Sexarbeit, das vermeintlich älteste Gewerbe der Menschheit und dennoch mehr als nur verpönt. Entwicklungen rund um das Rotlichtmilieu werden gerne ausgeblendet, wenn man über die Oberpfalz spricht – dabei herrscht auch hier reges Treiben. Der filter hat sich die Lage genauer angeschaut.
Bayern sieht Rot…licht. Zumindest dürfen Städte, die die Einwohnerzahl von 30.000 überschritten haben Bezirke ausweisen, in denen Sexarbeit explizit erlaubt oder verboten ist – davor ist jegliche Form der Sexarbeit verboten. Schwandorf hat diese Marke Ende 2022 überschritten. Grund genug, einen genaueren Blick auf die Regelungen rund um Prostitution zu werden, denn offensichtlich existiert Sexarbeit auch außerhalb des gesetzlichen Rahmens. Straßenstrich, Gewalt und Online-Foren: Wie steht es um die Sexarbeit in der Oberpfalz und ihrer Hauptstadt Regensburg?
Vorab: In diesem Artikel werden Sexarbeit sowie sexualisierte Gewalt thematisiert. Sexarbeit wird entweder als solche oder als Sex Work bezeichnet – die Diskussion über die Benennung ist jedoch rege aktiv und die Begrifflichkeiten sind strittig. Auch von Freiern soll primär im Maskulinum geredet werden, da laut Studien einer Forschungsgruppe des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf und der TU Ilmenau jeder vierte Mann nach eigenen Angaben in der Vergangenheit für sexuelle Leistungen bezahlt hat. Dasselbe gilt im übertragenen Sinne auch für Sexarbeiterinnen, die zumindest laut den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2008/9 der europäischen Organisation TAMPEP, die sich mit der Lage von Sexarbeiterinnen in der EU beschäftigt, zu 90 Prozent weiblich sind. |
Vom Straßenrand ins Incognitofenster
Sexarbeit: Ein heikles Thema, das gesellschaftlich immer öfter ins Rampenlicht tritt und hitzig auf allen Ebenen thematisiert wird – von der Bundestagsdebatte bis zum Kommentar-Krieg im Netz. Die Digitalisierung hat nicht nur den Diskurs beeinflusst und ins Web verschoben, auch der Markt wirbt online. Plattformen wie OnlyFans ermöglichen den Verkauf sexuell expliziter Inhalte aus dem eigenen Schlafzimmer und Sexarbeiterinnen können ihre Dienste digital anpreisen: Hierfür wurden eigene Portale mit befremdlichen Namen eingerichtet. Aber auch Freier haben längst das Hörensagen zu „lohnenswerten“ Anlaufstellen in das World Wide Web verlagert und sammeln auf Freierforen Annoncen, Erfahrungsberichte und Strategien im Umgang mit Sexarbeiterinnen. Der Körper einer Person als Ware, feilgeboten in rotbeleuchteten Fenstern oder blinkenden Chatfenstern – und das auch in der Oberpfalz.
Kein Sperrbezirk, kein Skandal?
Aktuell gilt in Regensburg eine „Verordnung über das Verbot der Prostitution in der Stadt Regensburg“ aus dem Jahr 2022, welche zehn Jahre gültig ist und gegebenenfalls ein Update erhält. Die hält fest, welche Orte als Sperrbezirke gelten. Aus dem Dult-Hit der Spider Murphy Gang bestens bekannt, versteckt sich hinter einem Sperrbezirk ein Gebiet, in dem Sexarbeit per gesetzlicher Definition immer oder zu bestimmten Zeiten verboten ist. Quasi ganz Regensburg gilt als solcher Bezirk – bis auf ein paar wenige Straßen. Als Paradebeispiel könnte man die Strecke vom Osthafenbecken bis zur Linzer Straße im Osten der Stadt nennen. Hier findet man die „Stundenzimmer“ in benachbarten Häusern, aus denen sich Freier in den Fenstern gegenseitig zuwinken können. Die Stadt Schwandorf steht also nun vor der Entscheidung: Folgt man Regensburgs Beispiel oder macht man es den Nachbarn aus Weiden gleich und erklärt die gesamte Stadt zum Sperrgebiet?
Auch Rotlicht wirft Schatten
Zyniker würden dieser Frage entgegnen, dass es ohnehin keinen Unterschied machen würde – denn die Sexarbeit sei längst in Schwandorf. Damit hätten sie auch Recht, wie eine kurze Anfrage bei jeder beliebigen Suchmaschine aufzeigt. Ohne Umwege gelangt man zu einer Auflistung der vielfältigsten Foren, die einem alle nötigen Adressen und Kontakte bieten, um auch im Sperrbezirk die gewünschten Dienste zu erhalten. Illegale Sexarbeit, die den Freiern dank Suchmaschinenalgorithmen nach Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sortiert präsentiert wird. Das Durchführen von Sex Work im Sperrbezirk kann dabei rechtlich erhebliche Konsequenzen haben – zum einen für den Freier und zum anderen in einem bedeutenderen Maße für die Sexarbeiterin.
The Scarlet Letter: Der „Prostituiertenausweis“
Das „Prostituiertenschutzgesetz“ (ProstSchG) von 2016 definiert jede Art von sexuellen Handlungen an oder vor mindestens einer Person gegen Bezahlung als Sexarbeit und somit als meldepflichtig. Damit betrachtet man aber nur Sexarbeit im engsten Sinne, da beispielsweise digitale Dienste komplett außer Acht gelassen werden.
Nimmt man die Hauptstadt der Oberpfalz als Beispiel, erklärt einem die Website der Stadt Regensburg die nötigen Schritte: Bevor volljährige Bürger sich beim Amt für öffentliche Ordnung melden, muss man beim Gesundheitsamt an einer Unterweisung teilnehmen. Am Ende erhält man den sogenannten „Prostituiertenausweis“. Zum Schutz der Frauen wird die Option angeboten, einen Alias auf den Ausweis zu schreiben, um die Verfolgung durch Freier außerhalb der „Arbeitszeiten“ zu erschweren, denn Stalker und Ähnliches können schnell zur Tagesordnung gehören.
Mehr als „nur“ Machtspiele
Sobald Sexarbeit innerhalb eines Sperrbezirks stattfindet, ist sie trotz Meldung illegal, was dem Freier oftmals einen Vorteil in der Machtdynamik gibt. Nicht nur hat er Ansprüche als Kunde , er könnte auch Abmachungen mit der Sexarbeiterin brechen und ohne Konsequenzen davonkommen – denn sie könnte ihn nicht anzeigen, ohne sich selbst zu belasten und somit möglicherweise ihr Einkommen zu gefährden. Insbesondere Frauen, die unter äußeren Zwängen wie Armut oder Gewaltandrohung in das Rotlichtmilieu geraten sind, sind somit mehrfachen Gefahren ausgesetzt. Stöbert man durch die bereits erwähnten Foren, wird klar: Das ist einigen Freiern mehr als bewusst und auch in der Oberpfalz ist das der Fall.
Gesucht: „Katholiken“ in Regensburg
Für den Report haben wir uns ein bestimmtes Forum genauer angeschaut, denn hier existiert eine eigene Ecke für Gesuche, Angebote und Erfahrungsberichte aus Regensburg. Die Freier auf dem ausgewählten Forum suchen nach Sexarbeiterinnen, die einen bestimmten Dienst anbieten: In ihrer „Forumssprache“ nennen sie ihn „katholisch“ oder „AO“ („Alles ohne“) – dahinter steckt illegaler Sex ohne Kondom gegen einen Aufpreis, gern auch Taschengeld genannt. Diese Katholiken haben wenig mit dem Regensburger Dom zu tun, der Name stammt von der religiösen Haltung ab, dass nur Sex ohne Verhütung kein Sündenfall sei.
Das Angebot in Regensburg ist ohne Zweifel vorhanden und dieser Fakt auch bekannt. Freier nennen immer wieder Frauen, die öfters in Regensburg gastieren und bewerten diese. Performance, Optik, Service, Preispunkt, „Wiederholungsgefahr“ – mal nüchtern und sachlich, als würde man eine Amazon-Bewertung lesen, und mal herablassend. Frauen werden hier wie Ware behandelt und als „Fehlkauf“ betitelt. Auch detaillierte Beschreibungen von Straftaten finden sich hier schnell.
„Dann sag' ich halt ‚Sorry!‘“
In einem der Regensburger Forumsbeiträge beschreibt ein User, wie er sich die ersehnte „AO“-Leistung erschleicht und ohne Kondom ejakuliert – ohne das Einverständnis der Frau. Gesetzlich greift hier §177, dabei handelt es sich um Vergewaltigung. Der Nutzer schreibt, er würde sich dann hinterher einfach entschuldigen. Auch das Entfernen von Kondomen während des Sexes ist gesetzeswidrig, hierbei spricht man von „Stealthing“. Solche Techniken werden online immer wieder diskutiert und auch laut den Forumsusern genutzt.
Das ist ein extremes Beispiel, aber kein seltenes. In den Forumsbeiträgen tauchen bestimmte Namen, Orte und Details immer wieder auf: Unzählige Berichte zu einer Sexarbeiterin, die laut den Freiern ein offensichtliches Abhängigkeitsproblem und Anzeichen mentaler Krankheit habe, auf die nur mit einem „Kann dir doch egal sein.“ geantwortet wird. Die folgende Galerie zeigt eine Reihe an gesammelten Kommentaren, die in ihrem Inhalt sexualisierte Gewalt, Diskriminierung oder allgemeine Abschätzigkeit beeinhalten.
Ob Stadt, ob Land – wie soll es weitergehen?
Das komplette Ausmaß der Sexarbeit in Regensburg ist nur schwer zu erfassen. Aber ein Blick in die einschlägigen Foren zeigt, dass illegale Sexarbeit kein Problem der Großstädte ist: Auch zu Schwandorf existieren Forumsbeiträge, die den der Regensburgern in Nichts nachstehen. Das wirft Fragen auf, die nach Antworten verlangen: Wie sieht die Lage in Schwandorf aus und kann das Einrichten von Sperrbezirken daran was ändern? Wie wird das Angebot von Sexarbeiterinnen im digitalen Raum überhaupt kontrolliert? Das und noch mehr soll in der nächsten filter-Ausgabe genauer unter die Lupe genommen werden.
Nicole Michalak, filter-Magazin