section_topline
Redaktions-Hotline: +49 (0)941 59 56 08-0
section_mobile_logo_top
section_header
section_navigation
section_breadcrumbs
section_component

Die Uhr zeigt 7.30 Uhr. Pünktlich sitzt Hans-Dieter Böckl mit seiner Ehefrau Waltraud im Wartezimmer. Ihr verdankt er sein Leben. Ohne zu zögern spendete die 56-Jährige ihm vor einem Jahr ihre Niere. Jetzt steht für beide ein Kontrolltermin an, der mittlerweile schon reine Routine geworden ist. Die Zeit, die hinter ihnen liegt, war hart. Ohne seine Frau würde Hans-Dieter Böckl wohl heute noch auf der Spenderliste stehen. Zusammen mit 11.000 weiteren Patienten in Deutschland, von denen rund 8.000 auf eine Niere warten.



Alle vier Stunden stirbt ein Mensch in Deutschland, während er mit seiner Familie verzweifelt auf ein Spenderorgan hofft. Denn die Patientenliste ist lang, die Lage angespannt. „Es ist schwierig einen passenden Spender zu finden, weil sich so wenig Menschen zur Organspende bekennen und in Deutschland leider viel weniger gesellschaftlicher Konsens für die Rettung von Menschenleben mit Organspende und Transplantation besteht als in den meisten zivilisierten Ländern dieser Welt“, so Professor Dr. Bernhard Banas, Leiter des Transplantationszentrums Regensburg. „Wir können froh sein, wenn wir in Bayern dieses Jahr auf 120 postmortale (nach dem Tod) Organspender kommen.“ Und das bei 12.6 Millionen Einwohnern, 2010 gab es immerhin fast noch doppelt so viele postmortale Spender. „Deshalb suchen sich so viele Patienten auch die „Alternative“ Lebendspender in der Familie oder im engen Freundeskreis.“

Fast 600 Patienten stehen in Regensburg auf der Warteliste zur Transplantation, deutschlandweit sind es ganze 11.000 - rund die Hälfte überlebt das Warten auf ein passendes Organ nicht. Hans-Dieter Böckl hatte Glück, seine Ehefrau spendete ihm vor einem Jahr ihre Niere. Trotzdem stand er ein dreiviertel Jahr auf der Spenderliste. Zeit, die lange nicht ausreicht. Denn auf eine neue Niere müssen Patienten zwischen acht und zehn Jahren warten. „Man musste es ja wenigstens probieren, auch wenn wir keine Hoffnung darauf gesetzt haben“, erzählt der 61-Jährige.

Während Hans-Dieter Böckl in der Vergangenheit als Soldat in Krisengebieten eingesetzt war, wurden seine Nieren von diversen Erkältungen, Entzündungen und Infektionen geschwächt. Zurück in Deutschland lieferte dann eine schwere Lungenentzündung den Alarmschuss für eine notwendige Transplantation. Im Herz sammelte sich Wasser, da die Nieren nicht mehr ausreichend arbeiten konnten. Die Situation spitzte sich immer weiter zu. Eine Organspende war unausweichlich. „Für mich stand sofort fest, dass ich ihm meine Niere spende“, erklärt Waltraud Böckl. Doch Unsicherheit und die Angst um seine Frau ließen Hans-Dieter Böckl zögern. Erst nach unzähligen Beratungsgesprächen, psychologischen Tests und Gesundheitschecks stimmte er zu.

Genau diese Untersuchungen kosten. Doch die Vorbereitung zur Transplantation und die Nachsorge werden in Deutschland extrem schlecht vergütet. „Zur Zeit zahlen große Zentren wie Regensburg, die besonders aufwendige Nachsorgeprogramme haben, einen Großteil der notwendigen Untersuchungen aus dem eigenen Budget“, erklärt Professor Dr. Banas. Dazu kommt das Problem, dass die Empfänger der Organe immer älter und kränker werden, weil sie so lange auf eine Spende warten müssen. „Rein OP-technisch werden Transplantationen leider immer schwieriger und die Komplikationen nach der OP werden eher mehr als weniger.“

Trotzdem: Hans-Dieter und Waltraud Böckl fühlten sich vor der OP gut beraten, sicher und bereit für den großen Schritt in Richtung Zukunft. Angst? „Überhaupt nicht“, sind sich die beiden einig. „Da war ich vor meiner OP am Miniskus hundertmal aufgeregter. Warum, weiß ich selbst nicht so genau. Wir wurden einfach von den Ärzten gut vorbereitet“, erklärt Waltraud Böckl. „Wir fühlten uns im Universitätsklinikum gut aufgehoben, auch wenn man hier nur eine Nummer von vielen ist.“ Erst nach der OP kamen das erste Mal kurze Bedenken und Sorge auf, als Waltraud Böckl in der Arbeit stürzte. „Da wurde mir das erste Mal wirklich bewusst, dass ich auf meine Niere achten muss. Ich habe ja jetzt nur noch eine. Die muss funktionieren. Bis zum Schluss.“ Angst hatte Waltraud Böckl eigentlich nur vor den Untersuchungen. Angst, dass sie doch nicht gesund genug ist für den operativen Eingriff. Angst, dass die Ärzte irgendetwas finden, eine Kleinigkeit, an der alles scheitert.

Die Bedenken waren umsonst. Nur eine scheinbare Kleinigkeit stand der OP im Weg, die letztendlich doch alles verzögerte. „Meine Frau war zu mollig“, grinst Hans-Dieter Böckl und wirft seiner Frau einen frechen und zugleich liebevollen Blick zu. Was sie zusammen erlebt haben, verbindet. Schweißt noch mehr zusammen. Zeigt, man kann sich auf den Partner in jeder noch so schwierigen Situation verlassen. 18 Kilo musste Waltraud Böckl verlieren - nervenaufreibend und unter Zeitdruck noch schwieriger. „Anfangs habe ich das überhaupt nicht verstanden, dass sich nur wegen meinem Gewicht alles verzögern soll.“ Während sie mit den Pfunden kämpfte, hing er an der Dialyse durch einen Vorhofkatheter. Eine Situation, die Waltraud Böckl noch mehr unter Druck setzte. „Doch im Nachhinein denke ich mir, der Arzt hatte Recht. 18 Kilo mehr zum Zeitpunkt der OP und die Wundheilung hätte viel länger gedauert.“ Nach einem dreiviertel Jahr zeigte die Waage endlich den Startschuss für die OP.

Als es ans Unterschreiben der Unterlagen ging, flossen Tränen in der Familie. „Man unterschreibt da ja quasi für sein Todesurteil, so kommt es einem immer vor bei OP's.“ Vor allem bei den drei Kindern und vier Enkeln... „Aber irgendwie wussten mein Mann und ich, es passiert nichts. Das war ein Gefühl, das uns die ganze Zeit begleitet und beruhigt hat.“ Der Eingriff verlief gut. Alles wie geplant. Ohne Komplikationen. Zum Glück. Jetzt hat Hans-Dieter Böckl drei Nieren. Ollek, Bollek und Waltraud - wie er sie liebevoll nennt. Ollek und Bollek für die Schrumpfnieren, die irgendwann von selbst verschwinden werden. Waltraud, die Niere seiner Frau, übernimmt jetzt die kompletten Aufgaben. Bei der Transplantation ging keinerlei Leistung verloren. Die Niere ist fit. „Ihrer Frau geht es gut. Ihre Niere arbeitet bereits in vollem Gange“, waren die ersten Worte des Arztes, an die sich Hans-Dieter erinnern kann.

Jetzt ist ein Jahr vergangen, seitdem laufen die Untersuchungen auf Hochtouren, Anfangs standen alle zwei Tage Kontrolltermine an, später alle zwei Wochen, jetzt hat sich der Körper an die Niere gewöhnt. Langsam. Alles Schritt für Schritt. Das erste Vierteljahr wehrte ein Mundschutz Bakterien und Viren ab. Tabletten unterstützen noch immer den Prozess, aber auch die werden schon langsam herunter dosiert. Es läuft gut für die Familie Böckl. Auch Waltraud Böckl hat sich gut erholt. Sie muss nur einmal jährlich zur Untersuchung. „Ich würde mich für die Spende jeder Zeit wieder entscheiden und nur jedem empfehlen, der in einer ähnlichen Situation steckt wie wir damals. Klar, schief gehen kann immer etwas. Aber man muss es wenigstens versuchen.“ Denn keiner kann sich darauf verlassen, auf der Spenderliste rechtzeitig ein rettendes Organ zu bekommen. „Man darf nicht nachdenken, was wäre wenn... sonst darf man die Spende erst gar nicht machen. Aber ich dachte an meinen Mann und wollte nur, dass er sich so schnell wie möglich wieder auf eine funktionierende Niere verlassen kann. Und weg kommt von der Dialyse“, weiß Waltraud Böckl. „Die Organspende muss viel mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Die Leute machen sich einfach zu wenig Gedanken. Erst, wenn sie selbst betroffen sind, setzten sie sich mit diesem Thema auseinander. Das ist für viele Menschenleben einfach zu spät.“

Die ganze Familie Böckl geht mit gutem Beispiel voran, hat ihre Organspendeausweise immer einstecken. „Es gibt nichts besseres, als zu spenden, wenn man gesund ist.“ Ein Organspendeausweis ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Viele haben Angst, zu früh für tot erklärt zu werden, das weiß auch Professor Dr. Banas: „Natürlich und hat jeder von uns die Sorge 'zu früh' ein postmortaler Organspender zu werden. Aber: einen 'sichereren' Tod als den Hirntod gibt es nicht.“ Denn Hirntod heißt Ausfall aller Hirnfunktionen.

Selbst viele Fachleute, die sich in der Thematik gut auskennen, haben oft alleine schon einen Organspendeausweis, weil dann zum Beispiel nach einem Unfall mit Kopfverletzung eine Hirntoddiagnostik gemacht werden muss, und dann wird absolut klar, ob noch Chancen bestehen oder nicht. „Noch nie hat ein Hirntoter wieder selbst geatmet oder gar auf einem noch so geringen Level wieder ins Leben gefunden, selbst wenn durch Maschinen noch einige biologische Funktionen und der Kreislauf noch einige Zeit aufrecht erhalten werden können“, erklärt Professor Dr. Banas. „Bleibt dagegen 'nur' das Herz stehen, haben Sie gar keine so schlechte Chance diesem Tod mittels Wiederbelebung zu entkommen.“

Doch die Organspender fehlen. „Realistisch gedacht wird es zunehmend mehr Patienten geben, die ihre Transplantation nicht mehr erleben werden.“ Selbst bei ausgefülltem Spenderausweis ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, ein postmortaler Spender zu werden. Denn zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Der komplette Ausfall des gesamten Gehirns und gleichzeitig eine gute Funktion der zu spendenden Organe wie Herz, Lungen, Nieren und Leber. Das kommt nur bei isolierter schwerster Hirnverletzung vor oder als Folge einer spontanen Hirnblutung. „Da insbesondere die Schutzmaßnahmen vor Unfällen und auch die Erstversorgung nach Unfällen immer besser werden, gibt es natürlich immer weniger solche Spender“, erklärt Professor Dr. Banas. „Natürlich wollen wir das alle so haben, denn weiterleben ist immer noch besser als Organspender zu werden!“ Bei einem schweren Polytrauma oder Tod durch Tumor sind die Organe zu geschädigt, auch bei einem Herzinfarkt tritt der Hirntod erst Sekunden nach längerem Kreislaufstillstand ein. „Auch dann sind die Organe natürlich nicht mehr zu transplantieren.“

Allein 2013 starben in Deutschland rund 870.000 Menschen, nur knapp 880 konnten mit ihren Organen wirklich Leben retten. „Erschreckend! Vor allem wenn man bedenkt, dass in Deutschland jeder 100. Bürger an einer schweren Nierenerkrankung leidet und von diesen mindestens jeder 10. an die Dialyse kommen wird“, weiß Professor Dr. Banas. „Richtig weiter in die Zukunft zu denken, darf man sich aktuell gar nicht trauen, denn weltweit nimmt die terminale Niereninsuffizienz, also Tod oder Dialysepflicht, um rund acht Prozent zu. Das zeigt, es wird ein noch viel größeres Problem auf uns zukommen.“

Familie Böckl hat diesen schwierigen Lebensabschnitt gut überstanden. Mit Zusammenhalt, positiven Gedanken und Kraft, die sie sich gegenseitig gegeben haben. Morgen ist die Transplantation ein Jahr her. „Da feiern wir unseren ersten Geburtstag. Das ist wie ein neues Leben, das beginnt.“
























Eventfilter

section_breadcrumbs
footer
Cookie-Einstellungen
nach oben