„Wir werden noch mehr Party- und Eventzone“: Branchen-Vertreter aus Regensburg zeigen auf, wie es dem Einzelhandel in der Innenstadt geht, mit welchen Problemen er nach der Pandemie zu kämpfen hat und was die Innenstadt in Zukunft leisten können muss.
Wer durch die Regensburger Altstadt schlendert, merkt schnell: Die Zeiten eines proklamierten Overtourism sind längst Geschichte. Aber nicht nur die Touristen bleiben aus – auch die heimische Kundschaft aus Stadt und Land zeigt aufgrund der zwei Jahre währenden Pandemie eher ein zurückhaltendes Einkaufsverhalten. Der Trend, seine Einkäufe von der Couch aus zu erledigen, hat durch Corona einen ungeahnten Schub erhalten und übt stärker denn je Druck auf die Altstadt aus. Doch wie geht es dem Einzelhandel? Mit welchen Problemen wird er nach der Pandemie zu kämpfen haben? Und was muss die Innenstadt der Zukunft leisten können?
Branchen-Vertreter aus Regensburg zeigen auf, wie es dem Einzelhandel in der Innenstadt Regensburgs geht mit welchen Problemen er nach der Pandemie zu kämpfen haben und was die Innenstadt in Zukunt leisten können muss.
Ein Interview mit den Branchen-Vertretern Michael Quast, Geschäftsführer der Stadtmarketing Regensburg GmbH, und Armin Gebhard, 1. Vorsitzender der Regensburger Kaufleute e.V..
Wie geht es der Regensburger Altstadt aus Ihrer Sicht?
Quast: Naja, auf jeden Fall nicht gut. Ohne dass ich hier belastbare Zahlen hätte, sieht man, dass die Altstadt aktuell sehr leer ist. Man muss sich eigentlich darüber wundern, wie viele Händler und Gastronomen noch da sind. Die meisten haben zwar überlebt, aber wir müssen aufpassen, dass hier keine Entwicklung in Gang gesetzt wird, die wir mutmaßlich alle nicht wollen. Hiermit meine ich zum einen eine Verödung der Altstadt und zum anderen eine Verschiebung des Angebot-Mixes hin zu mehr Gastronomie und weniger Einzelhandel, weil dies auch eine sinkende Attraktivität bedeutet.
Gebhard: Aus meiner Sicht geht es der Regensburger Altstadt nicht gut. Stoisch verfolgt die Stadtpolitik das Ziel, weitere Zufahrten zu sperren und Parkplätze zu streichen. Beschrieben wurde dies auch im SPD Wahlprogramm von 2019. Zu allem Übel ist die Altstadt auch noch Dauer-Demo-Zone geworden. Für Kaufleute und Anwohner ist die Belastung groß.
Geht es anderen Innenstädten ähnlich? Wie steht Regensburg im Vergleich zu Nürnberg, München oder Straubing da?
Quast: Wie es anderen Städten geht, kann ich leider nicht beurteilen. Wichtig ist mir jedoch, dass es Regensburg nicht gut geht.
Gebhard: Anderen Innenstädten geht es ähnlich, obwohl Nürnberg und München ein deutlich besseres ÖPNV-Angebot haben. Aber Amazon, Corona und auch die starke Inflation machen sich deutlich bemerkbar.
Sind die Innenstädte Opfer von Corona oder hat Corona nur den finalen Stoß versetzt?
Quast: Beides. Es gab einige Geschäftsinhaber, die aus Altersgründen Corona zum Anlass genommen haben, den Laden endgültig zu schließen. Dieses Schließen hätte man unter Umständen durch einen größeren zeitlichen Vorlauf besser steuern und eventuell Nachfolgemöglichkeiten finden können. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich bereits vor Corona Krisentendenzen im Textilbereich abgezeichnet haben. Aber – und das ist ein Ergebnis von Corona und den Lockdowns – die Menschen haben gelernt Online einzukaufen. Ohne Corona wäre diese Tendenz wesentlich langsamer von Statten gegangen oder gar gänzlich ausgeblieben.
Gebhard: Naja, wie gesagt, das Hauptproblem sind Amazon und die eingeschränkte Mobilität. Den Kampf gegen Online-Riesen werden kleine Einzelhändler nie aufnehmen können. Ferner wurde bei der Verkehrsinfrastruktur in und um Regensburg geschlafen. Bereits 1994 hatte BMW in einem Verkehrskonzept eine U- bzw. Hochbahn vorgeschlagen um künftige Verkehrsprobleme besser zu meistern. Übrigens, nebenbei bemerkt: Absolut unverständlich ist mir auch, dass die Kommune in diesen schwierigen Zeiten die Preise im ÖPNV anhebt. Noch dazu, wo wir ja eigentlich den Kampf gegen die Klimaerwärmung aufgenommen haben.
Wo sehen Sie durch diesen ganzheitlichen Blick die größten Herausforderungen für die Entwicklung der Innenstadt in Regensburg nach der Pandemie?
Quast: Ich sehe eigentlich zwei: Erstens muss wirklich darum gekämpft werden, wieder qualitativ hochwertige Angebote in die Leerstände zu bekommen und das anschließend auch zu kommunizieren. Zweitens muss auch darauf Lust gemacht werden. Natürlich kommt nach der Pandemie ein Teil der Kunden zurück, weil er Lust auf Leben und Entdecken hat. Aber der andere Teil wird Zeit benötigen, um seine Vorsicht/Ängstlichkeit abzubauen. Hier muss man besonders stark kommunizieren, dass es sicher ist und Abstand möglich ist.
Gebhard: Großartige Entwicklung erwarte ich nicht. Es wird weiterhin ein schleichendes Sterben des Facheinzelhandels geben. Der Bereich Fastfood wird weiter zunehmen. Die Altstadt wird noch mehr zur Partyzone. Gott sei Dank, dass der Tourismus und vor allem die amerikanischen Touristen, zurückkehren werden. Die Touristen sind entscheidend für den Fortbestand vieler kleiner Geschäfte. Und ich meine nicht nur Souvenirläden.
Futurologen wie Max Thinius erklären, dass der Mensch die Innenstadt und das Einkaufscenter, wie sie heute existieren, nicht mehr benötigen würden. Zudem hätten es die Innenstädte verpasst, sich weiterzuentwickeln und am starren Konzept der Innenstadt als Einkaufsstadt festgehalten. Wie sehen Sie das?
Quast: Das ist ein wenig Kaffeesatzleserei, denn dass die Innenstädte oder Einkaufscenter als Einkaufsorte sich überlebt haben werden, mag ein Prozess sein, der meiner Ansicht nach noch 30 Jahre dauert. Das Einkaufen ist schließlich eine Gewohnheit mit haptischem Erlebnis. Es ist somit etwas anderes, ob ich im Laden oder im Internet kaufe. Der stationäre Handel und die Innenstädte müssen hier mehr ihre Stärken ausspielen – denn Beratung, direktes Einkaufserlebnis und Mit-nach-Hause-Nehmen kann der Onlinehandel nicht bieten. Was sich sicherlich verändern wird, ist die Reduktion des Zufallsgeschäfts. Das heißt, die Leute gehen gezielt einkaufen. Die Anforderung an die Innenstadt wird sein, eine Erlebniswelt zu bieten, wie es bereits bei den Shoppingcentern der Fall ist.
Gebhard: Sicher ist da etwas Wahres dran. Auch die Menschen am Land können ihre Lebensmitteleinkäufe per Amazon erledigen. Somit werden viele Geschäfte theoretisch nicht mehr gebraucht. Die Gesellschaft muss sich aber schon fragen, ob dies auch wirklich gewollt ist. Einkaufen ist doch viel mehr, als spezielle Bedürfnisse zu befriedigen. Es geht doch um soziale Kompetenz! Um Gespräche, Freundschaften und Genuss. Ich hoffe, dass einige Online-Shopper bald merken, dass sie sozial vereinsamen.
Braucht es für das Überleben der Innenstädte eine gründliche konzeptionelle Erneuerung? Welche Maßnahmen können ergriffen werden?
Quast: Die Regensburger Innenstadt hat schon immer auf das Thema Erlebniswelt gesetzt – Stichwort: „Weihnachtsmarkt“. Gerade hier hat man gesehen, dass es das Weihnachtsgeschäft während Corona nur in einem sehr geringen Ausmaß gegeben hat, weil das Event „Weihnachtsmarkt“ nicht stattgefunden hat. Hier ist man gefordert, ähnliche Events zu kreieren, die Menschen in die Innenstädte ziehen. Und wenn dies gelingt, vermeiden die Innenstädte und Einkaufscenter sich zu überholen. Zugleich dürfte aber auch klar sein, dass es in Zukunft nicht mehr dieselben Umsätze geben wird. Hier muss man natürlich auch unterscheiden, dass ein Bürgerfest und ein Jazzweekend, die ja auch wunderschön sind, kein Event sind, die den Handel unterstützen. An Events, die das Shopping hervorheben sollen, müssen auch entsprechende Qualitätsansprüche gestellt werden. Es hilft somit nicht, bloß eine Hüpfburg aufzustellen. Es geht darum, schöne, kreative Veranstaltungen zu kreieren, die ein Alleinstellungsmerkmal bilden.
Gebhard: Eine gründliche konzeptionelle Erneuerung braucht es sicher nicht. Es geht darum die Verbraucher nicht weiter in der Mobilität einzuschränken und von weiteren Straßen- und Parkplatzsperrungen abzulassen. Die Kaufleute, Gastronomen und Hoteliers haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie durch ihren eigenen Einsatz und durch eigene Ideen in der Lage sind, Menschen nach Regensburg zu bekommen. Hauptsache ist, die Kommune legt ihnen nicht ständig Steine in den Weg.
Welche Rolle hat hier die Stadt Regensburg zu erfüllen?
Quast: Die Stadt muss hier großzügige Rahmenbedingungen schaffen – auch was Genehmigungen angeht. Und die Akteure im Einzelhandel sollten idealerweise an einem Strang ziehen – und zwar auf der gleichen Seite, damit wir die Altstadt als Gemeinschaftsprojekt verstehen.
Gebhard: Die Stadt soll ihre Hausaufgaben machen und für einen gut ausgedachten Nahverkehr sorgen und weitere altstadtnahe Parkplätze schaffen. Ferner sollte die Kommune stark in Werbung investieren. Dies könnte in Form von Radio- und Fernsehwerbung geschehen. Die österreichischen Skigebiete machen es uns täglich in Funk und TV vor… Was wir nicht brauchen, sind Gutachten und Studien, die von Steuergeldern bezahlt werden und deren Ausgänge im Vorfeld klar vom Auftraggeber definiert sind. Außerdem soll sich die Stadt um die Autoposer kümmern, die nach wie vor zu allen Tages- und Nachtzeiten über den Domplatz und weitere Plätze donnern. Auch die Fahrradrowdys sollte die Kommune in den Griff bekommen.
Welche vergangenen Entwicklungen und unternommenen Anstrengungen bewerten Sie als besonders positiv und welche als besonders negativ?
Quast: Besonders gelungen fand ich die Dom-Illumination. Bei Negativbeispielen will ich gar nicht kritisieren, weil immer eine gute Absicht dahinter steckt. Und man muss auch manchmal ausprobieren. Denn die Frage lautet auch: Was funktioniert heute eigentlich? Und gerade bei der Dom-Illumination hat man gemerkt, dass man oft nicht vorhersehen kann, wie stark ein Event zieht. Es war ja fast schon fahrlässig, wie viele Menschen sich da zu anfangs am Dom getummelt haben, bis man es besser strukturieren konnte. Andererseits kann man auch ein großes Event planen und das funktioniert dann überhaupt gar nicht so, wie man es erwartet hat.
Gebhard: Positiv ist sicher, dass endlich das Thema „Mobilitätsdrehscheibe Altes Eisstadion“ wieder auf die Tagesordnung kam. Negativ ist, dass der Domplatz wochentags gesperrt wurde und jetzt wundert sich die Politik, dass Geschäfte verschwinden. Ich hatte bereits vor zwei Jahren darauf hingewiesen, dass dies sehr riskant ist.
Welche Rolle spielt bei der Entwicklung der Altstadt der Autoverkehr? Soll er gänzlich raus oder einfach nur besser gelenkt werden?
Quast: Hierzu habe ich keine endgültige Meinung. Der Altstadt tut es einerseits schon gut, wenn sie komplett autofrei ist. Der Autoverkehr nervt selbst dann, wenn nur die Autos durchfahren, die auch eine Berechtigung dazu haben. Man sollte somit auf der einen Seite viel konsequenter sein und beispielsweise ab 10 Uhr bis 18 Uhr keinen Autoverkehr in der Altstadt zulassen. Zum anderen muss man aber Parkplätze in der Nähe vorhalten – das aber immer mit einem guten, angebundenen Service. Das Problem ist, dass niemand aus – sagen wir mal – Schwandorf kommt und sein Auto am Jahnstadion parkt, um sich anschließend reinshutteln zu lassen. Das ist in den Köpfen der Menschen einfach nicht verankert, sondern wird ein Lernprozess sein, der sicher zehn Jahre dauern wird.
Gebhard: Die Altstadt wird nie autofrei werden. Es wird immer Pkw-Verkehr geben. In der Altstadt wohnen viele Menschen, die ihre Garagen und Stellplätze haben. Außerdem gibt es viel Lieferverkehr, Taxis, Straßenreinigung, Handwerker, Ordnungsdienste, Umzüge, Polizei, Krankenwägen, Feuerwehr, Zufahrten zu Arztpraxen und vielen weiteren Dienstleistern etc. Wir haben mehr als genügend Fußgängerzonen. Wir brauchen keine weiteren!
In welche Richtung sollte sich die Innenstadt verändern?
Quast: Damit die Innenstadt beständig sein kann, müssen wir einen guten Angebots-Mix bieten und nicht einen weiteren Laden mit einer weiteren Franchise-Idee. Hier würde ich mir wünschen, dass mutige Regensburger Unternehmer sich mit ihrer Idee von beispielsweise regionalen oder selbst produzierten Produkten, also individueller Ware versuchen. Nur so schaffen wir es, dass es Spaß macht, die Altstadt zu entdecken – sowohl für die für die Bürgerinnen und Bürger aus dem Landkreis und der Stadt als auch für die Touristen. Besucher müssen sagen können, dass sie hier Stücke gefunden haben, die es woanders gar nicht mehr gibt. Und das macht auch unsere Altstadt aus – hier sind Zara und H&M gar nicht so wichtig und durchaus austauschbar. Viel wichtiger sind Geschäfte mit möglichst selbst geschaffenen Produkten.
In welche Richtung wird sich die Innenstadt Ihrer Meinung nach verändern?
Gebhard: Wie bereits gesagt: Wir werden noch mehr Party- und Eventzone. Für Anwohner wird es immer unnagenehmer. Einige Fachgeschäfte werden überleben – den Touristen und den treuen Stammkunden sei Dank!
RNRed