Der Fachkräftemangel zählt zu den drängendsten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders in Bereichen wie Pflege, Handwerk und IT fehlen qualifizierte Arbeitskräfte, was Wachstum und Innovation bremst. Wir haben die Kandidaten der einzelnen Parteien nach ihren Konzepten zur Lösung des Problems befragt.
Der Fachkräftemangel betrifft zahlreiche Branchen und wird von allen politischen Parteien als dringendes Problem erkannt. Doch welche Lösungen schlagen sie vor, um dem wachsenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften gerecht zu werden? Soll der Fokus auf Bildung und Weiterbildung gelegt werden, oder braucht es mehr gezielte Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland? Auch die Frage, wie Arbeitsbedingungen verbessert werden können, um Berufe attraktiver zu machen, steht im Raum. Lesen Sie hier die einzelnen Parteien.
Regensburger Nachrichten
Im Jahr 2023 fehlten rund 530.000 Fachkräfte. Dadurch verlor die deutsche Wirtschaft rund 50 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2027 könnten rund 730.000 qualifizierte Kräfte fehlen. Besonders der Verkauf, soziale und Gesundheitsberufe sowie das Handwerk leiden. Welche Konzepte gibt es von Ihrer Seite, um den Arbeits- und Fachkräftemangel zu bekämpfen und wie planen Sie, Zuwanderer in diese Konzepte einzubinden?
CSU, Peter Aumer
Der Arbeits- und Fachkräftemangel bremst unsere wirtschaftliche Entwicklung. Aus demografischen Gründen verschärft er sich weiter und wird zu einem echten Standortrisiko. Eigentlich könnten die Unternehmen mehr produzieren, doch dafür fehlt das Personal. Mit einer Fachkräfteoffensive bekämpfen wir das Problem und sorgen für mehr Produktivität. Für ausländische Fachkräfte wollen wir ein attraktiver Standort sein und lebenswerte Heimat werden.
- Hürden aus dem Weg räumen. Vor allem Frauen in Teilzeit sind eine Gruppe mit großem Potenzial für den Arbeitsmarkt. Es braucht bessere Rahmenbedingungen für Vollzeitarbeit oder vollzeitnahe Arbeit.
- Haushaltsnahe Dienstleistungen stärken. Wir verbessern die steuerliche Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen.
- Berufsabschluss nachholen. Menschen in Helfertätigkeiten fördern wir auf ihrem Weg zu einer qualifizierten Fachkraft und entwickeln Anreize zum Erwerb beruflicher Qualifikationen.
- Vorbeschäftigungsverbot nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze abschaffen. Damit machen wir Arbeitsverträge rechtssicher. So sorgen wir auch für mehr Flexibilität.
- Ausländische Fachkräfte gewinnen. Dabei ist eine gute Qualifikation von zentraler Bedeutung. So kann dauerhafte Beschäftigung erreicht werden. Den Fokus legen wir auf die vereinfachte und beschleunigte Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.
- Schnellere und digitale Prozesse für Erwerbszuwanderer. Dazu richten wir eine digitale Bundesagentur für Einwanderung („Work-and-Stay-Agentur“) ein. Fachkräfte erhalten so Service aus einer Hand: von der Anwerbung und Arbeitsplatzvermittlung über die Prüfung der Einreisevoraussetzungen und Visavergabe bis hin zum Aufenthaltstitel. Wir trennen die Asylverfahren von den Verfahren zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt.
SPD, Dr. Carolin Wagner
Fast drei Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren haben keinen Berufsabschluss – das entspricht etwa 19 Prozent der Altersgruppe. Dreiviertel dieser jungen Menschen haben außerdem auch keinen Schulabschluss. Diese Menschen fehlen auf dem Arbeitsmarkt! Die Zahl steigt seit vielen Jahren immer weiter an und daran verdeutlicht sich die Bildungsmisere in unserem Land. Wir müssen viel mehr in Bildung investieren, und zwar von Anfang an – von der Kita über die Schule bis zu Ausbildung und Studium. Wir brauchen mehr Lehrkräfte und kleinere Lerngruppen, damit individueller gefördert werden kann. An den Schulen brauchen wir multiprofessionelle Teams, damit Lehrkräfte pädagogisch arbeiten können und die Verwaltung oder die Schulsozialarbeit komplett von anderen übernommen wird. Das Kooperationsverbot erschwert eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern in dieser Sache, weil Bildungspolitik in der Hoheit der Länder liegt. Wir fordern aber ein Kooperationsgebot und wollen, dass der Bund stärker in Bildung investiert – ähnlich wie es mit dem Start-Chancen-Programm oder dem Digitalpakt Schule programmbezogen erfolgt.
Bündnis 90/Die Grünen, Stefan Schmidt
Ohne deutlich mehr Fachkräfte aus dem Ausland wird Deutschland nicht funktionieren können – das zeigen die Zahlen ganz klar. Wer wie CDU und CSU weiter die Arbeitskräfteeinwanderung torpetiert, ist also eine ernsthafte Gefahr für den Wohlstand in unserem Land! Wir brauchen eine echte Willkommenskultur, um den internationalen Wettbewerb, um Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht und dem Chancenaufenthaltsgesetz haben wir als Regierungspartei schon den Grundstein dafür geschaffen. Hier müssen wir weiter anknüpfen, indem wir z. B. Berufs- und Bildungsabschlüsse leichter anerkennen. Auch bei Frauen und älteren Menschen sehe ich großes Potential. Wir müssen unter anderem mehr und bessere Betreuungsplätze anbieten und Anreize für längeres Arbeiten über das Rentenalter hinaus schaffen.
FDP, Ulrich Lechte
Das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung sorgt bereits jetzt dafür, dass Fachkräfte schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Es wird z. B. die Verdienstgrenze für die Blaue Karte abgesenkt und eine Chancenkarte mit Punktesystem eingeführt.
Deutschland muss ebenso inländische Potentiale besser ausschöpfen. Mit der Exzellenzinitiative Berufliche Bildung werden wir Ausbildungsberufe attraktiver machen. Dazu gehören etwa eine bessere individuelle Chancenförderung für Talente sowie die Unterstützung innovativer Berufsbildungsangebote. Darüber hinaus wollen wir die MINT-Berufe stärken und mehr Mädchen und Frauen für dieses Berufsfeld gewinnen. Insgesamt wollen wir die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen, beispielsweise durch flächendeckende Angebote für flexible Kinderbetreuung.
Mit einem Weiterbildungsgesetz inklusive einer Ausbildungsgarantie wollen wir zudem Beschäftigte fit machen für die moderne Arbeitswelt von morgen. Auch auf die Erfahrungen und Kompetenzen Älterer über den Eintritt in den Ruhestand hinaus wollen wir nicht verzichten. Dazu brauchen wir ein flexibles Renteneintrittsalter nach schwedischem Vorbild.
Freie Wähler, Regina Seebauer-Sperl
Deutschland verliert jährlich rund 210.000 gut ausgebildete deutsche Fachkräfte ins Ausland – und zu wenige kehren zurück. Wir wollen unseren heimischen Arbeitsmarkt wieder attraktiv machen, mit besseren Rahmenbedingungen wie "mehr Netto vom Brutto", flexibleren Arbeitszeitmodellen und familienfreundlichen Angeboten wie erschwinglicher Kinderbetreuung. Digitalisierung muss stärker genutzt werden, um den Arbeitsalltag moderner und effizienter zu gestalten.
Wir fordern eine Anpassung der Arbeitszeitregelungen an die EU-Arbeitszeitrichtlinie: wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit. Arbeitsprozesse sollen flexibler und familienfreundlicher gestaltet werden, ohne den Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutz zu gefährden.
Deutschland muss sich auch wieder für hoch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland öffnen. Dafür braucht es eine echte Fachkräfteeinwanderung und eine bessere Willkommenskultur. Die unkontrollierte Flüchtlingspolitik der letzten Jahre mit hoher Zuwanderung in unsere Sozialsystem hat hier mitunter viel verbrannte Erde hinterlassen – die Offenheit der Deutschen hat seit sich 2015 deutlich eingetrübt. Daher müssen wir irreguläre Migration stoppen und klare Perspektiven für zugewanderte Fachkräfte schaffen.
Um berufliche Bildung aufzuwerten, setzen wir auf die Gleichstellung von Meister- und Masterabschlüssen. Das Handwerk braucht mehr Nachwuchs! Mit besserer Berufsorientierung und gezielter Förderung stärken wir die duale Ausbildung und bieten jungen Menschen eine attraktive Karriereperspektive.
Wir fördern lebenslanges Lernen mit einer Weiterbildungsoffensive. Arbeitnehmer aller Altersgruppen sollen Zugang zu modernen Lernmethoden wie Fernunterricht und Schulungen in Digitalisierung und neuen Technologien erhalten.
Unter den fehlenden Fachkräften sind ca. 200.000 Pflegekräfte. Neben einer langfristigen Attraktivitätssteigerung durch bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen fordern wir schnelle Lösungen:
- Delegation von Pflegeaufgaben an angelernte Kräfte
- Fortbildungen für medizinische Fachberufe (beispielsweise Fortbildung für medizinische Fachangestellte und Ergotherapeuten zu Pflegekräfte)
- Anerkennung weiterer Berufsgruppen (wie z. B. Heilerziehungspfleger) als Pflegefachkräfte
BSW, Irmgard Freihoffer
Fachkräftezuwanderung kann nicht die einzige Lösung darstellen. Denn die Migrationspolitik erfordert hohe Investitionen für die Integration in den Arbeitsmarkt – während die Schuldenbremse diese Investitionen gleichzeitig unterbindet.
- Um Fachkräftemängel zu vermeiden, ist auch die Steigerung der Arbeitsproduktivität ein elementarer Baustein;
- Zuwanderung erfolgte in den vergangenen zehn Jahren vor allem aufgrund von Kriegen in den Herkunftsländern und verlief am Arbeitsmarkt leider oft wenig erfolgreich.
Grundvoraussetzung einer erhöhten Arbeitsproduktivität sind höhere Investitionen in den Kapitalstock. Um höhere private Investitionen zu mobilisieren, wären im Sinne des Keynesianischen Multiplikatoreffekts höhere öffentliche Investitionen erforderlich. Doch auch die sind wegen der restriktiven Fiskalpolitik des Landes mitsamt Schuldenbremse gleichfalls stark zurückgegangen.
Während die Fachkräftezuwanderung, die stets auch mit negativem Brain-Drain-Effekten auf die Herkunftsgesellschaften beispielsweise in ihrer Versorgung mit Pflegekräften und ärztlichem Personal verbunden sein können, gering ist, ist der Zuzug Geflüchteter hoch.
Der Bundesarbeitsminister orientiert nunmehr unter dem Slogan „Job-Turbo“ die Arbeitsagenturen auf eine schnellere Vermittlung der Migranten in Arbeit, die erfahrungsgemäß vor allem im Bereich der Helfertätigkeiten des Niedriglohnsektors liegen dürfte.
Diese Entscheidung ist einerseits richtig, wenn sie dazu beiträgt, die Einmündung in Erwerbsarbeit zu unterstützen. Sie birgt andererseits die Gefahr, dass Bildungspotenziale von Migranten nicht gehoben werden und sie dauerhaft in prekärer Arbeit verbleiben könnten. Dies wäre weitgehend inkompatibel mit einer Innovations-, Fachkraft- und Hochlohnstrategie, die auf eine erhöhte Arbeitsproduktivität zielt.
Arbeitgeberverbände und Teile der Politik neigen dazu, einseitig auf die Lösung ihrer Fachkräfteprobleme mittels Zuwanderung zu setzen, Investitionen in die Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit verbunden in die Qualifizierung der Beschäftigten jedoch zu vernachlässigen.
Fachkräftezuwanderung ist zwar richtig. Sie kann realistischerweise aber nicht die einzige Lösung darstellen. Zum einen, weil gar nicht so viele qualifizierte Kräfte nach Deutschland kommen wollen. Zum anderen muss der Blickwinkel auch auf die soziale Infrastruktur, die Frage nach ausreichend Wohnungen, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen etc. erweitert werden.
Grundsätzlich: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, auch Menschen, die bereits im Land leben, Beschäftigungs- und Berufsperspektiven zu eröffnen. Das gilt genauso für Frauen, die aus der Teilzeitfalle herauskommen wollen, wie für Menschen aus den ärmeren EU-Ländern und Geflüchtete, die nur zu prekären Bedingungen Arbeit finden. Weder ein naives „Wir schaffen das!“ noch die Fixierung auf ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild werden den komplexen Herausforderungen der mittelbaren Zukunft gerecht. Siehe https://mediendienst-integration.de/artikel/punktesystem-kanada-einwanderungsgesetz.html.
Es sind erheblich höhere Investitionen in die frühkindliche und schulische Bildung der Kinder der Geflüchteten, aber auch der hier geborenen Bevölkerung erforderlich, um das Entwicklungspotenzial auszuschöpfen. Dass derzeit 26 Prozent der Kinder am Ende der Grundschulzeit nicht richtig lesen können, darf nicht hingenommen werden, genauso wenig wie die anderen Defizite beim Rechnen und Schreiben.
Auch könnte die Erwerbsbeteiligung von Frauen durch Verringerung ihrer Teilzeit oder Aufstockung auf Vollzeit reduziert werden. Dazu bräuchte es auch einen bessere Kinderbetreuung.
Die Weiterbildung in den Arbeitsalltag der Firmen zu integrieren ist eine weitere Stellschraube.
Die Linke, Sebastian Wanner
Fast drei Millionen junge Menschen in Deutschland haben keinen Abschluss, vor allem Hauptschüler:innen und Menschen mit Migrationshintergrund suchen noch Ausbildungsplätze. Gleichzeitig bilden Betriebe immer weniger aus und viele Azubis sind überlastet und federn den Fachkräftemangel jetzt schon ab.
Betriebe, die nicht ausbilden, sollen in einen Fonds einzahlen, der Verbundausbildungen ermöglicht. Die Linke setzt sich dafür ein, dass Ausbildungsgehälter zum Leben reichen, Tarifverträge und ordentliche Bezahlung sind für uns ein Muss. Eine Mindestausbildungsvergütung soll eine Grenze nach unten definieren und liegt bei 80 Prozent der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung in der entsprechenden Branche. Wir wollen bezahlbaren Wohnraum für Azubis schaffen und das Schulgeld bei Ausbildungen soll entfallen. Wenn junge Menschen eine Ausbildung absolvieren wollen, müssen sie unterstützt werden. Fachkräftegewinnung gelingt sicher nicht durch lange Wege zum Ausbildungsplatz, schlechte Bezahlung und Überlastung junger Menschen. Migrant:innen sind ebenso Teil unserer Gesellschaft. Auch sie unterstützen und fördern wir. Willkürliche Arbeitsverbote für Geflüchtete müssen fallen, die Menschen müssen von Anfang an bedarfsgerecht unterstützt werden. Sinnlose Arbeitspflichten und rassistische Abschiebedebatten lehnen wir dabei ab und setzen auf Qualifizierung und eine Kultur der Offenheit in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz.
AfD, Carina Schießl
Die AfD hat klare Konzepte, um diesem Problem entgegenzuwirken:
- Erstens: Keine weitere Zuwanderung unqualifizierter Personen. Zuwanderung von unqualifizierten Menschen bietet keinen Mehrwert für unseren Arbeitsmarkt. Stattdessen müssen wir uns auf gezielte Fachkräftezuwanderung konzentrieren. Gleichzeitig sorgt die Abschiebung illegaler und straffälliger Migranten für eine Entlastung, da die Zahl der Menschen, die unser Sozialsystem beanspruchen, verringert wird. So schaffen wir mehr Raum für diejenigen, die tatsächlich unseren Arbeitsmarkt bereichern können.
- Zweitens: Das Bürgergeld muss überarbeitet werden. Es darf nicht länger als Anreiz zur Arbeitsverweigerung dienen. Wir setzen auf Anreize zum Arbeiten, um den Arbeitsmarkt zu aktivieren und Menschen zu ermutigen, ihre Fähigkeiten einzubringen.
- Drittens: Ausbildung attraktiver gestalten und Lehrberufe fördern. Wir müssen die Ausbildung in sozialen Berufen, dem Gesundheitswesen und dem Handwerk fördern. Durch faire Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen wollen wir die Attraktivität dieser Berufe steigern und die Ausbildung in diesen Bereichen ausbauen.
- Viertens: Qualifizierte Zuwanderung statt Massenzuwanderung. Zuwanderung soll gezielt auf Fachkräfte ausgerichtet sein, aber nur in Bereichen, in denen wir hierzulande keine ausreichende Anzahl an Fachkräften haben. Fachkräfte, deren Berufe auch hierzulande ausreichend besetzt werden können, sollen nicht durch Zuwanderung konkurrieren.
Von Bildungsinitiative bis zur gezielten Einwanderung - welches der Konzepte hat Sie überzeugt? Bleiben Sie dran und erhalten Sie weitere Infos zu wichtigen Themen - hier auf den Regensburger Nachrichten!
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Kathrin Gnilka | filterVerlag