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"Kennen Sie jemanden, der mir schreibt?" Oft ist es diese Frage, mit der sich Inhaftierte zum ersten Mal bei Irmtraud Meifert vom Schwarzen Kreuz melden. Meistens wünschen sich Gefangene den Kontakt zu Menschen außerhalb der Gefängnismauern. Beinahe 23 Stunden verbringen sie in ihrer Zelle, ihre sozialen Beziehungen beschränken sich auf Mitgefangene und JVA-Mitarbeiter. In ihnen wächst der Wunsch nach Freundschaft. Und Liebe.



Sich mit einer vertrauten Person über seinen Alltag austauschen, über Hobbies, Familie, ein Buch oder die Lieblings-Serie im Fernsehen reden. Für die meisten Menschen kein Problem. Aber wohin mit den Gedanken und dem Bedürfnis nach Nähe, wenn man dreiviertel seines Tages abgeschirmt in einer Zelle verbringt? Das Schwarze Kreuz, ein christlicher Verein der seit 90 Jahren besteht, vermittelt Brieffreundschaften zwischen Ehrenamtlichen und Strafgefangenen. Dass der Austausch zwischen "drinnen und draußen" begehrt ist, zeigt die Flut an Anfragen, die Irmtraud Meifert, Verantwortliche für das Projekt "Briefe hinter Gitter", erhält. Gefangene aus ganz Deutschland und Österreich melden sich auf der Suche nach einem Briefkontakt bei ihr. Derzeit betreut das Schwarze Kreuz zwischen 60 und 70 Brieffreundschaften zwischen Inhaftierten und Ehrenamtlichen. Teilnehmen kann grundsätzlich jeder. Die Gefangenen müssen lediglich bereits aus der U-Haft entlassen worden sein, da der Briefwechsel sonst zu lange dauert und Briefe von richterlicher Seite auf ihren Inhalt her geprüft werden müssten. Überwiegend sind es Männer, die auf der Suche nach Briefkontakten sind. Frauen, die hinter Gittern sitzen, hätten meist mit Drogendelikten zu tun und kapseln sich daher eher ab, erzählt Meifert.

Sobald sich ein Inhaftierter beim Schwarzen Kreuz meldet, beginnt die Suche nach dem passenden Kontakt. "Dabei lasse ich mich gerne von meinem Bauchgefühl leiten. Meistens hat man einen Grundeindruck von den Ehrenamtlichen und kann gut abschätzen, zu wem sie passen. Natürlich achtet man aber auch auf gemeinsame Interessen, Hobbies und das Alter", so Meifert. Um mit der besonderen Situation besser umgehen zu können, müssen die Ehrenamtlichen vor der Kontaktaufnahme mit einem Gefangenen eine Schulung durchlaufen. In Seminaren wird ihnen das Umfeld erklärt, in dem sich der Häftling befindet, sie erhalten Einblicke in den Gefängnisalltag und werden über ihre Rolle als Kontakt zur Außenwelt aufgeklärt. Doch was so unkompliziert klingt, stößt spätestens an seine Grenzen, wenn es um Themen wie den Umgang mit Sexualstraftätern geht. Auch sie wenden sich an Meifert und ihr Team. Überwiegend mit dem Wunsch nach einem weiblichen Briefkontakt, da sie sich von Frauen mehr Verständnis erhoffen. "Normalerweise gebe ich beim Vermitteln der Kontakte nichts über den Delikt weiter. Bei Sexualverbrechen werden die Ehrenamtlichen aber immer von mir informiert." Eine Frau zu finden, die mit einem Sexualstraftäter schreiben will, ist jedoch mehr als schwierig. Meist muss Meifert auf langjährige Vereinsmitglieder zurückgreifen, die sie persönlich kennt.

Ist der richtige Partner gefunden, findet ein reger Briefwechsel statt. Je nachdem, wie hoch das Strafmaß ist, tauschen sich beide über Wochen, Monate oder Jahre hinweg aus. Eine lange und intensive Zeit, in der sich allmählich ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Kann man dabei am Ende gar von einer Freundschaft sprechen? Nein, sagt Irmtraud Meifert. "Auch wenn die Häftlinge das Wort "Freundschaft" gerne verwenden, distanzieren wir uns von dieser Bezeichnung. Immerhin stehen die Gefangenen in einer Art Abhängigkeitsverhältnis zu den Ehrenamtlichen. Das kann nicht Grundlage einer Freundschaft sein." Trotzdem, so räumt sie ein, sei es in einigen Fällen außerhalb der Gefängnismauern schon zu Treffen gekommen, die dann tatsächlich eine Freundschaft nach sich zogen. Normalerweise aber beenden die Gefangenen den Kontakt nach ihrer Haftentlassung sofort. "Sie wollen mit diesem Kapitel ihres Lebens einfach abschließen." Andere wiederum sind hinter Gittern auf der Suche nach Liebe. Oft passiert es, dass als Ziel der Briefkontakte der Wunsch, die Partnerin fürs Leben zu finden, angegeben wird. "Ich stelle dann immer gleich klar, dass wir dabei nicht helfen können. Unsere Ehrenamtlichen wissen, dass sie den Gefangenen in einer schweren Zeit Zuwendung geben, wahren jedoch auch immer eine gewisse Distanz." Diese Distanz durchbricht die Internetplattform "jailmail.net". Jailmail ist eine Art Partnerbörse, in der Strafgefangene ein kurzes Profil von sich online stellen. Männer und Frauen, die sich einen Partner im Gefängnis wünschen, können über eine Chiffre-Nr. Kontakt zu ihnen aufnehmen. In den Anzeigen erzählen die Gefangenen von ihren Hobbies, davon, was sie sich in einem Partner wünschen oder von ihren Plänen nach der Haftentlassung.

Gegründet wurde die ungewöhnliche Partnerbörse von Eva Höhenberger. Sie surfte eines Tages im Internet und stieß auf eine Seite mit Annoncen von briefkontaktsuchenden Inhaftierten. "Ich schrieb einen an und hielt den Kontakt, der irgendwann jedoch wieder versiegte. Damit war der Grundstein gelegt, der mein Interesse für die Themen Haft und Resozialisierung wach rief", erzählt sie. "Als die Seite, auf der ich meinen Briefpartner fand, verwaiste, stieg der Bedarf an Brieffreunden für Gefangene. So stellte ich 2005 kurzerhand selbst eine solche Seite ins Netz."

"Trotz meiner Inhaftierung in ich ein ehrlicher Mensch, liebevoll, einfühlsam und romantisch veranlagt. Und nun wäre es toll wenn Du mir schnell schreibst damit ich dir sofort antworten kann."

"Mein Name ist Marcus, ich bin 29 Jahre alt und traurigerweise in Haft. Für mich ist das meine erste Inhaftierung und muss leider sagen, dass mich inzwischen die Einsamkeit eingeholt hat. Ich suche aus diesem Grund einen weiblichen, aufgeschlossenen Briefkontakt im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Gerade in den Momenten, in denen ich alleine bin. wünsche ich mir einen Menschen für den ich meine Gedanken zu Papier bringen kann. [...] Ich betreibe regelmäßig Sport und achte auf mein Äußeres. Nach meiner Entlassung möchte ich mich beruflich weiter qualifizieren und strebe dabei einen kompletten Umgebungswechsel an. Wenn du meine Annonce nun beantworten möchtest, dann freue ich mich wenn du mir schreibst und dich auch kurz vorstellst."

Aber was bewegt jemanden "von draußen" dazu, eine Liebe hinter Gittern eingehen zu wollen? Die Umstände verhindern schließlich alles, was zu einer richtigen Beziehung dazu gehört: Nähe, ein gemeinsamer Alltag, Pläne für das nächste Wochenende schmieden, die Möglichkeit so viel Zeit wie nur möglich miteinander zu verbringen. Gerade das, was für viele unvorstellbar ist, ist für Menschen, die schwere Enttäuschungen erlebt haben, ein vermeintlicher Vorteil. Denn die Beziehung mischt sich in das eigene Leben erst einmal nicht ein. Sie findet nur auf dem Papier statt. Eine Distanz, die Sicherheit mit sich bringt. Irmtraud Meifert hat sich im Rahmen ihrer Arbeit für das Schwarze Kreuz mit dem Thema beschäftigt und rät davon ab, eine Beziehung zu einem Strafgefangenen einzugehen. "Wie man auf Jailmail ganz gut sieht, findet hier eine Art Rollentausch statt. Der Mann präsentiert sich als liebevoll, romantisch und ehrlich. Frauen springen darauf an, da sie genau diese Attribute, die normal ihnen zugeschrieben werden, in einem Partner suchen." Die Männer erscheinen hinter Gittern als Bedürftige, die Frau hat während des Briefkontakts sozusagen die Fäden in der Hand. "Kommt es außerhalb der Gefängnismauern zu einem Treffen, lösen sich die romantischen Vorstellungen schnell in Luft auf. Ich habe schon viele daran Scheitern sehen", erzählt Meifert. Auch Eva Höhenberger weiß nicht, was aus den Briefkontakten, die sie vermittelt, wird. Hin und wieder hört sie von Partnerschaften, die "draußen" bestehen bleiben. "Meist erzählen sie mir freudig, wenn sie sich verlieben oder heiraten. Von etwaigen Trennungen oder Scheidungen berichtet mir aber natürlich niemand." Auch auf Jailmail liest man nur von positiven Erfahrungen. Natürlich. Und so füllt sich hoffnungsvoll weiter Seite um Seite.

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Foto: bigstock.de / olly2

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