen können, zeigen einige der Beispiele die Maria Simon bisher genannt hat. CampusAsyl, die Lesepatenschaften oder auch Sea-Eye leisten seit geraumer Zeit wichtige Arbeit. Andere Projekte hingegen, wie die Corona-Nachbarschaftshilfen, sind hingegen an ein Geschehen gebunden, das ihre Notwendigkeit herstellt – hier werden akut Lösungen für dringende Probleme gesucht. Das bedeutet aber nicht, dass eine Form der Freiwilligenarbeit „mehr wert“ wäre als eine andere – denn sie haben alle Anerkennung verdient.
Das unsichtbare Ehrenamt?
Deutschland lebt von seiner Freiwilligenarbeit. Ob bei der Freiwilligen Feuerwehr oder in der Nachbarschaftshilfe, überall tragen Menschen ihren Teil dazu bei, dass die Gesellschaft aufrechterhalten wird – und machen das meistens im Verborgenen ohne öffentliche Wertschätzung. Ob die Arbeit zu unsichtbar ist? „Ich glaube schon, dass einigen Menschen nicht bewusst ist, dass eben Dienste wie die Freiwillige Feuerwehr oder auch die Sanitäter von Freiwilligen getragen werden…“, überlegt Maria Simon. Außerdem käme es ab und zu auch vor, dass insbesondere Sanitäter:innen bei ihren Einsätzen angegriffen werden – Wertschätzung sieht anders aus. „Das ist keine gute Entwicklung und kann damit zusammenhängen, dass den Bürger:innen nicht bewusst ist, dass das ein Ehrenamt ist“, stellt Simon eine mögliche These auf.
Freiwilligenarbeit – ein Pfeiler der Gesellschaft
Dabei hat Freiwilligenarbeit mehr als nur eine soziale und integrative Komponente: Sie ist gesellschaftsstützend. In absoluten Ausnahmesituationen kann man davon ausgehen, dass Freiwilligenarbeit zur Besserung der Lage beitragen möchte – beispielsweise während und nach der Flut im Ahrtal 2021, als unter anderem das Technische Hilfswerk den Betroffenen aus ihrer Notlage half.
Dennoch greift Freiwilligenarbeit nicht nur in den ärgsten Krisen ein: Auch in simplen Problemlagen kann sie schon helfen. Ob es die Seniorin ist, die sich mehr soziale Kontakte wünscht oder der unbegleitete Jugendliche, der eine Fußballmannschaft sucht – Freiwilligenarbeit kann diesen Menschen Motivation und eine verbesserte Struktur im Alltag bieten. Denn manchmal können schon die kleinen Gesten große Wirkung haben, wie Regensburgs Freiwillige in ihrer Alltagsarbeit beweisen.
Nicole Michalak, filter-Magazin/RNRed