Eine Kampagne des Bayerischen Bauernverbands hat die Debatte um die Anbindehaltung in der landwirtschaftlichen Tierhaltung neu entfacht. Die Agrarlobby ist überzeugt, ein Ende der Anbindehaltung bedeute den Ruin vor allem Kleiner Höfe. VIER PFOTEN kritisiert die Kampagne und fordert ein Verbot der tierquälerischen Anbindehaltung per Tierschutzgesetz.
Aktuell berichten Agrarmedien verstärkt über die vermeintlichen Gefahren des geplanten Anbindehaltungsverbots von Rindern für kleinbäuerliche Betriebe. Auslöser der Debatte ist die Kampagne des Bayerischen Bauernverbands „Rettet Berta vor dem Schlachthof und Kleinbauern vor dem Aus!“, in welcher im Falle eines Verbots das Ende der landwirtschaftlichen Tierhaltung vorhergesagt wird. Die teils lebenslange Anbindehaltung von Kühen wird hingegen als tier- und artgerecht dargestellt. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP zu Beginn ihrer Regierungszeit vorgenommen, die Anbindehaltung innerhalb der nächsten zehn Jahre zu beenden. Der Referentenentwurf zur Überarbeitung des Tierschutzgesetzes wurde noch nicht veröffentlicht, daher sind die genauen Pläne zum Verbot der Anbindehaltung noch unklar. VIER PFOTEN nimmt die Scheinargumente und Falschaussagen des Bayerischen Bauernverbands und von Milchviehhalter:innen gegen ein Anbindehaltungsverbot unter die Lupe.
VIER PFOTEN sieht Argumente der Agrarlobby als Augenwischerei
„Es gibt kein Recht auf Tierquälerei aufgrund von Tradition oder Unwirtschaftlichkeit eines Betriebes. Was wirtschaftlich nicht geht, kann man nicht auf Kosten der Tiere gegen jede ethische Vernunft durchsetzen. Ein Festhalten an der Anbindehaltung ist Klientelpolitik auf dem Rücken der Tiere. Dass kleine Betriebe wirtschaftlich heute so unter Druck geraten sind, ist das Resultat von verfehlter Lobbypolitik, die auch die Bauernverbände mitzuverantworten haben. Das massenhafte Sterben von kleinen bäuerlichen Betrieben ist seit Jahrzehnten ein deutschlandweites Problem, welches nichts mit dem geplanten Verbot der Anbindehaltung zu tun hat. Auch mit weiterer Tierqual durch Anbindehaltung würden solche Betriebe in Zukunft höchstens als Hobby- bzw. Nebenerwerbsbetriebe überleben können. Aus ethischer Sicht ist das völlig inakzeptabel. Wir brauchen ein komplettes Verbot der Anbindehaltung und ein Tierschutzgesetz, das Tiere wirklich schützt“, so Rüdiger Jürgensen, Mitglied der Geschäftsleitung VIER PFOTEN Deutschland.
Argumente der Agrarlobby gegen ein Anbindehaltungsverbot und die Einschätzung von VIER PFOTEN
- Agrarlobby-Argument 1: Wenn ein Hof mit Anbindehaltung aufgrund des Verbots seine Arbeit einstellen müsste, lassen sich die Kühe nicht einfach in einen anderen Bestand integrieren: Die Tiere müssten geschlachtet werden.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Da es in jedem Fall eine an die durchschnittliche Nutzungsdauer der Kühe angepasste Auslauffrist geben wird, müsste kein Tier wegen eines Verbots vorzeitig zum Schlachter gehen. Für Einzeltiere, die aus unterschiedlichen Gründen deutlich älter werden als der Durchschnitt, wären Lösungen auf Lebenshöfen denkbar. Die Neueinstallung von Jungtieren in nicht tiergerechte Systeme innerhalb der Auslauffrist muss verboten werden. Jungtiere können an andere Betriebe mit besserer Haltung verkauft werden.
- Agrarlobby-Argument 2: Kombihaltung ist nicht per se schlecht: Ein Verbot der Anbindehaltung steigert nicht unbedingt das Tierwohl, den Kühen in den Ställen geht es nicht schlecht. Jedes Tier hat dort seinen festen Platz, während es in Laufställen durchaus mal zu Rangkämpfen kommen könne.
- Einschätzung VIER PFOTEN: In der Kombihaltung kann die Kuh im schlechtesten Fall monatelang nicht ihrem Grundbedürfnis nach Bewegung, sozialer Interaktion und Körperpflegeverhalten nachkommen. Bestimmte Formen der Kombihaltung erfordern nicht mal, dass die Kuh jemals den Stall verlässt. Ihr die Bedürfnisbefriedigung durch ein tiergerechteres Haltungssystem zu ermöglichen, steigert unbestritten und sicher das Tierwohl. In Laufställen kommt es nur dann vermehrt zu Rangkämpfen, wenn zum Beispiel das Tier-Fressplatzverhältnis nicht tiergerecht gewählt wurde, insgesamt zu wenig Platz zur Verfügung steht oder sich die Herdenzusammensetzung aufgrund von Managementdefiziten ständig ändert. Es gibt durchaus Beispiele dafür, dass auch horntragende Herden ruhig zusammen in Laufställen leben können.
- Agrarlobby-Argument 3: Die Zahl der Betriebe mit Anbindehaltung hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin stark verringert. Es wird irgendwann von ganz allein keine Anbindehaltung mehr geben – deswegen ist ein Verbot im Tierschutzgesetz überflüssig.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Auch wenn die Anzahl der Tiere, die unter quälerischer Anbindehaltung leidet, auf lange Sicht geringer wird, ist jedes gequälte Tier eines zu viel. Und ohne ein konsequentes Verbot wäre dies weiterhin in Hobby- und Nebenerwerbshaltungen möglich, da diese aus Traditionsgründen auch ohne Wirtschaftlichkeit weiterbetrieben werden könnten.
- Agrarlobby-Argument 4: Planung, Genehmigung und Bau von neuen Ställen brauchen viele Jahre. Oft liegen Betriebe innerorts, haben rundherum keine Weiden und werden von älteren Bauern betrieben. Auch die Hofnachfolge ist oft nicht geklärt. Ein Umbau ist deswegen geografisch und finanziell selten möglich.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Aus Tierschutzsicht kann es kein Argument sein, dass die Hofnachfolge unklar oder schwierig ist. Wenn ein Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich rentabel arbeiten kann, dann muss der Betrieb eingestellt werden. Für Halter, die Rinderhaltung mit Weidehaltung auf Almen aus Traditionsgründen oder zur Landschaftspflege weiterbetreiben möchten, muss es finanzielle Förderungen zum zeitnahen Umbau auf Lauf- bzw. Offenstallsysteme geben, ohne dass dabei die Tierbestände pro Betrieb vergrößert werden. Neue Ställe müssen keineswegs innerhalb von Dörfern gebaut werden. Auch in anderen Regionen Deutschlands ist es üblich, neue Ställe nicht in existierenden Dorfkernen zu bauen, sondern außerhalb oder in Ortsrandlagen.
- Agrarlobby-Argument 5: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir plant, die ganzjährige Anbindehaltung in fünf Jahren zu verbieten. In fünf Jahren kann aber kein Hof umstellen.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Wenn dies politisch gewollt ist und die Fläche für einen Betrieb vorhanden ist, wäre dies durchaus möglich. Wenn die Fläche allerdings nicht da ist, dann wird diese auch in zehn Jahren nicht da sein. Dann ist dieser Betrieb schlicht nicht zur Rinderhaltung geeignet und sollte geschlossen werden.
- Agrarlobby-Argument 6: Wenn das Verbot der Anbindehaltung kommt, befördert dies das Höfesterben im ländlichen Raum. Damit richtet sich das Verbot der Anbindehaltung gegen kleine ländliche Familienbetriebe, die sich einen Laufstall nicht leisten können und befürwortet damit die industrielle Haltung.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Die Argumentation, dass es kleinen Familienbetrieben finanziell teils nicht möglich ist, einen neuen Stall zu finanzieren und diese dadurch zur Aufgabe gezwungen werden, greift nicht. Der Grund für das bisherige Höfesterben in der Milchviehhaltung war nicht der Tierschutz, sondern vielmehr die verfehlte Agrarpolitik in der Vergangenheit. Diese begünstigte den Strukturwandel seit Jahrzehnten. Um diese Fehler auszugleichen, wären Landschaftspflegeprogramme nötig, die eine tiergerechte Rinderhaltung (nicht nur Milchkuhhaltung) zur Landschaftspflege und in dem Zusammenhang auch den Bau von tiergerechten Ställen finanziell unterstützen.
- Agrarlobby-Argument 7: Kleine Betriebe sind ideal für eine Kreislaufwirtschaft und sorgen für eine Bewirtschaftung von Grünland im ländlichen Raum. Wenn diese Betriebe aus der Milcherzeugung ausscheiden, würde die Bewirtschaftung vieler dieser Grünlandflächen und Hanglagen enden.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Es ist richtig, dass kleine Betriebe gut für die Gründlandbewirtschaftung durch Weidetierhaltung geeignet sind. Weidetierhaltung ist aber per se nicht an die Milchproduktion gebunden. Landschaftspflegeaufgaben könnten auch gut durch zum Beispiel Lebenshöfe oder Pferdehaltungen übernommen werden. Deshalb muss die Politik dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen auch kleine Betriebe, egal mit welcher Weidetierart, gut wirtschaftlich arbeiten können – dann wäre auch der Neubau von Ställen oder der Ankauf von Flächen machbar.
- Agrarlobby-Argument 8: Die Ausnahmen für kleine Betriebe, die die Politik beim Verbot vorsieht, sind Augenwischerei – davon würde nur ein kleiner Teil der kleinbäuerlichen Höfe profitieren.
- Einschätzung VIER PFOTEN: Ausnahmen machen aus Tierschutzsicht keinen Sinn. Die Anbindehaltung muss für jede Betriebsgröße konsequent verboten werden. Eine Kuh leidet in einer Anbindehaltung immer gleich – völlig unabhängig davon, ob neben ihr noch eine oder 100 andere Kühe angebunden stehen.
Hintergrund zur Anbindehaltung
Im Jahr 2020 standen noch über eine Million Kühe in Anbindehaltung – und hatten keine Möglichkeit sich zu bewegen. Die mentalen und gesundheitlichen Folgen der Anbindehaltung sind für die Tiere dramatisch: Jegliche Fortbewegung und jegliches Erkundungsverhalten sind unmöglich und die Tiere können kein Sozialverhalten ausüben. Die Bewegungseinschränkungen und das Liegen in oft zu engen Ständen ohne Einstreu führen zu vermehrten Schäden an Sprung- und Kniegelenken, zum Beispiel Schleimbeutelentzündungen oder Abszesse. Auch die Kombihaltung bedeutet für die Tiere nicht automatisch eine wesentliche Verbesserung: Hierbei werden die Tiere stunden- oder tageweise nicht am Hals angebunden. Zwar sollen die Kühe an 120 bzw. 90 Tagen im Jahr Bewegungsmöglichkeiten erhalten – dennoch bedeutet das nicht zwingend Weidegang oder Auslauf ins Freie, sondern sie können auch in eine Buchte gesperrt werden, die sich innerhalb des Stalls befindet.
VIER PFOTEN - Stiftung für Tierschutz / RNRed